Insolvenzrecht

Corona-Sonderzahlung des Arbeitgebers als unpfändbare Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO

Aktenzeichen  20 T 12771/21

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 38568
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 850a Nr. 3

 

Leitsatz

Bei einer Corona-Sonderzahlung des Arbeitgebers, die bis zu einer Höhe von 1.500 EUR steuer- und abgabenfrei ist, handelt es sich jedenfalls bei einem Betrag von 500 EUR um eine unpfändbare Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO. (Rn. 10) (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1534 M 58198/15 2021-06-28 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 06.07.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 28.06.2021 aufgehoben und die beantragte einmalige Freigabe der Corona-Hilfe in Höhe von 500 Euro bewilligt.
2. Die Gläubigerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 150 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Gläubigerin vollstreckt aus einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Mit Niederschrift vom 22.04.2021 hat die Schuldnerin die einmalige Freigabe einer Coronahilfe in Höhe von 500 € beantragt. Sie hat ausgeführt, dass das streitgegenständliche Konto als Pfändungsschutzkonto geführt werde. Auf dieses Konto sei am 28.12.2020 mit ihrem Gehalt auch ein Coronabonus in Höhe von 500 € überwiesen worden. Hierbei handele es sich um eine zweckgebundene Zahlung zur Bewältigung existenzgefährdender wirtschaftlicher Schwierigkeiten infolge der Pandemie. Es sei daher ein unpfändbarer Anspruch.
Das Amtsgericht hat am 28.06.2021 den Antrag zurückgewiesen. Bei der gezahlten Coronaprämie handele es sich um keine staatliche, zweckgebundene Corona-Soforthilfe zur Abmilderung der finanziellen Notlagen von Unternehmen oder Selbstständigen. Eine Unpfändbarkeit sei daher nicht anzunehmen. Der Bonus sei auch nicht als Gefahrenzulage im Sinne von § 850a Nr. 3 ZPO zu verstehen.
Hiergegen richtet sich ihre sofortige Beschwerde vom 06.07.2021. Zur Begründung verweist sie nochmals auf ihren Antrag vom 22.04.2021.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde am 11.10.2021 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht angebracht.
Sie ist auch begründet. Ob es sich bei der Corona-Sonderzahlung des Arbeitgebers, die bis zu einer Höhe von 1.500,00 Euro steuer- und abgabenfrei ist, um eine im Rahmen des Üblichen unpfändbare Erschwerniszulage nach § 850 a Nr. 3 ZPO handelt, ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten (bejahend Ahrens, NJW – Spezial 2020, 341, 342; Riedel, Beck OK ZPO, § 850 a Rdnr. 15; Wipperfürth, ZInsO 2020, 1224, 1227; ebenso AG Gera LSK 2021, 32636; AG Cottbus VIA 2021, 69; dagegen ablehnend LG Dresden VIA 2021, 46).
Der Begriff der Erschwerniszulage in § 850a Nr. 3 ZPO ist nicht eindeutig und bedarf der Auslegung. Der Wortlaut spricht eher für ein weites, nicht auf die der Ausübung der Arbeit innewohnenden Belastung begrenztes Verständnis (BAG 23.08.2017 – 10 AZR 859/16 – Rdnr. 23). „Erschwernis“ im allgemeinen Sprachgebrauch wird synonym für „Anstrengung“, „Belastung“ oder „Mühsal“ verwendet. Hiervon ausgehend gehören Zulagen, die als Ausgleich für die durch Druck, Wasser, Lärm, Staub oder Hitze körperlich belastender Arbeit entrichtet werden, offenkundig zu den Erschwemiszulagen i.S.v. § 850 a Nr. 3 ZPO. Der Begriff Erschwernis erfasst aber ebenso die Arbeit zu einer ungünstigen zeitlichen Lage, da auch sie mit Belastung oder Mühsal verbunden ist. Im Begriff Erschwernis ist daher keine Einschränkung auf besondere Belastungen bei der Arbeitsleistung als solcher angelegt (BAG a.a.O. Rdnr. 24). Dementsprechend hat das BAG unter den Begriff der Erschwerniszulage i.S.v. § 850 a Nr. 3 ZPO auch Zulagen für ungünstige Arbeitszeiten – jedenfalls für Nachtarbeit – subsumiert. Nachtarbeit sei nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich für jeden Menschen schädlich und habe negative gesundheitliche Auswirkungen. Indem Nachtarbeit verteuert werde, wirke sich der Nachtarbeitszuschlag mittelbar auf die Gesundheit aus. Außerdem solle der Nachtarbeitszuschlag i.S.d. § 6 Abs. 5 ArbZG in einem gewissen Umfang den Arbeitnehmer für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen. Der Gesetzgeber habe die Ausgleichspflicht für Nachtarbeit als so bedeutend angesehen, dass er den entsprechenden Zuschlag – als einzigen Zuschlag – gesetzlich geregelt hat. Damit werde unterstrichen, dass dieser Zahlung auch im Interesse des Arbeitnehmers eine besondere Stellung eingeräumt werde. Insoweit hätten im Rahmen einer Pfändung Gläubigerinteressen zurückzustehen (BAG 23.08.2017 – 10 AZR 859/16 – Rdnr. 43).
Diese Überlegungen lassen sich grundsätzlich auch auf die Corona-Sonderzahlung übertragen. Infolge der Covid 19-Pandemie sind viele Arbeitnehmer bei der Arbeit besonderen physischen und psychischen Belastungen sowie Gefährdungen ausgesetzt. Dies hat der Gesetzgeber insbesondere für den Pflegebereich auch anerkannt und in § 150 a Abs. 8 S. 4 SGB XI ausdrücklich die Jnpfändbarkeit der sog. (staatlichen) Corona-Prämie geregelt. Nach Auffassung des Gerichts rechtfertigt § 150 a Abs. 8 S. 4 SGB XI aber keinen Umkehrschluss dergestalt, dass in anderen Bereichen die Pfändbarkeit von Corona-Sonderzahlungen zwingend ausgeschlossen sei. Vielmehr bleibt eine Einzelfallbetrachtung und eine Einordnung unter § 850 a ZPO weiterhin möglich. Nur für den Pflegebereich hat der Gesetzgeber die besondere Belastung bei der Arbeit pauschal unterstellt und anerkannt. Dies schließt nicht aus, dass es auch in anderen Berufen aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie zu besonderen Belastungen bei der Arbeitsleistung kommt, die es rechtfertigen, Corona-Sonderzahlungen nach § 850 a Nr. 3 ZPO als unpfändbar anzusehen. Dies gilt insbesondere – wie hier – für den Bereich des medizinischen Gesundheitsschutzes. Die Schuldnerin ist als Arbeitnehmerin in einer Hautarztpraxis beschäftigt und durch die Nähe zum Patienten auch durchweg einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Vereinzelt wird daher auch auf die Auffassung vertreten, die Corona-Sonderzahlung als Gefahrenzulage i.S.v. § 850 a Nr. 3 ZPO anzusehen (vgl. Wipperfürth, ZInsO 2020, 1224, 1227).
Nach der Intention der Bundesregierung und des Gesetzgebers soll durch die Corona-Sonderzahlung insbesondere auch eine Wertschätzung und Anerkennung für die Arbeitsleistung signalisiert werden, die die Mitarbeiter in einer Pandemiekrisenlage erbringen. Dies schließt nicht aus, dass der Arbeitgeber mit seiner freiwilligen Corona-Unterstüzung auch die besondere Belastungssituation am Arbeitsplatz honorieren möchte, die aufgrund der Covid 19-Pandemie gegeben ist. Nach dem Sinn und Zweck der Unterstützungsleistung soll diese – was sich nicht zuletzt auch an der Steuer- und Abgabenfreiheit ablesen lässt – ausschließlich und uneingeschränkt den Beschäftigten zugutekommen. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es gerechtfertigt, in Anwendung der grundrechtlich gebotenen Abwägung zwischen den Interessen des Schuldners und den Interessen der Gläubiger, den Gläubigern den Zugriff auf die Corona-Sonderzahlung zu verwehren. Würde man die Corona-Sonderzahlung nicht pfändungsfrei stellen, stünde diese bei Überschreiten der Pfändungsfreigrenzen von Lohnzahlungen nicht mehr dem Beschäftigten selbst zur Verfügung. Der Zweck der Sonderzahlungen wäre verfehlt.
Die Corona-Sonderzahlung in Höhe von 500,00 Euro überschreitet auch nicht den Rahmen des Üblichen i.S.d. § 850 a Nr. 3 ZPO. Das BAG knüpft bei der Frage nach dem Rahmen des Üblichen aus Gründen der Praktikabilität und in Anlehnung an die gesetzgeberische Wertung an die Regelung in § 3 b EStG an. Soweit der Gesetzgeber dort Zuschläge in einem bestimmten Umfang steuerfrei gestellt hat, sind diese Zuschläge im Rahmen des § 850 a Nr. 3 ZPO als unpfändbar anzusehen (BAG 23.08.2017 – 10 AZR 859/16 – Rdnr. 52). Da vorliegend der Gesetzgeber eine Corona-Unterstützung bis zu 1.500,00 Euro steuerfrei gestellt hat, hält sich die Zahlung des Beklagten in Höhe von 500,00 Euro im Rahmen des Üblichen.
Die sofortige Beschwerde ist daher erfolgreich. Der entgegenstehende Beschluss des Amtsgerichts München war aufzuheben und die beantragte Freigabe der Corona-Prämie anzuordnen.
Der Beschwerdewert wurde geschätzt, § 3 ZPO. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.


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