Familienrecht

Scheidung, Beschwerde, Aufenthaltstitel, Anerkennung, FamFG, Verfahren, Auslegung, Beteiligung, Frist, Wiedereinsetzung, Rechtsmittel, Verfahrensfehler, Ehevertrag, Verletzung, ordre public, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, faires Verfahren

Aktenzeichen  34 Wx 47/21

Datum:
28.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 25666
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 7, § 63
EGBGB Art. 6

 

Leitsatz

1. Die Beschwerdefristen des § 63 Abs. 1 und 3 Satz 2 FamFG gelten nicht für einen im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG Betroffenen, der im ersten Rechtszug entgegen § 7 Abs. 2 FamFG nicht als Beteiligter hinzugezogen worden und dem der dort ergangene Beschluss nicht bekanntgegeben worden ist.
2. Die Anerkennung einer Privatscheidung durch Verstoßung der Ehefrau nach ägyptischem Recht verstößt gegen den ordre public gemäß Art. 6 EGBGB, wenn nicht die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht vorlagen oder die Ehefrau mit der Verstoßung einverstanden war.

Tenor

I. Die Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 27. Juni 2019 wird aufgehoben.
II. Der Antrag auf Feststellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der am 28.11.2018 ausgesprochenen und am 29.11.2018 beim Standesamt El Senbellawein/Ägypten eingetragenen Scheidung des Beteiligten zu 2 von der Beteiligten zu 1 gegeben sind, wird zurückgewiesen.
III. Die im Verfahren auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 trägt der Beteiligte zu
IV. Der Geschäftswert für das Verfahren auf gerichtliche Entscheidung wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten, beide ägyptische Staatsbürger muslimischen Glaubens, schlossen am … 2017 vor dem geistlichen Standesbeamten von M./Ägypten die Ehe sowie einen Ehevertrag. Die Ehe wurde am … 2017 im Standesamt von B. E. Sh./Ägypten registriert.
Die Beteiligten haben ein gemeinsames Kind, das am … 2018 in Deutschland geboren wurde, wo sich die Beteiligte zu 1 zumindest von März bis Juli 2018 aufhielt und ab 10.3.2018 unter derselben Anschrift wie der Beteiligte zu 2 gemeldet war. Am 13.3.2018 erklärten die Beteiligten gegenüber der Ausländerbehörde schriftlich, in ehelicher Lebensgemeinschaft und gemeinsam in der angegebenen Wohnung zu leben. Daraufhin erteilte die Behörde am 23.5.2018 der Beteiligten zu 1 einen bis 30.6.2020 gültigen Aufenthaltstitel.
Am 28.11.2018 verstieß der zum Zwecke seiner Fortbildung zum Facharzt in Deutschland lebende Beteiligte zu 2 vor dem geistlichen Standesbeamten von B. N. E. Ar./Ägypten in Anwesenheit zweier Zeugen die dabei nicht anwesende, jedenfalls zu dieser Zeit in Ägypten lebende Beteiligte zu 1 und erklärte, hiermit sei seine Ehefrau von ihm geschieden. Die Scheidung wurde am Folgetag im Standesamt von E. S./Ägypten registriert.
Im Hinblick auf die Scheidung machte die Beteiligte zu 1 mit am 14.4.2019 bei der Geschäftsstelle des Familiengerichts Agouza/Ägypten hinterlegter Klageschrift die Zahlung der im Ehevertrag vereinbarten Brautgabe geltend. Dem wurde mit Urteil vom 20.7.2019 stattgegeben.
Mit am 18.4.2019 beim Präsidenten des Oberlandesgerichts München eingegangenem Schreiben hat der Beteiligte zu 2 Antrag auf Anerkennung der Scheidung gestellt. Dabei hat er u.a. die aktuelle Adresse und Telefonnummer der Beteiligten zu 1 in Ägypten mitgeteilt.
Am 27.6.2019 hat der Präsident des Oberlandesgerichts München festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der am 28.11.2018 ausgesprochenen und am 29.11.2018 beim Standesamt E. S./Ägypten eingetragenen Scheidung des Beteiligten zu 2 von der Beteiligten zu 1 gegeben sind. Die Entscheidung ist dem Beteiligten zu 2 mit Schreiben vom 3.7.2019 zugestellt worden.
Gegen die Anerkennung der Scheidung durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 27.6.2019 hat die Beteiligte zu 1 mit Anwaltsschriftsatz vom 13.5.2020, per Telefax eingegangen am selben Tag, Rechtsmittel eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie habe erst am 7.5.2020 durch Einsicht in ihre Ausländerakte erfahren, dass die Scheidung anerkannt worden sei. Die Scheidung sei in ihrer Abwesenheit erfolgt. Dies habe der Beteiligte zu 2 dadurch erreicht, dass er gegenüber der ägyptischen Behörde eine falsche Zustelladresse angegeben habe. Zudem hätten die Scheidungsvoraussetzungen nach ägyptischem Recht nicht vorgelegen, da der Ehemann den für den Fall der Scheidung vereinbarten Betrag nicht bezahlt gehabt habe.
Daraufhin ist die Entscheidung vom 27.6.2019 der Beteiligten zu 1 über ihren Anwalt am 25.5.2020 zugestellt worden mit dem Hinweis, eine Anhörung der Antragsgegnerin sei nach den hier üblichen Regeln nicht erfolgt, weil glaubhaft gemacht worden sei, dass sie zu dem Zeitpunkt keinen Inlandsbezug gehabt habe. Bei der Scheidung handle es sich um eine Privatscheidung, bei der die Beteiligung beider Ehegatten gesetzlich vorgeschrieben sei, so dass keine Zweifel daran bestünden, dass die Ehefrau von der Scheidung gewusst habe und daran beteiligt gewesen sei.
Der Beteiligte zu 2 meint, die Beschwerde sei verfristet, weiter, die Voraussetzungen für die Scheidung hätten vorgelegen, die Zahlung der Brautgabe zähle hierzu nicht. Er behauptet, die Beteiligte zu 1 habe von der Scheidungsabsicht gewusst, die Verstoßungserklärung sei ihr mitgeteilt worden.
Die Beteiligte zu 1 ist der Auffassung, die Scheidung sei unter Verstoß gegen den ordre public zustandegekommen, da ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Indem sie auch im Anerkennungsverfahren nicht beteiligt worden sei, sei erneut ein schwerwiegender Verfahrensfehler begründet worden.
Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat am 20.1.2021 entschieden, dem Rechtsmittel nicht abzuhelfen.
Die Beteiligte zu 1 hat daraufhin erklärt, sie habe die amtliche Urkunde über die Scheidung nie erhalten. Von der Scheidung habe sie erst im März/April 2019 durch Mitteilung der Ausländerbehörde erfahren. Durch die am 14.4.2019 erhobene Klage habe sie nicht konkludent die Scheidung akzeptiert, sondern lediglich wenigstens ihre Rechte wahren wollen für den Fall, dass die Scheidung nicht mehr rückgängig zu machen sei. Im Übrigen heile eine konkludente Anerkennung der Scheidung nicht die bereits erfolgten schweren Verfahrensmängel und mache aus einer unwirksamen Scheidung nicht nachträglich eine wirksame. Das Verfahren sei vom Beteiligten zu 2 offenbar von Anfang an so angelegt worden, dass die Beteiligte zu 1 von der Scheidung nichts erfahren sollte. Hierzu habe er nicht nur eine falsche Anschrift angegeben, sondern auch beantragt, diese an einem Ort ohne jeglichen Bezug zu den Parteien durchzuführen.
Der Senat hat darauf hingewiesen, dass bei Anwendung deutschen Scheidungsrechts die verfahrensgegenständliche Scheidung durch Verstoßung wohl unwirksam und nicht anerkennungsfähig wäre, da nach § 1564 BGB eine Ehe nur durch richterliche Entscheidung geschieden werden könne. Wenn nicht deutsches, sondern ägyptisches Sachrecht zur Anwendung käme, wäre die verfahrensgegenständliche Scheidung durch Verstoßung möglicherweise ebenfalls nicht anerkennungsfähig, da die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht nach mittlerweile wohl einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich mit dem deutschen ordre public gemäß § 6 EGBGB nicht vereinbar sei. Nur ausnahmsweise ist ein Verstoß gegen den ordre public zu verneinen, nämlich wenn die Ehefrau mit der Verstoßung einverstanden war oder wenn zugleich die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht vorlagen. Jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen sei indes nicht davon auszugehen, dass einer der beiden Ausnahmetatbestände gegeben sei.
Die Beteiligte zu 1 meint, die Scheidung sei nicht anerkennungsfähig, da sie als Ehefrau weder mit der Verstoßung einverstanden gewesen sei noch die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht vorgelegen hätten.
Der Beteiligte zu 2 meint, es handle sich um keine Privatscheidung. Er trägt unter Beweiserbieten vor, die Beteiligten hätten keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und die Ehefrau habe sich zu keiner Zeit gewöhnlich in Deutschland aufgehalten. Insbesondere sei klar gewesen, dass sie nach der Niederkunft und einer gewissen Übergangszeit zusammen mit dem gemeinsamen Sohn nach Ägypten zurückkehren sollte. Vor und verstärkt nach der Geburt des Kindes habe es Streitereien zwischen den Eheleuten gegeben, teils habe man in getrennten Zimmern geschlafen. Schon damals habe die Beteiligte zu 1 mehrfach erklärt, sie wolle sich scheiden lassen. Beim Rückflug am 4.8.2018 sei klar gewesen, dass die Trennung endgültig sein werde. Dass die Beteiligte zu 1 erst durch die Ausländerbehörde von der Scheidung in Ägypten erfahren habe, sei falsch. Den Scheidungsbeschluss habe sie dann benutzt, um daraus rechtliche Vorteile für sich zu ziehen. Auf die Scheidungsvoraussetzungen nach deutschem Recht komme es nicht an. Beide Beteiligte seien ägyptische Staatsangehörige. Die Beteiligte zu 1 sei wieder in Ägypten, der Beteiligte zu 2 werde nach Abschluss seiner Fortbildung ebenfalls dorthin zurückkehren. Würde man ihm die Anerkennung der Scheidung versagen, müsse man sich Gedanken machen, welche Optionen ihm dann offen stünden. In Ägypten sei bereits eine Scheidung erfolgt, auf andere Möglichkeiten könne er dort nicht ausweichen. Auch bei einer Scheidung in Deutschland müsste ägyptisches Recht zur Anwendung kommen, das man allerdings wiederum für gleichberechtigungswidrig halten würde. Wenn es durch deutsches Recht ersetzt würde, wäre die Entscheidung indes in Ägypten nicht anerkennungsfähig und in ihrer Wirkung auf das Inland beschränkt.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
a) Statthaftes Rechtsmittel gegen die Anerkennung einer ausländischen Ehescheidung ist gemäß § 107 Abs. 6 Satz 1 FamFG der Antrag auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht. Als solcher ist das nicht näher bezeichnete Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 daher analog § 133 BGB auszulegen.
Hier hat der gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 FamFG i.V.m. § 4 GZVJu i.d.F.v. 11.6.2012 (GVBl. S. 295) zuständige Präsident des Oberlandesgerichts München auf Antrag des Beteiligten zu 2 nach § 107 Abs. 4 FamFG festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der am 28.11.2018 ausgesprochenen und am 29.11.2019 beim Standesamt eingetragenen Scheidung vorliegen. Damit ist eine Entscheidung der Landesjustizverwaltung im Sinne von § 107 Abs. 6 Satz 1 FamFG gegeben, für deren Überprüfung nach dieser Bestimmung das Oberlandesgericht zuständig ist.
b) Der Antrag auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht ist nicht verfristet, weshalb es auch keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf. Zwar beträgt die Rechtsmittelfrist nach § 107 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 1 FamFG einen Monat, für die Beteiligte zu 1 war jedoch eine Frist zur Einlegung des Rechtsmittels zum Zeitpunkt von dessen Eingang beim Präsidenten des Oberlandesgerichts am 25.5.2020 noch nicht in Lauf gesetzt worden.
aa) Gemäß § 107 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 FamFG beginnt die Frist zur Rechtsmitteleinlegung mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung an die Beteiligten, spätestens jedoch mit Ablauf von fünf Monaten nach dem Erlass, wenn die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden konnte. Nach § 7 Abs. 1 FamFG ist der Antragsteller kraft Gesetzes Beteiligter, nach Abs. 2 sind als Beteiligte zwingend diejenigen hinzuziehen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird.
Hier war im Verfahren des Präsidenten des Oberlandesgerichts lediglich der Beteiligte zu 2 als Antragsteller gemäß § 7 Abs. 1 FamFG formell Beteiligter, zunächst wurde auch nur ihm die Entscheidung bekanntgegeben. Eine formelle Beteiligung der Beteiligten zu 1 hingegen und dementsprechend auch eine Bekanntgabe der Entscheidung an sie waren vorerst unterblieben, obwohl durch die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung in ihren familienrechtlichen Status in Deutschland eingegriffen wurde, sie somit gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG hätte formell beteiligt werden müssen und dies auch möglich gewesen wäre, da ihre Anschrift bekannt war. Die Pflicht zur formellen Beteiligung entfiel auch nicht etwa wegen Fehlens eines Inlandsbezugs. Ein solcher ist schon dadurch begründet, dass die Beteiligte zu 1 möglicherweise Unterhaltsansprüche gegen den in Deutschland lebenden Beteiligten zu 2 hat und sie ein gemeinsames Kind haben. Im Übrigen hielt sich die Beteiligte zu 1 schon während der Ehe für längere Zeit in Deutschland auf und verfügte auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über einen gültigen Aufenthaltstitel.
bb) Ob für einen am Verfahren nicht formell Beteiligten, aber materiell Betroffenen und damit nach § 59 Abs. 1 FamFG Beschwerdeberechtigten, dem die Entscheidung nicht bekanntgegeben wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre, eine Rechtsmittelfrist gilt, wann diese ggf. beginnt und wie lange sie dauert, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Eine Ansicht wendet § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG analog an und kommt so zur Auffangfrist von fünf Monaten (OLG München GRUR-RR 2012, 68/69; Litzenburger RNotZ 2010, 32/37). Dem wird bisweilen unter Verweis auf die gesetzgeberische Absicht und den Grundsatz der Rechtsklarheit und -sicherheit widersprochen; vielmehr könne ein Betroffener, der am erstinstanzlichen Verfahren nicht formell beteiligt wurde, nur solange Beschwerde einlegen, bis die Frist für den letzten formell Beteiligten abgelaufen sei (OLG Hamm FamRZ 2011, 396/397; OLG Celle NJOZ 2011, 2073/2074; Bumiller in Bumiller/Harders/Schwamb FamFG 12. Aufl. § 63 Rn. 6; Keidel/Sternal FamFG 20. Aufl. § 63 Rn. 45d), erforderlichenfalls sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Keidel/Sternal § 63 Rn. 45c). Die mittlerweile herrschende Meinung wiederum geht davon aus, dass für den Betroffenen, der nicht formell beteiligt wurde, zunächst überhaupt keine Rechtsmittelfrist gilt und eine solche allenfalls in entsprechender Anwendung von § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG mit einer schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung in Lauf gesetzt werden kann (BGH NJW-RR 2017, 970; 2013, 751/753 f.; OLG Brandenburg NJW 2016, 962/963; OLG Düsseldorf FGPrax 2015, 143/144; OLG Dresden NJOZ 2014, 965; OLG Köln FGPrax 2013, 91; BeckOK FamFG/Obermann 39. Edition § 63 Rn. 38; MüKoFamFG/Fischer 3. Aufl. § 63 Rn. 46; Borth/Grandel in Musielak/Borth FamFG 6. Aufl. § 63 Rn. 11; Abramenko in Prütting/Helms FamFG 5. Aufl. § 63 Rn. 7a).
Der letztgenannten Auffassung folgt auch der Senat. Schon der Wortlaut des § 63 Abs. 3 FamFG bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die dort geregelten Beschwerdefristen auch für denjenigen gelten sollen, der am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt war, aber durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt wird und daher beschwerdeberechtigt ist. Die im Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck gebrachte anderslautende Absicht kann für die Auslegung der Vorschrift nicht maßgeblich sein. Die Auslegung hat sich vorrangig am objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes zu orientieren und wird nicht durch Motive gebunden, die im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Entfallen von Rechtsmittelfristen der Rechtsklarheit und -sicherheit abträglich ist. Dennoch kann die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG nicht für einen in seinen Rechten Betroffenen, aber nicht formell Beteiligten gelten, weil sonst dessen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, ein faires Verfahren aus Art. 20 Abs. 3 GG und die Gewährleistung von Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt würde. Er wäre an das Ergebnis eines Verfahrens gebunden, auf das er keinen Einfluss nehmen konnte und das er gerichtlich nicht überprüfen lassen kann. Aus demselben Grunde ist auch die Auffangfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht analog anwendbar. Der materiell Betroffene, aber nicht formell Beteiligte hat – anders als ein tatsächlich formell Beteiligter – keine Kenntnis von dem Verfahren und daher auch keinen Anlass, sich nach dessen Stand zu erkundigen (BGH NJW-RR 2017, 970/972; 2013, 751/753 f.; OLG Köln FGPrax 2013, 91/92). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 17 FamFG wie auch die Abänderung oder Wiederaufnahme gemäß § 48 FamFG sind an enge Voraussetzungen geknüpft und bieten deshalb keinen ausreichenden Schutz (BGH NJW-RR 2017, 970/971; OLG Köln FGPrax 2013, 91/92; MüKoFamFG/Fischer § 63 Rn. 45; Abramenko in Prütting/Helms § 63 Rn. 7a).
2. Auf den Antrag auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht hin sind die Entscheidung über die Anerkennung der Scheidung aufzuheben und der Feststellungsantrag zurückzuweisen. Unabhängig davon, ob deutsches oder ägyptisches Sachrecht zur Anwendung kommt, ist eine Anerkennung im vorliegenden Fall nicht möglich.
a) Die verfahrensgegenständliche Eheauflösung ist eine grundsätzlich anerkennungsfähige Entscheidung in Ehesachen im Sinne von § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Zwar handelt es sich bei der Eheauflösung im Wege der einseitigen Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht um eine sogenannte Privatscheidung, da sie nur auf der Willenserklärung eines Ehegatten beruht (BayObLG NJW-RR 1994, 771; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533). Dass die Ordnungsmäßigkeit des rechtsgeschäftlichen Scheidungsakts in einem gerichtsförmigen Verfahren überwacht wird, steht dieser Einordnung nicht entgegen (BGH NJW 2020, 3592/3594). Indes unterfallen § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG selbst Privatscheidungen, jedenfalls wenn sie unter behördlicher Mitwirkung erfolgen (BGH NJW 2020, 3592/3594; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533; Senat vom 1.4.2015, 34 Wx 15/13 = FamRZ 2015, 1611/1612; Keidel/Dimmler § 107 Rn. 15; MüKoFamFG/Rauscher § 107 Rn. 27; Borth/Grandel in Musielak/Borth § 107 Rn. 2; Hau in Prütting/Helms § 107 Rn. 26; Hausmann IntEuFamR 2. Aufl. K. Rn. 204; ebenso bereits BGH NJW 1990, 2194/2195; BayObLG NJW-RR 1994, 771 jeweils zu Art. 7 § 1 FamRÄndG). Dem genügt die am 28.11.2018 ausgesprochene und am Folgetag beim Standesamt eingetragene Verstoßung.
b) Das Anerkennungsverfahren als solches leidet allerdings an keinem derart schwerwiegenden Mangel, dass schon allein aufgrund dessen die getroffene Entscheidung aufzuheben wäre.
Zwar ist eine formelle Beteiligung der Beteiligten zu 1 im Verfahren des Präsidenten des Oberlandesgerichts zu Unrecht unterblieben (s. o. 1. b) aa)). Die damit verbundene Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. Keidel/Dimmler § 107 Rn. 36; MüKoFamFG/Rauscher § 107 Rn. 44; Borth/Grandel in Musielak/Borth § 107 Rn. 12; Hau in Prütting/Helms § 107 Rn. 42; ebenso bereits BayObLG NJWE-FER 2000, 64/65 zu Art. 7 § 1 FamRÄndG) ist jedoch durch die nachträgliche Bekanntgabe der Entscheidung und die Möglichkeit, sich im Rahmen des Abhilfeverfahrens zu äußern, von der die Beteiligte zu 1 in großem Umfang Gebrauch gemacht hat, geheilt.
c) Die Entscheidung kann jedoch keinen Bestand haben, weil die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Scheidung nicht vorliegen, gleich ob deutsches oder ägyptisches Sachrecht zur Anwendung kommt.
Für die Anerkennung einer ausländischen Privatscheidung gilt nicht der eingeschränkte formelle Prüfungsmaßstab der §§ 108, 109 FamFG. Vielmehr ist die Anerkennungsfähigkeit anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsstatuts zu beurteilen.
Das insofern anzuwendende Sachrecht bestimmt sich nach Art. 17 Abs. 2 EGBGB, da Privatscheidungen nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich der Rom-III VO fallen (BGH NJW 2020, 3592/3594 f.; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533; MüKoFamFG/Rauscher FamFG § 109 Rn. 54). Art. 17 Abs. 2 EGBGB verweist gleichwohl mit bestimmten Maßgaben wiederum auf Kapitel II der Rom-III VO.
aa) Somit kommt im Hinblick auf den Aufenthalt der beiden Beteiligten in Deutschland zumindest von März bis Juli 2018 vorliegend die Anwendung deutschen Scheidungsrechts gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB i.V.m. Art. 8 lit. b) der Verordnung in Betracht. In diesem Falle wäre die verfahrensgegenständliche Scheidung durch Verstoßung indes unwirksam und nicht anerkennungsfähig. Denn nach § 1564 BGB kann eine Ehe nur durch richterliche Entscheidung geschieden werden (vgl. BGH NJW 2020, 3592/3598; Hau in Prütting/Helms § 109 Rn. 56; ebenso bereits BayObLG NJW-RR 1994, 771 zu Art. 17 EGBGB a.F.). Ob der Aufenthalt der Beteiligten in Deutschland tatsächlich den Anforderungen an einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 8 lit. b) Rom-III VO (vgl. BeckOK BGB/Heiderhoff 57. Edition VO (EU) 1259/2010 Art. 5 Rn. 5 ff.; Hausmann A. Rn. 422 ff.) genügt, kann daher an dieser Stelle offenbleiben, weshalb es auch keiner Beweiserhebung zu dieser Frage bedarf.
bb) Auch bei Anwendung ägyptischen Scheidungsrechts ist gemäß Art. 17 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Art. 6 EGBGB eine Anerkennung nicht möglich, da sie gegen den deutschen materiellrechtlichen ordre public verstieße. Dies ist dann der Fall, wenn die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten unvereinbar ist. Zudem muss ein hinreichender Inlandsbezug bestehen (BGH NJW 1993, 848/849; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533; BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 6 Rn. 16; Hausmann A. Rn. 481).
(1) Die Eheauflösung im Wege der einseitigen Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann nach islamischem Recht verstößt grundsätzlich gegen den deutschen materiellrechtlichen ordre public, weil der Ehefrau diese Möglichkeit in gleichberechtigungswidriger Weise vorenthalten und sie damit zum Objekt einer Willkürentscheidung gemacht wird (BGH NJW 2020, 3592/3598; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533; Keidel/Dimmler § 109 Rn. 20; Hausmann A. Rn. 490; im Ergebnis ebenso OLG Hamm FamRZ 2011, 1056/1057; OLG Rostock NJOZ 2006, 3153/3154; OLG Stuttgart FamRZ 2004, 25/26; 97, 882/883; OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 581/582; OLG Köln FamRZ 2002, 166; 1996, 1147; OLG Düsseldorf FamRZ 1998, 1113/1114; BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 6 Rn. 25; MüKoFamFG/Rauscher § 109 Rn. 54; Hau in Prütting/Helms § 109 Rn. 57). Dies gilt auch, wenn beide Ehegatten eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen und der erforderliche Inlandsbezug nur über den gewöhnlichen Aufenthalt eines oder beider Ehegatten hergestellt wird (vgl. OLG Rostock NJOZ 2006, 3153/3154; OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 581/582; OLG München IPRax 1989, 238/241).
Nach diesen Maßstäben ist die verfahrensgegenständliche, durch Verstoßung erfolgte Eheauflösung wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht anerkennungsfähig. Da der Beteiligte zu 2 weiterhin in Deutschland lebt, besteht auch ein hinreichender Inlandsbezug (vgl. BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 6 Rn. 16).
(2) Nur ausnahmsweise ist ein Verstoß gegen den ordre public zu verneinen, wenn zugleich die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht vorlagen (BGH NJW 2020, 3592/3599; BGHZ 160, 332/344, 351; BayObLGZ 1998, 103/108 f.; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533; OLG Frankfurt FamRZ 2010, 1563; 2009, 1504/1505; OLG Zweibrücken NJW-RR 2002, 581/582; OLG Köln FamRZ 1996, 1147; OLG München IPRax 1989, 238/241; BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 6 Rn. 25) oder wenn die Ehefrau mit der Verstoßung einverstanden war (BGH NJW 2020, 3592/3598; BGHZ 160, 332/344; OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1532/1533; OLG Hamm FamRZ 2010, 1563; OLG Frankfurt FamRZ 2009, 1504/1505; BeckOK BGB/Lorenz EGBGB Art. 6 Rn. 25; Keidel/Dimmler § 109 Rn. 20; Hau in Prütting/Helms § 109 Rn. 57). Denn in beiden Fällen ist das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts mit deutschen Rechtsvorstellungen durchaus vereinbar.
Die Voraussetzungen für eine Scheidung nach deutschem Recht lagen hier allerdings nicht vor. Gemäß § 1566 BGB wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn – Abs. 1 – die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt oder wenn – Abs. 2 – die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Letzteres ist gemäß § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB dann der Fall, wenn zwischen den Ehegatten keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Davon kann hier indes nicht ausgegangen werden: Die Beteiligte zu 1 hielt sich zumindest von März bis Juli 2018 mit dem Beteiligten zu 2 in Deutschland unter derselben Anschrift auf, und zwar seit 23.5.2018 aufgrund eines gültigen Aufenthaltstitels; während dieser Zeit wurde auch das gemeinsame Kind geboren. Am 13.3.2018 erklärten die Beteiligten gegenüber der Ausländerbehörde sogar ausdrücklich, in ehelicher Lebensgemeinschaft zu leben. Unter diesen Umständen kann ungeachtet der vom Beteiligten zu 2 geschilderten, als wahr zu unterstellenden Eheprobleme nicht davon ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt der Verstoßung am 28.11.2018 die für eine einvernehmliche Scheidung erforderliche Trennungszeit von einem Jahr oder die für die unwiderlegbare Zerrüttungsvermutung erforderliche Trennungszeit von drei Jahren abgelaufen war.
Auch von einem Einverständnis der Beteiligten zu 1 mit der Verstoßung zum damaligen Zeitpunkt ist nicht auszugehen. Sie mag zwar während ihres Aufenthalts in Deutschland im Rahmen der vom Beteiligten zu 2 geschilderten Auseinandersetzungen geäußert haben, sich scheiden lassen zu wollen; dabei kann offenbleiben, ob dies in diesem Moment ggf. ernstgemeint war. Entscheidend ist, ob sie zum Zeitpunkt der Verstoßung selbst mit der Auflösung der Ehe einverstanden war. Hierüber bestehen jedoch keine tragfähigen Erkenntnisse. Im Verstoßungstermin war die Beteiligte zu 1 weder persönlich anwesend noch vertreten. Ihr Einverständnis lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass sie mit der am 14.4.2019 hinterlegten Klageschrift die Zahlung der im Ehevertrag vereinbarten Brautgabe geltend machte, die ihr aufgrund der Eheauflösung nach religiösem Recht zustand. Die tatsächliche Billigung einer vermögensrechtlichen Scheidungsfolge kann nicht mit der unterstellten Billigung der erfolgten Ehescheidung als solcher gleichgestellt werden, zumal die Verstoßung im Ursprungsstaat zu einer wirksamen Auflösung der Ehe geführt hat und ganz unterschiedliche Verfahrensabschnitte betroffen sind. Auch aus Sicht des deutschen Rechts setzt sich ein Ehegatte, der dem Scheidungsbegehren des anderen Ehegatten zwar entgegentritt, hilfsweise aber auf Regelung der Scheidungsfolgen anträgt, nicht dem Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens aus (BGH NJW 2020, 3592/3599).
cc) Da eine Anerkennung der Eheauflösung durch Verstoßung schon aus den genannten Gründen nicht möglich ist, kommt es nicht darauf an, ob dem darüber hinaus weitere Erwägungen entgegenstünden. Somit kann offenbleiben, ob die Beteiligte zu 1 von der Verstoßung tatsächlich zunächst nicht in Kenntnis gesetzt wurde oder die Eheauflösung aus sonstigen Gründen nach ägyptischem Recht unwirksam war.
dd) Durch die Versagung der Anerkennung der verfahrensgegenständlichen Scheidung in Deutschland wird der Beteiligte zu 2 keineswegs in unangemessener Weise in seinen Möglichkeiten eingeschränkt, eine wirksame Eheauflösung zu erreichen. Soweit er sich in Ägypten auf die dort ausgesprochene Verstoßung berufen will, ist er daran nicht dadurch gehindert, dass diese in Deutschland nicht anerkannt wird. Soweit er Scheidungswirkungen in Deutschland geltend zu machen beabsichtigt, steht es ihm frei, die hiesigen Gerichte anzurufen, die unter den Voraussetzungen des Art. 10 Rom-III VO die Ehe erforderlichenfalls auch nach deutschem Recht auflösen könnten. Diesen Weg zu beschreiten ist dem Beteiligten zu 2 ohne weiteres zumutbar.
III.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Es entspricht nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund des vollständigen Obsiegens der Beteiligten zu 1 als Antragsgegnerin der Billigkeit, dass der Beteiligte zu 2 als Antragsteller die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 trägt.
2. Die Geschäftswertfestsetzung beruht auf §§ 79 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG. Genügende Anhaltspunkte für die Bestimmung des Werts der Anerkennung der Scheidung bestehen nicht. Deshalb ist der Auffangwert von 5.000 € anzusetzen.
3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG liegen nicht vor. Bei der umstrittenen Frage der Rechtsmittelfrist (vgl. oben II. 1. b)) folgt der Senat der Judikatur des Bundesgerichtshofs. Somit ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich (vgl. BeckOK FamFG/Obermann § 70 Rn. 14; MüKoFamFG/Fischer § 70 Rn. 26 ff.; Abramenko in Prütting/Helms § 70 Rn. 4 f.).


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War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
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