Handels- und Gesellschaftsrecht

Ablehnung einer Arrestanordnung im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal mangels Schlüssigkeit

Aktenzeichen  8 W 1541/21

Datum:
16.11.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34702
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO Zu §§ 916 ff.
BGB § 826
BGB § 249

 

Leitsatz

1. Zu den Schlüssigkeitsvoraussetzungen für die Höhe des Anspruchs bei einer Saldoklage über zahlreiche Kauf- und Verkaufsvorgänge gehört eine tatsächlich und rechnerisch nachvollziehbare Darstellung, aus der sich die einzelnen Käufe und -verkäufe sowie der Saldo – auch hinsichtlich der gehaltenen Wertpapiere – ergeben. Denn soweit der Antragsteller diese Wertpapiere noch halten sollte, käme wohl allenfalls eine Zug-um-Zug-Anordnung in Betracht.
2. Jedenfalls beim Kauf von Aktien spricht grundsätzlich ein sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergebender Erfahrungssatz mit überwiegenden Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Anleger die Aktien in Kenntnis der verschwiegenen Machenschaften nicht gekauft hätten (vgl. dazu Urteil des Senats vom 11.11.2021, Gz. 8 U 5670/21). Bei Investments mit rein spekulativem Charakter kann die entsprechende Vermutung jedoch eingeschränkt oder aufgehoben sein. Deshalb wäre in solchen Fällen neben einer näheren schriftsätzlichen Erläuterung der streitgegenständlichen Geschäfte wohl auch im Arrestverfahren eine konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung der Kausalität erforderlich.
3. Wenn in einem Parallelverfahren vor einem anderen Senat mit denselben Antragstellervertretern bereits Bedenken gegen die Art der Schadensdarstellung erhoben wurden, ist ein erneuter Hinweis gem. § 139 ZPO nicht mehr erforderlich. Denn die entsprechende Kenntnis seiner Prozessbevollmächtigten als Wissensvertreter muss sich der hiesige Antragsteller gem. § 166 BGB zurechnen lassen.

Verfahrensgang

22 O 13034/21 2021-09-30 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 30.09.2021 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 65.000.- € festgesetzt.

Gründe

I.
Den Feststellungen des Landgerichts zufolge ist Herr Dr. B. alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Antragsgegnerin. Außerdem war er von Januar 2002 bis Juni 2020 Vorstandsvorsitzender der W. AG. Die Antragsgegnerin war größter Einzelaktionär der W. AG mit Anteilen im Wert von über 1.0 Mrd. Euro.
Mit Schriftsatz vom 29.09.2021 beantragte der Antragsteller wegen einer angeblichen Schadensersatzforderung in Höhe von 166.549,58 € die Anordnung des dinglichen Arrestes in das gesamte Vermögen der Antragsgegnerin. Zur Begründung des Anspruches wurde dort ausgeführt, der Antragsteller habe im Zeitraum vom 15.05.20 bis 22.06.20 166.549,58 € in die Aktie der Wirecard investiert; dabei seien Käufe in diesem Zeitraum abzüglich Verkäufe bereits berücksichtigt. Zur Glaubhaftmachung wurde auf Orderbelege in einem Anlagenkonvolut verwiesen.
Das Landgericht hat den Arrestantrag mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, u.a. weil der behauptete Schaden nicht schlüssig dargelegt worden sei; der Antragsteller habe auch keine Aktien erworben, sondern Put-Optionen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit der dieser seine erstinstanzlichen Anträge wiederholt. Er meint, es spiele keine Rolle, in was für ein Produkt er investiert habe, auch die erworbenen Wertpapiere hingen unmittelbar mit dem Aktienkurs der Wirecard zusammen. Die vom Landgericht beteiligte Antragsgegnerin hat u.a. darauf hingewiesen, dass der 13. Zivilsenat des OLG München in einigen Parallelverfahren vergleichbaren Vortrag zum Schaden nicht habe ausreichen lassen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 10.08.2021 ist zwar zulässig erhoben, bleibt in der Sache aber im Ergebnis ohne Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Anordnung des dinglichen Arrestes ergibt sich aus § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (vgl. Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 33. Aufl., § 922 Rn. 19). Die zweiwöchige Notfrist des § 569 Abs. 1 ZPO und die Formvorschriften des § 569 Abs. 2 ZPO sind gewahrt.
2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch zumindest im Ergebnis unbegründet.
a) Der Antragsteller hat schon nicht hinreichend dargelegt, dass ihm ein Arrestanspruch gegen die Antragsgegnerin zusteht (§§ 916 Abs. 1, 920 Abs. 2 ZPO). Insbesondere fehlt es an schlüssigem Vortrag, aus welchen An- und Verkaufsgeschäften sich der geltend gemachte Schaden ergeben soll.
Wie dem erkennenden Senat erst jetzt aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin bekannt geworden ist, hat der 13. Zivilsenat des OLG München bereits in seinem Beschluss vom 11.08.2021, Gz. 13 W 1134/21, (ebenso im Beschluss vom 20.09.2021, Az. 13 W 1347/21, jeweils mit Beteiligung der hiesigen Antragstellervertreter) zutreffend ausgeführt, dass die bloße Vorlage von Wertpapierabrechnungen hierfür nicht genügt, zumal es sich vorliegend offenbar nicht um den Direkterwerb von Aktien der W. AG, sondern um den Erwerb von Optionsscheinen handelt, und somit schon der Vortrag in der Antragsschrift hierzu nicht nur unsubstantiiert, sondern sogar falsch war. Zutreffend ist auch, dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, die einzelnen Abrechnungsbelege auf ihre Verfahrensrelevanz zu überprüfen, die jeweils maßgeblichen Beträge herauszuarbeiten und anschließend eine Schadensberechnung durchzuführen. Dies wäre vielmehr Sache des Antragstellers gewesen (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2018 – VI ZR 213/17).
Erforderlich gewesen wäre daher eine tatsächlich und rechnerisch nachvollziehbare Darstellung – ob in einem Schriftsatz oder als Anlage dazu -, aus der sich die einzelnen Käufe und -verkäufe sowie der Saldo – auch hinsichtlich der gehaltenen Wertpapiere – ergeben. Letzteres wäre insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil, soweit der Antragsteller diese Wertpapiere noch halten sollte, wohl allenfalls eine Zug-um-Zug-Anordnung in Betracht käme.
Dem genügen die apodiktischen Angaben des Antragstellers in der Antragsschrift hier offensichtlich nicht. Außerdem wäre hier noch im Einzelnen konkret darzulegen gewesen, um welche Wertpapiere es sich handeln soll und inwiefern diese auf die W.-Aktie bezogen gewesen sein sollen. In dem antragstellerseits erwähnten Verfahren 8 W 734/21 wurde insoweit immerhin vorgetragen, dass es sich um auf die W.-Aktie bezogene Hebelzertifikate gehandelt habe.
Unabhängig von dem Umstand, dass es sich vorliegend um ein Eilverfahren handelt, war ein Hinweis gem. § 139 ZPO hier nicht mehr erforderlich (vgl. die Hinweise des Senats im Verfahren 8 U 6389/21, die noch in Unkenntnis der Entscheidungen des 13. Zivilsenats gegeben wurden). Den Antragstellervertretern war bereits aus der ersten Entscheidung des 13. Zivilsenats vom 11.08.2021 bekannt, dass gegen ihre Art der Schadensdarstellung erhebliche Bedenken bestehen. Gleichwohl haben sie in der hiesigen Antragsschrift vom 29.09.2021 wieder dieselben apodiktischen Angaben gemacht und dies selbst in ihrer Beschwerdebegründung vom 19.10.21 nicht korrigiert, obwohl bereits das Landgericht den Schaden für nicht schlüssig dargestellt gehalten hat.
Die entsprechende Kenntnis seiner Prozessbevollmächtigten als Wissensvertreter muss sich der hiesige Antragsteller gem. § 166 BGB zurechnen lassen. Denn der Mandant muss sich die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis seines Rechtsanwalts, den er mit der Durchsetzung eines Ersatzanspruchs beauftragt hat, zurechnen lassen (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – IX ZR 168/17 mwN).
b) Daher kann dahinstehen und Bedarf auch keines Hinweises mehr, ob auch bei Geschäften der hier vorliegenden Art ohne Weiteres von einer mindestens überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine Schadenskausalität auszugehen wäre (vom Senat für Aktienkäufe grundsätzlich bejaht im Urteil vom 11.11.2021, Gz. 8 U 5670/21).
Denn für Investments mit – wie wohl auch hier – spekulativem Charakter kann die entsprechende Vermutung eingeschränkt oder aufgehoben sein (vgl. z.B. BGH vom 13.07.2004 – XI ZR 178/03, zum – damals – „Neuen Markt“). Deshalb wäre hier neben einer näheren schriftsätzlichen Erläuterung der streitgegenständlichen Geschäfte (dazu s.o.) wohl auch eine konkrete Darlegung und Glaubhaftmachung (vgl.§ 294 Abs. 1 ZPO) der Kausalität erforderlich gewesen; dafür wäre die hier vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Antragstellers Anlage K 20 wohl deutlich zu pauschal gewesen.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
2. Der Beschwerdewert des Arrestverfahrens wird mit einem Bruchteil der Hauptsacheforderung angenommen; üblicherweise einem Drittel (Zöller, § 3 Rn.16, Stichwort Arrest; MüKo ZPO/Wöstmann, 6. Aufl. 2020, § 3 Rn. 34).
3. Wegen des gemäß § 524 Abs. 2 ZPO begrenzten Instanzenzuges ist im Verfahren auf Erlass eines Arrestes die Rechtsbeschwerde nicht statthaft (BGHZ 154, 102, 103). Deren Zulassung war damit gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ausgeschlossen.
4. Der Beschluss ist nunmehr auch dem Antragsgegner mitzuteilen. § 922 III ZPO ist entsprechend Art. 103 I GG dahin zu verstehen, dass der Gegner von dem Gesuch und seiner Ablehnung durch das Gericht nur dann nicht in Kenntnis zu setzen ist, wenn wegen der Gefährdung des Zwecks von der Anhörung des Gegners abzusehen ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. A. 2020, § 922 ZPO Rn. 18). Davon kann nach Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Antragstellers keine Rede mehr sein.


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