Insolvenzrecht

6 K 1996/21

Aktenzeichen  6 K 1996/21

Datum:
28.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Finanzgericht Rheinland-Pfalz 6. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:FGRLP:2022:0428.6K1996.21.00
Spruchkörper:
undefined

Tenor

I. Der Bescheid für 2018 über Umsatzsteuer vom 15.04.2021 und der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Februar 2019 vom 04.08.2020, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2021, werden aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
III. Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

Der Kläger wendet sich, mit der elektronisch am 18.11.2021 dem Gericht übermittelten Klage, als Insolvenzverwalter einer Aktiengesellschaft (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin) gegen die Umsatzsteuerfestsetzung des Streitjahres 2018 sowie gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldung für Februar 2019. Die Parteien streiten über die rechtliche Einordnung der während des Insolvenzantragsverfahrens und vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden Umsatzsteuerverbindlichkeiten als einfache Insolvenzforderungen oder – wie der Beklagte meint – als Masseverbindlichkeiten. Die Höhe der streitgegenständlichen Umsatzsteuerverbindlichkeiten ist zwischen den Parteien unstreitig.
Die Insolvenzschuldnerin ging aus einer GmbH hervor, die auf Grundlage eines notariellen Vertrags vom 28.08.2008 im Wege des Formwechsels in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Die Insolvenzschuldnerin hat ihren Sitz in …….. . Gegenstand des Unternehmens ist die Herstellung und der Vertrieb von ….. . Ihre Umsätze versteuerte die Insolvenzschuldnerin nach vereinbarten Entgelten (Soll-Versteuerung).
Am 21.12.2018 stellte die Insolvenzschuldnerin beim Amtsgericht …….. als Insolvenzgericht (nachfolgend: Insolvenzgericht) einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Mit Beschluss vom 21.12.2018 (Aktenzeichen ….. ) ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung nach §§ 270ff. InsO für die Insolvenzschuldnerin an. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verblieb bei der Insolvenzschuldnerin. Zum vorläufigen Sachwalter wurde der Kläger bestellt. Der Insolvenzschuldnerin wurde mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28.12.2018 bis zum 28.02.2019 gestattet, mit Zustimmung des Klägers als vorläufiger Sachwalter, Verbindlichkeiten zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs als Masseverbindlichkeiten zu begründen.
– Verbindlichkeiten auf Lieferung und Leistung von Warenlieferanten für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Handelsware,
– Verbindlichkeiten aus bezogenen Dienstleistungen aus dem Bereich Personalüberlassung und Leiharbeit,
– Verbindlichkeiten aus bezogenen Dienstleistungen aus dem Bereich betriebswirtschaftliche und rechtliche Beratung,
– Verbindlichkeiten aus bezogenen Dienstleistungen aus dem Bereich IT, Marketing und Strategieberatung,
– Verbindlichkeiten aus bezogenen Dienstleistungen aus dem Bereich Logistik, Fracht- und Lagerhaltungswesen,
– Verbindlichkeiten aus Energie- und Versorgungsleistungen,
– Verbindlichkeiten aus der Beauftragung von Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen,
– Verbindlichkeiten aus Versicherungsverhältnissen (insbesondere für den vorläufigen Gläubigerausschuss und den Sachwalter),
– Verbindlichkeiten aus Kommunikationsdienstleistungen,
– Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Hereinnahme von Kundenvorschüssen,
– Vereinbarung mit Kunden und der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes,
– Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Weiterverwendung von Kontoguthaben und vereinnahmten sicherungszedierten Forderungen („unechte“ Massedarlehen) sowie Begründung neuer Darlehensverhältnisse.
Das Insolvenzgericht bestellte mit Beschluss vom 14.02.2019 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und erlegte der Insolvenzschuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auf. Am 01.03.2019 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Monat Februar 2019 ging beim Beklagten am 12.04.2019 ein. Die Umsatzsteuer für den Zeitraum vom 14.02.2019 – dem Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen starken Insolvenzverwalters – bis zum 28.02.2019 wurde als Masseverbindlichkeit erklärt.
Nach einer vom Beklagten in den Jahren 2019 und 2020 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung für den Zeitraum Dezember 2018 bis Februar 2019 ermittelte der Beklagte für den Zeitraum vom 28.12.2018 bis zur Insolvenzeröffnung am 01.03.2019 eine Zahllast. Die sich insofern ergebende Umsatzsteuerverbindlichkeit wurde nach § 55 Abs. 2 InsO als Masseverbindlichkeiten eingeordnet.
Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer für den Zeitraum vom 28.12.2018 bis zum 28.02.2019 als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger fest. Zunächst erließ der Beklagte einen Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Dezember 2018 am 04.08.2020. Die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Februar 2019 vom 04.08.2020 wurde nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Aus Vereinfachungsgründen erfasste der Beklagte den gesamten, während der Eigenverwaltung angefallenen Umsatzsteuerbetrag im Monat Februar 2019.
In den angefochtenen Bescheiden setzte der Beklagte Umsatzsteuer in Höhe von 27.148,15 Euro für den Monat Dezember 2018 und in Höhe von 1.344.199,32 Euro für den Monat Februar 2019 fest. Der Kläger leistete für den Februar einen Teilbetrag in Höhe von 133.625,26 Euro bereits, es verblieb eine Zahllast von 1.210.574,06 Euro.
Gegen die Bescheide vom 04.08.2020 legte der Kläger mit Schreiben vom 13.08.2020 form- und fristgerecht Einspruch ein, den er im Wesentlichen damit begründete, dass die vom vorläufigen Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gelten würden, eine entsprechende Regelung für den Sachwalter aber nicht vorhanden sei. Die vom Kläger in seiner Eigenschaft als Sachwalter begründeten Verbindlichkeiten könnten nicht als Masseverbindlichkeiten gelten. Die im vorläufigen Insolvenzverfahren unter Eigenverwaltung entstandene Umsatzsteuer sei keine Masseverbindlichkeit. Die Umsatzsteuerschuld für den Zeitraum bis zur Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 38 InsO sei als Insolvenzforderung und nicht als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren.
Die am 04.03.2021 eingereichte Umsatzsteuerjahreserklärung für 2018 wich nicht von den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung ab. Das Finanzamt erließ nach antragsgemäßer Veranlagung am 15.04.2021 den Bescheid über Umsatzsteuer für 2018. Der angefochtene Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Dezember 2018 vom 04.08.2020 wurde durch den Umsatzsteuerbescheid für 2018 vom 15.04.2021 ersetzt (§ 365 Abs. 3 AO) und bildete den Gegenstand des Einspruchsverfahrens.
Mit Einspruchsentscheidung vom 18.10.2021, die dem Kläger am 21.10.2021 zugestellt wurde, wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. § 55 Abs. 4 InsO sei weder auf den nach § 270c InsO einzusetzenden vorläufigen Sachwalter, noch auf den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner anwendbar. Die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten seien Masseverbindlichkeiten, wenn die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf ihn übergegangen sei. Dies gelte nach § 55 Abs. 4 InsO auch für Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden seien. § 55 Abs. 4 InsO sei aber weder auf den nach § 270c InsO einzusetzenden vorläufigen Sachwalter, noch auf den vorläufig eigenverwaltenden Schuldner anwendbar. Die durch den Steuerpflichtigen begründeten Steuerschulden stellen nach Auffassung des Beklagten grundsätzlich Insolvenzforderungen dar. Der Bundesfinanzhof habe mehrfach entschieden, dass eine Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO in der vorläufigen Eigenverwaltung ausscheide.
Das Insolvenzgericht könne aber im Beschluss über die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung den Schuldner ermächtigen, Masseverbindlichkeiten in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO zu begründen (§ 270b Abs. 3 Satz 1 und 2 InsO). Die Umsatzsteuer, welche nach der Ermächtigung entstehe, stelle eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO dar. Mit Beschluss vom 21.12.2018 habe das Insolvenzgericht die Insolvenzschuldnerin ermächtigt, aufgrund einer Einzelermächtigung für bestimmte Rechtsgeschäfte Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO zu begründen. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (V ZR 14/19) sei nicht anzuwenden, da dort nur der Fall behandelt sei, in dem die vorläufige Eigenverwaltung ohne zusätzliche Einzel- oder Globalermächtigung angeordnet worden sei. Vielmehr sei die Rechtsprechung des Finanzgerichts Nürnberg anzuwenden. Aus dem Gerichtsbescheid des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2018 (2 K 1105/15) ergebe sich, das Umsatzsteuer, die auf Lieferungen und Leistungen entfalle, eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO darstelle. Ordne ein (Insolvenz-)Gericht an, dass der Schuldner bestimmte Massenverbindlichkeiten begründet, so gelte dies für alle vom Schuldner begründeten Verbindlichkeiten, mithin auch für die Umsatzsteuer, es sei denn, diese würde ausdrücklich ausgenommen. Eine Ausnahme für Umsatzsteuerverbindlichkeiten gehe aus dem Beschluss über die Eigenverwaltung des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 nicht hervor. Eine Ausnahme von Umsatzsteuerverbindlichkeiten gegenüber anderen Verbindlichkeiten sei auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes vereinbar.
Eine im Ergebnis sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung sei gegeben, wenn ein Unternehmer im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gegenüber seinen Leistungsempfängern Masseverbindlichkeiten begründen könne, die dadurch begründete Umsatzsteuer aber eine Insolvenzforderung wäre. Wäre die Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit, würde sie zwar in gleicher Höhe entstehen, könnte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht voll erhoben werden. Der Unternehmer in vorläufiger Eigenverwaltung wäre dann Umsatzsteuer im Ergebnis wirtschaftlich nicht belastet. Der Gesetzgeber habe die vorläufige Eigenverwaltung nicht steuerlich privilegieren wollen. Würde § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO erlauben, einerseits die Ausführung steuerpflichtiger Umsätze durch eine Anordnung des Insolvenzgerichts zu fördern, andererseits die Steuererhebung zu erschweren oder zu hindern, wäre die Vorschrift nach alledem in unzulässiger Weise auf ineffektiven Gesetzesvollzug angelegt. Die Anordnung des Gerichts auf Umsatzsteuerschulden zu erstrecken, sei auch unionsrechtlich geboten. Der Schuldner könnte die vereinnahmte Umsatzsteuer in voller Höhe verwenden, um die Fortführung seines Unternehmens zu finanzieren, während das Finanzamt typischerweise nur einen Teilbetrag der geschuldeten Umsatzsteuer realisieren könnte. Der Schuldner würde dadurch unter Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer gegenüber anderen Unternehmen bevorzugt, die in gleicher Weise am Geschäftsverkehr teilnehmen.
Schließlich ergebe sich auch aus dem Umstand, dass § 270b InsO nicht auf § 55 Abs. 4 InsO verweise, nichts Anderes. Nachdem der Schuldner in den Fällen des § 270b Abs. 3 InsO in die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters einrücken solle, wäre der Verweis auf die für einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter geltende Regelung des § 55 Abs. 4 InsO verfehlt. Der für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter geltende § 55 Abs. 2 InsO sei gegenüber § 55 Abs. 4 InsO die weitergehende Regelung, so dass es einer Verweisung auf § 55 Abs. 4 InsO nicht bedurft habe. Das Fehlen einer Verweisung auf § 55 Abs. 4 InsO könne daher nicht dahingehend verstanden werden, dass § 270b Abs. 3 InsO auf Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht anwendbar sein solle. Da die Insolvenzschuldnerin ermächtigt worden sei, Masseverbindlichkeiten in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO zu begründen, stelle die Umsatzsteuer, aus Lieferungen und Leistungen, die im Zeitraum der Ermächtigung (28.12.2018 bis 13.02.2019) begründet worden seien, eine Masseverbindlichkeit dar. Die gerichtliche Anordnung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten betreffend „Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung von Warenlieferanten für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Handelsware“, „Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Hereinnahme von Kundenvorschüssen“ sowie betreffend Verbindlichkeiten aus „Vereinbarung mit Kunden“ umfasse auch die daraus resultierende Umsatzsteuer. Eine Behandlung als Insolvenzforderung, welche zur Tabelle anzumelden ist, scheide aus.
Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage vor:
Die festgesetzten Steuerforderungen seien – mit Ausnahme des bei Festsetzung bereits getilgten Betrages von 133.625,26 Euro – nicht als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren, da sie in der Zeit entstanden sind, als das Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin als vorläufiges Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO geführt worden sei. Der Kläger sei zu dieser Zeit lediglich zum vorläufigen Sachwalter bestellt worden. Ein allgemeines Verwaltungs- und Verfügungsverbot sei der Insolvenzschuldnerin bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht auferlegt worden.
Nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 07.05.2020, V R 14/19, finde im Falle der Eigenverwaltung die §§ 54 Abs. 2 und Abs. 4 InsO in der damals geltenden Fassung keine Anwendung. Der BFH stütze diese Entscheidung auf die wesentlichen Unterschiede zwischen den Handlungen eines Schuldners aus eigenem Recht im Rahmen einer Eigenverwaltung und der Ausübung übertragener Amtsbefugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters (Randnummer 22 der Entscheidung). Die im Rahmen der Eigenverwaltung entstehenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten seien daher keine Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO zu berücksichtigen. Einfache Insolvenzforderungen seien gemäß § 87 InsO nicht im Wege der Festsetzung festzustellen, sondern nach § 174 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Da die Höhe der Forderung nicht streitig sei, erübrige sich eine Festsetzung durch schriftlichen Verwaltungsakt i.S.d. § 251 Abs. 3 AO. Daran ändere auch die durch das Insolvenzgericht in dem Insolvenzverfahren eingeräumte Befugnis, im Verhältnis zu bestimmten Geschäftspartnern Masseverbindlichkeiten begründen zu dürfen, nichts Wesentliches. Die Entscheidung des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2018, auf die das Finanzamt seine ablehnende Einspruchsentscheidung gestützt habe, sei durch Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs überholt.
Die mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28.12.2018 erteilten Einzelermächtigungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten betreffen schon überwiegend keine Fälle, in denen Umsatzsteuer zu Lasten der Masse entstehe. Soweit angeordnet worden sei, dass Masseverbindlichkeiten entstehen können aus Lieferungen und Leistungen von Warenlieferanten, aus bezogenen Dienstleistungen, aus Energie- und Versorgungsleistungen, gehe es um zu vergütende Leistungen, die die Insolvenzschuldnerin in Anspruch nehme. Aus dem Vergütungsanspruch könne daher lediglich ein Vorsteueranspruch entstehen. Da die Vertragspartner als Zahlungsempfänger die in den Zahlungen enthaltene Umsatzsteuer abzuführen hätten, profitier das Finanzamt im gleichen Maße, wie die Zahlungsempfänger von der Einstufung der Forderungen als Masseverbindlichkeiten. Das Insolvenzgericht habe für den umgekehrten Fall, in dem die Insolvenzschuldnerin selbst Warenlieferungen oder sonstige Dienstleistungen an Kunden erbracht habe, keine entsprechend umfassende Einzelermächtigung eingeräumt. Insbesondere sollte die Kunden, die im Rahmen des Möglichen in den ersten Wochen des Insolvenzeröffnungsverfahrens beliefert werden wollten, keine Schadensersatzansprüche aus verspäteten Lieferungen oder wegen Qualitätsmängeln im Range von Masseverbindlichkeiten zustehen. In der frühen Phase des Insolvenzantragsverfahrens habe der Kläger als Sachwalter nur mittelbar Einfluss auf die Geschäftsführung, auf die Produktionsabläufe und auf die Qualitätskontrollen, nehmen können. Die Kunden der Insolvenzschuldnerin – das seien Automobilhersteller, die auf die Belieferung durch die Insolvenzschuldnerin angewiesen waren – hätten in Kenntnis dieses Umstandes, nicht auf einer entsprechenden Einzelermächtigung bestanden. Die Haftungsrisiken wären weder der Insolvenzmasse noch dem Kläger (als vorläufigen Sachwalter) zumutbar gewesen. Die zugunsten der Kunden eingeräumte Ermächtigung ziele allein auf solche Vereinbarungen mit den Kunden ab, die sich positiv auf die Liquidität auswirken würden. Auch Geschäftspartner wie Vermieter, Leasinggeber, Arbeitnehmer und Krankenkassen seien nicht durch die Einstufung ihrer Forderungen als Masseverbindlichkeiten besonders geschützt worden. Zweck und Inhalt der erteilten Einzelermächtigungen sei lediglich die Privilegierung solcher Vertragspartner gewesen, die Anlass und Möglichkeit gehabt hätten, die von ihnen begehrte und für die Betriebsfortführung notwendige Gegenleistung zurückzuhalten. Das Insolvenzgericht sei nicht befugt gewesen, auch solche Gläubiger durch einen Beschluss nach § 21f InsO über Einzelermächtigungen zu Massegläubigern zu machen, die – wie das Finanzamt – keine Gegenleistung zur Masse erbringen oder die keinen Anlass dazu hätten, ihre Leistungen dem Schuldner vorzuenthalten, wie dies etwa bei Arbeitnehmern der Fall sei, soweit deren Lohnansprüche durch Anspruch auf Insolvenzgeld gesichert seien. Eine Abweichung vom gesetzlichen Regelfall sei nur nach den Voraussetzungen der §§ 21f InsO oder des § 55 Abs. 2 und 4 InsO) gegeben. Die mit der Privilegierung bestimmter Gläubiger verbundene Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt durch den in § 21 Abs. 1 InsO beschriebenen Zweck. Soweit der Beklagte auf die Neutralität des Umsatzsteuerrechts verweise, habe dieser Gedanke in der zwischenzeitlich geltenden, auf Fälle der Eigenverwaltung erweiterten Fassung des § 55 Abs. 4 InsO Niederschlag im Gesetz gefunden. Eine Privilegierung der Finanzbehörden gegenüber den sonstigen Gläubigern, die für die Betriebsfortführung nicht maßgeblich seien, lasse sich vor der Gesetzesänderung nicht rechtfertigen.
Dem stehe auch nicht entgegen, dass einem Schuldner kein Nachteil dadurch entstehe, dass er keine Umsatzsteuer abführen müsse. Eine Ungleichbehandlung liege auch nicht vor, wenn der Schuldner mit den Einzelermächtigungen in die Lage versetzt werde, seinen Betrieb aufrecht zu erhalten. Sofern das Finanzamt von den Einzelermächtigungen nicht begünstigt werde, sei dies während der im Regelfall kurzen Dauer des Insolvenzantragsverfahrens hinzunehmen. Vor missbräuchlichem Verhalten seien die Gläubiger – auch das Finanzamt – durch die Verfahrensrechte im Eigenverwaltungsverfahren hinreichend geschützt. Andernfalls wäre die Erteilung von Einzelermächtigungen faktisch ausgeschlossen. Die vom Insolvenzgericht nach Abwägung erteilten Einzelermächtigungen dürften nicht in Summe die gleichen Wirkungen haben, wie die Einsetzung eines starken vorläufigen Verwalters. Der BFH sehe deshalb – anders als das Finanzgericht Nürnberg, auf das das Finanzamt seine Einspruchsentscheidung gestützt habe – auch keinen Verstoß gegen europäisches Beihilferecht. Die Einzelermächtigungen hätten die Rechte der Kunden aus den genannten Vereinbarungen im Blick gehabt. Mit der vom Insolvenzgericht verwendeten Formulierung „im Zusammenhang mit“ solle klargestellt werden, dass es sich hierbei um unterschiedliche Ansprüche handeln kann, die durch die Insolvenzschuldnerin zu erbringen sein oder auf Rückzahlung von Vorschüssen. Aus dieser Formulierung könne aber keine Privilegierung der Finanzverwaltung hergeleitet werden, da für eine solche Privilegierung im insolvenzrechtlichen Sinne weder ein Anlass noch eine Rechtsgrundlage bestehe. Die Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom 28.12.2018 müssten gesetzeskonform und nicht, wie der Beklagte meint, zu Gunsten des Finanzamtes ausgelegt werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid für 2018 über Umsatzsteuer vom 15.04.2021 sowie den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Februar 2019 vom 04.08.2020, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte bezieht sich auf die Einspruchsentscheidung vom 18.10.2021 und trägt ergänzend vor: Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Entscheidung des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2018 durch den BFH-Beschluss vom 07.05.2020 nicht überholt. Die Fallkonstellationen, über welche in beiden Verfahren zu entscheiden war, seien nicht vergleichbar. In dem Sachverhalt, über den der BFH zu entscheiden gehabt hatte, sei lediglich die vorläufige Eigenverwaltung angeordnet worden. Das Insolvenzgericht habe nicht zusätzlich noch eine Einzel- oder Globalermächtigung erlassen. Der BFH stütze seine Entscheidung auf die Unterschiede zwischen den Handlungen eines Schuldners aus eigenem Recht im Rahmen einer Eigenverwaltung und der Ausübung übertragener Amtsbefugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters. In Randnummer 21 des Beschlusses weise der BFH jedoch darauf hin, dass im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren dem Insolvenzschuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über sein Vermögen aus eigenem Recht zustehe, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlassen habe. Eine solche beschränkende Anordnung sei aber im vorliegenden Streitfall erlassen worden. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28.12.2018 sei der Insolvenzschuldnerin das Recht eingeräumt worden, aufgrund einer Ermächtigung (Gruppenermächtigung) für bestimmte Rechtsgeschäfte mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO zu begründen. Damit weiche der Sachverhalt im vorliegenden Streitfall maßgeblich von dem Sachverhalt ab, welcher der Entscheidung des BFH zugrunde lag.
Im Falle einer Einzelermächtigung stehe dem Schuldner insoweit kein Wahlrecht zu, ob er im Einzelfall Masseverbindlichkeiten begründen möchte oder nicht. Die Begründung von Masseverbindlichkeiten richte sich nach den Vorschriften, die für den starken vorläufigen Verwalter gelten. Der Umfang der von der Schuldnerin zu begründenden Masseverbindlichkeiten ergebe sich im Einzelnen aus dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28.12.2018.
Soweit der Kläger die Auffassung vertrete, Zweck und Inhalt der erteilten Einzelermächtigungen sei lediglich die Privilegierung solcher Vertragspartner, die Anlass und Möglichkeit gehabt hätten, die von ihnen begehrte und für die Betriebsfortführung notwendige Gegenleistung zurückzuhalten, sei eine Ausnahme für die Umsatzsteuer gerade vom Zweck der Einzelanordnung umfasst. Habe das Insolvenzgericht durch Einzelermächtigungen wirksam angeordnet, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten für bestimmte Verbindlichkeiten begründen könne, schließe dies die durch Ausführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen begründete Umsatzsteuer mit ein. Der Unternehmer müsse grundsätzlich keine höhere Umsatzsteuer abführen als er vereinnahmt habe und er könne die Vorsteuer abziehen. Er sei deswegen durch die Umsatzsteuer im Ergebnis wirtschaftlich nicht belastet. Würde die Umsatzsteuer vorliegend nicht als Masseverbindlichkeit, sondern als Insolvenzforderung behandelt werden, könnte der Schuldner die vereinnahmte Umsatzsteuer in voller Höhe verwenden, um die Fortführung des Unternehmens zu finanzieren, während das Finanzamt typischerweise nur einen Teilbetrag der geschuldeten Umsatzsteuer durch die Quotenzahlung realisieren könnte. Der Unternehmer würde, wie sich aus dem Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2018, 2 K 1105/15 ergebe, gegen den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer verstoßen, was ihn auch gegenüber anderen Unternehmen begünstige.
Insbesondere die gerichtliche Anordnung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten betreffend „Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Hereinnahme von Kundenvorschüssen“ sowie betreffend „Verbindlichkeiten aus Vereinbarung mit Kunden“ umfasse vorliegend auch die daraus resultierende Umsatzsteuer.
Die Beteiligten haben gemäß § 90 Abs. 2 FGO auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Umsatzsteuerbescheid 2018 vom15.04.2021 und der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung vom 04.08.2020, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2021, sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
I. Die während der vorläufigen Eigenverwaltung vom 28.12.2018 bis zur Bestellung des Klägers als Insolvenzverwalter am 14.02.2019 entstandene Umsatzsteuerschuld ist – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 38 InsO – als Insolvenzforderung des Beklagten gegen die Insolvenzschuldnerin geltend zu machen; sie durfte im Streitfall nicht gegenüber dem Kläger mit einem Steuerbescheid festgesetzt werden. Die während der Eigenverwaltung ausgeführten Umsätze stellen, entgegen der Ansicht der Beklagten, keine Masseverbindlichkeit dar. Die daraus resultierende Umsatzsteuerschuld ist ebenfalls keine Masseverbindlichkeit.
1. Die im streitigen Zeitraum (28.12.2018 bis 14.02.2019) während der Eigenverwaltung angefallene Umsatzsteuer ist nicht nach § 55 Abs. 4 (aF) InsO den Masseverbindlichkeiten zuzurechnen.
a) Im Streitfall ist § 55 Abs. 4 InsO in der vom 01.04.2012 bis 31.12.2020 geltenden Fassung – nachfolgend: § 55 Abs. 4 (aF) – anzuwenden. Der für die Anwendung von § 55 Abs. 4 (aF) InsO maßgebende Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde am 21.12.2018 in Form eines Eigenantrags der Insolvenzschuldnerin gestellt.
aa) Nach § 55 Abs. 4 (aF) InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Diese Bestimmung gilt für Insolvenzverfahren, die vor dem 01.01.2021 beantragt worden sind (Artikel 103m Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung, BGBl. I 2020, 3290). Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO erfasst als Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis die streitgegenständlichen Umsatzsteuerschulden (FG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2020, 14 K 303/18 E, EFG 2021, 306 Rn. 46).
bb) Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dem 31.12.2020 gestellt, gelten nach § 55 Abs. 4 InsO (in der Fassung des Art. 5 Nr. 14 des Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes vom 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256) Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, als Masseverbindlichkeit.
b) Steueransprüche, die gemäß § 55 Abs. 4 (aF) InsO zu den Masseverbindlichkeiten gehören, können – im Gegensatz zu Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) – gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Steuerbescheid festgesetzt werden. Masseverbindlichkeiten werden vorrangig aus der Insolvenzmasse und nicht bloß quotal befriedigt. Für die Unterscheidung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem der Anspruch insolvenzrechtlich begründet wird. Ob und zu welchem Zeitpunkt ein Steueranspruch insolvenzrechtlich begründet worden ist, bestimmt sich nach steuerrechtlichen Grundsätzen (BFH vom 16.05.2013, IV R 23/11, BStBl. II 2013, 759, Rn. 19). Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird innerhalb des Besteuerungszeitraums die auf die Zeit nach Insolvenzeröffnung entfallende Umsatzsteuer, die der Masse zugerechnet wird, durch Steuerbescheid festgesetzt; technisch wird dies durch Vergabe einer eigenständigen Steuernummer der Insolvenzmasse bewerkstelligt. Die auf die Zeit bis zur Insolvenzeröffnung entstandene Umsatzsteuer wird im Regelfall als Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet (vgl. BFH, Urteil vom 27.11.2019, XI R 35/17, BFH/NV 2020, 482, Rn. 26; vgl. auch Bundesministerium der Finanzen, 11.01.2022, IV A 3-S 0550/21/10001:001, FMNR202200022, Rn. 38).
c) Im Insolvenzeröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO werden keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründet. Die Vorschrift ist nicht anwendbar, wenn es – wie im Streitfall – an der Grundvoraussetzung der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters fehlt (BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 19/19, BFH/NV 2020, 1095; BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 14/19, BFH/NV 2020).
d) § 55 Abs. 4 (aF) InsO kann auch nicht analog auf Steuerverbindlichkeiten angewendet werden, die – wie hier – im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründet werden. Insofern liegt keine planwidrige Regelungslücke vor, die Anwendung von § 55 Abs. 4 InsO im Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270a, 270b InsO) wurde im Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen erwogen, auf eine Anwendung der Vorschrift in § 55 Abs. 4 (aF) InsO wurde verzichtet (vgl. Bundestags-Drucksache Drucksache 17/5712, Seite 68; BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243, Rn. 21; BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178, Rn. 24; BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 19/19, BFH/NV 2020, 1095, Rn. 24; Schulze in: Wäger, UStG, 1. Aufl. 2020, Umsatzsteuer und Insolvenz, Rn. 127).
2. Die auf den Zeitraum der vorläufigen Eigenverwaltung entfallende Umsatzsteuerschuld der Insolvenzschuldnerin stellt, entgegen der Ansicht des Beklagten, keine Masseverbindlichkeit nach § 270b Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 55 Abs. 2 InsO dar. Eine Ermächtigung, auf deren Grundlage die Verbindlichkeit hätte begründet werden können, ist vom Insolvenzgericht nicht erteilt worden.
a) Verbindlichkeiten, die im Verfahren nach § 270 b InsO begründet worden sind, gehören nur dann zu den Masseverbindlichkeiten, wenn sie auf der Grundlage einer vom Insolvenzgericht erteilten Ermächtigung begründet wurden (BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243 Rn. 8). Zur Begründung der Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten ist die Insolvenzschuldnerin vom Insolvenzgericht im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren gemäß Beschluss vom 21.12.2018 (….. ) nicht ermächtigt worden. In dem Beschluss fehlt eine ausdrückliche Bezugnahme auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten. Eine unmittelbare Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO scheidet im Streitfall überdies aus, da die Vorschrift die Entstehung einer Masseverbindlichkeit von der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig macht. Eine analoge Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO ist mangels Regelungslücke nicht möglich (BFH, Urteil vom 07.05.2020, V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178). Der Schuldner ist nicht als sein eigener vorläufiger Insolvenzverwalter anzusehen, dies gilt auch, wenn ein Sachwalter im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren eingesetzt worden ist.
aa) Diese für den Streitfall maßgeblichen Grundsätze ergeben sich aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.11.2018 (IX ZR 167/16) zur insolvenzrechtlichen Anfechtung einer Zahlung, die geleistet worden ist für eine während der Eigenverwaltung entstandene Umsatzsteuerschuld. In einem Verfahren nach § 270b Abs. 1 InsO begründet der Schuldner nach dieser Entscheidung nicht stets Masseverbindlichkeiten gemäß § 270b Abs. 3 InsO. Es bestehe ein praktisches Bedürfnis des Schuldners, im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Begründung von Masseverbindlichkeiten im erforderlichen Umfang zu ermöglichen. Diesem Bedürfnis könne dadurch Rechnung getragen werden, dass das Insolvenzgericht die notwendigen Ermächtigungen anordne.
bb) Auf Grundlage der vom Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des Finanzgerichts Nürnberg lässt sich kein anderes Ergebnis für den Streitfall ableiten. Das Finanzgericht Nürnberg (Gerichtsbescheid vom 28.03.2018, 2 K 1105/15, EFG 2018, 1229) hat für den Fall einer Globalermächtigung entschieden, dass Masseverbindlichkeiten, die während der Eigenverwaltung begründet worden sind, auch Umsatzsteuerverbindlichkeiten umfassen. Soweit der Beklagte dieser Entscheidung entnimmt, dass die Ermächtigung des Schuldners zur Begründung von Masseverbindlichkeiten auch Umsatzsteuerverbindlichkeiten umfasse und andernfalls eine Ausnahme für Umsatzsteuerverbindlichkeiten in den Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 hätte aufgenommen werden müssen, folgt der Senat dieser Auffassung nicht.
(1) Der Gerichtsbescheid des Finanzgerichts Nürnberg vom 28.03.2018 betrifft den Fall einer im Eigenverwaltungsverfahren erteilten Globalermächtigung des Schuldners. Ausgehend vom Wortlaut des § 270b Abs. 3 InsO verhält sich das Finanzgericht Nürnberg zu der Frage, ob die Globalermächtigung auch Umsatzsteuerverbindlichkeiten erfasst. Nach Auffassung des Beklagten § 270b InsO sei dahin auszulegen, dass ein Schuldner, der Verbindlichkeiten „gegenüber seinem Leistungsempfänger“ als Masseverbindlichkeit begründe, die daran anknüpfenden Steuerschulden, namentlich Umsatzsteuerschulden, ebenfalls als Masseverbindlichkeiten begründen müsse. Dies gelte auch für den Fall der Einzelermächtigung, sich zulasten der Masse zur Ausführung einer Lieferung oder sonstigen Leistung zu verpflichten. Eine solche Anordnung könne nicht erteilt werden, wenn nicht auch die dadurch begründete Umsatzsteuer Masseverbindlichkeit werde. § 270 b Abs. 1 InsO dürfe nicht einerseits die Ausführung steuerpflichtiger Umsätze durch eine Anordnung des Insolvenzgerichts fördern, andererseits die Erhebung der entstehenden Steuer erschweren; die Vorschrift wäre sonst in unzulässiger Weise auf einen ineffektiven Gesetzesvollzug angelegt.
(2) Diese vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung betrifft die – im Streitfall nicht vorliegende – Fallkonstellation einer Globalermächtigung. Nach der vom Bundesgerichtshof befürworteten Auslegung des § 270b Abs. 3 InsO, begründet ein Schuldner nicht stets Masseverbindlichkeiten, sondern nur, soweit er vom Insolvenzgericht hierzu ermächtigt worden ist (BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, DStR 2019, 174). In dem Beschluss des Insolvenzgerichts, der von den Gläubigern nicht angefochten werden kann (§ 6 Abs. 1 Satz 1 InsO), wird die Reichweite der Ermächtigung festgelegt. Diese kann durch Auslegung des Tenors der gerichtlichen Anordnung bestimmt werden; das Insolvenzgericht ist an den Antrag des Schuldners gebunden, ein Prüfungsrecht des Gerichts, ob die Anordnung für die Sanierung erforderlich ist, steht dem Insolvenzgericht nicht zu (vgl. Kern, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2020, InsO § 270b Rn. 85 und 116). Die Frage, ob eine Masseverbindlichkeit entstanden ist, muss danach im Einzelfall auf Grundlage des vom Insolvenzgericht erlassenen Beschlusses (nach § 270b Abs. 1 und 3 InsO) beantwortet werden. Zu Fragen ist, ob der Beschluss eine Ermächtigung zur Begründung einer Verbindlichkeit enthält.
b) Eine ausdrückliche Ermächtigung der Insolvenzschuldnerin, mit der ihr die Begründung von Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gestattet worden wäre, ist im Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 (….. ) nicht enthalten. Auch im Wege der Auslegung lässt sich dem Beschluss eine solche Ermächtigung nicht entnehmen.
aa) Dem Insolvenzschuldner stehen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270a und 270b InsO) die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters nach § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO ändert nichts daran, dass der Schuldner aus eigenem Recht handelt (BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178, Rn. 20). In einem vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren kann das Insolvenzgericht den Schuldner ermächtigen, in bestimmten Fällen Masseverbindlichkeiten zu begründen (§ 270b Abs. 4 [aF] InsO, nunmehr: § 270c Abs. 4 Satz 1 und Satz 3 InsO in der ab dem 01.01.2020 geltenden Fassung; BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, DStR 2019, 174; BFH, Urteil vom 27.11.2019, XI R 35/17, BFH/NV 2020, 482). Der Schuldner kann den Erlass einer globalen Ermächtigung, einer Einzel- oder Gruppenermächtigung (zur Begründung von Masseverbindlichkeiten) beim Insolvenzgericht beantragen, dabei ist aber zu beachten, dass bei übermäßiger Begründung von Masseverbindlichkeiten die Gefahr der Auszehrung der künftigen Insolvenzmasse besteht (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16, BGHZ 220, 243, Rn. 9). Eine Globalermächtigung liegt vor, wenn eine Beschränkung auf bestimmte Geschäfte nicht vorgenommen worden ist (BGH, Urteil vom 16.06.2016, IX ZR 114/15, NZI 2016, 779, Rn. 20). Die Ermächtigung des Insolvenzgerichts muss konkret beschreiben, welche Verbindlichkeiten erfasst sein sollen. Die Ermächtigung muss sich auf im Voraus – einzeln oder der Art nach – genau festgelegte Verpflichtungen zulasten der späteren Insolvenzmasse beziehen (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 22.01.2020, 2 U 87/16, Rn. 44). Die Frage, ob das Insolvenzgericht eine Globalermächtigung, eine Einzel- oder Gruppenermächtigung angeordnet hat, ist ebenso wie die Frage nach dem Umfang und der Reichweite der Ermächtigung durch Auslegung zu ermitteln (OLG Dresden, Urteil vom 15.10.2014, 13 U 1605/13, ZIP 2015, 1937). Die während der Eigenverwaltung anfallende Umsatzsteuer stellt im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung nur dann eine Masseverbindlichkeit dar, wenn der mit der Eigenverwaltung betraute Schuldner zur Begründung der Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit vom Insolvenzgericht ausdrücklich ermächtigt worden ist. Fehlt, wie im Streitfall, eine solche Ermächtigung in Bezug auf die Umsatzsteuer, stellt die im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren begründete Umsatzsteuer eine Insolvenzforderung dar.
bb) Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass der Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 eine Globalermächtigung nicht enthält. Der Beklagte hat bereits im Einspruchsverfahren (Blatt 5 der Einspruchsentscheidung vom 18.10.2021) vorgebracht, im Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 seien Einzelermächtigungen angeordnet worden. Den im Beschluss vom 21.12.2018 enthaltenen Ermächtigungen lässt sich, bei der gebotenen objektiven Auslegung, keine umfassende und vorbehaltlose Befugnis zur Eingehung jedweder, unternehmensbezogener Verpflichtung entnehmen. Die getroffenen Anordnungen beschränken sich vielmehr auf die im Beschluss des Insolvenzgerichts aufgeführten Rechtsverhältnisse.
(1) Der Insolvenzschuldnerin wurde in dem Beschluss vom 21.12.2018 zunächst die Befugnis eingeräumt, Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten zu begründen, die aus Lieferbeziehungen von Warenlieferanten, Dienstleistern für Beratung und Logistik, Energieversorgern auf Lieferung und Leistung von Warenlieferanten für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Handelsware. Die Ermächtigung benennt Gläubiger (Warenlieferanten und Dienstleister), zu deren Gunsten Masseverbindlichkeiten durch die Schuldnerin begründet werden können und von denen die Insolvenzschuldnerin Eingangsleistungen beziehen muss. Der Beklagte wird als möglicher Gläubiger nicht genannt, er ist als Steuergläubiger weder Lieferant noch Dienstleister, Kunde oder Darlehensgeber. Weiter lassen sich die Rechtsverhältnisse, in denen Masseverbindlichkeiten entstehen, nicht nur nach Vertragspartnern, sondern auch dem wesentlichen Inhalt der Verbindlichkeiten nach bestimmen. Die im Beschluss vom 21.12.2018 aufgeführten Verbindlichkeiten sind inhaltlich konkretisiert als solche, die bei objektiver Betrachtung erkennbar der Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebs dienen. Der Fortbestand von Versicherungsverhältnissen, die Aufrechterhaltung der Telekommunikation und die Möglichkeit, Reparatur- und Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen und Energielieferungen zu beziehen, lassen sich als solche Maßnahmen einordnen, die für einen reibungslosen Ablauf des operativen Geschäftsbetriebs der Insolvenzschuldnerin erforderlich sind. Ohne derartige operative Maßnahmen, wäre eine erhebliche Störung der alltäglichen Geschäftsabläufe zu erwarten. Die vom Insolvenzgericht erteilte Ermächtigung ist damit auf bestimmte Gruppen von Gläubigern beschränkt, sie ist auch hinreichend konkret und in Bezug auf den Zweck der zu schaffenden Verbindlichkeiten hinreichend bestimmt gefasst worden.
In den übrigen Rechtsverhältnissen, die im Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 aufgeführten worden sind und für die eine Masseverbindlichkeit begründet werden kann, werden Kunden und Darlehensgeber als mögliche Vertragspartner genannt, die als Gläubiger in Betracht kommen. Die Ermächtigungen sind hinreichend bestimmt, sie lassen klar und eindeutig erkennen, welche Personengruppen und in welchen bestimmten Fällen eine Masseverbindlichkeit entstehen würde. Sofern Steueransprüche ebenfalls als Masseverbindlichkeit begründet werden sollen, ist an keiner Stelle des Beschlusses ersichtlich, dass insofern eine Anordnung erfolgen sollte. Aus Sicht eines objektiven Empfängers kann den im Beschluss enthaltenen Ermächtigungen entnommen werden, dass der operative Betrieb der Insolvenzschuldnerin weitergeführt werden soll. Gerade der Anordnungspunkt „Hereinnahme von Vorschüssen“ zeigt, dass für Gläubiger, die im Wege einer Vorschusszahlung der Insolvenzschuldnerin Liquidität zuführen, ein Anreiz zur Fortführung der Geschäftsbeziehungen geschaffen werden sollte und sie sich nicht im Falle einer Rückforderung des Vorschusses auf die Geltendmachung einer Insolvenzforderung verweisen lassen müssen.
(2) In dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 werden Verbindlichkeiten aus Umsatzsteuer, Einfuhrumsatzsteuer, Zölle oder Verbrauchsteuern, ebenso wie sonstige Steuern und Abgaben, enthaltenen Aufstellung nicht gesondert ausgewiesen. Dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 lassen sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die bei der Durchführung der genannten Rechtsverhältnisse ausgelöste Umsatzsteuer konsequenter Weise eine Masseverbindlichkeit begründet muss. Fällt in den bestimmten Rechtsverhältnissen Umsatzsteuer an, handelt es sich nicht um eine (Steuer)Verbindlichkeit der Insolvenzschuldnerin, die in diesen Konstellationen lediglich Leistungsempfänger eines Gläubigers wird und den Brutto-Rechnungsbetrag (dieser wird Masseverbindlichkeit) schulden würde. Die gegenüber der Insolvenzschuldnerin abgerechnete Umsatzsteuer kann einen Vorsteueranspruch der Insolvenzschuldnerin und damit eine Forderung gegenüber dem Finanzamt begründen. Die im Beschluss vom 21.12.2018 vorgenommene Konkretisierung der Rechtsverhältnisse steht schließlich der Annahme entgegen, dass die kraft Gesetzes gegenüber einem nicht genannten Gläubiger entstehende Umsatzsteuer von der Ermächtigung erfasst sein soll. Sonstige, in dem Beschluss nicht genannte Gläubiger können nicht aufgrund der Inanspruchnahme der Ermächtigung durch die Schuldnerin zu Massegläubigern werden. Eine andere Betrachtung wäre mit dem für die Reichweite der Ermächtigung geltenden Bestimmtheitserfordernis (vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2018, IX ZR 167/16 Rn. 15) nicht vereinbar.
c) Die vom Beklagten vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – teilt der Senat nicht. Einer Auslegung von § 270b Abs. 3 InsO, die im Falle einer hier in Rede stehenden Einzel- oder Gruppenermächtigung Umsatzsteuerverbindlichkeiten auch dann als Masseverbindlichkeiten erfasst sein müsse, wenn der Schuldner hierzu nicht ausdrücklich vom Insolvenzgericht ermächtigt worden ist, steht – wie ausgeführt – die eindeutige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesfinanzhof in den Entscheidungen vom 07.05.2020 (V R 14/19 und V R 19/19) keine Kritik an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat erkennen lassen. Die vom Beklagten befürwortete Auslegung ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich.
aa) Die verfassungskonforme Auslegung einer Norm ist geboten, wenn unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Zweck mehrere Deutungen möglich sind, von denen nicht alle, aber zumindest eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt. Ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde, kann auch im Wege verfassungskonformer Auslegung nicht begründet werden (BFH, Urteil vom 26.05.2021, III R 50/19, BStBl. II 2022, 58, Rn. 29 mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 11.01.2005, 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164, Rn. 50).
bb) Der Vorschrift in § 270b Abs. 3 InsO kann nicht die Bedeutung beigelegt werden, dass Steuerverbindlichkeiten auch ohne ausdrückliche Ermächtigung, gleichsam als von der Finanzbehörde oder anderen Gläubigern erwünschter Rechtsreflex, zu Masseverbindlichkeiten erhoben werden. Die Ausnahme von Gläubigern aus dem Kreise derjenigen, deren Insolvenzforderungen quotal befriedigt werden, beruht auf einer bewussten und klar erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung. Die gesetzgeberische Intention bei Einführung des Eigenverwaltungsverfahrens lag darin, für Schuldner, die (noch) nicht zahlungsunfähig sind, mit dem auf eine Sanierung ausgerichteten so genannten „Schutzschirmverfahren“ einen Anreiz zu schaffen, frühzeitig einen Eröffnungsantrag für ein Insolvenzverfahren zu stellen. Für einen begrenzten Zeitraum sollte der Schuldner dem unmittelbaren Zugriff seiner Gläubiger entzogen werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses [6. Ausschuss] vom 26.10.2011 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 17/5712, zu § 270b InsO, Drucksache 17/7511 Seite 40). Das Motiv, den Schuldner vor dem Zugriff von Gläubigern zu bewahren, ist bei Einführung des § 270b InsO ausdrücklich formuliert worden. Nach der im Gesetzgebungsverfahren gegebenen Begründung zur Einführung von §§ 270 ff. InsO sollte das Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung für die Schuldner im Hinblick auf die Masseverbindlichkeiten Rechtssicherheit schaffen, zumindest für den Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung. § 270b Abs. 3 InsO wurde auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestages eingefügt (vgl. dazu Uhlenbruck/Zipperer, 15. Aufl. 2019, InsO § 270b Rn. 68). In § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO wurde eine entsprechende Anwendung von § 55 Abs. 2 InsO normiert. § 55 Abs. 2 InsO dient dem Schutz der Geschäftspartner des Schuldners, deren Mitwirkung für eine Betriebsfortführung unerlässlich ist, weil sie Geschäfte mit einem vorläufigen Insolvenzverwalter abschließen oder ihm gegenüber ein vom Schuldner begründetes Dauerschuldverhältnis erfüllen (vgl. Beschlussempfehlung Rechtsausschusses vom 26.10.2011 zu § 270b InsO, Drucksache 17/7511). Dieser Schutz soll im Fall des in Eigenverwaltung geführten Eröffnungsverfahrens im Hinblick auf das Vertrauen des Geschäftsverkehrs besonders geboten sein. § 55 Abs. 2 InsO gilt danach kraft Verweis in § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO für den Fall, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten im Eigenverwaltungsverfahrens begründet hat. Die Finanzbehörde gehört nicht zum Kreis der vom Gesetzgeber als schutzwürdig eingestuften Personen, sie ist kein „Geschäftspartner“; zudem besteht bei einem Steuerzugriff die Gefahr eines zusätzlichen, die Sanierung erschwerenden Liquiditätsabflusses. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass bereits der Antrag nach § 270b Abs. 1 InsO zusätzlichen Liquiditätsbedarf erzeugen würde, da die Gläubiger, nachdem sie Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit erhalten, Forderungen fällig stellen oder Verträge kündigen würden (Bundestags-Drucksache 17/5712 Seite 40). Es wurde daher dem Schuldner überlassen, ob und in welchem Umfang er sein Antragsrecht im Hinblick auf den Umfang der – gegebenenfalls die Insolvenzmasse auszehrenden – Masseverbindlichkeiten ausüben wolle. Eine Befugnis der Gläubiger, ihre Insolvenzforderung zu einer Masseverbindlichkeit zu erheben, wäre im Hinblick auf die vom Gesetzgeber verfolgte Zielsetzung, Rechtssicherheit zu schaffen, eben nicht sachgerecht. Das in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, der Unternehmer werde durch die Umsatzsteuer wirtschaftlich „im Ergebnis“ nicht belastet, berücksichtigt nicht ausreichend, dass Nachzahlungen, Zinsen auf Steuerforderungen sowie Vorsteuerkorrekturen praktisch zu erheblichen finanzielle Belastungen führen können. Der Gesetzgeber hat es im Wesentlichen dem Schuldner überlassen, welche Verbindlichkeiten antragsgemäß zu Masseverbindlichkeiten erhoben werden. Diese dem Verantwortungsbereich des Schuldners übertragene Entscheidungsbefugnis kann nur ausnahmsweise von einer Wertung überlagert werden. Im Falle einer (hier nicht gegebenen) Globalermächtigung mag dies im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die bei der Vorbereitung einer Sanierung im Verfahren gemäß § 270b InsO entsteht, zutreffend sein (vgl. FG Nürnberg, Gerichtsbescheid vom 28.03.2018, 2 K 1105/15, EFG 2018, 1229; offen gelassen von FG Münster, Urteil vom 13.08.2020, 5 K 96/17 U, Rn. 40), weil der Schuldner sich gewahr sein muss, dass er uneingeschränkt über sämtliche Verbindlichkeiten disponiert. Im Falle von Einzel- oder Gruppenermächtigungen lassen sich jedoch nach den insoweit eindeutigen Vorgaben des Bundesgerichtshofs Steuerverbindlichkeiten nicht kraft gesetzlicher Wertung den Masseverbindlichkeiten zuordnen. Es fehlt insbesondere an einer ausdrücklichen Privilegierung von Steuerverbindlichkeiten, wie sie etwa mit der Einführung von § 55 Abs. 4 InsO (außerhalb des Eigenverwaltungsverfahrens) erfolgt ist. In der Gesetzesbegründung zu dieser Norm kommt die gesetzgeberische Intention zum Ausdruck, dass im Interesse des Fiskus der Anwendungsbereich von § 55 InsO auf Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, ausgedehnt werde solle (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen [ESUG], Bundestags-Drucksache 17/5712 Seite 68 zu Nummer 4 [Artikel 1 Nummer 7a – neu – § 55 Absatz 4 InsO-E]). Bei Einführung der Vorschriften über das Eigenverwaltungsverfahren in §§ 270a ff. InsO war eine solche Privilegierung des Fiskus im Eigenverwaltungsverfahren zunächst nicht erfolgt. Erst mit der – für den Streitfall nicht geltenden – Neufassung von § 55 Abs. 4 InsO im SanInsFoG vom 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256 ist ein Privileg des Fiskus normiert worden; der Gesetzgeber hat auch auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs reagiert (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 168. Lieferung 11.2021, § 69 AO, Rn. 43c).
cc) Der Beklagte kann aus Artikel 3 GG keine grundrechtlich geschützte Rechtsposition herleiten, der Beklagte ist als Finanzbehörde kein Grundrechtsträger (Bethge in: Maunz/ Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: Februar 2018 [48. Ergänzungslieferung], § 90 BVerfGG, Rn. 144f.). Soweit sich nach Auffassung des Beklagten eine Benachteiligung aus dem Beschluss des Insolvenzgerichts vom 21.12.2018 ergibt, wird er mit diesem Einwand im Rahmen der Auslegung des Beschlusses vom 21.12.2018 gehört. Darüber hinaus genießt der Beklagte als Steuergläubiger im Hinblick auf die gleichmäßige Befriedigung sämtlicher Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren kein Vorrecht (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Rn. 13). Rechtliche Relevanz können die vom Beklagten geäußerten gleichheitsrechtlichen Bedenken allein unter dem Gesichtspunkt eines Vollzugsdefizits erlangen. Der Gleichheitssatz gebietet einen gleichmäßigen Normvollzug durch die Behörden (Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 168. Lieferung 11.2021, § 3 AO, Rn. 53), geschützt wird durch dieses Rechtsinstitut der Steuerbürger, nicht jedoch die Steuerbehörde als Steuergläubiger. Eine Erhebungsregelung darf sich gegenüber einem Besteuerungstatbestand nicht in der Weise strukturell gegenläufig auswirken, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Sowohl die steuerbegründenden Vorschriften, als auch die Regelungen ihrer Anwendung müssen auf die möglichst gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen ausgerichtet sein (BVerfG, Urteil vom 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, BStBl. II 1991, 654). Soweit der Beklagte insoweit rügt, der Steuerzugriff sei nicht effizient, beruht dies – wie dargelegt – auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, mit der eine Sanierung erleichtern werden soll sowie letztlich auf einer gesetzlich vorgesehenen Anwendung von § 38 InsO (vgl. BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178 Rn. 26). Die im Sanierungsverfahren nach § 270b Abs. 3 InsO vom Beklagten angeführten Nachteile des Steuergläubigers beruhen nicht auf einem strukturellen Normdefizit, sondern auf einer gesetzgeberisch angeordneten, für den Einzelfall zu treffenden Entscheidung.
d) Europarechtliche Belange werden im Streitfall nicht tangiert. Es fehlt an einer selektiven Vorteilsgewährung, da der Steuergläubiger im Insolvenzfall wie alle anderen Gläubiger behandelt wird (BFH, Beschluss vom 07.05.2020, V R 14/19, BFH/NV 2020, 1178) und der Insolvenzschuldner bei Ausübung des Antragsrechts nach § 270b Abs. 3 InsO bestimmt, welche Gläubiger vergleichsweise besser stehen sollen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und Abs. 3, 155 FGO iVm § 708 Nr. 10 der Zivilprozessordnung.
V. Die Revision war nicht zuzulassen. Ein Revisionsgrund iSd. § 115 Abs. 2 FGO liegt nicht vor.


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