Aktenzeichen III R 5/08
Leitsatz
Werden die zur Beseitigung oder Linderung von Unfallfolgen entstandenen Aufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, kann die infolge des Unfalls von der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlte Verletztenrente (§ 56 SGB VII) aus Vereinfachungsgründen um den dem Kind zustehenden Behinderten-Pauschbetrag gemindert werden. Nur der verbleibende Teil der Rente ist zur Bestreitung des Unterhalts i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bestimmt oder geeignet (Fortentwicklung der Rechtsprechung im Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 III R 74/07, BFHE 228, 72, BStBl II 2010, 552).
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 20. November 2007, Az: 4 K 10515/06 B, Urteil
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog laufend Kindergeld für seine im August 1985 geborene Tochter T. T begann im Anschluss an ihre Schulausbildung im September 2005 eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau. Neben ihrer Ausbildungsvergütung und weiteren Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit aus einer Aushilfstätigkeit im elterlichen Betrieb erhielt sie von der Unfallkasse aufgrund eines im Jahr 2000 erlittenen Sportunfalls eine Verletztenrente in Höhe von monatlich 199,50 € wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 25 %. Die zunächst zum 1. August 2005 eingestellte Rentenzahlung wurde aufgrund eines erfolgreichen Widerspruchs ab Dezember 2005 wieder aufgenommen, für den Zeitraum August bis November 2005 wurde eine Nachzahlung in Höhe von 798 € im November 2005 geleistet.
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Mit Bescheid vom 18. August 2006 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für T für den Zeitraum Januar bis Dezember 2005 wegen Überschreitens des Grenzbetrags des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes nach der im Streitzeitraum 2005 geltenden Fassung (EStG) auf.
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Im erfolglosen Einspruchsverfahren berief sich der Kläger darauf, bei Einbeziehung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs in Höhe des Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b Abs. 3 EStG ergäbe sich, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge von T unschädlich für die Gewährung des Kindergeldes seien.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Nach seinen Feststellungen beliefen sich die Einkünfte und Bezüge von T im Jahr 2005 auf 7.750,93 €. Es war daher der Ansicht, dass zwar eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG im Hinblick auf den überschrittenen Jahresgrenzbetrag nicht in Betracht komme. Das FG sah jedoch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG im Streitfall als erfüllt an.
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Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG, da nicht die geringfügige Behinderung von T ursächlich dafür sei, dass sie sich nicht selbst unterhalten könne. Vielmehr sei das niedrige Niveau der Ausbildungsvergütung zumindest mitursächlich.
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Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Das FG hat den Kindergeldanspruch des Klägers für die Monate Januar bis Dezember 2005 im Ergebnis zu Recht bejaht.
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1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das –wie T im Jahr 2005– das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge den für den Streitzeitraum maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen.
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a) Zu Unrecht hat das FG die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG allein deshalb verneint, weil es die von der Unfallkasse als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung an T gezahlte Verletztenrente (§ 56 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch –SGB VII–) in vollem Umfang bei der Jahresgrenzbetragsberechnung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG berücksichtigt hat.
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b) Die nach § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerfreie sog. Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung gehört zwar zunächst in vollem Umfang zu den Bezügen (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Oktober 1999 VI R 182/98, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79, unter II. 4. c). Sie ist jedoch nur insoweit zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet, als sie die Aufwendungen für therapeutische Maßnahmen übersteigt, die dem Betroffenen als Folge des Unfalls entstanden sind (ausführlich Senatsurteil vom 17. Dezember 2009 III R 74/07, BFHE 228, 72, BStBl II 2010, 552).
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Die Verletztenrente soll den Mehrbedarf durch die bleibenden Verletzungen aufgrund des Unfalls und den Einnahmenverlust aufgrund der geminderten Erwerbsfähigkeit ausgleichen. Entstehen dem Kind Kosten für Maßnahmen zur Behebung von körperlichen oder psychischen Schäden aufgrund eines Unfalls, für die nach den Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherung keine Erstattung vorgesehen ist, steht die Verletztenrente dem Kind insoweit nicht für den Unterhalt zur Verfügung. Da die Verletztenrente auch gezahlt wird, um den aufgrund des Unfalls entstehenden Mehrbedarf auszugleichen, ist sie nur zum Unterhalt und zur Berufsausbildung bestimmt oder geeignet, soweit die Rentenzahlungen die Kosten übersteigen, die zum Ausgleich der Mehraufwendungen und zur Wiederherstellung der durch den Unfall verursachten gesundheitlichen Schäden angefallen sind (vgl. Senatsurteil in BFHE 228, 72, BStBl II 2010, 552, m.w.N.).
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c) Werden die Kosten für Maßnahmen zur Behebung der aufgrund des Unfalls erlittenen Schäden nicht im Einzelnen nachgewiesen, so kann auch hier der dem Kind zustehende Behinderten-Pauschbetrag nach § 33b Abs. 1 bis 3 EStG als Anhalt für den unfallbedingten Mehrbedarf dienen.
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Behindert ist ein Mensch, wenn seine körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch –SGB IX–). Dies ist auch der Fall, wenn jemand –wie vorliegend T– als Folge eines Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist und deshalb seit Jahren eine Verletztenrente i.S. des § 56 SGB VII bezieht. Die Feststellung des Grades der MdE gilt insoweit zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) (§ 69 Abs. 2 SGB IX).
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Ab einem GdB von 25 werden auch sog. Leicht- oder Minderbehinderte im Rahmen des § 33b EStG berücksichtigt, wenn ihnen wegen der Behinderung ein Rentenanspruch zusteht (§ 33b Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG). Die Vorschrift schränkt den pauschalierten Ansatz typischer Aufwendungen des Behinderten auf diejenigen Fälle ein, in denen gesetzliche Leistungen aus der Beschädigtenversorgung gezahlt werden. Ein Aufwand wird typisierend nur unterstellt, wenn die gesetzliche Leistungspflicht der öffentlichen Hand an eine bestimmte grundsätzliche Schädigung des Versorgungsberechtigten anknüpft und auf dem Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) oder entsprechenden Vorschriften –wie z.B. §§ 56 ff. SGB VII– beruht (Senatsurteil vom 28. September 2000 III R 21/00, BFH/NV 2001, 435, m.w.N.).
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Im Hinblick auf die unterschiedlichen Funktionen der Verletztenrente (Ausgleich des Mehrbedarfs durch die bleibenden Verletzungen aufgrund des Unfalls auf der einen Seite, Ausgleich des Einnahmenverlustes aufgrund der geminderten Erwerbsfähigkeit auf der anderen Seite) begegnet es deshalb keinen Bedenken, die Rentenzahlungen bei fehlendem Einzelnachweis des unfallbedingten Mehraufwands aus Vereinfachungsgründen um den maßgeblichen Behinderten-Pauschbetrag zu mindern.
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d) Für die Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge von T den Jahresgrenzbetrag in Höhe von 7.680 € übersteigen, ist deshalb die Verletztenrente lediglich in Höhe von 1.904 € (2.394 € abzüglich des Behinderten-Pauschbetrags in Höhe von 310 € und der Kostenpauschale in Höhe von 180 €) als Bezug zu berücksichtigen. Damit übersteigen die Einkünfte und Bezüge von T in Höhe von nunmehr 7.440,93 € den Jahresgrenzbetrag nicht.
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2. Die Frage, ob T als behindertes Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen ist, ist mithin im Streitfall nicht entscheidungserheblich.