Insolvenzrecht

1500 IN 1568/21

Aktenzeichen  1500 IN 1568/21

Datum:
1.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RPfleger – 2022, 96
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Gem. Verkündung im Termin vom 01.12.2021 wird die Entscheidung über den Antragsgegenstand „Wahl eines neuen Sachwalters“ gem. § 57 InsO i.V.m. § 274 Abs. 1 InsO sowie der Prüfungstermin § 176 InsO vertagt, § 4 InsO i.V.m. § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Gläubigerversammlung wird diesbzgl. verlegt auf
Donnerstag, 16.12.2021, 10:00 Uhr im Sitzungssaal 202 des Amtsgerichts München

Gründe

Die Vertagung hinsichtlich der Wahl eines neuen Sachwalters sowie des Prüfungstermins, welche ursprünglich zum 01.12.2021 terminiert wurden, war gem. § 227 Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 4 InsO geboten. Zudem wurde ein ausdrücklicher Antrag hierzu von der Schuldnerseite sowie durch den Sachwalter gestellt.
Dieser lässt grundsätzlich für die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles dem gebundenen Ermessen einen beachtlichen Spielraum, MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 227 Rn. 6. Gerade Umstände, die zu einer Gewährleistung des rechtlichen Gehörs führen, sind erhebliche Gründe im Sinne der Vorschrift. Darüber hinaus ist die Angemessenheit der Vertagung einzelfallabhängig und muss unter den besonderen Gesichtspunkten der Insolvenzordnung und den dortigen Regelungen zur Gläubigerversammlung gem. § 74 ff. InsO begutachtet werden.
Grds. wird die Gläubigerversammlung, die mit Eröffnungsbeschluss vom 01.10.2021 inkl. der Tagesordnung veröffentlicht wurde, nur hinsichtlich der Punkte „Wahl eines neuen Sachwalters“ gem. § 57 InsO i.V.m. § 274 Abs. 1 InsO sowie des Prüfungstermins § 176 InsO vertagt. Im Übrigen konnte die Tagesordnung im Termin vom 01.12.2021 abgehandelt werden, was aus dem entsprechenden Protokoll hervorgeht.
I. Zur Wahl eines neuen Sachwalters
Ein entsprechender Antrag wurde vom Gläubigervertreter, Herrn …, im Termin gestellt. Der Antrag war zulässig.
Vorgeschlagen wurde Herr Rechtsanwalt … als neuer Sachwalter, welcher im Termin anwesend war und sich zur Übernahme des Amtes von Herrn Rechtsanwalt … bereit erklärte.
Nach Unterbrechung des Termins wurde von der Sachwalterseite sowie der Schuldnerseite die Vertagung beantragt, da eine Stellungnahme in so kurzer Zeit nicht abgegeben werden kann. Zudem wurde von der Schuldnerseite aus die persönliche Unabhängigkeit des vorgeschlagenen Sachwalters angezweifelt.
Gem. § 57 S. 3 InsO kann das Gericht die Bestellung des Sachwalters versagen, wenn die Geeignetheit der vorgeschlagenen Person nicht vorliegt. Mit dem Begriff der Eignung verweist der Gesetzgeber auf die in § 56 InsO normierten Voraussetzungen (fachliche) Eignung im Einzelfall, Unabhängigkeit, Geschäftskunde, natürliche Person, vgl. Hess, Kölner Kommentar zur InsO, Bd. 2, 1. Auflage 2017, § 57 InsO, Rn. 19. Das Gericht kann somit die Ernennung des gewählten Sachwalters dann versagen, wenn etwa wenn die Besorgnis besteht, dass der Gewählte die erforderliche Objektivität bei der Amtsführung vermissen lässt. Die Objektivität wurde zumindest von der Schuldnerseite infrage gestellt.
Den Gläubigern sowie dem bisherigen Sachwalter ist Gelegenheit zu geben, zum Neuwahlantrag Stellung zu nehmen. Dies ergibt sich bereits aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Es empfiehlt sich grundsätzlich, das Insolvenzgericht vor der Gläubigerversammlung davon zu unterrichten, dass eine Wahl eines bestimmten Verwalters nach § 57 InsO beabsichtigt ist, damit entsprechende organisatorische Maßnahmen getroffen werden können und bereits vorab beurteilt werden kann, ob eine Bestellung als Sachwalter möglich ist oder offensichtlich ein Versagungsgrund nach § 57 S. 3 InsO (s.o.) vorliegt, MüKolnsO/Graeber, 4. Aufl. 2019, InsO § 57 Rn. 14, auch Braun/Blümle, 8. Aufl. 2020, InsO § 57 Rn. 18. Von dem beabsichtigten Antrag wurden weder andere Gläubiger, noch das Gericht oder die weiteren Beteiligten unterrichtet.
Für das Gericht war die Vertagung daher notwendig. Nicht zuletzt, um dem bestellten Sachwalter die Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme und der Schuldnerseite die Begründung der Nichteignung i.S. § 57 S. 3 i.V.m. § 56 InsO einzuräumen. Die Unparteilichkeit wurde mündlich bereits im Termin gerügt.
Das Insolvenzgericht hat insbesondere darauf zu achten, dass der Gewählte eine hinreichende Gewähr für eine unparteiische Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der Gläubiger und des Schuldners bietet, MüKolnsO/Graeber, 4. Aufl. 2019, InsO § 57 Rn. 29. Auch dann, wenn eine mangelnde Unparteilichkeit zwar nicht offensichtlich ist, kann auch in dem Fall, dass die Wahl des neuen Sachwalters durch einen Großgläubiger unter Ausnutzung der Stellung als Hauptgläubiger durchgesetzt wird, einen Zweifel an der Unabhängigkeit des Gewählten entstehen lassen, vgl. OLG Karlsruhe ZIP 1997, 1970. Für das Gericht bleiben daher zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung unwägbare Fragen bzgl. der Unparteilichkeit des vorgeschlagenen Kandidaten offen.
Der Vertagung wurde vom Antragsteller nach § 57 InsO, Herrn …, entgegengetreten mit der Begründung, diese verfolge ausschließlich den Zweck der geänderten Stimmrechtsverteilung zu Gunsten des bestellten Sachwalters. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass so auch den übrigen Gläubigern die Chance und Gelegenheit geben, sich an einer Willensbildung in der Gläubigerversammlung zu beteiligen, Braun/Blümle, 8. Aufl. 2020, InsO § 57 Rn. 19. Die fehlende Kommunikation des Antragstellers bewirkte in diesem Fall eine quasi erzwungene Entscheidung der Gläubigerversammlung mangels ausreichender Beteiligtenöffentlichkeit und entsprechender Vorbereitung.
Die Bestellung eines neuen Sachwalters wäre unanfechtbar, daher muss auch das Gericht einen vorsichtigen Maßstab bei der Beschlussfassung anlegen. Zumindest dann, wenn Fragen hinsichtlich der Geeignetheit offen bleiben und das rechtliche Gehör nicht ausreichend gewährt wurde.
Für die Gläubiger entsteht dadurch kein Nachteil, schließlich wäre ein erneuter Wahlgang dann unter einer evtl. höheren Willensbildung der Gläubiger möglich. In sachgerechter Deutung des Sinnes des § 57 S. 1 InsO wird es auch möglich sein, in einer späteren Gläubigerversammlung erneut einen Insolvenzverwalter zu wählen, wenn der ursprünglich Gewählte auf Grund von § 57 S. 3 nicht bestellt und evtl. auf eine sofortige Beschwerde nach § 57 S. 4 InsO hin die Versagungsentscheidung bestätigt wurde, MüKolnsO/Graeber, 4. Aufl. 2019, InsO § 57 Rn. 18.
Die gebotene sachliche Rechtfertigung ist nur bei mehrfachen Terminsvertagungen der ersten Gläubigerversammlung durch Hinauszögern der Stimmrechtsfestsetzungen nicht mehr gegeben, weil sich diese Verfahrensweise vom Sinn und Zweck der ersten Gläubigerversammlung weit entfernt (LG Göttingen ZInsO 1999, 300), Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, 15. Aufl. 2019, InsO § 57 Rn. 17. Hinsichtlich der Stimmrechte gab es diesbzgl. jedoch keine offenen Anträge.
Die Vertagung ist daher begründet.
II. Zum Prüfungstermin
Die Vertagung des Prüfungstermins (§ 176 InsO) war aufgrund der gegen den Sitzungsleiter eingelegten Befangenheitsantrag ebenfalls gerechtfertigt, da dieser Termin nicht unaufschiebbar ist. Die Prüfung der Forderungen inkl. Feststellungen wird daher ebenfalls auf den 16.12.2021 vertagt.
III. Rechtsbehelf
Herr … legte noch im entsprechenden Termin nach der Verkündung der Vertagung Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG gegen die Vertagung an, vgl. Protokoll vom 01.12.2021. Die Entscheidung über die Abhilfe wird nach Erledigung der gleichzeitig eingelegten Befangenheit getroffen.


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