IT- und Medienrecht

Nachhonorierungsansprüche wegen journalistischer Leistungen

Aktenzeichen  19 O 8247/18

Datum:
16.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 39003
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UrhG § 2 Abs. 2, § 32
ZPO § 287 Abs. 2
AEUV Art. 101

 

Leitsatz

1. Der Urheber kann bei einer prozessualen Durchsetzung des Rechts auf angemessene Nachvergütung aus § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG unmittelbar auf Zahlung des angemessenen Entgelts respektive der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten und dem angemessenen Entgelt klagen. (Anschluss BGH GRUR 2016, 62 Rn. 34 – GVR Tageszeitungen I) (Rn. 27 u. 67) (redaktioneller Leitsatz)
2. Journalistische Arbeiten weisen in aller Regel die für den urheberrechtlichen Schutz erforderliche Schöpfungshöhe auf. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die angemessene Vergütung im Sinne von § 32 Abs. 2 S. 2 ist gemäß § 287 Abs. 2 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung und billigem Ermessen zu bestimmen.  (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG vorzunehmenden Prüfung, ob eine Vergütung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist, können auch solche gemeinsamen Vergütungsregelungen als Vergleichsmaßstab und Orientierungshilfe herangezogen werden, deren Anwendungsvoraussetzungen nicht (vollständig) erfüllt sind und die deshalb keine unwiderlegliche Vermutungswirkung im Sinne von § 32 Abs. 2 S. 1 UrhG entfalten (vgl. BGH GRUR 2016, 62, Rn. 16 – GVR Tageszeitungen I). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67.427,54 € zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer in Höhe von 7 % dieses Betrags nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 17.11.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 72.177,51 €, ab 03.02.2020 auf 72.147,47 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der Hauptforderung in vollem Umfang begründet. Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs ist die Klage abzuweisen.
I. Zulässigkeit der Klage:
Die Klage ist zulässig.
1. Da die Klägerin Ansprüche aus § 32 UrhG geltend macht und der Streitwert bei mehr als 5.000 Euro liegt, ist das Landgericht Nürnberg-Fürth vorliegend gemäß §§ 12, 13 ZPO, 45 Abs. 2 Nr. 2 GZVJu örtlich und gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
2. Der „modifizierte“ Klageantrag aus dem Schriftsatz vom 21.08.2019 ist trotz der Formulierung „ggf. zzgl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer in Höhe von 7 %“ gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Nach dieser Vorschrift muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Streitgegenstand und der Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis müssen klar umrissen sein (BAG [19.3.2003], NZA 2003, 1221). Die klagende Partei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Bei einer stattgebenden Entscheidung darf keine Unklarheit über den Umfang der Rechtskraft bestehen.
Im Klageantrag hat die Klägerin zunächst einen Bruttobetrag angegeben inklusive 7 % gesetzlicher Umsatzsteuer und der Angabe, die Klägerin sei verpflichtet, die Umsatzsteuer abzuführen. Diesen Vortrag hat die Klägerin auch bei Stellung des neuen Klageantrags nicht geändert. Der „modifizierte“ Antrag ist trotz der nur „gegebenenfalls“ geltend gemachten Umsatzsteuer mithin dahingehend auszulegen, dass die Klägerin auch zuletzt davon ausgeht, dass sie insoweit umsatzsteuerabführungspflichtig ist und damit nach wie vor der Bruttobetrag eingeklagt werden soll, der sich aus netto 67.455,62 € (nach der Teilklagerücknahme 67.427,54 €) und 7 % Umsatzsteuer hierauf zusammensetzt.
II. Begründetheit der Klage:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Nachvergütung in Höhe von 67.427,54 € (netto) zuzüglich 7 % Umsatzsteuer gemäß § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG.
Das Urheberrecht ist von dem Leitgedanken geprägt, den Urheber an sämtlichen Erträgnissen aus der Verwertung seines Werkes oder seiner Leistung angemessen zu beteiligen. Dementsprechend kann der Urheber gemäß § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG von seinem Vertragspartner, sofern die mit diesem vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, eine Korrektur des Vertrages in dem Sinne verlangen, dass die vereinbarte Vergütung für die Einräumung der Nutzungsrechte durch eine angemessene Vergütung ersetzt wird. Ob die vertraglich vereinbarte Vergütung angemessen ist, bestimmt sich nach § 32 Abs. 2 UrhG. Es entspricht dem Prinzip des Vorrangs der vertraglichen Abrede, dass das Gesetz nicht einen unmittelbaren Anspruch auf die ergänzte Vergütung gewährt, sondern lediglich eine Korrektur des Vertrags vorsieht. Dennoch kann der Urheber bei einer prozessualen Durchsetzung des Rechts aus § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG unmittelbar auf Zahlung des angemessenen Entgelts respektive der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten und dem angemessenen Entgelt klagen (vgl. BT-Drs. 14/8058, S. 18; BGH GRUR 2016, 62 Rn. 34 – GVR Tageszeitungen I; BGHZ 115, 63 – Horoskop-Kalender).
1. Urhebereigenschaft der Klägerin:
Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift vorgetragen, sie sei jeweils Urheberin der streitgegenständlichen Text- und Bildbeiträge, für die gemäß der Auflistung in Anlage K 11 Nachvergütung beansprucht wird.
Dieses Vorbringen hat die Beklagte nicht in prozessual zulässiger Weise bestritten. Die Beklagte führt im Schriftsatz vom 08.10.2019 lediglich pauschal aus, die Klägerin habe im Zeitraum von Juni 2016 bis September 2018 teilweise Texte, die sie von Dritten erhalten habe, kopiert und lediglich marginal ergänzt. Das Gericht sieht hierin kein Bestreiten der Urhebereigenschaft. Die Beklagte legt weder dar, welche Texte originär von Dritten stammen sollen noch stellt sie einen Bezug zu den streitgegenständlichen Texten her. Der Einlassung der Klägerin, sie habe keine Berichte in ihre Berechnungen eingestellt, die sie z.B. von Sportvereinen bekommen und nicht selbst verfasst habe, ist die Beklagte nicht entgegengetreten.
Soweit die Beklagte erstmals im Schriftsatz vom 03.02.2020 bestreitet, die Klägerin sei hinsichtlich des streitgegenständlichen Textes „Die Ergebnisse der Winterpower-Serie im BLV-Kreis Donau-Wald in Wallersdorf“ in Bezug auf 137 Zeilen nicht die Urheberin, hätte sie dies bereits in der Klageerwiderung tun können. Der neue Sachvortrag ist gemäß § 296 Abs. 1 ZPO nicht zuzulassen, da dieser verspätet ist, eine Zulassung den Rechtsstreit verzögern würde und die Verspätung auch nicht genügend entschuldigt wurde. Eine Verspätung liegt vor, da der relevante Sachvortrag des Klägers zur veröffentlichten Zeilenanzahl bereits in der Klageschrift erfolgte und innerhalb der gesetzten Frist zur Klageerwiderung nicht bestritten wurde. Eine Verzögerung des Rechtsstreits träte bei Zulassung des Vertrags ein, da sie erst nach dem Tag vorgebracht wurde, der nach dem Übergang ins schriftliche Verfahren dem der letzten mündlichen Verhandlung entspricht. Das Bestreiten ist auch gemäß §§ 296 Abs. 2, 282 ZPO zurückzuweisen, da Angriffs- und Verteidigungsmittel dann als verspätet anzusehen sind, wenn sie später vorgetragen oder angekündigt werden, als dies aufgrund der in § 282 Abs. 1 und Abs. 2 normierten allgemeinen Pflicht zur Prozessförderung geboten war. Es entspricht nicht einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung, wenn der entscheidungserhebliche Vortrag, der von Beginn an bekannt war, nach der Überleitung in das schriftliche Verfahren bestritten wird. Ohnehin hat die Klägerin auch nach dem Beklagtenvortrag von einem Dritten lediglich Tabellenwerte erhalten, die sie in den unstreitig von ihr im Übrigen verfassten Artikel eingebunden hat.
2. Urheberrechtlicher Schutz:
Die streitgegenständlichen Artikel genießen auch urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerke. Die Schutzfähigkeit des Werkes muss derjenige beweisen, der sich darauf beruft, also die Klägerin (BGH GRUR 1991, 449, 450 – Betriebssystem). Die in Anspruch genommene Beklagte muss dann vortragen, weshalb das konkrete Werk schutzlos ist (Dreier/Schulze/Schulze, 6. Aufl. 2018, UrhG § 2 Rn. 70).
Die Klägerin hat die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der von ihr erstellten Texte und Bilder vorgetragen. Die Klägerin hat hinsichtlich der in der Anlage K 11 aufgeführten Texte ausgeführt, Kurztexte wie Terminvorschauen oder Ankündigungen, die die urheberrechtlich geforderte Schöpfungshöhe nicht erreichen, aus der Berechnung herausgenommen zu haben. Die Beklagte ist dem nicht entgegengetreten. Die Beklagte hat in ihren Ausführungen zwar wiederholt ausgeführt, dass den Texten der Klägerin teilweise keine „journalistische Leistung“ zugrunde liege und die „journalistische Wertschöpfungstiefe“ gering sei, tritt jedoch der jeweiligen Werkqualität der streitgegenständlichen Text- und Bildbeiträge insgesamt ausdrücklich nicht entgegen (vgl. S. 2 des Schriftsatzes vom 16.01.2020).
Soweit die Beklagte lediglich konkret anführt, der Text „Die Ergebnisse der Winterpower-Serie im BLV-Kreis Donau-Wald in Wallersdorf“ weise in Bezug auf 137 Zeilen die erforderliche Schöpfungshöhe nicht auf, so ist dem – ungeachtet der oben ausgeführten Präklusion des hierauf bezogenen Sachvortrags – nicht zu folgen. Im Kern knüpft der Urheberrechtsschutz an die schöpferischen Beiträge des Urhebers an, die von seinem Geist oder seiner Persönlichkeit geprägt sind. Voraussetzung für die Erfüllung des insoweit einschlägigen Erfordernisses der Individualität oder Originalität ist das Bestehen eines Gestaltungsspielraums. Besteht dieser Spielraum, fordert die Rechtsprechung ein gewisses quantitatives Maß an individueller Prägung (Gestaltungshöhe). Bei Sprachwerken reicht ein sehr geringer Grad an kreativer Leistung aus („kleine Münze“). Im Hinblick auf Zeitungsartikel etwa unterliegen diese – wie bereits die Norm des § 49 UrhG zeigt – dem urheberrechtlichen Schutz, da sie in aller Regel aufgrund ihrer individuellen Prägung Werkcharakter im Sinne von § 2 Abs. 2 UrhG haben. Die vielfältigen Möglichkeiten, ein Thema in einer Zeitung darzustellen, und die fast unerschöpfliche Vielzahl der Ausdrucksmöglichkeiten führen dazu, dass journalistische Arbeiten nahezu unvermeidlich die Individualprägung ihrer Urheber enthalten (Spindler/Schuster Elektron. Medien/Wiebe, 4. Aufl. 2019, UrhG § 2 Rn. 2). So ist es auch im Fall des als Anlage B 10 vorgelegten Artikels, der nicht zeilenweise, sondern in seiner Gesamtheit zu betrachten ist. Der Bericht über ein Sportturnier mit einer zusätzlichen Auflistung der Ergebnisse weist nach den genannten Maßstäben die erforderliche, individuell-geistige Schöpfungshöhe auf.
Die von der Klägerin hergestellten Fotos sind jedenfalls als Lichtbilder nach § 72 UrhG geschützt, so dass der Klägerin wegen der Einräumung von Nutzungsrechten die Ansprüche nach § 32 UrhG zustehen.
3. Einräumung von Nutzungsrechten:
Die Klägerin hat der Beklagten unstreitig bei allen Bildern und Texten jeweils die ausschließlichen Nutzungsrechte in Form des „Erstdruckrechts“ eingeräumt. Der Herausgeber einer Zeitung erwirbt nach § 38 Abs. 3 Satz 1 UrhG zwar regelmäßig nur ein einfaches Nutzungsrecht an den Beiträgen. Von der Regel kann aber durch Vereinbarung gemäß § 38 Abs. 3 S. 2 UrhG abgewichen werden. Die Parteien haben sich vorliegend aber über die Einräumung eines „Erstdruckrechts“ konkludent verständigt.
4. Keine tarifvertragliche Bestimmung der Vergütung für die Werknutzung:
Die Inanspruchnahme der Beklagten durch den Kläger ist nicht gemäß § 32 Abs. 4 UrhG von vorneherein ausgeschlossen. Danach hat der Urheber keinen Anspruch nach § 32 Absatz 1 S. 3 UrhG, soweit die Vergütung für die Nutzung seiner Werke tarifvertraglich bestimmt ist. Nach dem vorbringen der Parteien ist nicht ersichtlich, dass bezogen auf die Klägerin der Geltungsbereich eines Tarifvertrages für die Werknutzung in sachlicher, persönlicher, räumlicher und zeitlicher Hinsicht eröffnet ist.
5. Angemessenheit der an die Klägerin gezahlten Vergütung:
Das von der Beklagten an den Kläger gezahlte Honorar für die Text- und Fotobeiträge war nicht angemessen im Sinne von § 32 Abs. 1 S. 3 UrhG. Der Klägerin stehen in Summe 67.427,54 € netto als Nachvergütung zu.
Unter welchen Voraussetzungen eine Vergütung angemessen ist, bestimmt sich nach § 32 Abs. 2 UrhG. Nach Satz 1 ist eine nach einer gemeinsamen Vergütungsregel (§ 36 UrhG) ermittelte Vergütung angemessen. Ist eine solche nicht einschlägig, ist angemessen, was im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entsprach, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten war (§ 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG). Dementsprechend ist die angemessene Vergütung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO im Anwendungsbereich des Satzes 2 unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach freier Überzeugung und billigem Ermessen zu bestimmen (BGHZ 182, 337 Rn. 31 – Talking to Addison; BGH GRUR 2016, 62 – GVR Tageszeitungen I).
a) Auswirkungen der „Kündigung“ der GVR durch den BDZV für die Frage der Heranziehung der Vergütungsregelungen im Rahmen des § 32 Abs. 2 UrhG:
Für den Zeitraum bis Februar 2017 sind die GVR vorliegend als gemeinsame Vergütungsregelungen nach § 36 UrhG für die Bestimmung der Angemessenheit im Rahmen der unwiderleglichen Vermutung heranzuziehen; für den Zeitraum ab März 2017 sind sie zumindest als Orientierungshilfe für die Schätzung des angemessenen Honorars gemäß § 287 ZPO heranzuziehen.
Streitig ist zwischen den Parteien die Frage, wie es sich auf den Nachvergütungsanspruch auswirkt, dass sich die GVR seit 01.03.2017 im gekündigten Zustand befinden und nach Auffassung des BDZV (vgl. Anlage B 1) ab diesem Zeitpunkt „keine Anspruchsgrundlage“ mehr für eine Vergütung darstellen könnten.
Die Klägerin ist für die Beklagte seit August 2004 tätig gewesen, ein schriftlicher Vertrag existiert nicht mit Ausnahme des als Anlage K 8 a vorgelegten, für den Zeitraum von Juli 2014 bis Mai 2016 unstreitig geschlossenen Anstellungsvertrags. Maßgeblich für die Bestimmung der angemessenen Vergütung ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht der der jeweiligen Auftragserteilungen durch die Redaktion der „Landauer Zeitung“. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die Parteien zu Beginn der Zusammenarbeit oder auch nach Ende des Anstellungsvertrages eine Rahmenvereinbarung für sämtliche zukünftigen Beiträge der Klägerin geschlossen haben, so dass von dem Abschluss von Einzelverträgen vor Nutzung der Beiträge – jeweils von Juni 2016 bis September 2018 – auszugehen ist.
Für den Zeitraum von Juni 2016 bis Februar 2017 sind vorliegend die in zeitlicher Hinsicht gültigen GVR anzuwenden und bei der Berechnung der angemessenen Vergütung ist auf § 32 Abs. 2 S. 1 UrhG abzustellen. Für den Zeitraum ab März 2017 ist fraglich, ob § 32 Abs. 2 S. 1 oder 2 UrhG einschlägig ist. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn bei der gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 UrhG vorzunehmenden Prüfung, ob eine Vergütung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände nicht nur üblicher-, sondern auch redlicherweise zu leisten ist, können sodann auch solche gemeinsamen Vergütungsregelungen als Vergleichsmaßstab und Orientierungshilfe herangezogen werden, deren Anwendungsvoraussetzungen (wie hier möglicherweise die zeitliche) nicht (vollständig) erfüllt sind und die deshalb keine unwiderlegliche Vermutungswirkung im Sinne von § 32 Abs. 2 S. 1 UrhG entfalten (vgl. BGH GRUR 2016, 62, 63 Rn. 16 – GVR Tageszeitungen I). Dementsprechend kann die Klägerin ihren Berechnungen grundsätzlich die Vergütungssätze der GVR zu Grunde legen, auch wenn deren Anwendungsvoraussetzungen in zeitlicher Hinsicht nicht mehr vorlagen (vgl. im Hinblick auf die zeitliche Anwendbarkeit, jedenfalls wenn der Vertragsschluss der Geltung der GVR zeitlich vorgelagert ist, vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11. Februar 2016 – I-4 U 40/15 -, Rn. 156 f., juris).
Der Beklagte hat lediglich pauschal unter Zugrundelegung eines Zeitungsartikels (Anlage B 2) vorgetragen, dass die nach GVR geschuldeten Honorare mit Blick auf den allgemeinen Auflagenschwund der Zeitungsverlagswirtschaft nicht mehr erwirtschaftet werden könnten, trägt jedoch nicht konkret vor, wieso ab März 2017 (im unmittelbaren Zeitraum nach der „Kündigung“) die GVR nicht noch aus Orientierungshilfe für die bis kurz zuvor geltenden Vergütungsrichtlinien herangezogen werden können. Es ist nicht ersichtlich, dass die Interessenlage oder die tatsächlichen Umstände in dem Zeitraum wenige Monate nach „Kündigung“ der Regeln wesentlich anders gelegen hätten als davor. Änderungen wie etwa die „Kündigung“ oder „Distanzierung“ eines an den GVR beteiligten Verbandes ändern nichts daran, dass die GVR als Vergleichsmaßstab zumindest im Sinne des § 32 Abs. 2 S. 2 UrhG herangezogen werden können. Dies gilt im hier vorliegenden Fall umso mehr, als die konkrete Vertragsgestaltung einem bereits vor einer etwaig wirksamen Kündigung der GVR vereinbarten Dauerschuldverhältnis und/oder einer bereits vormaligen Rahmenvereinbarung (bei deren Vorliegen die GVR unmittelbar zum Tragen gekommen wären) jedenfalls wegen der regelmäßigen, wiederkehrenden und dauerhaft erbrachten Leistungen der Klägerin ähnelte.
b) Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs der GVR:
Der persönliche Anwendungsbereich der GVR ist vorliegend auch eröffnet. Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum „freie hauptberufliche Journalistin an Tageszeitungen“ im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 der GVR (Textbeiträge). Darlegungs- und beweispflichtig ist die Klägerin, die nach § 1 Abs. 1 S. 2 die Hauptberuflichkeit auf Verlangen des Verlages darzulegen und ggf. auch nachzuweisen hat, was ihr vorliegend gelungen ist. Die Beklagte kann mit den gegen die Hauptberuflichkeit der Klägerin vorgebrachten Einwendungen nicht keinen Erfolg haben.
Nach § 1 Abs. 1 S. 3 der GVR stellen die in Kopie vorgelegten Presseausweise und die vorgelegten Bescheinigungen der Versicherung nach dem KSVG Indizien für die Hauptberuflichkeit der Klägerin dar (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 01. März 2018 – I-4 U 98/15 -, Rn. 74, juris). Diese Indizien für die Hauptberuflichkeit konnte die Beklagte durch ihren Vortrag nicht erschüttern. Die hauptberufliche Tätigkeit als Journalistin an Tageszeitungen kann nach dem unstreitigen Sachvortrag der Klägerin in Verbindung mit den genannten Indizien hinreichend sicher festgestellt werden. Für die Hauptberuflichkeit spricht – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – auch der durch die eigenen Honorarabrechnungen der Beklagten (Anlagenkonvolut K 6) dokumentierte Umfang der Tätigkeit der Klägerin. Ausweislich dieser Abrechnungen hat die Klägerin allein für die Beklagte nahezu täglich – teilweise mehrere – Beiträge verfasst. Es ist kaum vorstellbar, dass sie dies lediglich nebenberuflich geleistet haben soll. Die Beklagte legt auch nicht dar, welcher weiteren Tätigkeit die Klägerin dann hauptberuflich nachgegangen sein soll.
Die Quantität der erbrachten Leistungen und die Tatsache, dass die Klägerin ihre Haupteinnahmequelle im streitgegenständlichen Zeitraum mit ihrer Tätigkeit für die Beklagte bestritt, sprechen – neben den oben ausgeführten Indizien – für die hauptberufliche Tätigkeit der Klägerin als Journalistin. Im Übrigen ist der Vortrag unstreitig geworden, dass die Klägerin zumindest im streitgegenständlichen Zeitraum ihr Einkommen im Wesentlichen aus ihrer Tätigkeit für die Beklagte erwirtschaftet hat. Daran ändert auch der im Ergebnis zu vernachlässigende Umstand nichts, dass die Klägerin nebenbei einem Minijob als Büroangestellte nachgegangen ist oder Bücher veröffentlicht hat, bei denen sie keine Einkünfte in nennenswerter Höhe erzielt hat. Die Beklagte hat den von der Klägerin angegebenen Umfang ihrer Tätigkeit für die Beklagte und den hierfür erforderlichen Zeitaufwand nicht bestritten, sondern lediglich argumentiert, es fehle der Klägerin hinsichtlich der von ihr erstellten Beiträge an der „journalistischen Wertstellung“, insbesondere im Hinblick auf reine Terminankündigungen oder Bekanntmachungen und weiterer Kurztexte. Anhand der beispielhaft übergebenen Texte (Anlagenkonvolut B 7) ist zwar erkennbar, dass ein Teil der Texte der Klägerin – die nicht streitgegenständlich sind und für die keine Nachvergütung beansprucht wird – von geringer „journalistischer Wertschöpfungstiefe“ sein mögen. Aus den Bedingungen für die Anwendung der GVR lässt sich indes nicht entnehmen, dass eine wie auch immer geartete journalistische Qualität Voraussetzung für die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs der GVR wäre. Es wäre mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbunden, wenn Vergütungsregelungen erst mit dem Erreichen einer bestimmten „Schöpfungshöhe“ (die auch nach den Ausführungen der Beklagten nicht mit der Schöpfungshöhe gleichzusetzen ist, nach denen ein Textbeitrag urheberrechtlichen Schutz als Werk genießt) im Einzelfall anzuwenden wäre.
Eine „journalistische Tätigkeit“ ist vorliegend auch nicht deshalb ausgeschlossen, da die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ein Fernstudium zur journalistischen Weiterbildung absolviert hat. Der vom Beklagten vertretene Ansatz, dass die Klägerin mit dem Fernstudium bekunde, dass sie sich gleich einer Auszubildenden erst in der „Anlernphase“ auf dem Weg zur journalistischen Tätigkeit befand, ist schon im Ansatz fernliegend. Die Klägerin verfasste seit dem Jahr 2004 für die Beklagte Bild- und Textbeiträge mit unterschiedlichem Umfang, unterschiedlichem Rechercheaufwand und – typisch für den Lokaljournalismus – unterschiedlichen Anforderungen an die Bearbeitung von Texten, die teilweise von Dritten bei der Zeitung eingereicht werden. Aus den GVR lässt sich nicht entnehmen, dass ein gewisser Erfahrungsschatz nötig ist, um in den Genuss der GVR zu kommen. Dass die Klägerin anhand der von ihr vorgelegten Beispielstexte journalistisch gearbeitet hat, ist offensichtlich. Dass im Alltagsbetrieb einer mittelständischen Zeitung neben rein journalistischen Tätigkeiten auch als nicht journalistisch zu qualifizierende, sonstige Bürotätigkeiten anfallen, die von freien Mitarbeitern, deren Hauptaufgabe es ist, Texte und Bilder auftragsgemäß einzureichen, bewältigt werden, ändert nichts an der Einstufung, dass die Klägerin einer journalistischen Tätigkeit nachging. Auch anhand der von der Beklagten vorgenommenen Tätigkeitsbeschreibung der Klägerin ist ersichtlich, dass die Klägerin hauptsächlich für das Erstellen und die Bearbeitung von Texten und Bildern zuständig war.
Aus dem Umstand, dass § 1 der GVR als Indiz für die Hauptberuflichkeit grundsätzlich etwa die Vorlage eines Presseausweises als starkes Indiz genügen lässt und damit eine eher niedrige Nachweisanforderung aufstellt, ergibt sich, dass den vielgestaltigen Daseinsformen eines Journalisten mit den GVR entsprochen werden sollte und ein tiefgreifender Streit über die Frage der Hauptberuflichkeit vermieden werden sollte. Es wäre nicht konsistent, eine weitere – inhaltlich unklare – Voraussetzung zur Eröffnung des Anwendungsbereichs zu fordern, wie etwa die Voraussetzung eines Mindeststandards für die „journalistische Wertschöpfungshöhe“. Nach der GVR sind Indizien für die Hauptberuflichkeit insbesondere ohne Weiteres verifizierbare Bescheinigungen (vgl. § 1 Abs. 1 GVR), nicht aber Umstände, die auf qualitativen Anforderungen beruhen und schon insoweit Wertungen zugeführt werden müssten. Die Hauptberuflichkeit ist auch nach der GVR nicht von einem wie auch immer gearteten Niveau der journalistischen Tätigkeit abhängig.
Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang die Anfrage der Klägerin in Bezug auf eine Honorarerhöhung vor dem Hintergrund, dass damit ihre Hauptberuflichkeit gegenüber der Agentur für Arbeit leichter nachzuweisen wäre. Insofern bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass für die Hauptberuflichkeit zur Anwendung der GVR der gleiche Maßstab zugrunde zu legen wäre wie für den „Nachweis einer intensiven Geschäftstätigkeit“ oder „hauptberuflichen unternehmerischen Aktivität“ zur Bewilligung eines Gründungszuschusses gegenüber der Bundesagentur.
c) Wirksamkeit der Bemessungsgrundlage der GVR aufgrund der gerügten Kartellrechtswidrigkeit
Die Kammer legt bei der rechtlichen Bewertung die GVR als wirksame Bemessungsgrundlage zugrunde. Der von der Beklagten gerügte Verstoß gegen das Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht feststellbar. Nach der genannten europäischen Wettbewerbsregel sind aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche zur Verhinderung bzw. zur Einschränkung des Wettbewerbs des Binnenmarktes führen, verboten. In Buchstabe a der Norm wird die Preisfestsetzung ausdrücklich als verbotene Wettbewerbsmaßnahme genannt.
Ob die GVR geeignet sind, eine „spürbare Handelsbeeinträchtigung“ herbeizuführen, bedarf aber näherer Prüfung (EuGH, Urteil vom 04.12.2014 – C-413/13, BGH, Urteil vom 20.03.2017 – KZR 75/15 = NZKart 2017, 315 m.w.N.) und entsprechenden Sachvortrages. Die Beklagte führt zu Recht aus, der BGH habe im Beschluss vom 20.3.2017 (KZR 75/15) gerade nicht festgestellt, dass die GVR nicht gegen Art. 101 AEUV verstoßen, sondern einen solchen vielmehr ausdrücklich in Betracht gezogen. Der BGH führt aber aus, es bestehe kein Anlass, die Frage eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV aufzuklären, wenn hinreichender Vortrag zum Vorliegen einer spürbaren Handelsbeeinträchtigung fehlt. So ist es hier.
Die Beklagte hat pauschal vorgetragen, die Geltung der GVR würden die Beklagte daran hindern, journalistische Leistungen aus dem nur rund 50 Kilometer entfernten Österreich preisgünstiger einzukaufen. Die Beklagte unterhalte „Geschäftsbeziehungen“ zu freien Journalisten aus Österreich. Diese Darlegung reicht nicht aus, um von einer spürbaren Handelsbeeinträchtigung ausgehen zu können. Alleine die Behauptung eines Abschottüngseffekts gegenüber freien Journalisten aus anderen EU-Mitgliedstaaten entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegungslast der Beklagten. Die Darlegungs- und Beweisanforderungen für den Beweis der Eignung einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels sind hoch (Bechtold/Bosch/Brinker/Bechtold/Bosch/Brinker, 3. Aufl. 2014, VO 1/2003 Art. 2 Rn. 10). Es fehlen vorliegend jegliche Ausführungen zum Spürbarkeitskriterium. Quantitative Kriterien, die für das Vorliegen einer spürbaren Wettbewerbsbeschränkung maßgeblich sind, führt die Beklagte nicht an. Zu berücksichtigende Faktoren bei der Spürbarkeit sind die Wirkungen der GVR auf den Wettbewerb, die Marktstellung der Betroffenen, die Art und Menge der betroffenen Dienstleistungen und das rechtliche und tatsächliche Umfeld (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 5. Aufl. 2012, AEUV Art. 101 Rn. 206). Zu all diesen Faktoren fehlt es bezogen auf den konkreten Fall, der Leistungen für eine Lokalzeitung betrifft, an einem relevanten Sachvortrag.
d) Keine Unwirksamkeit der Heranziehung eines Mindesthonorars für Textbeiträge nach § 3 der GVR und Eingruppierunq in die Kategorie der Auflagenstärke „bis 10.000“:
aa) Soweit die Beklagte anführt, hinsichtlich der konkreten Anwendung der GVR sei die Heranziehung eines Mindesthonorars nach § 3 GVR für Textbeiträge unter 20 Zeilen unbillig, so ist dem nicht zu folgen. Die Vereinbarung entspricht gerade der Mindestvergütung, die die beteiligten Verbände bei Vereinbarung der GVR als sachgerecht angesehen haben.
bb) Die Nachforderungen bezüglich der Textbeiträge sind nach § 3 der GVR in die Kategorie „Auflage bis 10.000“ einzuordnen. Ein Abschlag ist aufgrund des Vortrags, dass die „Landauer Zeitung“ lediglich eine Auflage von zwischen 7.400 und 7.800 Stück aufweise, nicht vorzunehmen. Die GVR sehen eine – auch von den Verlagen – als sachgerecht anzusehende Differenzierung bei der Auflagenzahlen in Größenkategorien vor. Einen Anstieg in kleineren Größenkategorien sieht die GVR gerade nicht vor, sodass die grundsätzliche Eingruppierung vorliegend nicht in Frage gestellt werden kann. Ob bei einer signifikanten Unterschreitung der Auflagenzahlen (etwa bei unter 1.000 Stück) eine Korrektur der Vergütung pro Zeile nach unten vorgenommen werden muss, kann vorliegend dahinstehen. Denn die „Landauer Zeitung“ unterschreitet die Auflagenkategorie „bis 10.000“ nicht signifikant.
e) Höhe der angemessenen Vergütung und Differenz zur tatsächlich gezahlten Vergütung:
Der Klägerin stehen in Summe mithin 67.427,54 netto als Nachvergütung zu.
Aus § 8 der GVR folgt, dass den in den GVR genannten Beträgen, hiernach auch der wie erfolgt bestimmten angemessenen Vergütung, die Mehrwertsteuer zuzurechnen ist. Daraus ergibt sich eine Bruttoforderung in Höhe von insgesamt 72.147.47 €.
aa) Der Honorarsätze für die Textbeiträge des Klägers sind entsprechend der Regelung des § 3 der GVR anzuwenden. Danach erfolgt die Berechnung der Honorare nach Anzahl der Druckzeilen der einzelnen Beiträge. Dabei gilt als Normalzeile die Druckzeile mit 34-40 Buchstaben. Umfasst die Druckzeile weniger als 34 oder mehr als 40 Buchstaben, so sind die Honorarsätze nach folgender Formel zu errechnen: „Buchstaben der Druckzeile × Honorarsatz für Normalzeile: 37“. Als Mindesthonorar für einen Beitrag ist das Honorar für 20 Zeilen des jeweiligen Erstdruckrechts zu zahlen. Die Formel ist vorliegend heranzuziehen, da unstreitig eine Zeile in der „Landauer Zeitung“ durchschnittlich 27 Buchstaben aufweist und damit weniger als die Normalzeile.
Nach § 3 Abs. a) sind für Nachrichtenbeiträge und Berichte 47-51 Cent bei einer Auflagenstärke bis 10.000 für die Einräumung des Erstdruckrechts zu vergüten. Vorliegend geht die Klägerin in zulässiger Weise bei der Umrechnung auf die Zeilenlänge von dem Mittelwert 49 Cent pro Zeile aus, sodass die Umrechnung wie folgt lautet: 27 (Buchstaben) * 49 Cent ./. 37 = 36 Cent.
Die Abweichung von 22 Cent pro Zeile zwischen gezahlter (14 Cent) und angemessener (36 Cent) Zeilenvergütung stellt ein augenscheinliches Missverhältnis dar.
Dieser Betrag multipliziert mit der gemäß Anlage K 11 angegebenen und nicht in prozessual zulässiger Art und Weise bestrittenen Zeilenanzahl der 465 Texte ergibt abzüglich der im streitgegenständlichen Zeitraum gezahlten Vergütung eine Differenz zwischen tatsächlicher und angemessener Vergütung in Höhe von 22.011,04 € für die veröffentlichten Textbeiträge.
Die jeweilige und gesamte Zeilenanzahl, die die Klägerin für die veröffentlichten Artikel ihrer Berechnung in der Anlage K 11 nach ihrem Vortrag in der Klageschrift zugrunde legt, hat die Beklagte erstmals im Schriftsatz vom 16.01.2020 in prozessual unzulässiger Weise bestritten. Der Beklagte trägt erst an dem Tag, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, vor, dass die tatsächlich veröffentlichten Zeilen der Artikel der Klägerin bei den kürzeren Texten um zwei geringer sind als angegeben und bei den längeren Texten bis zu acht geringer als angegeben. Den Vortrag der Klägerin aus der Klageschrift hätte die Beklagte – wissend, dass die Klägerin bei der Berechnung die von der Beklagten erstellten Honorarabrechnungen zugrunde legt – bereits in der Klageerwiderung bestreiten können. Der unter Zeugenbeweisangebot erst am 16.01.2020 vorgelegte Sachvortrag des Beklagten, dass die Beklagte die Differenz zwischen abgerechneten und abgedruckten Zeilen bei der Honorierung nur aus Kulanz hingenommen habe, ist gemäß § 296 ZPO präkludiert.
Der neue Sachvortrag ist gemäß § 296 Abs. 1 ZPO nicht zuzulassen, da dieser verspätet ist, eine Zulassung den Rechtsstreit verzögern würde und die Verspätung auch nicht genügend entschuldigt wurde. Eine Verspätung liegt vor, da der relevante Sachvortrag des Klägers zur veröffentlichten Zeilenanzahl bereits in der Klageschrift erfolgte und innerhalb der gesetzten Frist zur Klageerwiderung nicht bestritten wurde. Das neue Vorbringen führt dazu, dass eine Beweisaufnahme über die Frage der veröffentlichten Zeilen erforderlich wäre, und würde damit den Rechtsstreit verzögern. Die Verzögerung ist auch relevant, da sie erst an dem Tag vorgebracht wurde, der nach dem Übergang ins schriftliche Verfahren dem der letzten mündlichen Verhandlung entspricht. Eine genügende Entschuldigung des verspäteten Vorbringens ist nicht ersichtlich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin die eigenen Honorarrechnungen der Beklagten als Ausgangspunkt für die veröffentlichten Zeilen aufgegriffen hat.
Das Bestreiten der veröffentlichten Zeilenanzahl ist auch gemäß §§ 296 Abs. 2, 282 ZPO zurückzuweisen, da Angriffs- und Verteidigungsmittel dann als verspätet anzusehen sind, wenn sie später vorgetragen oder angekündigt werden, als dies aufgrund der in § 282 Abs. 1 und Abs. 2 normierten allgemeinen Pflicht zur Prozessförderung geboten war. Es entspricht nicht einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung, wenn der entscheidungserhebliche Vortrag, der von Beginn an bekannt war, nach der Überleitung in das schriftliche Verfahren bestritten wird. Das verspätete Vorbringen hat die Beklagte auch nicht genügend entschuldigt, da sie die jeweilige Zeilenanzahl der streitgegenständlichen Artikel schon längst hätte überprüfen können.
bb) In Bezug auf die Bildbeiträge aus dem Zeitraum Juni 2016 bis September 2018 ergeben sich die Differenzen zwischen dem tatsächlichen und dem angemessenen Honorar aus der tabellarischen Zusammenstellung in der Anlage K 12. Die Beklagte ist dieser Zusammenstellung nicht entgegengetreten.
Die GVR betreffend die Bildhonorare (Anlage K 10) sind seit 01.05.2013 in Kraft und richten sich nach Art und Umfang der Nutzung, insbesondere der Höhe der Druckauflage sowie der Abdruckgröße. So ist für Bilder im Rahmen des Erstdruckrechts je nach Abdruckgröße ein Betrag zwischen 19,50 € und 27,50 € zu zahlen. Demnach beträgt die Differenz zum tatsächlich gezahlten Honorar in Höhe von 5,00 € pro Bild zwischen 14,50 und 23,50 €. Hieraus ergibt sich jeweils ein auffälliges Missverhältnis zwischen vereinbarter und angemessener Vergütung. Für die Nachforderung errechnet sich wegen des erforderlichen Ausgleichs des jeweiligen Differenzbetrags ein Nachvergütungsbetrag in Höhe von 45.416,50 € netto. Die Beklagte hat die von der Klägerin vorgetragene Anzahl der von ihr der Beklagten zur Nutzung überlassenen Bilder und die aus dem o.g. Differenzbetrag resultierende Berechnung der Klägerin nicht bestritten.
5. Keine Verwirkung:
Die Kläger hat die Zahlungsansprüche aufgrund des jahrelangen „Einverständnisses“ der Klägerin mit den gezahlten Vergütungen nicht verwirkt, § 242 BGB. Eine Verwirkung setzt neben einem Zeit- ein Umstandsmoment voraus. Die Beklagte, die insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist, hat nicht hinreichend dargetan, durch welchen konkreten Umstand die Voraussetzungen für eine Verwirkung gegeben sein könnten. Allein, dass der Kläger über Jahre die zwischen den Parteien vereinbarte Vergütungshöhe akzeptierte und weder bis zum Jahr 2017 deren Erhöhung noch eine Nachvergütung verlangte, genügt zur Annahme eines besonderen Umstandsmoments nicht. Die Beklagte hat über den Umstand der reinen Hinnahme der Honorarabrechnungen durch die Klägerin hinaus keine Umstände vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass ein Vertrauen der Beklagten dahingehend entstanden ist, die Klägerin werde keine Mehrvergütung verlangen.
6. Verzugszinsen
Der Hauptsachebetrag ist ab Verzug, der mit Ablauf der von der Klägerin der Beklagten gesetzten Zahlungsfrist am 17. November 2018 eingetreten ist, gemäß §§ 286, 288 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB zu verzinsen. Die Klägerin war zur Herbeiführung der für einen Verzug vorausgesetzten Fälligkeit des Nachvergütungsanspruchs nicht veranlasst, zunächst dem gesetzlichen Wortlaut des § 32 Abs. 1 Satz 3 UrhG entsprechend eine Vertragsanpassung herbeizuführen. Die Klägerin konnte sofort eine Zahlungsklage erheben (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – I ZR 222/14 -, Rn. 20, juris). Der entsprechende Anspruch aus § 32 Abs. 1 Satz 3 UrhG auf die angemessene Vergütung ist zum Zeitpunkt der Mahnung bereits fällig gewesen. Er entsteht, wenn – wie hier – die vereinbarte Vergütung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses aus der Sicht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht angemessen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – I ZR 222/14 -, Rn. 24, juris).
C. Nebenentscheidungen: Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit und Streitwertentscheidung:
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 21.08.2019 vorgenommene „Modifikation“ des Klageantrags stellt keine Teilklagerücknahme dar, wegen der sie gemäß §§ 264 Nr. 2, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO anteilig die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hätte. Eine quantitative Änderung des Klageantrags liegt dann vor, wenn der aus demselben Sachverhalt abgeleitete Anspruch anders berechnet wird (vgl. Greger, in: Zöller, 3. Auflage, § 264 ZPO, Rn. 3 a). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin hat ursprünglich 72.177,51 € von der Beklagten gefordert, und zwar inklusive Umsatzsteuer in Höhe von 7 %. Hierzu führt die Klägerin in der Klagebegründung aus, dass sie umsatzsteuerabführungspflichtig sei. Vor der Teilklagerücknahme vom 30.01.2020 in Höhe von 28,08 € netto forderte die Klägerin noch die Zahlung von 67.455,62 € „gegebenenfalls“ zuzüglich der gesetzlichen Umsatzsteuer. Wie im ursprünglichen Klageantrag war bis zur Teilklagerücknahme vom 30.01.2020 immer noch eine Zahlung in Höhe von 72.177,51 € streitgegenständlich, jedoch lediglich anders ausgewiesen. Zwar ist die Formulierung „gegebenenfalls“ grundsätzlich unbestimmt, jedoch vorliegend dahingehend auszulegen, dass dieser Betrag um einen Umsatzsteuerbetrag zu ergänzen ist. Denn die Klägerin ist von ihrem Vortrag, dass sie umsatzsteuerpflichtig sei, in ihrem Vortrag nicht abgerückt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO. Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 3 ZPO.


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