Handels- und Gesellschaftsrecht

Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen wegen Bitte um Ergebnisvorgabe durch das Gericht

Aktenzeichen  13 W 3783/20

Datum:
9.4.2021
Fundstelle:
MDR – 2021, 902
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 404a
InsO § 19, § 17 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei einem Sachverständigen, der bei einem Gericht telefonisch zwei verschiedene Ergebnis-Alternativen seiner Begutachtung „anbietet“ und um Mitteilung bittet, welche Alternative er in seinem schriftlichen Gutachten darstellen soll, besteht die Besorgnis der Befangenheit. Die Bitte eines Sachverständigen zu gerichtlichen Vorgaben hinsichtlich des Gutachtensergebnisses kann bei den Prozessbeteiligten nachvollziehbarerweise die Befürchtung begründen, dass der Sachverständige nicht auf der Grundlage seiner Eigenverantwortlichkeit, gestützt auf objektive Tatsachen und allein orientiert an seiner Fachkunde die in seinem Gutachten wiedergegebenen Ergebnisse erzielt, sondern sich nach von außen an ihn herangetragenen Erwartungen an das Ergebnis der Begutachtung richtet. (Rn. 48 – 49)
2. Vorgaben zum Ergebnis der Begutachtung gehören nicht zur gerichtlichen Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen nach § 404a ZPO. (Rn. 49)
3. Sind Äußerungen eines Sachverständigen von dem Mitglied des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers in einem Vermerk aktenkundig gemacht, so kommt es für die Ablehnung des Sachverständigen nicht mehr darauf an, ob sie vom Sachverständigen wörtlich so geäußert wurden. Der Umstand, dass sie in aktenkundig dokumentierter Weise vom Gericht so verstanden wurden, ist ausreichend, um objektive Tatsachen zu schaffen, welche den zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ausreichenden „bösen Schein“ der fehlenden Unparteilichkeit des Sachverständigen selbst dann begründen, wenn sie vom Sachverständigen anders gemeint gewesen sein sollten. (Rn. 50)

Verfahrensgang

12 O 1171/14 2020-11-13 Bes LGAMBERG LG Amberg

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Amberg vom 13.11.2020, Az. 12 O 1171/14, abgeändert:
Die Ablehnung des Sachverständigen Dr. K. durch den Beklagten wegen Besorgnis der Befangenheit wird für begründet erklärt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 13.11.2020 wendet sich der Beklagte gegen die Zurückweisung seines Ablehnungsgesuchs gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K. wegen Besorgnis der Befangenheit.
Die Parteien streiten über behauptete Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten, welche von der Klägerin u.a. auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO gestützt werden.
Der Beklagte war bis zu seinem Ausscheiden am 20.02.2011 der Geschäftsführer der U. B1. GmbH (später H. B1. GmbH, im Folgenden: Schuldnerin). Die Klägerin unterhielt langjährige Geschäftsbeziehungen mit der Schuldnerin, im Zuge derer die Schuldnerin mit Baumaterial beliefert wurde und die Klägerin auch als Subunternehmerin der Schuldnerin auftrat. Die Schuldnerin beantragte am 23.02.2011 wegen drohender Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet.
Im Auftrag des Insolvenzverwalters Dr. S. erstellte die C. Steuerberatungsgesellschaft GmbH am 11.05.2011 einen Bericht, in dem sie Überschuldung zum 31.12.2009 und Zahlungsunfähigkeit ab dem 29.01.2009 feststellte.
Die Klägerin behauptet, dass die Schuldnerin spätestens zum 31.12.2009 insolvenzrechtlich überschuldet gewesen sei, der Beklagte, als damaliger Geschäftsführer, habe jedoch nicht rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt. Daher habe er wegen Insolvenzverschleppung für sämtliche zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung offenen Forderungen der Klägerin gegen die Schuldnerin in Höhe von 2.217.931,99 € einzustehen.
Im Frühjahr 2010 erhöhten sich die Forderungen der Klägerin gegen die Schuldnerin auf ca. zwei Millionen Euro. Zentraler Streitpunkt des vorliegenden Rechtsstreits ist die Behauptung des Beklagten, dass es Ziel und gemeinsamer Wunsch der Schuldnerin und der Klägerin gewesen sei, das Verbindlichkeitenniveau der Schuldnerin bei der Klägerin wieder auf den früheren Stand von ca. einer Million Euro zu reduzieren (die Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber der Klägerin werden von den Parteien als „H.-Verbindlichkeiten“ bezeichnet, diese Bezeichnung wird im Folgenden übernommen). Aus diesem Grund seien zwischen der Klägerin und der Schuldnerin Gespräche geführt und Vereinbarungen getroffen worden, mit welchen Schritten der Verbindlichkeitensaldo nach und nach wieder auf einen Stand von ca. einer Million Euro zurückgeführt werden könnte. Eine zeitliche Vorgabe hierzu habe es nicht gegeben, auch hätten die Vertragspartner keine vollständige Rückführung der aufgelaufenen Verbindlichkeiten vereinbart. Bei einer Besprechung am 11.08.2010 seien die Geschäftsführer der Klägerin von den Vertretern der Schuldnerin ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Schuldnerin nicht über die erforderliche Liquidität verfüge, um die aufgelaufenen H.-Verbindlichkeiten ganz oder größtenteils zurückzuführen und dass – falls die Klägerin die H.-Verbindlichkeiten ganz oder größtenteils fällig stellen würde – dies zu einer insolvenzrechtlich relevanten Zahlungsunfähigkeit und unverzüglichen Insolvenzantragspflicht der Schuldnerin führen würde. Die Klägerin habe erklärt, dies sei von ihr ausdrücklich nicht gewollt. Vielmehr wolle man gemeinsam einen Weg finden, um die Verbindlichkeiten auf ein Niveau von einer Million Euro zu reduzieren.
Der Beklagte vertritt die Ansicht, dass diese behaupteten Vereinbarungen dazu geführt hätten, dass die streitgegenständlichen Forderungen im insolvenzrechtlichen Sinne nicht fällig gestellt gewesen seien. Diese seien daher bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO nicht zu berücksichtigen. Es habe diesbezüglich nämlich eine Stundungsvereinbarung bzw. ein Stillhalteabkommen gegeben. Außerdem habe die fehlende Fälligstellung Auswirkungen auf die Fortführungsprognose, im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO.
Die Klägerin behauptet, es habe keine jahrelang geübte Praxis zwischen der Klägerin und der Schuldnerin gegeben, dass die Klägerin ihr einen Lieferantenkredit in der Größenordnung von einer Million Euro gewährt habe. Es habe auch keine Vereinbarung mit dem Inhalt gegeben, dass die Verbindlichkeiten von ca. zwei Millionen Euro auf den Stand von einer Million Euro zu reduzieren. Vielmehr habe die Klägerin die jeweils fälligen Beträge angemahnt. Die Reduzierung auf einen Schuldenstand von einer Million Euro bis Ende des Jahres 2010 solle lediglich ein Zwischenziel darstellen. Die Klägerin habe nicht in eine spätere Befriedigung eingewilligt. Es habe weder eine Stundungsvereinbarung noch ein Stillhalteabkommen gegeben.
Am 09.02.2011 fand eine weitere Besprechung zwischen der Klägerin und der Schuldnerin statt, bei der es um eine mögliche Übernahme der Schuldnerin durch die Klägerin zu einem Preis von einem Euro ging.
Das Landgericht hat Zeugen zum Inhalt der Besprechungen zwischen den Vertretern der Klägerin und dem Beklagten bzw. Vertretern der Schuldnerin vom 28.04.2010, 11.08.2010 und 09.02.2011 vernommen (aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Richterwechsels zweimal).
Gegen den Beklagten fand vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – Regensburg ein Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung statt (Az. der Staatsanwaltschaft Regensburg: Az. 156 Js 7949/11). Dieses Verfahren wurde gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen eine Geldauflage in Höhe von 50.000 € eingestellt.
Mit Beweisbeschluss vom 23.04.2019 (Bl. 457/458 d. A.) hat das Landgericht den Sachverständigen Dr. K. beauftragt, ein schriftliches Sachverständigengutachten über die Behauptung der Klagepartei, es habe bereits zum 31.12.2009 Überschuldung der Schuldnerin im Sinne des § 19 InsO vorgelegen, zu erstellen. Der Sachverständige ist darauf hingewiesen worden, dass er für den Fall, dass eine Überschuldung zwar nicht bereits am 31.12.2009, jedoch zu einem anderen Zeitpunkt zwischen dem 31.12.2009 und der Stellung des Insolvenzantrags vorgelegen habe, auch diesen Zeitpunkt genau benennen solle.
Mit Schriftsatz vom 23.04.2019 (Bl. 462/463 d. A.) wies der Beklagte darauf hin, dass die durch Zeugen bestätigten Vereinbarungen nach seinem Verständnis dazu geführt hätten, dass die streitgegenständlichen Forderungen im insolvenzrechtlichen Sinne nicht fällig geworden seien. Da die insolvenzrechtliche Fälligkeit auch für die Frage der Überschuldung maßgeblich sei, werde beantragt, den Beweisbeschluss dahingehend zu präzisieren, dass dem Sachverständigen durch das Gericht vorgegeben werde, ob die streitgegenständlichen Forderungen fällig im insolvenzrechtlichen Sinne geworden seien.
Mit Verfügung vom 24.04.2019 (Bl. 464 d. A.) hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass Verbindlichkeiten unabhängig von deren Fälligkeit zu berücksichtigen seien. Betagte Verbindlichkeiten könnten zwar nicht die Zahlungsunfähigkeit begründen, wohl aber die Überschuldung. Eine Änderung des Beweisbeschlusses sei daher nicht veranlasst.
Mit Schriftsatz vom 09.05.2019 (Bl. 472/472 Rs. d. A.) hat der Beklagte ausgeführt, dass die Prüfung nach § 19 InsO zweistufig ausgestaltet sei. Zum einen sei zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr decke. Eine Unterdeckung habe nicht vorgelegen, da die Schuldnerin am 31.12.2009 über ein positives Eigenkapital in Höhe von 149.548,99 € verfügt habe. Bei festgestellter Überschuldung sei dann zu prüfen, ob die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich sei. Falls zwischen dem 01.01.2010 und dem 23.02.2011 eine Überschuldung eingetreten sein sollte, sei die U. Bau GmbH trotzdem nicht insolvenzantragspflichtig gewesen, wenn die Fortführungsprognose positiv gewesen sei. Hierfür sei entscheidend, ob die streitgegenständlichen Forderungen fällig im insolvenzrechtlichen Sinne geworden seien.
Am 31.05.2019 sind die Akten an den Sachverständigen für die Durchführung der Begutachtung versandt worden (Bl. 477/481 d. A.).
Am 12.08.2019 telefonierte die damals zuständige Einzelrichterin (Richterin am Landgericht Dr. R.) mit dem Sachverständigen (vgl. Telefonvermerk vom 12.08.2019, Bl. 484 d. A.). Dem Telefonvermerk ist zu entnehmen, dass es nach Durchsicht der Akte entscheidend darauf ankomme, ob von einer Stundungsvereinbarung ausgegangen werden könne oder nicht. Dies sei letztlich aber eine Rechtsfrage, die vom Gericht beantwortet werden müsse. Die Einzelrichterin habe ihm mitgeteilt, dass dies aufgrund des Referatswechsels nicht beantwortet werden könne und bat ihn darum, an das Gericht zu schreiben und auch die Akte zurückzusenden.
Am 16.08.2019 verfügte die Kammervorsitzende die Umtragung des Verfahrens als Kammerverfahren, weil Richterin W. noch nicht über einen Zeitraum von einem Jahr geschäftsverteilungsplanmäßig Rechtsprechungsaufgaben in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wahrzunehmen gehabt habe und Richterin auf Probe sei (Bl. 485 d. A.).
Mit Schreiben vom 13.08.2019 (Bl. 486/487 d. A.) hat der Sachverständige angeregt zu klären, ob eine wirksame Stundungsvereinbarung vorliege. Würde eine solche vorliegen, wäre das Vorliegen von Insolvenzgründen mehr als fraglich. Sollte eine solche nicht bestehen, lägen Insolvenzgründe mindestens seit 31.12.2009 vor. Diesbezüglich nahm der Sachverständige Bezug auf das „Gutachten der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 28.11.2013“ und das „Gutachten der C. Steuerberatungsgesellschaft mbH vom 11.05.2012“.
Mit Schriftsatz vom 28.08.2019 (Bl. 493/494 d. A.) nahm der Beklagte zum Schreiben des Sachverständigen dahingehend Stellung, dass eine Stundungsvereinbarung nicht zwingend schriftlich geschlossen werden müsse. Außerdem könne nicht auf die „Gutachten“ der Staatsanwaltschaft Regensburg und der C. Steuerberatungsgesellschaft mbH zurückgegriffen werden, da diesen nicht alle erforderlichen Unterlagen und Informationen vollständig zur Verfügung gestanden hätten. Außerdem wäre im Strafverfahren ein neues Gutachten angeordnet worden, wenn es zu keiner Verfahrenseinstellung gekommen wäre. Der Sachverständige solle im vorliegenden Rechtsstreit ein objektives und neutrales, vollständig neues Gutachten erstellen.
Mit Schriftsatz vom 18.10.2019 (Bl. 508/512 Rs. d. A.) führte der Beklagte weiter aus, dass es kein ernsthaftes Einfordern der streitgegenständlichen Forderungen durch die Klägerin gegeben habe, was durch die durchgeführte Beweisaufnahme bestätigt worden sei. Außerdem seien die „Gutachten“ der Staatsanwaltschaft (von Herrn N.) und der C. Steuerberatungsgesellschaft mbH nicht heranzuziehen, da das Gutachten der Staatsanwaltschaft sich nur auf die Zahlungsunfähigkeit beziehe und der Überschuldungsbericht der C. Steuerberatungsgesellschaft mbH an schwerwiegenden Mängeln leide. In dem Gutachten der Staatsanwaltschaft sei ausgeführt worden, dass den Unterlagen keine Stundungsvereinbarungen zu entnehmen seien, während es eine solche gegeben habe. Der Überschuldungsbericht der C. Steuerberatungsgesellschaft mbH sei unzutreffend von negativer Fortbestehensprognose ausgegangen, obwohl es am ernsthaften Einfordern der streitgegenständlichen Forderungen gefehlt habe. Außerdem habe der Bericht den Wert des Grundstücks „Am Schallerhammer 9“, der technischen Anlagen und Maschinen und der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe unzutreffend zu niedrig angesetzt und hinsichtlich der atypisch stillen Beteiligung unzutreffend die Auffassung vertreten, dass diese nicht als Eigenkapital bilanziert werden dürfe.
Mit Verfügung vom 06.11.2019 (Bl. 513/514 d. A.) hat das Landgericht den inhaltsgleichen Hinweis wie in der Verfügung vom 24.04.2019 erteilt und ergänzend angeregt, dass der Sachverständige eine alternative Betrachtung durchführen solle, zum einen unter der Annahme einer wirksam vereinbarten Stundungsvereinbarung und zum anderen unter Annahme einer fehlenden Stundungsvereinbarung zu begutachten, falls er sich außer Stande sehe, den ursprünglichen Beweisbeschluss vom 23.04.2019 zur Ausführung zu bringen.
Am 18.11.2019 telefonierte der Sachverständige mit der Berichterstatterin (Richterin W., vgl. Telefonvermerk vom 18.11.2019, Bl. 516 d. A.). Der Telefonvermerk enthält u. a. folgende Sätze (Wiedergabe in der Originalschreibweise):
„BeklagtenV. hat in Parallelverfahren gesagt, dass wenn es fällig, sie fertig gewesen wären SV befürchtet, dass es nicht zielführend sein wird Gefahr weiterer Einwendungen durch Beklagtenvertreter hins. Stundungsvereinbarung Einwendungen gegen bereits vorhandenes Gutachtens eines anderen Sachverständigen wurde auch vorgebracht, man hätte nicht sorgfältig gearbeitet Daher: nicht mehr andauernd Einwendungen zulassen, sondern beenden
SV. führt in betriebswirtschaftlicher Hinsicht aus: wenn keine Ergebnisse erzielt werden, dann keine positiven Beiträge zum Eigenkapital, dann läge auch so Überschuldung (auch wenn es rechtliche bei Überschuldung nicht auf Fälligkeit der Forderung ankommt, sondern nur bei Zahlungsfähigkeit, die aber laut Beweisbeschluss nicht zu begutachten ist)“
Am 28.05.2020 telefonierte der Sachverständige mit der Berichterstatterin (Richterin W., vgl. Telefonvermerk, Bl. 523 d. A.). Er teilte Folgendes mit: Die Gutachten der Kollegen, die von der Staatsanwaltschaft bereits erholt worden seien, seien aus betriebswirtschaftlicher Sicht fehlerfrei. Die Frage der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit würde damit stehen und fallen, wie die zwei Millionen Euro zu behandeln seien. Fraglich sei, ob eine Stundungsvereinbarung getroffen worden sei, was zwischen den Parteien streitig sei. Aus betriebswirtschaftlicher und steuerrechtlicher Sicht sei es nach seiner Lebenserfahrung so, dass bei einer Summe von zwei Millionen Euro grundsätzlich schriftliche Unterlagen angefertigt werden würden, solche lägen aber im hiesigen Fall nicht vor. Eigentlich würde man immer eine Verzinsung anpeilen und eine Sicherungsabrede schließen. Eine solche gäbe es vorliegend nicht. Wenn man zum Ergebnis käme, dass der Betrag gestundet worden sei und es „die zwei Millionen Euro so nicht gäbe“, sei eine Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung wohl abzulehnen. Ansonsten bestünde eine Pflicht zur Rückzahlung und es sei eine Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung anzunehmen. Es sei fraglich, ob es sein könne, dass ein Kaufmann keine Stundungsabrede treffen würde. Es werde angeregt, die Frage der Stundung bzw. Sicherungsabrede zu klären. Das Gutachten werde relativ kurz und werde nicht viel Neues enthalten.
Am 24.08.2020 telefonierte der Sachverständige ein weiteres Mal mit der Berichterstatterin (Richterin W.). Der darüber gefertigte Telefonvermerk der Richterin lautet folgendermaßen (Bl. 529 d. A., Zitat mit Schreibweisen jeweils wortwörtlich):
„Er teilt mit, dass Gutachten im Wesentlichen fertig ist und noch diese Woche versandt wird.
Er fragt nach, welche Formulierung das Gericht hinsichtlich des Ergebnisses wünscht.
Variante 1: „Überschuldung nicht ohne jeden Zweifel feststellbar. Zum 11.0.2020 (Anmerkung des Senats: Dieses Datum ist so im Telefonvermerk enthalten) ist Überschuldung wahrscheinlich.“
Variante 2: „Zum 31.12.2019 (Anmerkung des Senats: Auch dieses Datum ist so im Telefonvermerk enthalten) Überschuldung gegeben, auf 11.08.2010 kommt es nicht mehr an.“ Ergänzend hierzu er die Schwierigkeiten der Feststellung der Überschuldung mitausführen – Ergebnis allein basierend auf Indizien mangels Unterlagen Ich sage ihm, dass sie die Variante 2 präferiere.
… Keine schriftliche Stundungsvereibarung (sic!) vorliege – es wird wohl eine gebe (sic!), da weder Mahnverfahren von der Klägerin betrieben wurde, noch Druck hinsichtlich der Begleichung der offenen Rechnungen gemacht wurde.“
In der gutachterlichen Stellungnahme vom 18.08.2020 (Bl. 531/557 d. A.) hat der Sachverständige im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die für das Gutachten insbesondere verwendeten Unterlagen und Literatur seien in der Anlage II abschließend aufgeführt. In dieser Anlage wurden folgende Unterlagen „aus der Aktenlage“ aufgelistet: Schriftsatz vom 28.08.2019 (Blatt 493 ff., Az. 12 O 1171/14), Schriftsatz vom 18.10.2019 (Blatt 507 ff., Az. 12 O 1171/14), Gutachten der Staatsanwaltschaft (156 Js 7949/11), Gutachten der C. Steuerberatungsgesellschaft mbH (Anlage K16, Az. 12 O 1171/14).
Als Ergebnis des Gutachtens stellte der Sachverständige fest, dass die Schuldnerin zum 31.12.2009 überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO gewesen sei. Eine Fortführung des Unternehmens sei zum 31.12.2009 unter Würdigung der Gesamtumstände nicht überwiegend wahrscheinlich. Zum 31.08.2010 sei Zahlungsunfähigkeit gegeben, eine positive Fortbestehensprognose habe spätestens dann nicht mehr bestanden. Ob die sogenannten H.-Verbindlichkeiten zum 31.12.2009 fällig gewesen seien oder nicht, sei aufgrund der Zeitraumbetrachtung irrelevant, da das Unternehmen rund zehn Monate nach Beendigung der Abschlussarbeiten am 07.05.2010 (Anmerkung des Senats: Zeitpunkt der Erstellung des Jahresabschlusses 2009) einen Insolvenzantrag am 23.02.2011 gestellt habe. Darüber hinaus seien die H.-Verbindlichkeiten nicht signifikant auf einen Sockelbetrag von einer Million Euro reduziert worden. Ob eine positive Fortbestehensprognose zum 31.12.2009 bestanden habe, könne nur dann zweifelsfrei beurteilt werden, wenn eine aussagekräftige und plausible Unternehmensplanung vorgelegen hätte. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Allein auf die Fälligkeit der H.-Verbindlichkeiten komme es zudem nicht an, ob zum 31.12.2009 eine positive Fortbestehensprognose gegeben gewesen sei oder nicht. Dadurch jedoch, dass der Beklagte das Gespräch mit der Klägerin gesucht und bereits am 28.04.2010 jedem Beteiligten – auch der Klägerin – klar gewesen sein müsse, dass sich die Schuldnerin in deutlicher Insolvenznähe befunden habe, wundere es, dass keine Prüfung der Unternehmensfortführung durch den Beklagten stattgefunden habe. Objektiv betrachtet habe es nämlich rechtliche und tatsächliche Gründe, die einer Unternehmensfortführung entgegengestanden hätten, gegeben. Die in den Besprechungen vom 28.04. und 11.08.2010 getroffenen „Vereinbarungen“, nämlich innerhalb einiger Monate die Verbindlichkeiten auf eine Million Euro zurückzuführen, seien nicht eingehalten worden. Die Klägerin habe die Geschäftsbeziehung unverändert fortgeführt, obwohl keine Zahlungen zu erkennen seien, die den Forderungsbestand zum 31.12.2009 signifikant im Sinne der Ergebnisse der Besprechungen verringert hätten.
Der vollständige Jahresabschluss zum 31.12.2009 sei der Aktenlage nicht zu entnehmen. Lediglich aus dem Gutachten der C. Steuerberatungsgesellschaft hätten sich die bilanziellen Buchwerte zum 31.12.2009 ergeben. Ausgehend von der Aktenlage und dem veröffentlichten Jahresabschluss zum 31.12.2009 habe die Schuldnerin in den Jahren 2006-2010 keinen Jahresüberschuss erwirtschaftet. Auch habe sie nicht leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen können. Eine bilanzielle Überschuldung (nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag) habe zum 31.12.2009 nicht vorgelegen. Vielmehr zeigten die Besprechungen, dass die Schuldnerin aufgrund ihrer Liquiditätsprobleme zum 28.04.2010 mindestens drohend zahlungsunfähig gewesen sein müsse, da sie nicht in der Lage gewesen wäre, sämtliche fälligen oder fällig gestellten Verbindlichkeiten fristgerecht zu begleichen. Dies sei ausgehend von der Aktenlage unstrittig.
Eine Unternehmensplanung bestehend aus Planbilanz, einer Ertragsplanung – aus der sich eine Plangewinn- und Verlustrechnung sowie ein Finanzplan ableiten könnten – zur Feststellung, ob der Unternehmensfortführung rechtliche oder tatsächliche Gründe entgegenstehen, hätten der Aktenlage nicht entnommen werden können. Es sei aus der Aktenlage nicht ersichtlich, dass auf der Aktivseite der Bilanz zum 31.12.2009 erhebliche stille Reserven vorhanden gewesen wären. Zum 31.12.2009 seien die kurzfristigen Verbindlichkeiten nicht durch kurzfristiges Vermögen gedeckt gewesen. Es sei von einer schlechten Liquiditätslage auszugehen. Dies werde durch die Besprechungen der Parteien in 2010 bestätigt und das werde auch so geblieben sein. Aufgrund der sich am 28.04.2010 und 11.08.2010 deutlich zeigenden Liquiditätsprobleme und der anhaltenden Ertragsschwäche des Unternehmens sei es nicht nachvollziehbar, dass die Geschäftsführung der Schuldnerin keine Unternehmensplanung aufgestellt habe, um prüfen und feststellen zu können, wie es um eine handelsrechtliche Unternehmensfortführung im Sinne des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB mindestens bis zum 31.12.2010 bestellt sei. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sei fraglich, ob der Verzicht auf eine solche Planung den Anforderungen, die an eine Geschäftsführung in einer solchen Situation zu stellen seien, entspreche. Dies auch deshalb, da offenbar der Ersteller der Jahresabschlüsse zum 31.12.2008 und zum 31.12.2009 bereits auf die angespannte wirtschaftliche Lage hingewiesen habe, wie sich aus dem Gutachten der Staatsanwaltschaft entnehmen lasse. Der Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose umfasse aufgrund der Prognoseunsicherheit in der Regel nur das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr.
Der Aktenlage könne keine integrierte Unternehmensplanung, aus der sich eine positive Fortbestehensprognose ergeben würde, entnommen werden. Eigene Ermittlungen könnten mangels unvollständiger Unterlagen nicht erfolgen. Deshalb könne sich nur an Indizien und dem Umstand des eröffneten Insolvenzverfahrens orientiert werden. Indiz für eine positive Fortbestehensprognose zum 31.12.2009 sei, dass der Schuldner subjektiv den Willen zur Fortführung des Unternehmens habe. Indizien für das Vorliegen einer negativen Fortbestehensprognose seien: die mehr als zweifelhafte Bilanzierung unter der Annahme der Unternehmensfortführung aufgrund der erheblichen Liquiditätsprobleme und der Ertragsschwäche, die älteste „von dem Beklagten“ (Anmerkung des Senats: Gemeint ist wohl die Schuldnerin) nicht beglichene Verbindlichkeit gegenüber der Klägerin stamme vom 31.12.2008. Diese Rechnung über 24.569,50 € sei zum 29.01.2009 aufgrund der Mahnung fällig gewesen. Weder sei eine Zahlung zum 31.12.2009 noch bis zum 31.12.2010 erfolgt. Eine „Beitreibung“ seitens der Klägerin sei allerdings nicht erfolgt. Zum 31.12.2009 sei der „working capital ratio“ negativ. Er habe sich je nach Ermittlungsmethode auf rund 69,4% bis 90,99% belaufen. Dies bedeute, dass lediglich zwischen 69,4% und 90,99% der kurzfristigen Verbindlichkeiten durch kurzfristiges liquides oder liquidierbares Umlaufvermögen gedeckt gewesen seien. Fällige Verbindlichkeiten hätten rechnerisch insoweit nicht jederzeit beglichen werden können. Auch wenn man davon ausgehe, dass aufgrund der Besprechungen vom 28.04.2010 und 11.08.2010 die Verbindlichkeiten von der Klägerin nicht fällig gestellt worden seien, so ergebe sich aus dem Gesamtbild, dass die Forderung zumindest bis zu einem Sockelbetrag von einer Million Euro unstrittig innerhalb von drei bis zwölf Monaten wohl fällig gewesen sei. In diesem Zusammenhang werde auch auf das Gutachten zur Fälligkeit von Verbindlichkeiten im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO hingewiesen (Anl. 17, Bl. 570, Az. 156 Js 7949/11). Innerhalb des für die Fortbestehensprognose relevanten Zeitraums (01.01.2010 bis 31.12.2011) sei am 23.02.2011 ein Insolvenzantrag gestellt worden. Der Insolvenzantrag sei in einem Zeitraum von weniger als zehn Monaten nach Erstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 gestellt worden. Es könne unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten daher ausgeschlossen werden, dass die Bilanzierung zum 31.12.2009 zutreffend unter dem Aspekt der handelsrechtlichen „Unternehmensfortführung“ erfolgt sei bzw. eine insolvenzrechtlich positive Fortbestehensprognose bestanden habe. Dies auch deshalb, da offenbar bei Berücksichtigung eines Lieferantenkredits der Klägerin von einer Million Euro nach alternativer Liquiditätsberechnung des Sachverständigen N. (Anl. B 19, Az. 13 O 989 /14) Zahlungsunfähigkeit am 31.08.2010 eingetreten wäre. Es sei nicht ersichtlich, dass die alternative Berechnung des Sachverständigen N. als belastbar unrichtig von den Parteien bezeichnet worden wäre. Im Übrigen sei es zum 31.08.2010 nicht gelungen, wie bereits am 28.04.2010 „vereinbart“, die Verbindlichkeiten auf eine Million Euro zurückzuführen.
Mit Schriftsatz vom 23.10.2020 – innerhalb der vom Landgericht gesetzten Äußerungsfrist zum Gutachten vom 18.08.2020 – hat der Beklagte beantragt, den Sachverständigen Dr. K. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Dieser Ablehnungsantrag ist im Wesentlichen damit begründet worden, dass der Gutachter ein gerichtlicherseits als unverwertbar eingestuftes Gutachten als wesentliche Erkenntnisquelle genutzt habe, er einerseits eine Zeugenaussage aus einem Strafverfahren trotz Widerspruchs der Beklagten verwertet und andererseits verschiedene Unterlagen nicht berücksichtigt habe. Weiter habe der Sachverständige verschiedene Annahmen, etwa zu fehlenden stillen Reserven, nicht hinreichend begründet.
Mit Schreiben vom 10.11.2020 (Bl. 617/618 d. A.) nahm der Sachverständige zum Ablehnungsgesuch des Beklagten Stellung. Seine Stellungnahme stütze sich auf den Beweisbeschluss vom 23.04.2019 sowie den gerichtlichen Hinweis vom 06.11.2019. Aus seinem Gutachten ergebe sich, dass er sich dem Grundsatz der Unabhängigkeit unbedingt insbesondere aus berufsrechtlichen Gründen verpflichtet sehe. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO stelle aus der Sicht eines Betriebswirts und Nichtjuristen „gefühlt sicher keinen Freispruch vom Vorwurf der Insolvenzverschleppung“ dar. Die Aktenlage sei ausgesprochen umfangreich. Allerdings handele sich bei den Ausführungen – sowohl auf Seiten der Klägerin als auch des Beklagten – in weiten Teilen um teils wortwörtlich identische mithin gebetsmühlenartig vorgetragene Darstellungen, denen jedoch in entscheidenden Ausführungen zwingende Nachweise gefehlt hätten. So habe den Akten nirgends eine Unternehmensplanung oder gar eine dokumentierte Stundungsvereinbarung entnommen werden können. Der Sachverständige habe die gesamte Aktenlage gesichtet, gewürdigt und auf entsprechende Akten Bezug genommen. Die Anforderung weiterer Unterlagen sei aufgrund der Aktenlage und der elektronisch abgerufenen Unterlagen (Bilanz und Anhang, Handelsregisterauszug) nicht geboten gewesen.
Mit Beschluss vom 13.11.2020 (Bl. 621/626 d. A.) hat das Landgericht das Ablehnungsgesuch des Beklagten zurückgewiesen. Aus dem Vorbringen des Antragstellers hätten sich bei der gebotenen objektiven Betrachtung keine Umstände ergeben, die aus Sicht des Beklagten Zweifel an der Unparteilichkeit des gerichtlichen Sachverständigen könnten. Eine Missachtung gerichtlicher Weisungen durch den Sachverständigen könne nicht gesehen werden. Aus der gerichtlichen Verfügung vom 06.11.2019 sei ersichtlich, dass nur unter bestimmten Umständen eine alternative Betrachtung in Betracht gezogen werden sollte. Da diese Umstände aus Sicht des Sachverständigen nicht eingetreten seien, habe auch eine alternative Betrachtung nicht angestellt werden müssen. Die Entscheidung zur Durchführung einer alternativen Betrachtung habe dem Sachverständigen oblegen. Das Vorliegen bzw. die Wirksamkeit der Stundungsvereinbarung sei eine vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage, die vom Sachverständigen selbst gar nicht beantwortet werden dürfe. Hierauf sei in der Verfügung vom 06.11.2019 hingewiesen worden. Daher brauche Sachverständige auch nicht zu begründen, warum es auf die Existenz oder Nichtexistenz einer Stundungsvereinbarung nicht ankommen soll. Eine Unternehmensplanung habe sich bei den dem Sachverständigen vorgelegten Unterlagen nicht befunden. Es sei Aufgabe des Beklagten gewesen, eine solche vorzulegen. Klägerseits sei das Fehlen einer Unternehmensplanung bereits gerügt worden. Ein Verstoß gegen § 407a Abs. 3 S. 1 ZPO liege nicht vor. Der Auftrag sei nicht im Sinne der Norm auf einen anderen übertragen worden. Der Sachverständige gelange bei der Bewertung der Frage der Überschuldung zu einem anderen Ergebnis als Herr N. Es sei nicht ungewöhnlich, wenn er zur Annahme abweichende Ergebnisse im Vergleich zu den Ergebnissen anderer Gutachter gelange. Daraus lasse sich nicht automatisch eine Widersprüchlichkeit ableiten. Es wäre zu beanstanden, wenn der Sachverständige eigenmächtig ihm vorgelegte Unterlagen unbeachtet lasse. Ein solches Verhalten würde die Besorgnis der Befangenheit begründen. Lücken und Unzulänglichkeiten rechtfertigten für sich allein nicht die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit, weil dessen Unparteilichkeit dadurch nicht infrage gestellt werde. Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit mögen das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit. Ergänzungsfragen könnten mittels Einholung eines ergänzenden schriftlichen Gutachtens oder mittels mündlicher Anhörung des Sachverständigen noch geklärt werden. Somit sei das Vorbringen von Fehlern im Gutachten nicht geeignet, einen Ablehnungsgrund glaubhaft zu machen.
Mit Schriftsatz vom 01.12.2020 (Bl. 651/652 d. A.) hat der Beklagte gegen den Beschluss des Landgerichts vom 13.11.2020 sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11.01.2021 (Bl. 660/684 d.A.) begründet.
Mit Beschluss vom 02.03.2021 (Bl. 711/720 d. A.) hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.
Mit Schriftsatz vom 25.03.2021 nahm der Beklagte weiter Stellung zu den dem Sachverständigen vorgelegten Unterlagen und deren Inhalt und beantragte vorsorglich Akteneinsicht.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 406 Abs. 5, § 567 ZPO statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig gestellt, weil es innerhalb der vom Landgericht gesetzten Frist zur Stellungnahme zum schriftlichen Gutachten des abgelehnten Sachverständigen eingegangen ist. Ergibt sich der Ablehnungsgrund erst aus dem Inhalt des Gutachtens, so ist er unverzüglich, d. h. innerhalb einer angemessenen Überlegungszeit ab Kenntniserlangung, geltend zu machen. Die der Partei zuzubilligende Überlegungszeit ist dabei in der Regel nicht kürzer als die vom Gericht nach § 411 Abs. 4 ZPO gestellte Stellungnahmefrist (vgl. BGH NJW 2005, 1869). Diese Frist wurde vorliegend eingehalten. Dies gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, dass die entscheidenden objektiven Ablehnungsgründe (Äußerungen gemäß Telefonvermerken der berichterstattenden Richterin) der Beklagten erst noch durch die von ihr beantragte Akteneinsicht bekannt werden würden.
2. Das Ablehnungsgesuch des Beklagten ist begründet. Aufgrund der Äußerungen des Sachverständigen, wie sie in der Akte dokumentiert sind, bestehen objektive Tatsachen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen.
a) Gemäß § 406 Abs. 1 Satz 2 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters nach § 42 Abs. 2 ZPO, welche zu dessen Ablehnung berechtigt, setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es kommt nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich „parteilich“ oder „befangen“ ist oder ob er sich selbst für befangen oder für unbefangen hält. Es muss ein objektiver Grund vorliegen, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Antragstellers scheiden als Ablehnungsgrund aus. Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit eines Richters zu zweifeln (BGH, Beschluss vom 14. März 2003 – IXa ZB 27/03 -, juris Rn. 6; BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Oktober 2011 – 2 BvR 1010/10 -, juris Rn. 17, mit weiteren Nachweisen). Bei den Vorschriften über die Besorgnis der Befangenheit geht es auch darum, bereits den „bösen Schein“ einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2018 – 2 BvR 651/16 -, juris Rn. 17; BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 2003 – 2 BvR 383/03 -, juris Rn. 25).
Wird das Ablehnungsgesuch auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen haben, ist zu beachten, dass Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit das Gutachten entwerten mögen, für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 15.03.2005, Az. VI ZB 74/04, BeckRS 2005, 4711). Insbesondere der Vorwurf einer fehlerhaften Gutachtenserstattung auf Grund mangelnder Sorgfalt begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft. Der mangelnden Sorgfalt eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise ausgesetzt. Das Prozessrecht gibt in den §§ 411, 412 ZPO dem Gericht und den Parteien ausreichende Mittel an die Hand, solche Mängel zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geeignet ist (BGH, a.a.O.).
Allerdings ist die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit dann gerechtfertigt, wenn der Sachverständige die Grenzen seines Gutachtenauftrags dadurch überschreitet, dass er eine allein dem Gericht vorbehaltene Beweiswürdigung vornimmt und seiner Beurteilung nicht vorgegebene Anknüpfungstatsachen zu Grunde legt (OLG Saarbrücken NJW-RR 2008, 1087). Die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen kann sich auch daraus ergeben, dass ihm bei Aufnahme und Auswertung des Sachverhaltes in für eine Partei auch bei objektiver Sicht der Dinge wichtigen Punkten Fehler unterlaufen, die in starkem Maße auf mangelnde Sorgfalt deuten (OLG Karlsruhe, DS 2010, 194). Ein Ablehnungsgesuch kann auch bei einer Häufung schwerwiegender sachlicher Mängel oder anderen schwerwiegenden Verstößen eines Sachverständigen gegen zwingende gesetzliche Vorschriften Erfolg haben (vgl. OLG München, Beschluss vom 31.03.2014 – 10 W 32/14, BeckRS 2014, 9996).
b) Hieran gemessen liegt ein objektiver Grund vor, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus die Befürchtung erwecken kann, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.
In der Akte hat die berichterstattende Richterin dokumentiert, der Sachverständige habe am 18.11.2019 telefonisch ihr gegenüber geäußert, bei einer bestimmten Vorgehensweise bestehe die „Gefahr weiterer Einwendungen“ durch den Beklagtenvertreter gegen die Stundungsvereinbarung, das Gericht solle „nicht mehr andauernd Einwendungen zulassen, sondern beenden“ (Bl. 516 d. A.).
Hinsichtlich eines weiteren Telefonats mit der berichterstattenden Richterin des Landgerichts – am 24.08.2020 (Bl. 529 d.A.) – hat diese dokumentiert, der Sachverständige habe ihr zwei verschiedene Feststellungen hinsichtlich des Begutachtungsergebnisses für das ansonsten bereits fertige Gutachten zur Auswahl angeboten, wovon das eine laute, dass Überschuldung „nicht ohne jeden Zweifel feststellbar“, aber „zum 11.0.2020 [gemeint sein dürfte der 11.08.2020, Anm. des Senats]… wahrscheinlich“ sei, die andere Variante dagegen, dass „zum 31.12.2019 [gemeint sein dürfte der 31.12.2009, Anm. des Senats] Überschuldung gegeben“ sei, auf den 11.08.2010 komme „es nicht mehr an“.
Legt man die Äußerungen so wie von der Richterin dokumentiert zugrunde, darf diese ein objektiver Betrachter so verstehen, dass der Sachverständige selbst das Ziel verfolgt, weitere Einwendungen des Beklagten – unabhängig von ihrer inhaltlichen Berechtigung – zu verhindern (Telefonat vom 18.11.2019) und dass er dem Gericht anbietet, sein Gutachten hinsichtlich der Ergebnisse nach den Vorgaben des Gerichts zu erstatten (Telefonat vom 24.08.2020). Beides begründet aus Sicht eines objektiven Betrachters die Besorgnis der Befangenheit.
Klarzustellen ist insoweit, dass es bei den angebotenen Ergebnisvarianten nicht um Fragen der Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen nach § 404a ZPO geht. Die darin festgelegte Weisungsbefugnis betrifft Art und Umfang der Tätigkeit des Sachverständigen (§ 404a Abs. 1 Satz 2 ZPO), das Gericht soll dabei erforderlichenfalls den Sachverständigen in seine Aufgabe einweisen und ihm auf Verlagen den Auftrag erläutern (§ 404a Abs. 2 ZPO). Sind Anknüpfungstatsachen streitig, so hat das Gericht zu bestimmen, welche Tatsachen der Sachverständige der Begutachtung zugrundelegen soll (§ 404a Abs. 3 ZPO). Das Gericht hat jedoch keine Weisungsbefugnis für den Inhalt des Gutachtens (Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 41. Aufl., § 404a Rn. 2 am Ende), erst recht nicht hinsichtlich des Ergebnisses. Die auf letzteres gerichtete Bitte eines Sachverständigen zu gerichtlichen Vorgaben kann bei den Prozessbeteiligten nachvollziehbarerweise die Befürchtung begründen, dass der Sachverständige nicht auf der Grundlage seiner Eigenverantwortlichkeit, gestützt auf objektive Tatsachen und allein orientiert an seiner Fachkunde die in seinem Gutachten wiedergegebenen Ergebnisse erzielt, sondern sich nach von außen an ihn herangetragenen Erwartungen an das Ergebnis der Begutachtung richtet.
Sind derartige Äußerungen eines Sachverständigen von dem Mitglied des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers in einem Vermerk in der geschehenen Weise aktenkundig gemacht, so kommt es für die Ablehnung des Sachverständigen nicht mehr darauf an, ob sie vom Sachverständigen wörtlich so geäußert wurden. Der Umstand, dass sie in aktenkundig dokumentierter Weise vom Gericht – also einem im Verhältnis zu den Parteien unbefangenen, mit rationaler Auffassungsgabe ausgestatteten und über den Gegenstand des Verfahrens orientierten Organ der Rechtspflege – so verstanden wurden, ist ausreichend, um objektive Tatsachen zu schaffen, welche den zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ausreichenden „bösen Schein“ der fehlenden Unparteilichkeit des Sachverständigen selbst dann begründen, wenn sie vom Sachverständigen anders gemeint gewesen sein sollten.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die Beschwerde Erfolg hat.


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