IT- und Medienrecht

Persönlichkeitsrechtsverletzung durch Wahlslogan

Aktenzeichen  25 O 12449/21

Datum:
17.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DVBl – 2021, 1453
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 13
BGB § 823, § 1004
GG Art. 19 Abs. 3, Art. 21 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der auf einem Wahlplakat aufgedruckte Slogan „Hängt die Grünen!“ stellt eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowohl der betroffenen Partei als auch einzelner Parteimitglieder dar; er ist als Aufforderung dahin zu verstehen, Mitgliedern der Partei “Die Grünen” Schaden – auch an Leib und Leben – zuzufügen. (Rn. 9 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das sog. Unternehmenspersönlichkeitsrecht steht auch politischen Parteien zu; sie selbst können das verletzte Schutzsubjekt sein, auch wenn nur repräsentative Mitglieder Adressaten einer ehrverletzenden Äußerung sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Den Antragsgegnern wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten – zu vollstrecken an dem Antragsgegner zu 1 – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann – wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
den Slogan „Hängt die Grünen!“ zu veröffentlichen bzw. öffentlich zu verwenden, insbesondere wenn dies wie in der nachfolgenden Abbildung geschieht:
 
2. Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
4. Mit dem Beschluss ist zuzustellen:
Antragsschrift vom 16.09.2021

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen machen gegen die Antragsgegner Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit der Verwendung eines Wahlplakates geltend.
Die Antragstellerin zu 1 ist die Bundespartein „…“. Die Antragstellerin zu 2 ist deren organisatorische Geschäftsführerin und Mitglied der Antragstellerin zu 1. Der Antragsgegner zu 1 ist Parteivorsitzender der Antragsgegnerin zu 2, der Partei ….
Im Rahmen des Wahlkampfes zur anstehenden Bundestagswahl verbreiteten die Antragsgegner unter anderem in München das streitgegenständliche Wahlplakat mit der Aufschrift „Hängt die Grünen!“ in Großdruckbuchstaben. Darunter befindet sich in kleinerer Schrift folgender Text: „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt!“. Die Wahlplakate zeichnen den Antragsgegner zu 1 als verantwortlich im Sinne des Presserechts (v.i.S.d.P.) aus.
Am 14.09.2021 mahnte die Antragstellerin zu 1 die Antragsgegner ab und forderte diese zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, es in Zukunft zu unterlassen, die streitgegenständliche Äußerung öffentlich zu verbreiten. Hierauf erfolgte keine Reaktion.
Die Antragstellerinnen sehen sich von der streitgegenständlichen Äußerung unter anderem in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Wegen des Sachverhaltes wird auf die Antragsschrift vom 16.09.2021 sowie die damit vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II.
1. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gegeben. Maßgeblich dafür, ob ein bürgerlicher Rechtsstreit im Sinne des § 13 GVG vorliegt, ist die rechtliche Natur des Klagebegehrens, wie sie sich aus dem zugrundegelegten Sachverhalt ergibt. Welcher Rechtsnatur die Rechtsstreitigkeit ist, richtet sich nach der Rechtsnatur der material-rechtlichen Normen (Anspruchsgrundlagen), nach denen zu beurteilen ist, ob das Klagebegehren nach dem unterbreiteten Lebenssachverhalt begründet ist oder nicht (BGH, Urteil vom 24. Februar 1965 – IV ZR 81/64; OLG Dresden, Urteil vom 09.05.2017 – 4 U 102/17). Danach liegt hier eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit vor, da die Antragstellerinnen ihren Unterlassungsanspruch auf die zivilrechtlichen Normen des §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB stützen.
Etwas anderes ist nicht deswegen anzunehmen, weil sich der Anspruch unter anderem gegen eine politische Partei im Zusammenhang mit einem von ihr verwendeten Wahlplakat richtet. Die Parteien wirken nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Durch diese Bestimmung sind die Parteien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 1, 208, 225; 2, 1, 73; 4, 27, 30) zu einer verfassungsmäßigen Institution erhoben und zu integrierenden Bestandteilen des Verfassungsaufbaues und des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens geworden. Jedoch sind sie keine obersten Staatsorgane, auch keine Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihrer Rechtsform nach liegen sie durchweg in der rechtlichen Sphäre des bürgerlichen Rechts. Ihre Organisationsform ist der Verein des bürgerlichen Rechts, meist der eingetragene Verein, oder der nichtrechtsfähige Verein. Ihre Entstehung und ihre Teilnahme am Rechtsverkehr geschieht somit in den Formen des privaten Rechts (BGH, a.a.O.).
2. Den Antragstellerinnen steht ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung „Hängt die Grünen!“ aus §§ 823, 1004 BGB (analog) zu, da die streitgegenständliche Äußerung das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Antragstellerinnen rechtswidrig verletzt.
a) Ausgangspunkt ist hierbei zunächst die zutreffende Sinndeutung der streitgegenständlichen Äußerung. Denn diese ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für die Leser, Hörer oder Zuschauer erkennbar sind. Hingegen wird die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266, 295; BGH VersR 1997, 842, 843 m.w.N.; VersR 2004, 343, 344) (BGH, Urteil vom 22. November 2005 – VI ZR 204/04 -, Rn. 14, juris).
Fernliegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist der Sinn einer Äußerung eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrundezulegen. Zeigt sich hingegen, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt, oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen. Ein Anspruch auf Unterlassung zukünftiger Äußerungen besteht bereits dann, wenn eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten das Persönlichkeitsrecht verletzt. Denn der Äußernde hat die Möglichkeit, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen ist (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005, Az. 1 BvR 1696/98).
Die streitgegenständliche Äußerung „Hängt die Grünen!“ versteht der verständige Leser dahingehend, dass mit den dort genannten „Grünen“ die Partei … und damit die Antragstellerin zu 1) sowie deren Parteimitglieder gemeint sind. Wahlplakate dienen in der Regel der politischen Meinungsbildung bzw. dem Meinungskampf mit dem politischen Gegner. Der Leser eines Wahlplakates wird daher in der Regel den Inhalt eines Wahlplakates dahin verstehen, dass dieser in pointierter Form politische Forderungen oder Kritik am politischen Gegner formuliert. Im politischen Kontext werden als die „Grünen“ regelmäßig die Antragstellerin zu 1 bzw. ihre Parteimitglieder bezeichnet. Ein unvoreingenommener und verständiger Leser wird die auf dem streitgegenständlichen Wahlplakat genannten „Grünen“ daher mit der Antragstellerin zu 1 und ihren Mitgliedern gleichsetzen.
Die Formulierung jemanden „zu hängen“ wird in der Regel dahin verstanden, jemanden aufzuhängen, zu erhängen bzw. in sonstiger Weise zu töten oder körperlich zu verletzen. Der Imperativ zusammen mit einem Ausrufezeichen wird im allgemeinen Sprachgebrauch im Zusammenhang mit einer Aufforderung etwas zu tun verwendet. Die Äußerung „Hängt die Grünen!“ wird der verständige Leser sodann als Aufruf dahin verstehen, die Grünen, mithin die Parteimitglieder der Antragstellerin zu 1, zu denen die Antragstellerin zu 2 gehört, wenn nicht gleich tatsächlich zu hängen, so doch ihnen jedenfalls Schaden, auch am Leib und Körper, zuzufügen.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem kleingedruckten Text „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt!“. Nach der Gestaltung des streitgegenständlichen Wahlplakates wird der verständige Leser diesen Text bereits kaum zur Kenntnis nehmen, ihm jedenfalls keine besondere Bedeutung beimessen. Die streitgegenständlichen Äußerung „Hängt die Grünen!“ nimmt gut die Hälfte des Wahlplakates ein. Sie ist durchgängig in weißer Fettschrift in Großdruckbuchstaben gedruckt. Dagegen nimmt der vorgenannte Zusatztext lediglich einen kleinen Anteil des Wahlplakates ein. Aufgrund der geringen Größe der einzelnen Buchstaben dieses Textes ist dieser nur bei näherer Betrachtung des Wahlplakates zu lesen. Der unvoreingenommene Leser des Wahlplakates wird daher die streitgegenständliche Äußerung als die zentrale Botschaft wahrnehmen und dem Zusatztext keine weitergehende Bedeutung beimessen, wenn er sie überhaupt zur Kenntnis nimmt.
Der vorgenannte Zusatztext gibt der streitgegenständlichen Äußerung keinen anderen Sinngehalt. Der verständige und unvoreingenommene Leser wird den Zusatztext, wenn er ihn überhaupt zur Kenntnis nimmt, nicht dahin verstehen, dass mit der streitgegenständlichen Äußerung „Hängt die Grünen!“, nicht die Antragstellerin zu 1 und ihre Parteimitglieder gemeint seien, sondern die Wahlplakate des Antragsgegners zu 2. Wie vorstehend ausgeführt, finden sich auf Wahlplakaten in der Regel politische Forderungen oder Kritik am politischen Gegner, nicht dagegen eine Aufforderung an die Wählerinnen und Wähler, Wahlplakate politischer Parteien aufzuhängen. Letztere sind hierfür auch nicht verantwortlich. Der unvoreingenommene Leser wird diesem Zusatztext daher entweder keine Bedeutung im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Äußerung beimessen oder aber erkennen, dass mit diesem Zusatztext eine vermeintliche Doppeldeutigkeit der vorstehenden streitgegenständlichen Äußerung „Hängt die Grünen!“ bezweckt wird, die als Rechtfertigung für die streitgegenständliche Äußerung genutzt werden soll.
Selbst wenn man dies anders sähe, läge eine Mehrdeutigkeit vor. Ein Anspruch auf Unterlassung zukünftiger Äußerungen besteht aber bereits dann, wenn eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten das Persönlichkeitsrecht verletzt.
b) Die im Sinne einer Aufforderung, den Mitgliedern der Antragstellerin zu 1, Schaden, auch an Leib und Leben, zuzufügen, verstandene Äußerung, verletzt das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerinnen in rechtswidriger Weise.
aa) Sowohl die Antragstellerin zu 1 als auch die Antragstellerin zu 2 können sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst in seinem Schutzbereich nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen des Privatrechts, sofern es seinem Wesen nach auf sie anwendbar ist, Art. 19 Abs. 3 GG. Der nichtrechtsfähige Verein und die Personengesellschaft sind etwa erfasst, soweit sie in ihrer Funktion, etwa als Wirtschaftsunternehmen oder Arbeitgeber, betroffen sind. Man spricht vom sog. Unternehmenspersönlichkeitsrecht. Ein solches steht auch politischen Parteien zu. Sie selbst können das verletzte Schutzsubjekt sein, auch wenn nur repräsentative Mitglieder Adressaten einer ehrverletzenden Äußerung sind (BeckOGK/Specht-Riemenschneider, 1.6.2021, BGB § 823 Rn. 1173). Es ist zu Recht anerkannt, dass auch nicht-rechtsfähigen Vereinen und sonstigen Personengemeinschaften Schutz über das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt werden kann, wenn die Gemeinschaft eine anerkannte gesellschaftliche oder sonstige wirtschaftliche Aufgabe bzw. soziale Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann (OLG Köln, Urteil vom 11.07.2019 – 15 U 24/19).
Zwar kann gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht im Grundsatz nur der unmittelbar Verletzte vorgehen, nicht auch derjenige, der lediglich mittelbar belastet ist. Geht es – wie hier – um einen Anspruch einer juristischen Person oder Personenvereinigung auf Unterlassung einer das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzenden Äußerung, ist stets zu beachten, dass der Schutz beschränkt ist auf deren Erscheinungs- und Wirkungsfeld. Eine Kritik muss daher – wenn sie auch in der Person eines kritisierten Gesellschafters, Betriebsangehörigen oder Mitglieds festgemacht wird – die juristische Person oder Personenvereinigung selbst (unmittelbar) treffen. Ob dies der Fall ist, lässt sich nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls bei wertender Gesamtwürdigung anhand der Verkehrsanschauung feststellen. Wenn eine Äußerung also nicht direkt auf die Partei, sondern zunächst vordergründig auf ein ihr angehöriges Mitglied abzielt, ist für die Betroffenheit entscheidend, ob das Mitglied einer juristischen Person i.S.d. Art. 19 Abs. 3 GG gerade in dieser Eigenschaft oder wegen Tätigkeiten angegriffen wird, mit denen die Verkehrsauffassung gerade auch die juristische Person identifiziert (OLG Köln, a.a.O.).
Danach kann sich auch die Antragstellerin zu 1 im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Äußerung auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen. Auch wenn eine politische Partei selbst nicht „gehängt“ werden kann, sondern nur ihre Parteimitglieder, so wird der verständige und unvoreingenommene Leser der streitgegenständlichen Äußerung diese als Angriff auf die einzelnen Mitglieder der Antragstellerin zu 1 aufgrund ihrer politische Betätigung in der Antragstellerin zu 1 und damit auch auf diese verstehen.
bb) Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 8; vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 22; vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind verschiedene Kriterien entwickelt worden, die Leitlinien für den konkreten Abwägungsvorgang vorgeben (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rn. 21 m.w.N.). Danach fällt bei Tatsachenbehauptungen bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ihr Wahrheitsgehalt ins Gewicht. Denn an der Aufrechterhaltung und Weiterverbreitung herabsetzender Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind, besteht unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Interesse (BVerfG, NJW 2012, 1643 Rn. 33; NJW 2013, 217, 218). Wahre Tatsachenbehauptungen müssen dagegen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. Senatsurteile vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, AfP 2013, 50 Rn. 12 m.w.N.; vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rn. 21; BVerfG, NJW 2012, 1643 Rn. 33). Bei Werturteilen wird maßgebend, ob sie als Schmähung, Formalbeleidigung oder Verletzung der Menschenwürde anzusehen und deshalb zu unterlassen sind oder, wenn dies zu verneinen ist, ob sie im Rahmen einer Abwägung dem Persönlichkeitsschutz vorgehen (vgl. BVerfGE 90, 241 [248 f.]; BVerfGE 93, 266 [293 f.]).
Danach überwiegt hier das Recht der Antragstellerinnen am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte das Recht auf Meinungsfreiheit der Antragsgegner.
Dabei war zunächst zu beachten, dass, da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen sind (BVerfG, Beschluss vom 06.11.1968 – 1 BvR 501/62). Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob die Äußerung richtig oder falsch ist (BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, Rn. 13). Dies gilt erst recht im politischen Meinungskampf sowie in Bezug auf Äußerungen auf Wahlplakaten, die schon aufgrund des begrenzten Platzes kurz, plakativ und einprägsam sind.
Auf Seiten der Antragsgegner war zudem die besondere verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutung von politischen Parteien zu berücksichtigen. Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe. Sie wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen und sich unter anderem an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen (vgl. § 1 PartG). Auch war auf Seiten der Antragsgegner zu berücksichtigen, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Äußerung auf Wahlplakaten der Antragsgegner handelt, die diese im Rahmen des Bundestagswahlkampfs verwenden. Damit berührt die beantragte Unterlassungsverfügung auch das Recht der Antragsgegner mittels Wahlplakaten um Wähler zu werben.
Allerdings überschreitet nach Auffassung der Kammer die streitgegenständliche Äußerung die Grenzen des rechtlich Zulässigen. Die beanstandete Äußerung auf dem streitgegenständlichen Wahlplakat weist keinerlei Sachbezug zu inhaltlichen politischen Forderungen oder inhaltlicher Kritik zum politischen Gegner auf. Sie enthält weder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem politischen Programm der Antragstellerin zu 1 und ihrer Mitglieder noch enthält sie eigene inhaltliche Forderungen des Antragsgegners zu 2 zur Sachpolitik. Sie erschöpft sich in einem Aufruf, dem politischen Gegner, hier der Antragstellerin zu 1 und ihren Mitgliedern Schaden, auch an Leib und Leben, zuzufügen und spricht hierdurch der Antragstellerin zu 1 und ihren Mitgliedern, wie der Antragstellerin zu 2, das Recht ab, sich politisch zu betätigen, ohne Sorge haben zu müssen, Ziel von Angriffen zu werden. Dies muss von den Antragstellerinnen nicht hingenommen werden. Vielmehr überwiegen im Rahmen der gebotenen Abwägung aus den vorstehenden Gründen die Rechte der Antragstellerinen am Schutz ihrer Persönlichkeit die Rechte der Antragsgegner.
Zudem dürfte die streitgegenständliche Äußerung „Hängt die Grünen!“ mit dem vorstehend beschriebenen Sinngehalt nach Auffassung der Kammer eine öffentliche Aufforderung zu Straftaten im Sinne des § 111 StGB darstellen. Dies braucht jedoch nicht abschließend entschieden zu werden. Denn darüber hinaus handelt es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um Schmähkritik. Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Schmähung dann an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person des Gegners im Vordergrund steht und sie jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person des Gegners besteht; eine für den Betroffenen herabsetzende Wirkung reicht nicht aus (vgl. BGH VI ZR 14/07; VI ZR 51/99; VI ZR 276/99; VI ZR 298/03; BVerfGE 82, 272, 284; 93, 266, 294; BVerfG, NJW 1991, 95, 96; 1991, 1475, 1477; 1993, 1462; 2003, 3760; 2004, 590, 591). Dies ist nach den vorstehenden Erwägungen der Fall, da die streitgegenständliche Äußerung keinerlei Sachbezug zur politischen Betätigung der Antragsteller oder der Antragsgegner aufweist.
cc) Die erforderliche Wiederholungsgefahr ist aufgrund der Erstbegehung indiziert.
3. Ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Antragstellerinnen haben am 07.09.2021 erstmals Kenntnis von dem Plakat erhalten, sodass die Monatsfrist gewahrt ist. Zudem besteht eine besondere Dringlichkeit aufgrund der anstehenden Bundestagswahl am 26.09.2021.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
5. Der Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.


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