IT- und Medienrecht

Feststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr; Konfrontation eines Soldaten mit dem Anblick eines Kreuzessymbols auf dem Antreteplatz

Aktenzeichen  1 WNB 8/18

Datum:
4.7.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:040719B1WNB8.18.0
Normen:
Art 103 Abs 1 GG
§ 18 Abs 2 S 4 WBO
§ 22a Abs 2 Nr 1 WBO
§ 22a Abs 2 Nr 3 WBO
§ 23a Abs 2 S 1 WBO
§ 154 Abs 2 VwGO
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 2. August 2018, Az: S 3 BLa 12/17 und S 3 RL 2/18, Beschluss

Gründe

1
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel i.S.v. § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO einer Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
2
a) Dieser in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz gilt auch im wehrbeschwerderechtlichen Antragsverfahren und erstreckt sich über den Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 4 WBO hinaus auf alle für die Entscheidung maßgeblichen Sachfragen sowie auf die Beweisergebnisse, ferner auf entscheidungsrelevante Rechtsfragen, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (BVerwG, Beschluss vom 24. März 2010 – 1 WNB 3.10 – Buchholz 450.1 § 22a WBO Nr. 4 Rn. 5). Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist; dem Gericht obliegt insoweit auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht (BVerwG, Beschlüsse vom 26. Oktober 2010 – 1 WNB 4.10 – juris Rn. 16 und vom 11. Oktober 2016 – 1 WNB 2.16 – juris Rn. 8, jeweils m.w.N.). Deshalb ist das Gericht nicht gehalten, unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs seine die Entscheidung tragende Rechtsauffassung schon vor der Beschlussberatung im Einzelnen festzulegen und den Beteiligten zur Erörterung bekanntzugeben (BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2017 – 1 WNB 3.16 – NZWehrr 2017, 216 ).
3
b) Hiernach ist das rechtliche Gehör nicht verletzt.
4
Der Beschwerdeführer trägt vor, das Truppendienstgericht habe die Wiederholungsgefahr mit der Begründung verneint, Zweck der Standortverlagerung des Kreuzes sei gewesen zu gewährleisten, dass künftig niemand im Rahmen dienstlich befohlener Veranstaltungen dem Anblick des Kreuzes ausgesetzt werde. Wäre ihm dies mitgeteilt worden, hätte er ausgeführt, weshalb ein solcher Zweck der Standortveränderung nicht gegeben sei. Es sei nicht ausgeschlossen, dass das Truppendienstgericht dann eine Wiederholungsgefahr bejaht hätte.
5
Damit verkennt die Beschwerde, welche tatsächlichen Feststellungen für die Verneinung der Wiederholungsgefahr durch die Vorinstanz tragend sind. Zwar weist sie zutreffend darauf hin, dass das Truppendienstgericht auf Seite 10 des angegriffenen Beschlusses auch die der Standortverlagerung des Kreuzes vorausgegangenen Überlegungen referiert. Das Truppendienstgericht legt seiner Entscheidung aber den Rechtssatz zugrunde, dass die Annahme einer Wiederholungsgefahr die konkret absehbare Möglichkeit voraussetzt, dass in naher Zukunft eine gleiche oder gleichartige Entscheidung oder Maßnahme zu Lasten des Antragstellers zu erwarten ist und dass dabei im Wesentlichen die gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bestehen wie bei der erledigten Entscheidung oder Maßnahme. In Anwendung dieses Grundsatzes stellt es eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse fest. Entscheidungstragend für die Verneinung der Wiederholungsgefahr ist hiernach, dass das Kreuz an einen Standort versetzt wurde, von dem aus es wegen des Baumbestands nur noch von denjenigen wahrgenommen werde, die es auch sehen wollen. Danach sei die konkrete Gefahr einer erneuten nicht zu verhindernden visuellen Konfrontation mit dem Holzkreuz im Rahmen der Teilnahme an Appellen künftig für den Antragsteller nahezu ausgeschlossen. Die verbleibende Möglichkeit einer erneuten Konfrontation mit dem Kreuz etwa durch die erneute Umsetzung des Kreuzes oder die Verlagerung des Antreteplatzes in seine unmittelbare Nähe sei hingegen nur vage und für die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht ausreichend. Hiernach kommt es nach der Rechtsauffassung des Truppendienstgerichts auf die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf die Gründe hierfür an. Zu den die Entscheidung nicht tragenden Tatsachen muss weder ein rechtlicher Hinweis erfolgen noch ausdrücklich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.
6
2. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO kommt der Sache nicht zu.
7
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. für das Revisionsrecht der VwGO BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 sowie für das Rechtsbeschwerderecht der WBO BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 – 1 WNB 5.11 – Rn. 2 und vom 12. April 2018 – 2 WNB 1.18 – juris Rn. 5, jeweils m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – ggf. erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern mit dieser Klärung im angestrebten Rechtsbeschwerdeverfahren zu rechnen ist und hiervon eine Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus zu erwarten steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2017 – 8 B 16.16 – Buchholz 451.622 EAEG Nr. 3 Rn. 16). Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich auch ohne Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und der vorliegenden Literatur ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2014 – 1 WNB 1. 14 – juris Rn. 4 m.w.N.). Nicht im Rechtsbeschwerdeverfahren klärungsfähig sind Rechtsfragen, die sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Form beantworten lassen, weil es maßgeblich auf konkrete Umstände des Einzelfalls ankommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 2011 – 1 WNB 5.11 – Rn. 5 und vom 3. Mai 2019 – 1 WNB 3.18 – juris Rn. 11 und 13).
8
Die Rechtsfrage
“Liegt eine Wiederholungsgefahr unter Berücksichtigung der Grundrechte, insbesondere des Art. 4 GG vor, wenn der Gegenstand eines ausdrücklichen Begehrens (hier das Kreuz auf dem Antreteplatz) entfällt, gleichzeitig aber der Antragsgegner nicht kundtut, dass der Wegfall des Gegenstands des Begehrens von Dauer sein wird und damit auch die Erfüllung des Begehrens des Antragstellers bezweckt wird?”
rechtfertigt die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht, weil sie auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung zu beantworten ist. Nach der vom Truppendienstgericht zutreffend referierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Annahme einer Wiederholungsgefahr die konkret absehbare Möglichkeit voraus, dass in naher Zukunft eine gleiche oder gleichartige Entscheidung oder Maßnahme unter im Wesentlichen gleichartigen Verhältnissen zu Lasten des Antragstellers zu erwarten ist (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 26. April 2018 – 1 WB 35.17 – juris Rn. 21 m.w.N.). An einer das Feststellungsinteresse rechtfertigenden Wiederholungsgefahr fehlt es, wenn völlig ungewiss ist, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse vorliegen wie im Zeitpunkt des Erlasses der erledigten Maßnahme oder Entscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1986 – 1 C 10.86 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 162 S. 63). Die Möglichkeit einer gleichartigen Entscheidung unter im Wesentlichen gleichartigen Verhältnissen ist nicht bereits dann konkret absehbar, wenn der Antragsgegner sich nicht dazu äußert, ob eine für die Entscheidung relevante tatsächliche Veränderung von Dauer sein wird und nicht bekundet, dass die Veränderung die Abhilfe des Begehrens des Antragstellers bezweckt. Aus diesen Umständen lässt sich allenfalls die theoretische Möglichkeit, dass es künftig zu gleichartigen Entscheidungen kommt, ableiten, welche aber für die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht ausreichend ist. Hiervon geht das Truppendienstgericht auch zutreffend aus.
9
Die Rechtsfragen,
“Erledigen sich regelmäßig wiederkehrende Anordnungen oder Maßnahmen (hier in Form der Verpflichtung zur Teilnahme bzw. der Teilnahme an den Appellen vor dem Kreuz) jeweils kurzfristig, so dass der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren ohne die Annahme eines Feststellungsinteresses nicht rechtzeitig erlangen kann? Kann und muss in diesem Fall vor dem Hintergrund der Bedeutung des Art. 4 GG und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs angenommen werden?”
rechtfertigen die Zulassung der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht. Ob sich regelmäßig wiederkehrende Anordnungen oder Maßnahmen kurzfristig erledigen, hängt von der Art der in Rede stehenden Maßnahme ab und ist daher einer verallgemeinerungsfähigen abstrakten Klärung in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zugänglich. Dies gilt auch für die Anschlussfrage, ob für diese Anordnungen oder Maßnahmen deshalb ein Feststellungsinteresse wegen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs besteht.
10
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.


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