Handels- und Gesellschaftsrecht

Fehlender Voraussetzungen für die klageerweiternde Anschlussberufung

Aktenzeichen  25 U 4144/18

Datum:
2.10.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 24473
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 524 Abs. 4, § 533

 

Leitsatz

1. Die Kosten einer Anschlussberufung sind nach Rücknahme der Berufung ausnahmsweise dann nicht dem Berufungskläger aufzuerlegen, wenn die Anschlussberufung von vornherein unzulässig war.
2. Eine klageerweiternde Anschlussberufung ist nach § 533 Nr. 2 ZPO unzulässig, wenn der geltend gemachte neue Anspruch nicht auf Tatsachen gestützt wird, die das Berufungsgericht bei der Verhandlung über die im Berufungsverfahren streitigen Ansprüche zugrunde zu legen hatte, sondern auf gegenüber dem ursprünglich geltend gemachten Anspruch völlig neue Sachverhalte gestützt wird.
3. Die Zulässigkeit einer klageerweiternden Anschlussberufung richtet sich nach den Grundsätzen der zweistufigen Prüfung nach §§ 533 Nr. 1 und Nr. 2, 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Anschlussberufung ist nicht auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat (s. § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO), wenn es sich bei den vorgetragenen Tatsachen nicht um Angriffs- und Verteidigungsmittel handelt, die geeignet gewesen wäre, den in erster Instanz geltend gemachten Anspruch (hier: den Anspruch auf Versicherungsschutz für die erste Instanz) zu stützen, sondern um einen neuen Lebenssachverhalt, der allein dazu dient, einen neuen Antrag (hier: Versicherungsschutz für die zweite Instanz) zu rechtfertigen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

25 U 4144/18 2019-07-15 Hinweisbeschluss OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

1. Die Beklagte ist des eingelegten Rechtsmittels der Berufung verlustig.
2. Durch die Rücknahme der Berufung ist die Anschlussberufung gegenstandslos, § 524 Abs. 4 ZPO.
3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger 56%, die Beklagte trägt 44%.
4. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 43.247,55 (Berufung: € 19.000,00, Anschlussberufung: € 24.247,55) festgesetzt.

Gründe

Die Entscheidung beruht auf § 516 Abs. 3 ZPO. Die Berufung ist zurückgenommen worden.
Die Kosten des Berufungsverfahrens waren ausnahmsweise zu quoteln, weil die Kosten der Anschlussberufung aufgrund ihrer Unzulässigkeit nicht der Beklagten und Berufungsklägerin auferlegt werden konnten. Insoweit wird auf den Hinweis-Beschluss vom 15.07.2019 (Bl. 128/130 d.A.) Bezug genommen. Wenn das Anschlussrechtsmittel von vornherein unzulässig war, fehlt es an der aus § 524 Abs. 4 ZPO folgenden Abhängigkeit von der im Belieben des Gegners stehenden Rücknahme des Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 07.02.2007, XII ZB 175/06).
Entgegen der Auffassung der Kläger im Schriftsatz vom 23.07.2019 (Bl. 131/134 d.A.) war die Anschlussberufung unzulässig.
Die Kläger haben mit der Anschlussberufung im Wege der nachträglichen objektiven Klagenhäufung einen gegenüber dem Ausgangsverfahren selbständigen neuen Anspruch geltend gemacht. Zwar liegt der Beurteilung des Anspruchs auf Versicherungsschutz im Berufungsverfahren derselbe Ausgangssachverhalt zugrunde. Es treten jedoch völlig neue zu berücksichtigende Tatsachen hinzu und die Prüfung erfolgt unter einem anderen Blickwinkel. So liegt nunmehr das erstinstanzliche Urteil sowie der weitere Stichentscheid vom 02.01.2019 vor. Darüber hinaus ist für die Beurteilung des Anspruchs nunmehr nicht mehr nur – wie in erster Instanz – maßgeblich, ob hinreichende Erfolgsaussichten für die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs bestehen, sondern, ob das Urteil der ersten Instanz erfolgreich angegriffen werden kann. Dementsprechend ist der Versicherungsschutz jeweils instanzbezogen zu prüfen und gegebenfalls auch instanzbezogen zu gewähren. Der Anspruch auf Versicherungsschutz für die erste Instanz und der Anspruch auf Versicherungsschutz für die zweite Instanz sind zwei verschiedene Streitgegenstände.
Die Zulässigkeit der klageerweiternde Anschlussberufung richtet sich nach den Grundsätzen der zweistufigen Prüfung nach §§ 533 Nr. 1 und Nr. 2, 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO.
Vorliegend dürfte die Klageänderung zwar als sachdienlich im Sinne des § 533 Nr. 1 Alt. 2 ZPO einzustufen sein, da insoweit vorrangig der Gedanke der Prozesswirtschaftlichkeit maßgeblich ist. Letztlich kann dies aber offen bleiben, da jedenfalls Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Nach § 533 Nr. 2 ZPO kann der neu geltend gemacht Anspruch nur auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte (§ 533 Nr. 2 ZPO). Tatsachenstoff, der der Begründung des neuen ändernden Antrags dient, muss nach § 529 ZPO in den Prozess eingeführt werden dürfen, ansonsten bleiben die Klageänderung unzulässig (Zöller/Heßler, ZPO, 31. Auflage, § 533 Rz. 1). Zwar hat das Berufungsgericht nach §§ 529 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen auch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zu berücksichtigen. Nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassende neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind jedoch nur solche, die zur Rechtfertigung oder Abwehr des in der ersten Instanz streitigen Anspruchs dienen. Sinn und Zweck der in § 533 Nr. 2 ZPO normierten Verweisung auf die Regelungen der §§ 529, 531 ZPO ist es gerade, den Tatsachenstoff auf den für die Beurteilung der Berufung, also die Überprüfung der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, maßgeblichen Umfang zu begrenzen. Dabei sind zwar auch Noven zuzulassen, jedoch nur, sofern sie für die Beurteilung des erstinstanzlich geltend gemachten Anspruchs maßgeblich sein können; nach dem Wortlaut des § 533 Nr. 2 ZPO muss es sich um Tatsachen handeln, die das Berufungsgericht bei der Verhandlung und Entscheidung über die Berufung zugrunde zu legen hatte. Dies sind jedoch nur solche Tatsachen, die jedenfalls grundsätzlich geeignet sind, die Entscheidung über den im Berufungsverfahren streitigen Anspruch zu stützen oder zu entkräften. Die Prüfung, ob Tatsachen neu im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sind, kann nur anhand des erstinstanzlichen Urteils vorgenommen werden; daraus folgt, dass die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sich auf den ursprünglich geltend gemachten Anspruch beziehen müssen und daher nicht Sachverhalte umfassen, die einen im Wege der Klageerweiterung neu geltend gemachten Anspruch stützen (Wöstmann in Saenger, ZPO, 8. Auflage 2019, § 533 Rz. 12; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2008, I-2 U 65/07 Rz. 132 – juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.07.2013, 23 U 66/12 – juris). Bei den hier vorgetragenen neuen Tatsachen – klageabweisendes Urteil des Landgerichts Hamburg, Antrag auf und Versagung von Rechtsschutz für die zweite Instanz, Berufungseinlegung, Stichentscheid vom 02.01.2019 – handelt es sich jedoch gerade nicht um Angriffs- und Verteidigungsmittel, die geeignet gewesen wären, den in erster Instanz geltend gemachten Anspruch zu stützen, sondern um einen neuen Lebenssachverhalt, der allein dazu dient, den neuen Antrag – Versicherungsschutz für die zweite Instanz – zu rechtfertigen. Die Anschlussberufung stützt sich demnach auf einen Vortrag, der nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigten ist und ist damit nach § 533 ZPO nicht zulässig.
Verfügung
1.    Beschluss vom 02.10.2019 hinausgeben an:     
Prozessbevollmächtigter des Berufungsbeklagten zu 1, 2 …
mit Anlagen: Berufungsrücknahme    zustellen       
Prozessbevollmächtigte der Berufungsklägerin …    zustellen 
2.    Schlussbehandlung

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel