Familienrecht

Kindesmutter, Jugendamt, Kind, Therapie, Kindeseltern, Fremdunterbringung, Schaden, Anordnung, Gefahr, Umgang, Sorge, Bestellung, Kindesinteresse, Interessenkonflikt, psychische Belastung, elterliche Sorge

Aktenzeichen  003 F 449/21

Datum:
13.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41682
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der allein sorgeberechtigten Mutter wird das Recht zur Beantragung einer Namensänderung gem. § 2 Namensänderungsgesetz sowie aller damit zusammenhängenden Erklärungen gegenüber Behörden, Gerichten und sonstiger Stellen für das Kind …, geboren am …, entzogen.
2. Soweit die Rechte der Mutter entzogen wurden, wird die Ergänzungspflegschaft angeordnet und die entzogenen Rechte übertragen auf …
3. Der Verfahrenswert wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
4. Von einer Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Jeder der Beteiligten hat seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Gründe

A.
Das betroffene Kind … lebt seit … Jahren in einer Pflegefamilie. Sie wünscht sich seit längerer Zeit eine Namensänderung dahingehend, dass sie den Namen der Pflegefamilie annimmt.
Die Kindesmutter tritt diesem Wunsch entgegen.
Der Kindesmutter war im Verfahren 4 F 654/12 mit Beschluss vom 29.07.2013 die gesamte elterliche Sorge entzogen worden und Vormundschaft angeordnet worden, Bl. 226ff. Beiakte. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde mit Beschluss des OLG Bamberg vom 10.10.2013 zurückgewiesen, Bl. 256ff. Beiakte.
Mit Beschluss vom 10.12.2014 wurde der Kindesmutter die elterliche Sorge zurückübertragen, nachdem sie mittlerweile der Fremdunterbringung zugestimmt hatte und mit dem Jugendamt zusammengearbeitet hatte, Bl. 306ff.
Im hiesigen Verfahren wurde eine Verfahrensbeiständin bestellt, das Jugendamt hat mehrere Stellungnahmen abgegeben, das Kind wurde gehört und mit den übrigen Beteiligten wurde verhandelt.
B.
Der Kindesmutter war der im Tenor genannte Teilbereich der elterlichen Sorge gem. §§ 1629 II 3; 1796 BGB zu entziehen.
Eine Namensänderung gem. § 2 NamÄndG setzt einen Antrag des Kindes, vertreten durch den gesetzlichen Vertreter, voraus.
Die Kindesmutter ist Inhaberin der elterlichen Sorge. Diese war vorliegend aber von der Vertretung des Kindes auszuschließen und statt dessen ein Ergänzungspfleger gem. § 1909 BGB zu bestellen.
Gem. §§ 1629 II 3; 1796 BGB ist bei einem konkreten und erheblichen Interessenkonflikt die elterliche Sorge zu entziehen. Dies ist dann der Fall, wenn das Interesse des einen nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und im konkreten Fall die Gefahr besteht, dass die Kindeseltern das Kindesinteresse nicht in der gebotenen Weise berücksichtigen können. (vgl. Beckonline, Großkommentar, Stand: 01.08.2021, § 1629, Rdnr. 58 mwN.).
Schon allein aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bestehen hohe Anforderungen, bei dessen Erörterung auch der Familienfrieden zu berücksichtigen ist. Zu prüfen ist insbesondere, ob mildere Mittel bestehen, etwa die Bestellung eines Verfahrensbeistands (vgl. Beckonline, Großkommentar, a.a., Rdnr. 59 mwN.).
Vorliegend besteht ein erheblicher Interessenkonflikt zwischen Kindesmutter und Kind, an welchem das Kind massiv Schaden zu nehmen droht.
1. Das Jugendamt hat ausgeführt, dass … seit Jahren eine Namensänderung wünscht. Schon im Kindergarten benutzte sie den Namen nicht. Im Alltag leidet sie sehr unter der Namensungleichheit. Sie muss sich wiederholt erklären, weshalb sie anders heißt als ihre Pflegeeltern. Zahlreiche Gespräche brachten keine Erleichterung.
Sie wirke oft verzweifelt, weil sie von der Entscheidung der Mutter abhängig sei, zu der sie keinen Kontakt habe.
Sie möchte den anderen beiden Geschwisterpflegekindern gleichgestellt werden.
Seit dem Schuleintritt mache es … zu schaffen, wenn sie ihren Nachnamen auf ihre Schreiben müsse. Am Telefon melde sie sich nicht mit ihrem Nachnamen. Bei Arztbesuchen sei es sehr unangenehm, wenn der andere Name zum Tragen komme. Bisweilen breche sie in Tränen aus, Bl. 8 R.
… habe die Sichtweise, dass sie schon so lange zur Familie … gehöre und so heißen möchte. Sie möchte sich nicht immer erklären. In jedem Gespräch mit dem Pflegekinderdienst werde der Namenswunsch geäußert, die Verzweiflung nehme zu.
Die Perspektive des Pflegeverhältnisses sei dauerhaft, eine Rückführung nicht geplant, Bl. 10.
Das seelische Kindeswohl sei gefährdet, wenn … den Namen der Mutter tragen müsse, mit der sie sich nicht identifiziere, Bl. 10.
2. Die Verfahrensbeiständin hat eine große psychische Belastung des Kindes ausgeführt und näher dargelegt, Bl. 36.
Die Kindesmutter habe sich, so …, nie um sie gekümmert. Es bestehe keine Beziehung zur Mutter. Sie habe kein Vertrauen zur Mutter, von der sie maßlos enttäuscht sei, beim Erzählen habe … geweint. Weiterhin habe sie Schuldgefühle ggü. ihrer Mutter. Sie möchte auch das letzte – Namensband – zur Mutter zerschneiden. Es sei ihr Wunsch, den Namen und die Bindung zur Mutter loszuwerden, es bestehe eine große psychische Belastung des Kindes.
3. Diese große Verzweiflung des Kindes wurde auch in der Anhörung deutlich, ganz offensichtlich besteht ein enormer Leidensdruck des Kindes, welches auch mit der eigenen Vergangenheit nicht mehr konfrontiert werden möchte.
Für das Gericht besteht kein Zweifel, dass der Wunsch des Kindes auf Namensänderung stabil ist, dessen Nichtbeachtung die Verzweiflung des Kindes verstärken würde und dieses in große seelische Not stürzen würde.
4. Die Kindesmutter wünscht, dass zumindest das namensrechtliche Band zwischen ihr und Tochter erhalten bleibt, da schon kein Umgang bestehe.
Auffällig ist die fehlende Feinfühligkeit der Kindesmutter, welche die Wünsche und Befindlichkeiten des Kindes noch nicht ansatzweise nachvollziehen und nachempfinden kann.
Es besteht mithin aus den vorstehend genannten Gründen ein ganz massiver Interessengegensatz zwischen Kind und Kindesmutter. Letztere schafft es bzgl. der Namensproblematik nicht, die Perspektive des Kindes einzunehmen und auch deren Interessen sachgerecht wahrzunehmen.
Mildere Mittel sind nicht ersichtlich. Im Gerichtstermin wurde versucht, eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, was nicht gelang.
Angesichts des seit langer Zeit bestehenden Wunsches des Kindes und der fachlichen Einschätzung des Pflegekinderdienstes erachtet das Gericht eine Therapie nicht als milderes, gleich geeignetes Mittel.
Vielmehr hat die Betroffene, welche mittlerweile seit fast 10 Jahren in der Pflegefamilie lebt und 13 Jahre als ist, gute Schulnoten aufweist und eine nicht unerhebliche Verstandesreife aufweist, den klar formulierten Wunsch, das namensrechtliche Band zur Mutter zu zerschneiden. Es wurde – wie vom Jugendamt geschildert – schon geraume Zeit mit dem Kind gearbeitet, eine Haltungsänderung ist nicht eingetreten, zumal der Wunsch des Kindes nachvollziehbar und verständlich erscheint nach der langen Dauer der Fremdunterbringung.
Die Bestellung einer Verfahrensbeiständin allein ist in der hiesigen Konstellation auch nicht ausreichend, da diese schon keinen Antrag gem. § 2 NamÄndG stellen kann.
Zu berücksichtigen war weiterhin, dass ein zur Namensänderung wichtiger Grund iSd. § 3 NamÄndG nach der verwaltungsgerichtlichen Rspr. bereits dann gegeben ist, wenn ein Kind Dauerpflege aufwächst und eine Ergänzungspflegschaft besteht und die Namensänderung dem Wohl des Kindes förderlich ist (vgl. etwa VG Neustadt a.d.Weinstraße, 28.02.2018, 5 K 1521/18.NW, Jamt 2019, 477). Vorliegend besteht keine Vormundschaft mehr, die Sachlage ist aber durchaus vergleichbar, da eine totale Entfremdung Kind – Kindesmutter eingetreten ist und das Kind seit fast einem Jahrzehnt fremduntergebracht ist. Mit einer Rückführung des Kindes kann derzeit nicht gerechnet werden, die Verweigerungshaltung der Kindesmutter wird die Entfremdung des Kindes noch weiter verstärkt haben. Dies werden die Verwaltungsbehörden bzw. -gerichte in eigener Zuständigkeit zu prüfen haben.
5. Maßnahmen gem. § 1666 BGB waren derzeit aus o.g. Gründen nicht geboten. Wegen der Abgrenzungsproblematik zwischen § 1666 und § 1796 BGB wurde gem. § 6 RechtspflegerG die Bearbeitung vom zuständigen Richter übernommen.
Eine bloße Ersetzung einzelner Erklärungen im Zuge der Namensänderung gem. § 1666 III Nr. 5 BGB ist vorliegend nicht ausreichend, um der Kindeswohlgefährdung zu begegnen. Es liegt derzeit schon kein Antrag bei der zuständigen Verwaltungsbehörde (mit Begründung) bzgl. der Namensänderung vor, welcher gerichtlich ersetzt werden könnte. Weiterhin ist damit zu rechnen, dass weitere Erklärungen und Begründungen im Zuge des Namensänderungsverfahrens abgegeben werden müssen.
Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft beruht auf § 1909 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
Der Verfahrenswert wurde gem. § 45 FamGKG festgesetzt.


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