Handels- und Gesellschaftsrecht

Insolvenzschuldner, Insolvenzverwalter, Rechtliches Interesse, Akteneinsichtsrecht, Akteneinsichtsgesuch, Auskunftsanspruch, Insolvenzgläubiger, Verjährung von Ansprüchen, Rechtsmißbrauch, Ehemaliger Geschäftsführer, Geschäftsunterlagen, Baugeldempfängerin, Baugeldeigenschaft, Buchführungsunterlagen, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Insolvenzeröffnung, Unerlaubte Handlung, Streitwert, Insolvenzakte, Einsichtsrecht

Aktenzeichen  11 O 17663/20

Datum:
25.3.2021
Fundstelle:
ZIP – 2021, 915
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 
4. Der Streitwert wird auf 22.516,00 € festgesetzt.

Gründe

A.
Zulässigkeit der Klage
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist das Landgericht München I für die Klage sachlich (namentlich mit Blick auf den Streitwert) zuständig.
Richtig ist zwar, dass ein unmittelbar auf § 299 Abs. 2 ZPO gegründeter Akteneinsicht- oder Auskunftsanspruch ans Insolvenzgericht zu richten wäre.
Richtet die Klägerin aber, wie hier, ihr Begehren gegen den Insolvenzverwalter direkt, so bezweckt sie keine unmittelbare Anwendung von § 299 Abs. 2 ZPO, sondern will ihn über § 4 InsO, somit „gesetzes-analog“ angewandt sehen. Die später angezogenen Anspruchsgrundlagen begründen gleichfalls keine andere Zuständigkeit als die allgemeine des Landgerichts als Streitgericht. Für die Klage gegen den Insolvenzverwalter unmittelbar ist das Landgericht daher zuständig. Ob der Anspruch besteht, wäre hingegen eine Frage der Begründetheit.
B.
Begründetheit der Klage
Die Klage ist jedoch in Haupt- und Hilfsantrag unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Akteneinsichts- und auch keinen Auskunftsanspruch.
Da unmittelbare vertragliche Beziehungen oder sonstige Sonderverbindungen zwischen den Parteien nicht bestehen, konnte sich dieser Anspruch allenfalls aus gesetzlichen Vorschriften ergeben.
I.
Er ergibt sich nicht aus §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO.
Offenbleiben kann, inwieweit § 299 Abs. 2 ZPO in der Weise anzuwenden wäre, dass er sich unmittelbar gegen den Insolvenzverwalter und nicht gegen ein Gericht richten würde.
Denn der Klageanspruch bestünde selbst dann nicht, wenn man sich den Fall so dächte, als wäre der Beklagte selbst Vorstand des Gerichts und als wären die hier interessierenden Unterlagen Teil einer ganz normalen Gerichtsakte (zum Beispiel als dessen Anlagen oder als beigezogene Verfahren): Dann wäre der „schiere“ § 299 Abs. 2 ZPO (direkt) anzuwenden, und das Ergebnis würde lauten müssen, dass dem Kläger Akteneinsicht und Auskünfte zu versagen wären.
1. Nach § 299 Abs. 2 ZPO bekommt Akteneinsicht oder Auskünfte derjenige, der ein rechtliches Interesse hieran glaubhaft machen kann.
Diese Voraussetzung ist lediglich dann entschärft, wenn ein Einverständnis der Parteien vorliegt. Parteien wären hier die Parteien der jeweiligen Bauverträge, in deren Zuge die Klägerin vermutet, dass Baugeld überlassen worden sei. Für ein solches Einverständnis ist nichts vorgetragen und auch nichts sonst ersichtlich. Soweit man statt der Bauvertragsparteien oder zusätzlich auf ein Einverständnis der drei Geschäftsführer abstellen wollte, so könnte an diesem Punkt nichts anderes gelten.
2. Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein rechtliches Interesse zu trennen von einem bloß wirtschaftlichen Interesse, mag letzteres auch noch so lebhaft sein. Kein rechtliches Interesse ist die bloße Suche nach Auskünften, Informationen oder Beweismitteln bzw. Indizien, die der Gesuchssteller zur Verbesserung seiner Lage in einem anderen Verfahren erstrebt oder die ihn erst in den Stand versetzen sollen, ein solches Verfahren mit nennenswerter Erfolgsaussicht zu führen.
3. Ein rechtliches Interesse besteht nur dann, wenn persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt berührt werden und der Bezug zum Streitstoff hinreichend deutlich ist (vgl. BGH MDR 2006, 947; OLG München, Beschluss vom 21.1.2010, Az. 9 VA 14/09). Nicht ausreichend ist ein Interesse des Dritten, durch die Akteneinsicht Tatsachen zu erfahren, damit er sich leichter tut, Ansprüche geltend zu machen oder abzuwehren, die in keinem rechtlichen Bezug zum Prozessgegenstand stehen (vgl. KG NJW 1988, 1738; Zöller-Greger, ZPO, 29. Aufl., Rdn. 6 a zu § 299; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., Rdn. 25 zu § 299 „Ausforschung“). Denn dabei geht es nur um ein wirtschaftliches Interesse, das für § 299 ZPO nicht ausreicht.
4. Die Klägerin hat, hieran gemessen, zwar ein wirtschaftliches Interesse geltend gemacht, nämlich sich für einen intendierten oder bereits laufenden BauFordSiG-Prozess gegen zwei der drei Ex-Geschäftsführer mit Informationen ausrüsten zu wollen. Das kann in dieser Form aber nicht als rechtliches Interesse im Sinne von § 299 ZPO gewertet werden.
5. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht etwa deshalb, weil die Klägerin bereit wäre, die Einsicht schonend abzuwickeln (Schriftsatz vom 3.3.2021 Seite 3 = Blatt 28/29). Das schafft kein rechtliches Interesse.
II.
Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 242 BGB.
Das gilt auch dann, wenn man darüber hinwegsieht, dass es zwischen den hiesigen Parteien nicht um die Erfüllung eines Vertrags ergeht und eine Sonderverbindung, wie gezeigt, zwischen ihnen nicht besteht. Denn selbst wenn man § 242 BGB als ein allgemeines Einfallstor für Billigkeitserwägungen unter Rechtsgenossen ansieht, ergibt sich daraus hier kein Akteneinsicht- oder Auskunftsanspruch der Klägerin:
1. Das „Kommentarliteratur-Argument“ verfängt nicht, weil die zitierte Kommentarstelle bereits selbst nicht postuliert, es bestehe ein Recht des potentiellen BauFordSiG-Gläubigers auf Einsicht in die Unterlagen des Insolvenzverwalters. Erst recht würde die Kommentarstelle für eine solche Auffassung keinerlei Begründung liefern. Als Begründung reicht ein tatsächliches (wirtschaftliches) Bedürfnis der Klägerin auch hier nicht aus, denn Bedürfnisse sind unter Rechtsgenossen derart häufig, dass es nicht gangbar ist, bereits aus einem Bedürfnis eines Rechtssubjekts einen Anspruch gegen ein anderes Rechtssubjekt folgern zu wollen.
2. Das „Kölner Anspruchsgrund-Argument“ überzeugt gleichfalls nicht.
Die Entscheidung des OLG Köln (B1) stützt den Klageanspruch rechtlich nicht. Der Senat sagt vielmehr an der klägerseits zitierten Stelle, dass ein Auskunftsanspruch gegen den Insolvenzverwalter bestehen könne, wenn der Auskunftsgesuchs-Steller einen deliktischen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter selbst habe. Das ist auf den vorliegenden Fall bereits nicht übertragbar.
Davon unabhängig aber hat der Senat für die von ihm skizzierte Ausnahme-Konstellation gefordert, dass ein deliktischer Anspruch dem Grunde nach bereits gesichert bestehen müsse. Davon kann vorliegend keine Rede sein, weil das die Klägerin so selbst nicht behauptet. Im Gegenteil führt sie aus, dass sie zwar die Zweckentfremdung von Baugeld vermutet, dazu aber kein Wissen hat. Dass sie gegen die drei Ex-Geschäftsführer oder auch nur einen von ihnen dem Grunde nach einen Anspruch habe, kann die Klägerin nicht behaupten und will sie auch nicht behaupten, sondern begehrt klagegegenständlich Einsicht und Auskunft gerade mit dem Ziel, einen möglichen Anspruchsgrund hernach darlegen zu können.
III.
Der Einspruch besteht auch nicht aus § 810 BGB.
1. § 810 Fall 1 BGB greift nicht ein:
Hiernach könnte die Klägerin dann Urkunden des Beklagten aus dem hier interessierenden Insolvenzverfahren einsehen, wenn diese Urkunden „im Interesse“ der Klägerin „errichtet“ worden wären.
Hierhin gehört das Argument der Klägerin, dass das BauFordSiG in seiner zeitlich anwendbaren Fassung, anders als früher, kein Baubuch mehr vorschreibt, also keine qualifizierte Buchführung.
Das ist allerdings kein Argument für die Klageforderung, sondern dagegen: Mangels Baubuchs ist vollends unklar, was für Unterlagen es geben soll, aus denen sich einerseits Zahlungsflüsse aussagekräftig ergeben und die andererseits eine im Interesse der Klägerin errichtete Urkunde darstellen würden. Ist das Baubuch entfallen, so eröffnet das nicht gleichsam automatisch ein Einsichtsrecht in „sonstige Buchhaltungsunterlagen des Baugeldempfängers“ (Blatt 28). Denn der Entfall des Baubuches führt nicht dazu, dass diese sonstigen Buchführungsunterlagen im Interesse der Baugeldgläubiger errichtet würden. Allgemeine Buchführungsunterlagen dienen dazu, dass der Buchführende selbst für sich einen Überblick gewinnt oder/und behält. Allgemeine Buchführungsunterlagen werden nicht mit der Zielrichtung erstellt, Gläubigern der Gesellschaft Informationen über unerlaubte Handlungen ihrer Geschäftsführer dermaleinst leichter zugänglich zu machen.
2. Auch § 810 Fall 2 BGB greift nicht ein.
In dieser Alternative würde die Vorschrift voraussetzen, dass die Urkunden ein Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und einem anderen beurkunden.
Hierhin gehört das Argument der Klägerin (Blatt 28), dass die Verwendungspflicht in Bezug auf empfangene Baugelder ein Rechtsverhältnis zwischen dem Baugeldgläubiger und dem Baugeldempfänger begründe. Die Klägerin meint, deshalb müsse ein Recht auf Einsicht in alle Urkunden bestehen, welche den Empfang von Baugeldern und die Eigenschaft der empfangenen Gelder als Baugeld beurkunden (Blatt 28, K5).
Dem ist nicht zu folgen.
Richtig ist, dass die Verwendungspflicht als Rechtsverhältnis gesehen werden kann. Aber:
Allgemeine Buchungsunterlagen, Bauverträge, Darlehensverträge, Überweisungsbelege, Kontoauszüge usw. (K5) beurkunden nicht dieses Rechtsverhältnis. Denn sie beurkunden regelmäßig bereits nicht die Eigenschaft von Baugeld und somit bereits nicht den Kern dessen, was ein Rechtsverhältnis zwischen dem Baugeldempfänger und einem Baugeldgläubiger (etwa der Klägerin) begründen würde.
Die in den Unterlagen abgebildeten Transaktionen mögen rechtlich zwar eine Baugeldeigenschaft begründen, wenn man sie in einen Zusammenhang stellt und auswertet. Erst hierdurch würde ggf. die Eigenschaft von Baugeld herausgearbeitet. Beurkundet wird sie in den einzelnen Urkunden als Tatsache oder Rechtsbehauptung hingegen nicht. Die Kammer hat, soweit ihre Erinnerung zurückreicht, noch in keinem Bauvertrag, Darlehensvertrag, Überweisungsbeleg oder gar Kontoauszug festgehalten gefunden, dass es sich hier um „Baugeld“ im Sinne des BauFordSiG handle – weder ausdrücklich noch sinngemäß.
IV.
Nicht mehr angekommen ist es auf sonstige Fragen, etwa betreffend etwaige Verjährung von Ansprüchen gegen die drei Ex-Geschäftsführer (Blatt 29).
C.
Entscheidungen von Amts wegen
I.
Zu den Kosten ergibt sich der Ausspruch aus § 91 Abs. 1 ZPO.
II.
Zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt der Ausspruch aus § 709 Satz 2 ZPO.
III.
Der Streitwert war endgültig zu taxieren (§ 63 Abs. 2 GKG), und zwar durch Beschluss, der aber räumlich in den Urteilstenor mit aufgenommen werden konnte.
Der Interessensangabe der Klagepartei konnte gefolgt werden. Nicht begründet war die These des Beklagten, der Streitwert betrage die vollen 225.162,45 € (Blatt 17), mit denen die Klägerin voraussichtlich ausfallen wird. Vielmehr ist die klägerseits angesetzte Quote plausibel, weil die Klägerin sich ja gerade kein sicheres Wissen vom Bestehen der Forderung zutraut und die mit der Klage erstrebte Akteneinsicht/Auskunft ein bloßes Hilfsmittel sein soll (§ 3 ZPO).


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