Handels- und Gesellschaftsrecht

Erlass einer eA, die Vollziehung einer Festsetzung von Zwangsmitteln im Zwangsvollstreckungsverfahren auf Herausgabe von Schriftstücken sowie auf Auskunftserteilung einstweilen auszusetzen – mögliche Verletzung von Art 2 Abs 1 GG durch Erzwingung der Auskunft eines bestimmten Inhalts durch Zwangsmittel statt einer wahrheitsgemäßen Auskunft durch eidesstattliche Versicherung

Aktenzeichen  2 BvR 535/10

Datum:
11.6.2010
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Einstweilige Anordnung
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100611.2bvr053510
Normen:
Art 2 Abs 1 GG
§ 32 Abs 1 BVerfGG
§ 17 UWG
§ 3 Abs 1 UWG
§ 4 Nr 11 UWG
§ 8 Abs 1 UWG
§ 883 ZPO
§ 888 ZPO
Spruchkörper:
2. Senat 1. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend OLG Düsseldorf, 1. Februar 2010, Az: I – 20 W 152/09, Beschlussvorgehend LG Krefeld, 16. Dezember 2009, Az: 12 O 13/04, Beschlussvorgehend LG Krefeld, 24. November 2009, Az: 12 O 13/04, Beschlussnachgehend BVerfG, 28. Oktober 2010, Az: 2 BvR 535/10, Stattgebender Kammerbeschluss

Tenor

Die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts Krefeld vom 24. November 2009 – 12 O 13/04 – in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 16. Dezember 2009 wird bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1. ausgesetzt, soweit darin gegen diesen ein Zwangsgeld in Höhe von 8.000 Euro und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Zwangshaft von einem Tag je 500 Euro festgesetzt ist.

Gründe

I.
1
1. Der Beschwerdeführer zu 1. war bis zum Jahr 2002 mitgeschäftsführender Gesellschafter der Klägerin des Ausgangsverfahrens.
Unmittelbar nach seinem Ausscheiden gründete er die Beschwerdeführerin zu 2., die ein konkurrierendes Unternehmen betreibt.
Mit der Begründung, dieses habe sich nur etablieren können, weil der Beschwerdeführer zu 1. sich vor seinem Ausscheiden in
unlauterer Weise die Kunden- und Firmendaten verschafft habe, wurden die Beschwerdeführer vor dem Landgericht Krefeld in Anspruch
genommen. Unter anderem solle der Beschwerdeführer zu 1. Auskunft darüber erteilen, welche Originale und Kopien der Kunden-
und Firmendaten er bisher nicht herausgegeben habe, erforderlichenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben
an Eides statt versichern und die mitgenommenen beziehungsweise kopierten Daten herausgeben.

2
Das Landgericht Krefeld wies die Klage mit Urteil vom 20. Juli 2004 – 12 O 13/04 – ab. Die Klägerin habe nicht nachweisen
können, dass sich der Beschwerdeführer zu 1. vor seinem Ausscheiden in wettbewerbswidriger Weise Firmenunterlagen angeeignet
habe. Auf die Berufung der Klägerin änderte das Oberlandesgericht Düsseldorf diese Entscheidung durch Teilurteil vom 24. Februar
2009 – I-20 U 121/04 – ab und verurteilte den Beschwerdeführer zu 1. unter anderem zur Auskunftserteilung wie beantragt. Aufgrund
der erst- und zweitinstanzlich erhobenen Beweise sowie weiterer Indizien stehe fest, dass dieser gegen § 17 UWG verstoßen
habe, indem er sich die Kunden- und Firmendaten unbefugt verschafft habe. Daraus ergebe sich in Verbindung mit § 8 Abs. 1,
§ 3 Abs. 1 und § 4 Nr. 11 UWG ein Anspruch auf Herausgabe aller Originale und Kopien der Kunden- und Firmendaten, zu dessen
Durchsetzung er nach § 242 BGB verpflichtet sei, Auskunft darüber zu erteilen, welche Originale und Kopien er bisher nicht
herausgegeben habe.

3
2. Mit Schriftsatz vom 1. September 2009 erklärte der Beschwerdeführer zu 1., er habe alle die Klägerin betreffenden Unterlagen
bei dem anlässlich seines Ausscheidens im Jahr 2002 durchgeführten Beurkundungstermin in Anwesenheit des Notars übergeben.
Weitere Originale und Kopien der Kunden- und Firmendaten habe er nicht. Mit Beschluss vom 24. November 2009 in der Fassung
des Änderungsbeschlusses vom 16. Dezember 2009 setzte das Landgericht Krefeld gleichwohl wegen Nichterteilung der Auskunft
gegen den Beschwerdeführer zu 1. ein Zwangsgeld in Höhe von 8.000 Euro fest. Der Einwand, er habe den Auskunftsanspruch erfüllt,
greife nicht durch. Das Oberlandesgericht habe rechtskräftig festgestellt, dass er sich die Daten noch vor seinem Ausscheiden
verschafft habe. Daran sei die Kammer im Zwangsvollstreckungsverfahren gebunden. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde
wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 1. Februar 2010 – I – 20 W 152/09 – zurück. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
trete die Erfüllungswirkung nicht ein, wenn die Erklärung nicht ernstgemeint, unvollständig oder von vornherein unglaubhaft
sei. Davon sei auszugehen, denn die erteilten Auskünfte seien offensichtlich unvollständig. Aufgrund des durchgeführten Erkenntnisverfahrens
stehe nämlich fest, dass der Beschwerdeführer zu 1. die Kunden- und Firmendaten bei seinem Ausscheiden mitgenommen habe. Seine
Erklärung, keine Unterlagen mitgenommen zu haben, sei damit unvollständig, denn sie gebe keine Auskunft über diejenigen Unterlagen,
die schon nach den Feststellungen im Erkenntnisverfahren mitgenommen worden seien.

4
3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer zu 1. gegen die Zwangsgeldfestsetzung. Im Hinblick auf
einen für den 16. Juni 2010 angekündigten Vollstreckungsversuch beantragt er außerdem den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Er bezeichnet insbesondere Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG als verletzt. Er habe stets erklärt, keine Kundendaten mitgenommen,
sondern diese aus dem Gedächtnis mithilfe von Telefonbüchern und des Internets rekonstruiert zu haben. Dazu sei er nach über
21-jähriger Zugehörigkeit zum Unternehmen, in der er für den gesamten Ein- und Verkauf der betreffenden Kundengruppen als
alleiniger Ansprechpartner verantwortlich gewesen sei, in der Lage gewesen. Das Oberlandesgericht habe diese Einlassung zu
Unrecht als nicht glaubhaft eingestuft. Die Indizien, auf die sich diese Einschätzung stütze, seien sämtlich nicht tragfähig.
Er könne deshalb nur nochmals wiederholen, über keine Originale oder Kopien der Kunden- und Firmendaten zu verfügen. Von ihm
werde daher Unmögliches verlangt, wenn einerseits eine Erklärung dieses Inhalts erzwungen werden solle, er sich andererseits
aber wahrheitsgemäß erklären solle. Landgericht und Oberlandesgericht könnten ihn nicht durch Festsetzung von Zwangsmitteln
“zu überzeugen versuchen”, sich so einzulassen, wie es aus Sicht des Oberlandesgerichts gewesen sein müsse. Mit einer “Kette
von Zwangsmitteln” werde “die falsche Sanktion” ergriffen.

II.
5
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

6
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund
zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts
vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein
als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 121, 1 ; stRspr). Das ist hier nicht der Fall. Mit der
Festsetzung des Zwangsgeldes und seiner Beitreibung soll vom Beschwerdeführer zu 1. eine Aussage bestimmten Inhalts erzwungen
werden, denn nach den Ausführungen von Landgericht und Oberlandesgericht würden diese nur eine solche Auskunft als Erfüllung
akzeptieren, in der der Beschwerdeführer zu 1. – den Feststellungen des Oberlandesgerichts entsprechend – erklärt, zumindest
ein Exemplar der Kundendatei zu besitzen. Es bedarf näherer Prüfung, ob dadurch seine Grundrechte, jedenfalls die durch Art.
2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit, unverhältnismäßig beeinträchtigt werden, weil ein Auskunftsverpflichteter
grundsätzlich nicht zu einer Auskunft bestimmten Inhalts, sondern zu einer wahrheitsgemäßen Auskunft verpflichtet ist, für
deren Erzwingung nach der gesetzlichen Systematik aber in erster Linie das Mittel der eidesstattlichen Versicherung zur Verfügung
steht.

7
2. Kann – wie hier – nicht festgestellt werden, dass die Verfassungsbeschwerde insgesamt von vornherein unzulässig oder offensichtlich
unbegründet ist, muss der Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens also als offen angesehen werden, sind die Folgen, die
eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegen
die Nachteile abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde
aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 121, 1 ; stRspr). Diese Abwägung ergibt im vorliegenden Fall, dass eine
einstweilige Anordnung geboten ist. Erginge sie nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, wäre
der Beschwerdeführer zu 1. im Hinblick auf den zu erwartenden oder zumindest möglichen Ablauf des weiteren Vollstreckungsverfahrens
in seinen verfassungsrechtlichen Rechten potentiell schwerwiegend betroffen. Demgegenüber wiegen die Nachteile für die Klägerin
des Ausgangsverfahrens, wenn sich die Verfassungsbeschwerde im Nachhinein als unbegründet erwiese, deutlich weniger schwer.
Ihr bleibt die Möglichkeit, die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu erzwingen und gegebenenfalls den bereits geltend
gemachten Schadensersatzanspruch weiter zu verfolgen. Überdies ist ein besonders dringliches Interesse, die Herausgabe etwaiger
Kunden- und Firmendaten zu erzwingen, angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer zu 1. bereits im Jahr 2002 ausgeschieden
ist, nicht ersichtlich.

8
3.Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.

9
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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