IT- und Medienrecht

Informationspflichten eines Musiklabel bei Compilation von Neueinspielungen von Schlagern

Aktenzeichen  33 O 6490/21

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 5a Abs. 2

 

Leitsatz

Die Bewerbung und das Inverkehrbringen einer Tonträger-Compilation mit dem Titel „Die Hit Giganten. Die besten Schlager Hits aller Zeiten”, ist gem. § 5a UWG unlauter, wenn auf der CD nicht mitgeteilt wird, dass ein Teil der dort enthaltenen Schlager nicht die Original-Aufnahmen sondern Neueinspielungen sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 21.05.2021 (Az. 33 O 6490/21) wird bestätigt.
Die Antragsgegnerin trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht sind.
A.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, insbesondere sind die gestellten Anträge hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
I. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf vor allem ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Antragsgegner deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Antragsgegner verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 2011, 2657 – Doubleoptin-Verfahren).
II. Diesen Anforderungen genügt der von der Antragstellerin formulierte Unterlassungsantrag, indem er jeweils die konkrete Verletzungsform umschreibt und zudem auf die konkrete Kennzeichnung bestimmter Produkte der Antragsgegnerin ausdrücklich Bezug nimmt. Eine Unbestimmtheit folgt entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht aus dem Umstand, dass nicht hinreichend deutlich wird, was eine „Originalaufnahme“ ist. Denn die Antragstellerin konkretisiert ihr Begehren dadurch, dass sie auf die Originalaufnahme der Erstveröffentlichung, also eine konkret bestimmbare Liedversion abstellt.
B.
Der Antrag ist auch begründet, weil die Antragstellerin Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht hat (§§ 935, 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO).
I. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch aus § 8 Abs. 1 UWG zu.
1. Die Antragstellerin ist als Mitbewerberin der Antragsgegnerin gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG aktivlegitimiert. Die Mitbewerbereigenschaft folgt aus dem Umstand, dass beide Parteien Tonträger aus dem Bereich Schlager, also gleichartige Waren innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen suchen. Sie stehen folglich zueinander im Substitutionswettbewerb (vgl. BGH WRP 2014, 1307 – nickelfrei; BGH WRP 2018, 1322 Rn. 17 – Werbeblocker II).
2. Das von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellte Anbieten und Inverkehrbringen der streitgegenständlichen Compilation stellt zudem eine geschäftliche Handlung i.S.d. § 2 Nr. 1 UWG dar.
3. Das Angebot sowie Inverkehrbringen der streitgegenständlichen CD in der angegriffenen Produktgestaltung ist unlauter gem. § 5a Abs. 2 S. 1 UWG, weil die angesprochenen Verkehrskreise auf der Produktverpackung nicht in angemessener Weise darauf hingewiesen werden, dass die streitgegenständliche CD auch Neueinspielungen bestimmter Schlagertitel enthält. Auf die Frage, ob die von Antragstellerseite angeführten Vermarktungshandlungen im Einzelhandel oder in bestimmten Online-Shops der Antragsgegnerin zuzurechnen sind, kommt es somit nicht an.
Nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG handelt unlauter, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, die geeignet ist, den Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass durch die jeweils in Streit stehende Werbung, Aufmachung oder Produktgestaltung eine Vorstellung bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt wird, die mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang steht (BGH GRUR 2016, 521 Rn. 10 – Durchgestrichener Preis II; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39.
Aufl. 2021, § 5 Rn. 1.56). Eine Irreführung kann nach § 5a Abs. 2 UWG auch darin bestehen, dass im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, die der Verbraucher je nach den Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Diese Voraussetzungen liegen vor.
a. Bei dem Umstand, dass die streitgegenständliche CD auch Neueinspielungen bekannter Schlagertitel enthält, handelt es sich um eine wesentliche Information i.S.d. § 5a Abs. 2 UWG.
aa. Eine Information ist nicht allein schon deshalb wesentlich i.S.d § 5a Abs. 2 UWG, weil sie für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers von Bedeutung sein kann, sondern nur dann, wenn ihre Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann und ihr für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zudem ein erhebliches Gewicht zukommt (BGH GRUR 2016, 1076 Rn. 31 – LGA tested; BGH GRUR 2017, 1265 Rn. 19 – Preisportal). Die Frage, ob eine Information für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers von besonderem Gewicht ist, ist nach dem Erwartungs- und Verständnishorizont des Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen (BGH GRUR 2017, 1265 Rn. 19 – Preisportal).
Dieses Verständnis kann die Kammer selbst feststellen, weil ihre Mitglieder als Durchschnittsverbraucher und zumindest potentielle Nachfrager entsprechender Schlagercompilations zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören (BGH GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft).
bb. Auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen ist die Tatsache, dass sich auf der streitgegenständlichen Compilation auch Neueinspielungen bzw. Re-Recordings bestimmter Schlagertitel befinden, als wesentliche Information anzusehen.
Hierfür spricht der Umstand, dass die angesprochenen Verkehrskreise gerade mit Musikstücken, die der Kategorie „Schlager“ unterfallen, gewisse Erwartungen verbinden. Schlagerlieder sind den angesprochenen Verkehrskreisen regelmäßig aus dem Radio oder bestimmten Hitparaden bekannt. In beiden Fällen sind die Verbraucher daran gewöhnt, dass dort jeweils Grundversionen eines Liedes aus der Zeit dargeboten werden, in dem es erstmals gesteigerte Bekanntheit erlangte bzw. die Charts oder Hitparaden stürmte. Diesen Fassungen ist in der Regel gemein, dass sie sich durch ein bestimmtes Liedtempo, ein bestimmtes Stimmniveau sowie ein individuelles Instrumentenarrangement auszeichnen. Auch verbinden die angesprochenen Verbraucher oftmals gerade mit Schlagertiteln ein Nostalgie- oder „Heile Welt“-Gefühl, das insbesondere nur dadurch entstehen kann, dass der betreffende Schlagertitel in einer bestimmten Version die Konstante in einer immer schnelllebigeren Welt ist. Den angesprochenen Verkehrskreisen ist somit wichtig, dass im Falle des käuflichen Erwerbs einer Schlager-Compilation die dort enthaltenen Titel im Wesentlichen denjenigen Fassungen entsprechen, die sie aus dem Radio kennen und die seinerzeit in den Hitparaden Spitzenplätze eingenommen haben. Die angesprochenen Verkehrskreise sind indes gerade nicht an Neueinspielungen gerade vergangener Schlagerhits – auch mangels Verbreitung in Funk- und Fernsehen – gewöhnt und sie bringen solchen gerade nicht eine vergleichbare Wertschätzung entgegen wie den ursprünglichen Fassungen. Somit erwarten die angesprochenen Verkehrskreise gerade, wenn – wie hier – auf einem Cover eines Tonträgers „Die besten Schlager Hits aller Zeiten“ angepriesen werden, jedenfalls keine Neueinspielungen älterer Titel.
Ob die Neuaufnahmen in musikalischer Hinsicht erheblich von den (auch von Antragsgegnerseite vielfach so bezeichneten [vgl. insbes. Schutzschrift S. 3, Bl. 23 d.A, Schriftsatz vom 15.06.2021, S. 1, Bl. 45 d.A., Screenshot Pressemitteilung, Anlage AG 5]) Originalaufnahmen oder – fassungen abweichen, ist für die Annahme einer Irreführung somit ohne Belang. Der Auffassung des LG Berlin in seiner Verfügung vom 07.06.2021 (vgl. Anlage AG 10) vermag sich die Kammer daher nicht anzuschließen, weshalb auch das von der Antragsgegnerin vorgelegte Sachverständigengutachten ohne rechtliche Relevanz bleibt.
b. Diese wesentliche Information enthält die Antragsgegnerin den angesprochenen Verbrauchern vor.
aa. Eine wesentliche Information wird dem Verbraucher vorenthalten, wenn sie zum Geschäfts- und Verantwortungsbereich des Unternehmers gehört oder dieser sie sich mit zumutbarem Aufwand beschaffen kann und der Verbraucher sie nicht oder nicht so erhält, dass er sie bei seiner geschäftlichen Entscheidung berücksichtigen kann (BGH GRUR 2016, 1076 Rn. 27 – LGA tested).
bb. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Antragsgegnerin war positiv bekannt, dass sich auf der von ihr herausgegebenen Schlager-Compilation auch Aufnahmen befinden, bei denen es sich um Neuaufnahmen bekannter Hits handelt. Dies folgt bereits auf der mit Anlage AG 5 vorgelegten Pressemitteilung. Allerdings findet sich an keiner Stelle auf der streitgegenständlichen CD, die dem Verkehr jedenfalls im Einzelhandel in der aus Anlage AG 4 ersichtlichen Form entgegentritt, ein Hinweis auf das Vorhandensein von bestimmten Re-Recordings. Ob bereits die Vorderseite der CD einen entsprechenden Hinweis enthalten muss, kann vorliegend dahinstehen, weil sich auch auf der Rückseite, auf der sich die Liste der enthaltenen Titel befindet, nicht in geeigneter Weise auf diesen Umstand hingewiesen wird.
Zwar finden sich hinter einigen Titeln Klammerzusätze. Nach den für den Bereich der Blickfangwerbung von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen – die auf den vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer wegen vergleichbarer Interessenlage übertragbar sind – beseitigt ein aufklärender Hinweis eine etwaige Irreführung nach §§ 5, 5a UWG allerdings nur dann, wenn die angesprochenen Verkehrskreise darin in zureichender Weise über den genauen Inhalt des Angebots informiert werden, mithin der Hinweis klar und unmissverständlich ist (BGH GRUR 2015, 698 Rn. 16 – Schlafzimmer komplett; BGH GRUR 2016, 207 Rn. 16 f. – All Net Flat). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Insbesondere aus dem Klammerzusatz „Radio Version“, der sich hinter dem Titel von Marianne Rosenberg „Er gehört zu mir“ befindet, sind für den Verbraucher keinerlei Rückschlüsse dahingehend möglich, dass es sich insoweit um eine Neuaufnahme handeln könnte, die sich von der Ursprungsversion des Songs unterscheiden kann. Nach Auffassung der Kammer wird durch diesen Klammerzusatz die Irreführungsgefahr für das Publikum sogar noch verstärkt, weil die angesprochenen Verbraucher aufgrund der Kennzeichnung des Titels als „Radio Version“ denken könnten, es handele sich um diejenige Fassung, die ihnen aus Radiosendungen bekannt ist, nämlich die Ursprungsversion des infrage stehenden Titels.
c. Der Verbraucher benötigt die Information, dass die streitgegenständliche Schlager-Compilation auch Neuaufnahmen bekannter Titel enthält, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen (§ 5a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UWG). Nur wenn er die infrage stehende Information enthält, ist er in der Lage, die individuelle Werthaltigkeit der Titelzusammenstellung zu überprüfen.
d. Das Vorenthalten dieser Informationen ist geeignet, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Handlung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte (§ 5a II 1 Nr. 2 UWG). Ohne die in Rede stehende Information besteht die Möglichkeit, dass der Verbraucher schon aufgrund des Titels „Die Hit Giganten: Die besten Schlager Hits aller Zeiten“ davon ausgeht, auf der CD befänden sich nur die Ursprungsversionen der betreffenden Titel und seinen Kaufentschluss aufgrund dieser Anpreisung fasst.
4. Die Wiederholungsgefahr ist durch die erfolgte Verletzungshandlung indiziert. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Antragsgegnerin nicht abgegeben.
5. Der Verbotsantrag ist auch nicht zu weit gefasst, da die Antragstellerin lediglich ein Verbot eines bestimmten Tonträgers in einer konkreten Gestaltung ohne konkret benannten aufklärenden Hinweis auf das Vorhandensein von Neuaufnahmen bestimmter Titel begehrt.
II. Das Bestehen eines Verfügungsgrundes wird gem. § 12 Abs. 1 UWG vermutet. Unabhängig davon hat die Antragstellerin unbestritten vorgetragen und glaubhaft gemacht, sie habe von den antragsgegenständlichen Verletzungshandlungen erstmals am 23.04.2021 Kenntnis erlangt. Damit ist mit Einreichung des Antrags am 12.05.2021 bei Gericht die im Bezirk des OLG München geltende strenge Monatsfrist zwischen erstmaliger Kenntniserlangung von dem antragsgegenständlichen Verstoß und der Beantragung einer einstweiligen Verfügung (vgl. OLG München, GRUR-RR 2017, 89, 94 m.w.N.) gewahrt.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 ZPO. D. Einer gesonderten Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht. Es folgt aus der Natur der Sache, dass die einstweiligen Rechtsschutz gewährende Entscheidung sofort vollstreckbar sein muss (Musielak/Voit/Huber, ZPO, 18. Aufl., § 935 Rn. 9).


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