Aktenzeichen 12 CS 16.2181
SGB VIII § 8a, § 42
GG Art. 6
Leitsatz
Eine Inobhutnahme tangiert nicht ausschließlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, sondern auch sonstige Teile der elterlichen Sorge, wie die Gesundheitsfürsorge und das Erziehungsrecht. Daher ist auch ein Elternteil, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht durch familiengerichtlichen Beschluss entzogen wurde, hinsichtlich der verbliebenen Bestandteile der elterlichen Sorge, in welche die Inobhutnahme eingreift, klagebefugt. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Az.: RN 4 S 16.1535 2016-10-12 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I.
Das Verfahren wird eingestellt.
II.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2016 (Az.: RN 4 S 16.1535) ist wirkungslos.
III.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Gründe
1. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind die Eltern des am 15. August 2015 geborenen Kindes L.. Sie beanspruchen im Wege vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die seitens des Beklagten am 17. August 2016 vollzogene und mit Bescheid vom 29. August 2016 bestätigte Inobhutnahme von L.. Nach Beendigung von Ls Unterbringung in einer Pflegefamilie durch Übergabe des Kindes an die Antragstellerin zu 1. zur Absolvierung einer Mutter-Kind-Therapie am 14. November 2016 haben die Antragsteller mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 30. November 2016 das vorläufige Rechtsschutzverfahren für erledigt erklärt. Der Beklagte hat der Erledigterklärung mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2016 zugestimmt. Das Verfahren war daher nach § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog einzustellen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 12. Oktober 2016 (Az. RN 4 S 16.1535) für wirkungslos zu erklären.
2. Billiges Ermessen gebietet es nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, im vorliegenden Fall dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Ungeachtet des Umstands, dass er die Inobhutnahme am 14. November 2016 selbst beendet hat, wäre er im vorläufigen Rechtsschutzverfahren voraussichtlich unterlegen, da den Antragstellern zu 1. und 2. entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts eine Antragsbefugnis zuzubilligen gewesen wäre und sich die Inobhutnahme gemessen an den gesetzlichen Vorgaben des § 42 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) als rechtswidrig erwiesen hätte.
2.1 Die Inobhutnahme vom 17. August 2016 bildet zunächst den Gegenstand einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit, die nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO dem Verwaltungsrechtsweg unterfällt. Zwar wurde der Antragstellerin zu 1. durch Beschluss des Amtsgerichts Freyung – Familiengericht – vom 9. März 2016 (Az. 1 F 651/15) das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. entzogen und dem Antragsgegner im Rahmen einer Ergänzungspflegschaft übertragen. Ob indes allein die Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ausgereicht hätte, am 17. August 2016 von den Antragstellern die Herausgabe von L., gegebenenfalls nach Erwirken eines familiengerichtlichen Herausgabetitels, zu verlangen, kann dahinstehen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 20.1.2014 – 12 ZB 12.2766 – juris Rn. 15 für die Durchsetzung des Aufenthaltsbestimmungsrechts gegenüber einer Pflegefamilie; Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 74, der bei Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts keine Notwendigkeit für eine Inobhutnahme sieht; Zimmermann in Münchener Kommentar zum FamFG, 2. Aufl. 2013, § 89 Rn. 3 ff.; kritisch zur gerichtlichen Praxis allein der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Ergänzungspfleger Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 1666 BGB Rn. 226 ff.; Salgo in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1631 Rn. 17 ff.). Denn jedenfalls hat der Antragsgegner mit Erlass des Bescheids vom 29. August 2016 bestätigt, dass er bei der „Herausnahme“ von L. am 17. August 2016 im Wege der Inobhutnahme und damit öffentlich-rechtlich gehandelt hat. Mithin war im vorliegenden Fall der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
2.2 Die Antragsteller waren entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nach § 42 Abs. 2 Satz 1 VwGO analog auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes antragsbefugt. Die Annahme einer Antragsbefugnis wie auch der Klagebefugnis im Rahmen der Anfechtungsklage erfordert, dass nach dem Vorbringen der Antragsteller deren Verletzung in eigenen Rechten zumindest möglich erscheint. Als durch eine rechtswidrige Inobhutnahme möglicherweise verletztes Recht ist hier das verfassungsrechtlich in Art. 6 Abs. 2 GG garantierte Elternrecht in den Blick zu nehmen, dem als Grundrecht eine Abwehrdimension gegen staatliche Eingriffe zukommt (vgl. Uhle in BeckOK GG, Art. 6 Rn. 48). Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst materiell das Recht der Eltern, Pflege und Erziehung ihres Kindes nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Es beinhaltet die freie Entscheidung über die Pflege, d. h. über die Sorge für das körperliche Wohl, wie auch die freie Gestaltung der Erziehung, d. h. der wertbezogenen Sorge für die seelisch-geistige Entwicklung des Kindes (vgl. Uhle in BeckOK GG, Art. 6, Rn. 51 ff.). Dem entsprechend umschreibt § 1631 Abs. 1 BGB Inhalt und Grenzen der Personensorge als das Recht und die Pflicht der Eltern, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
Zwar war im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Anordnung der Inobhutnahme der Antragsteller zu 2. (noch) nicht Sorgerechtsinhaber und war der Antragstellerin zu 1. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. durch familiengerichtlichen Beschluss entzogen worden. Indes hat der Antragsteller zu 2. das Sorgerecht für L. durch die zwischenzeitliche Heirat mit der Antragstellerin zu 1. nach § 1626a Abs. 1 Nr. 2 BGB erworben, wobei der konkrete Umfang dieses Sorgerechtserwerbs im vorliegenden Verfahren offenbleiben kann (vgl. hierzu ausführlich Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1626a Rn. 20 ff.). Mit dem Erwerb des Sorgerechts war der Antragsteller zu 2. zugleich berechtigt, die (Aufrechterhaltung der) Inobhutnahme gerichtlich anzugreifen. Auch der Umstand, dass der Antragstellerin zu 1. das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. im Zeitpunkt der Inobhutnahme entzogen und dem Antragsgegner als Ergänzungspfleger übertragen worden war, lässt die Antragsbefugnis nicht entfallen. Denn eine Inobhutnahme tangiert, wie der Bevollmächtigte der Antragsteller zutreffend geltend gemacht hat, nicht ausschließlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, sondern darüber hinaus auch diejenigen Teile der elterlichen Sorge, die im vorliegenden Fall bei den Antragstellern verblieben waren, so insbesondere die Gesundheitsfürsorge für L., das Recht, Sozialleistungen zu beantragen sowie vor allem das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Recht, L. zu erziehen (vgl. hierzu Salgo in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2015, § 1631 Rn. 17, 18, 21, 23, 58, 58a; Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 61 ff., 123; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 31: „Überlagerung“ des elterlichen Sorgerechts für die Dauer der Inobhutnahme). Soweit der Senat im Beschluss vom 20. Januar 2014 (Az. 12 ZB 12. 2766 – NJW 2014, 715 ff.), auf den das Verwaltungsgericht ausdrücklich Bezug nimmt, das Vorliegen der Klagebefugnis im Fall einer Inobhutnahme abgelehnt hat, betraf diese Konstellation eine Inobhutnahme bei Pflegeeltern, die sich im Gegensatz zu den leiblichen Eltern auf den grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG gerade nicht berufen können. Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung überdies die Auffassung vertreten wird, eine durch staatliche Institutionen veranlasste Inobhutnahme tangiere allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht und lasse im Übrigen die Personensorge der Eltern – vergleichbar der Rechtsstellung eines sorgeberechtigten Elternteils, bei dem das Kind nicht lebt – unberührt (so etwa VG Schwerin, U.v. 3.5.2015 – 6 A 719/12 – juris Rn. 30 ff.), ist dem nicht zu folgen. Vielmehr erweisen sich die durch eine Inobhutnahme bewirkten Beschränkungen des Erziehungsrechts wie auch der Gesundheitsfürsorge durch die zwangsweise herbeigeführte Trennung des Kindes von den leiblichen Eltern und die Reduzierung auf ein Umgangsrecht bei der Pflegefamilie als geradezu offenkundig. Mithin besteht bereits im Hinblick auf die den Antragstellern jenseits des Aufenthaltsbestimmungsrechts verbliebenen und vom grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfassten Bestandteile der elterlichen Sorge, in die die Inobhutnahme eingreift, eine Antrags- bzw. Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO.
Ferner gebietet auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, den Antragstellern gegen die hoheitliche Maßnahme der Inobhutnahme eine Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen. Dass ihnen, obwohl sie mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts Inhaber des Sorgerechts für L. waren, nach Auffassung des Verwaltungsgerichts gleichwohl keinerlei Rechtsschutz gegen die behördlich verfügte Inobhutnahme zukommen soll, ist mit der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie unvereinbar. Soweit hier die gerichtliche Kontrolle einer hoheitlichen Maßnahme einer Verwaltungsbehörde in Rede steht, vermag auch der Verweis auf das den Antragstellern zur Verfügung stehende familienrechtliche Rechtsschutzsystem nicht zu überzeugen (so unzutreffend VG Schwerin, U.v. 3.5.2015 – 6 A 719/12 – juris Rn. 33), da im familienrechtlichen Kontext eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Behördenhandelns bei der Inobhutnahme gerade nicht erfolgt (vgl. Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 46, 71). Vorliegend ist daher entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts vom Vorliegen der Antragsbefugnis der Antragsteller auszugehen.
2.3 Weiter hätte der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Inobhutnahme ihres Kindes L. auch der Sache nach Erfolg gehabt. Denn die am 17. August 2016 von Mitarbeitern des Antragsgegners angeordnete und vollzogene und mit Bescheid vom 29. August 2016 bestätigte Inobhutnahme hätte sich nach summarischer Prüfung am Maßstab von § 42 SGB VIII als rechtswidrig erwiesen, da die Tatbestandsvoraussetzungen einer Inobhutnahme nicht vorgelegen haben.
Nach § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII ist das zuständige Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes die Inobhutnahme erfordert und entweder die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Darüber hinaus muss die Inobhutnahme auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, d. h. es darf insbesondere keine das Elternrecht weniger stark tangierende, gleich geeignete Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls geben. An sämtlichen kumulativ bzw. alternativ geforderten Tatbestandsmerkmalen der Inobhutnahme fehlt es im vorliegenden Fall.
2.3.1 Grundvoraussetzung einer Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII bildet zunächst eine dringende Gefahr für das Kindeswohl (vgl. zum Gefahrenbegriff Kepert in Kinkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn.25 f.; Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 11). Eine dringende Gefahr im Sinne der genannten Bestimmung muss indes – angesichts des mit der Inobhutnahme bewirkten schwerwiegenden Eingriffs in das Elternrecht – stets eine konkrete Gefahr sein (so VG Schwerin, U.v. 3.5.2015 – 6 A 719/12 – juris Rn. 42 betreffend eine nicht ausreichende latente Suizidgefahr von Mutter und Kind). Eine lediglich latente bzw. abstrakte Gefahr für das Kindeswohl reicht zur Rechtfertigung einer Inobhutnahme hingegen nicht aus (vgl. Kößler in jurisPK-SGB VIII, § 8a Rn. 22: „Eine rein abstrakte Gefahr ist nicht ausreichend und wäre ein unzulässiger Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht.“; Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 62; Mann in Schellhorn/Fischer, SGB VIII, 5. Aufl. 2017, § 42 Rn. 11).
Das Vorliegen einer dringenden Gefahr für das Kindeswohl lässt sich indes weder aus dem Senat vorliegenden Aktenvorgang des Antragsgegners noch aus den Gründen des Bescheids vom 29. August 2016 entnehmen. Der Antragsgegner geht vielmehr allein vom Vorliegen einer abstrakten bzw. latenten Gefahr für das Kindeswohl dadurch aus, dass die Kindsmutter und Antragstellerin zu 1. durch Konsum von Amphetaminen bei einem Diskobesuch Anfang August 2016 eine Drogenrückfall erlitten habe und sich hieraus eine nicht näher bezeichnete „Gefahr“ für den etwa ein Jahr alten L. ableite. Sie berücksichtigt dabei nicht, dass nach dem Vorbringen der Antragstellerin zu 1. an besagtem Wochenende das Kind von der Mutter des Antragstellers zu 2. beaufsichtigt wurde. Ferner berücksichtigt sie nicht, dass zu diesem Zeitpunkt auch der Kindsvater und Antragsteller zu 2., der mit der Antragstellerin zu 1. zusammenlebt, L. hätte beaufsichtigen und betreuen können. Dass zum Zeitpunkt des Drogenkonsums eine dringende und zugleich auch hinreichend konkrete Gefahr für das Kindeswohl vorgelegen hätte, legt der Antragsgegner mithin nicht dar.
Auch dass zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere zum Zeitpunkt der Anordnung der Inobhutnahme am 17. August 2016 eine dringende Gefahr für das Kindeswohl vorgelegen hätte, ergibt sich weder aus dem Bescheid vom 29. August 2016 noch aus den vorgelegten Jugendamtsakten. Trotz der abstrakten Möglichkeit eines Rückfalls in die Drogensucht der Kindseltern, die seit Ls Geburt besteht, lässt sich eine hinreichend konkrete Gefährdung des Kindeswohls weder durch aktives Tun der Antragsteller noch durch Unterlassen einer gebotenen Betreuung aus dem gesamten Aktenvorgang ablesen. Die entsprechenden Stellungnahmen der Jugendhilfemitarbeiter des Antragsgegners gehen im Gegenteil von einer guten Kooperation der Antragsteller mit dem Jugendamt und von keinerlei Anzeichen einer Vernachlässigung von L. durch seine Eltern – insbesondere durch die Initiative der Mutter des Antragstellers zu 2. – aus. Weshalb sich durch den Anlass für die Inobhutnahme bildenden – nach Aktenlage einmaligen – Amphetaminkonsum der Kindsmutter an dieser Situation etwas geändert haben soll, legt der Antragsgegner nicht dar. Allein der Hinweis auf eine abstrakte Gefährdungssituation (durch die Gefahr des Drogenrückfalls der Antragsteller) ohne einen einzigen Anhaltspunkt für eine konkrete Gefährdung von L. kann die hoheitliche Maßnahme der Inobhutnahme nicht rechtfertigen.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, B.v. 29.1.2010 – 1 BvR 374/09 – NJW 2010, 2333; B.v. 27.8.2014 – 1 BvR 1822/14 – FamRZ 2014, 1772 ff. Rn. 25) die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes gehören und es demzufolge nicht dem Wächteramt des Staates nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG unterfällt, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen. Es berechtigt daher nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern den Staat, die Eltern bei der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten. Für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls – im Rahmen der Inobhutnahme nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII sogar einer dringenden Gefahr für das Kindeswohl – bedarf es daher stets einer hinreichenden Tatsachengrundlage, aus der ablesbar ist, dass entweder bereits ein Schaden beim Kind eingetreten oder aber bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist. Insbesondere daran fehlt es im vorliegenden Fall.
2.3.2 Sofern § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a SGB VIII ferner verlangt, dass die Personensorgeberechtigten der Inobhutnahme nicht widersprochen haben (vgl. hierzu Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 13 f.), lag auch diese Voraussetzung zum maßgeblichen Zeitpunkt am 17. August 2016 nicht vor. Personensorgeberechtigt für L. war am 17. August trotz Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach wie vor die Antragstellerin zu 1. Zwar haben sie wie auch der Antragsteller zu 2. den Mitarbeitern des Antragsgegners am 17. August 2016 L. schlussendlich übergeben, nicht ohne jedoch zum Ausdruck zu bringen, dass sie mit der Inobhutnahme und der Unterbringung von L. in einer Pflegefamilie nicht einverstanden sind. So hat insbesondere der Antragsteller zu 2. noch versucht, die Inobhutnahme durch einen Anruf beim zuständigen Familienrichter beim Amtsgericht Freyung zu verhindern. Dass die Antragsteller in der konkreten Situation der Inobhutnahme letztlich Ls Mitnahme toleriert haben, ist nicht mit einem fehlenden Widerspruch gegen die Inobhutnahme gleichzusetzen (vgl. OLG Frankfurt, B.v. 21.12.2011 – 2 UF 481/11 – juris LS 1; Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 82; problematisch insoweit Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 31). Auch in der Folge haben die Antragsteller der Inobhutnahme stets widersprochen und die Rückführung des Kindes verlangt. Mithin fehlt es an der Voraussetzung des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB VIII.
2.3.3 Ebenso wenig war die insoweit alternative Tatbestandsvoraussetzung des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b SGB VIII, nämlich dass eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann, beim Vollzug der Inobhutnahme am 17. August 2016 gegeben (vgl. Kirchhoff in jurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 88. „Vor der Inobhutnahme muss tatsächlich versucht werden, eine Entscheidung des Familiengerichts einzuholen.“; Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 34). Insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass die den Anlass der Inobhutnahme bildende „Gefährdung“ von L. durch den Amphetaminkonsum der Antragstellerin zu 1., deren Vorliegen unterstellt, bereits Anfang August 2016 erfolgte und nichts dafür ersichtlich ist, dass es dem Antragsgegner nicht möglich gewesen wäre, das Ergehen einer familienrechtlichen Entscheidung, insbesondere eines Eilbeschlusses, abzuwarten, zumal es, wie bereits dargelegt, am 17. August 2016 an einer konkreten Gefahr für L. ersichtlich gefehlt hat. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Familiengerichts ist seitens des Antragsgegners kein Eilantrag gestellt worden. Somit waren auch die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b SGB VIII nicht gegeben.
Nur ergänzend und ohne dass es hierauf im vorliegenden Zusammenhang entscheidungserheblich ankäme, sei ferner darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner auch seiner Verpflichtung aus § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII auf unverzügliche Herbeiführung einer familiengerichtlichen Entscheidung nach Unterrichtung der Personensorgeberechtigten über die Inobhutnahme und deren Widerspruch gegen die Maßnahme nicht nachgekommen ist.
2.3.4 Darüber hinaus wahrte die Inobhutnahme vom 17. August 2016 auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht (zur diesbezüglichen „Erforderlichkeit“ einer Inobhutnahme vgl. Kepert in Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 6. Aufl. 2016, § 42 Rn. 27). Als milderes Mittel, mit dem sich die Antragsteller einverstanden erklärt hätten und die dem Antragsgegner am 17. August 2016 auch vorgeschlagen wurde, hätte sich die vorübergehende Unterbringung von L. bei der Mutter des Antragstellers zu 2. angeboten. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hätte sich diese Maßnahme auch nicht als ungeeignet erwiesen, insbesondere weil es hierbei nur darum geht, den kurzen Zeitraum bis zur unverzüglichen Herbeiführung der familiengerichtlichen Entscheidung nach § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII mit einer Sofortmaßnahme abzudecken. Anhaltspunkte dafür, dass die Mutter des Antragstellers zu 2. den Antragstellern innerhalb eines Zeitraums von wenigen Tagen gewissermaßen „Zugriff“ auf L. gegeben und damit eine drohende Gefahr für das Kindeswohl begründet hätte, sind aus den vorliegenden Akten nicht ersichtlich.
Mithin erweist sich die Inobhutnahme nach summarischer Prüfung auch als unverhältnismäßig. Sie wäre daher ohne Eintritt der Erledigung als rechtswidrig aufzuheben gewesen. Demzufolge trägt der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
3. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Kinder- und Jugendhilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog unanfechtbar.