Insolvenzrecht

Insolvenzantrag eines Gläubigers: Nachweis des Bestands mehrerer, auf gleichgelagerten Lebenssachverhalten beruhenden Forderungen

Aktenzeichen  IX ZB 12/20

Datum:
14.1.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:140121BIXZB12.20.0
Normen:
§ 14 Abs 1 S 1 InsO
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Leitsatz

Stützt ein Gläubiger den Insolvenzantrag nicht auf eine einzelne, sondern auf mehrere, auf gleichgelagerten Lebenssachverhalten beruhende Forderungen, hat er den Bestand der Forderungen zur Überzeugung des Gerichts zu beweisen, soweit diese Forderungen zugleich den Eröffnungsgrund bilden.

Verfahrensgang

vorgehend LG Kaiserslautern, 20. Februar 2020, Az: 5 T 21/19vorgehend AG Kaiserslautern, 14. September 2018, Az: 1 IN 100/18

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 20. Februar 2020 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis zu 700.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin, eine chinesische Vermögensverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Shanghai, hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin beantragt. Gesellschaftszweck der Schuldnerin war die Errichtung, der Vertrieb und der Handel mit Photovoltaik-Anlagen und/oder Teilen davon. Grundlage des Antrags sind rückständige Kaufpreisforderungen, welche die Antragstellerin aus abgetretenem Recht geltend macht. Das Insolvenzgericht hat den Insolvenzantrag als unzulässig verworfen. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin den Eröffnungsantrag weiter.
II.
2
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
3
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die von der Antragstellerin behaupteten, nicht titulierten Forderungen bedürften des vollen Beweises, weil die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags allein von ihrem Bestand abhänge; eine Glaubhaftmachung der Forderungen sei in diesem Fall nicht ausreichend. Zwar habe die Antragstellerin eigene und fremde Forderungen vorgetragen. Diese beruhten jedoch sämtlich auf behaupteten Kaufpreisansprüchen der S.                        Co. Ltd. gegen die Schuldnerin in Höhe von insgesamt rund 140 Mio. €, von denen die Schuldnerin nur rund 52 Mio. € beglichen haben und deren Rest teilweise an die Antragstellerin abgetreten worden sein solle. Die Aufspaltung der ursprünglichen Kaufpreisrestforderungen durch teilweise Abtretung an die Antragstellerin führe nicht dazu, dass danach vom Vorhandensein mehrerer Forderungen verschiedener Gläubiger auszugehen sei, deren Glaubhaftmachung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausreiche. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Forderungen stünden nicht zur Überzeugung des Gerichts fest. Die Schuldnerin habe die Wirksamkeit der behaupteten Forderungsabtretung, den Bestand der behaupteten Forderungen und deren Durchsetzbarkeit im Einzelnen bestritten. Ob diese Einwendungen der Schuldnerin berechtigt seien, ob sie die Verjährungseinrede zu Recht erhoben habe und ob Verfahrenshindernisse bestünden, sei nicht vom Insolvenzgericht, sondern vom Prozessgericht zu entscheiden, weil die Einwendungen und Einreden der Schuldnerin jedenfalls nicht ersichtlich unbegründet seien.
4
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
5
a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO muss der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt allerdings voraus, dass das Insolvenzgericht vom Vorliegen eines Eröffnungsgrunds überzeugt ist (BGH, Beschluss vom 13. April 2006 – IX ZB 118/04, NZI 2006, 405 Rn. 6; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 16 Rn. 9).
6
Ist der Eröffnungsgrund (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) unabhängig davon gegeben, ob die Forderung des antragstellenden Gläubigers gegen den Schuldner besteht, setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht voraus, dass der Richter vom Bestehen dieser Forderung überzeugt ist. In diesem Fall genügt zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens – neben der anderweitig gewonnenen Überzeugung des Richters vom Vorliegen des Insolvenzgrunds – die Glaubhaftmachung der Forderung durch den antragstellenden Gläubiger (Uhlenbruck/Mock, aaO Rn. 14).
7
Hängt das Vorliegen des Eröffnungsgrunds dagegen vom Bestand der Forderung des antragstellenden Gläubigers dergestalt ab, dass der Schuldner nur dann zahlungsfähig oder überschuldet ist, wenn die von dem antragstellenden Gläubiger geltend gemachte Forderung besteht, reicht die Glaubhaftmachung der Forderung nicht aus. In diesem Fall hat der Gläubiger den Bestand seiner Forderung zu beweisen, wenn ihr der Schuldner substantiiert widerspricht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1991 – III ZR 9/91, ZIP 1992, 947; vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 207/04, ZIP 2006, 247 Rn. 3, 6; vom 29. März 2007 – IX ZB 141/06, ZIP 2007, 1226 Rn. 7; vom 6. Mai 2010 – IX ZB 176/09, ZInsO 2010, 1091 Rn. 5 ff). Der Beweis kann durch die Vorlage eines Titels über die Forderung geführt werden. In diesem Fall obliegt es dem Schuldner, etwaige Einwände gegen die Forderung in dem dafür vorgesehenen Verfahren überprüfen zu lassen. Ist die Forderung dagegen nicht tituliert, gehen Zweifel zu Lasten des antragstellenden Gläubigers. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Insolvenzgerichts, den Bestand ernsthaft bestrittener, rechtlich zweifelhafter Forderungen zu überprüfen. Fällt die tatsächliche oder rechtliche Beurteilung nicht eindeutig aus, ist der Gläubiger auf den Prozessweg zu verweisen (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005, aaO Rn. 6; vom 29. März 2007, aaO Rn. 7).
8
b) Nach diesen Maßstäben haben die Vorinstanzen den Eröffnungsantrag der Gläubigerin mit Recht mangels Vollbeweises der zur Begründung des Antrags vorgetragenen Forderungen verworfen. Vergeblich beruft sich die Antragstellerin darauf, dass sie den Antrag nicht nur auf eine einzige Forderung, sondern auf an sie abgetretene Forderungen aus acht selbständigen, in den Jahren 2010 bis 2013 mit der Schuldnerin abgeschlossenen Kaufverträgen stütze.
9
aa) Für die Frage, ob eine Glaubhaftmachung der Forderung ausreicht oder der Gläubiger den Bestand seiner Forderung zur Überzeugung des Gerichts beweisen muss, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Gläubiger eine einzige oder mehrere Forderungen gegen den Schuldner geltend macht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2007 – IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281 Rn. 6 ff). Maßgeblich ist vielmehr, ob der Eröffnungsgrund vom Bestand der Forderungen abhängt, derer sich der antragstellende Gläubiger zur Geltendmachung des Eröffnungsgrunds berühmt.
10
Dies ist hier der Fall. Ein Eröffnungsgrund wäre im Streitfall nur dann gegeben, wenn die von der Antragstellerin geltend gemachten Forderungen gegen die Schuldnerin tatsächlich bestehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die geltend gemachten Forderungen auf nur einem oder mehreren selbständigen Vertragsverhältnissen beruhen. Die Antragstellerin weist selbst darauf hin, dass sämtliche aus dem Verkauf von Solarmodulen herrührenden Kaufpreisforderungen ursprünglich demselben Gläubiger zugestanden haben und auf nur eine dauerhafte Geschäftsverbindung zwischen dem ursprünglichen Gläubiger und der Schuldnerin zurückgehen. Sämtliche geltend gemachten Forderungen beruhen damit auf gleichgelagerten, durch die vertragliche Gestaltung verknüpften Lebenssachverhalten. Außerdem erhebt die Schuldnerin gegen sämtliche geltend gemachten Forderungen dieselben Einreden und Einwendungen. Es besteht kein Anlass, die vorliegende Sachverhaltskonstellation anders zu beurteilen, als wenn zwischen dem ursprünglichen Gläubiger und der Schuldnerin nur ein einziger Kaufvertrag geschlossen worden wäre.
11
Auch die Anzahl und die Summe der geltend gemachten Forderungen ändert daran nichts. Wegen der Einheitlichkeit des ursprünglichen Rechtsverhältnisses entbindet schließlich der Umstand, dass nach dem Vortrag der Antragstellerin die Restforderungen aus zwei weiteren Kaufverträgen bei der ursprünglichen Gläubigerin verbleiben, die Antragstellerin nicht von der Verpflichtung, den Bestand der Forderungen zur Überzeugung des Insolvenzgerichts zu beweisen.
12
bb) Die behaupteten Forderungen sind nicht tituliert. Zweifel daran, ob die den Eröffnungsgrund bildenden Forderungen (noch) bestehen, gehen deshalb zu Lasten der Antragstellerin.
13
Nach der Systematik des Gesetzes ist es nicht die Aufgabe des Insolvenzgerichts, von Gläubigern behauptete Forderungen abschließend unter Berücksichtigung der vom Schuldner geltend gemachten Einwendungen auf ihre Berechtigung zu prüfen (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2005 – IX ZB 207/04, ZIP 2006, 247 Rn. 6; vom 1. Februar 2007 – IX ZB 79/06, NZI 2007, 350 Rn. 6). Ob die Forderung berechtigt ist und ob eine Verjährungseinrede zu Recht erhoben wird, hat in der Regel – wenn die Einwendung oder die Einrede nicht ersichtlich unbegründet ist und deswegen ausnahmsweise außer Acht gelassen werden kann – nicht das Insolvenzgericht zu entscheiden, sondern das Prozessgericht (BGH, Beschluss vom 29. März 2007 – IX ZB 141/06, ZIP 2007, 1226 Rn. 11; vom 29. November 2007 – IX ZB 12/07, ZIP 2008, 281 Rn. 9).
14
Von diesen Rechtssätzen ist das Beschwerdegericht nicht abgewichen. Es ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht die von der Schuldnerin vorgebrachten Einwendungen und die erhobene Verjährungseinrede in freier tatrichterlicher Überzeugung für nicht ersichtlich unbegründet gehalten und den Bestand der geltend gemachten Forderungen als nicht erwiesen angesehen hat. Eine ins Einzelne gehende und abschließende Prüfung der vorgebrachten Einwendungen und Einreden der Schuldnerin oder eine abschließende Entscheidung hierüber ist gerade nicht Aufgabe des Insolvenzgerichts. Von einem unsubstantiierten Bestreiten oder der Geltendmachung von Gegenrechten ins Blaue hinein durch die Schuldnerin kann hier nicht die Rede sein.
Grupp     
      
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