IT- und Medienrecht

Unzulässige Verdachtsberichterstattung über eine Wirtschaftsstraftat

Aktenzeichen  9 O 15459/20

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 39460
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004

 

Leitsatz

Zur unzulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung trotz bestehendem dringenden Tatverdachts einer schweren Wirtschaftsstraftat. (Rn. 21 – 40) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts München I vom 24.11.2020 (Az.: 9 O 15459/20) wird bestätigt.
2. Die Verfügungsbeklagte hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die einstweilige Verfügung ist zu bestätigen, weil der Antrag auf ihren Erlass zulässig und begründet ist. Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte nämlich einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Nennung seines Namens und der Bildberichterstattung gem. §§ 1004, 823 Abs. 1 und 2 BGB, Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG, §§ 22, 23 KUG, weil der Verfügungskläger hierdurch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wird.
1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht vor personenbezogenen Berichten schlechthin, sondern vielmehr ist eine Wortberichterstattung grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfG v. 08.12.2011 – 1 BvR 927/08 – Rz. 19; alle Zitate im Folgenden, soweit nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank). Denn der gleichfalls grundgesetzlich – nämlich durch Art. 5 Abs. 1 GG – garantierte Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit erlaubt es der Presse, innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien darüber zu entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für berichtenswert hält (BGH v. 11.03.2009 – I ZR 8/07 – Rz. 14).
Dabei ist aber stets eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) einerseits und dem gleichfalls (in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) garantierten Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit andererseits vorzunehmen (BVerfG v. 14.02.1973 – 1 BvR 112/65 – Rz. 28; BVerfG v. 08.12.2011 – 1 BvR 927/08 – Rz. 18; BGH v. 15.11.1994 – VI ZR 56/94 – Rz. 64).
2. Während sich der Verfügungskläger auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung/das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen kann, streitet für die Verfügungsbeklagte das Recht auf freie Berichterstattung und Meinungsäußerung, wie es durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vermittelt wird. Dazu gehört grundsätzlich zunächst einmal das Recht, über wirtschaftliche Verhältnisse und die personellen und wirtschaftlichen Verflechtungen von Personen und Unternehmen zu berichten. Dazu gehört aber – weitergehend – auch das Recht, innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien selbst darüber zu entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für berichtenswert hält (vgl. BGH v. 11.03.2009 – I ZR 8/07 – Rz. 14).
Maßgeblich ist daher die für den konkreten Fall vorzunehmende Güterabwägung zwischen dem Recht des Verfügungsklägers einerseits und dem Recht der Verfügungsbeklagten andererseits. In diese Abwägung sind die soziale Stellung und die Intensität des Eindringens in die Privatsphäre, die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit sowie das öffentliche Informationsinteresse einzustellen.
3. Dabei ist im vorliegenden Fall noch zu differenzieren zwischen der identifizierenden Berichterstattung mittels Namensnennung einerseits (siehe im Folgenden unter Ziffer 3.1) und der streitgegenständlichen Bildberichterstattung andererseits, für die nach der Systematik der §§ 22, 23 KUG noch strengere Anforderungen gelten (siehe hierzu unten unter Ziffer 4).
3.1. Für ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit spricht zunächst insbesondere der Umstand, dass der Verfügungskläger bei einer Tochter der Firma … eine hervorgehobene Position bekleidete. Er war bis 2013 Prokurist bei der … und leitete dort … welche nach Angaben von … für ein Drittel des angeblichen weltweiten Umsatzes und für 60 % des weltweiten Gewinns verantwortlich war, der laut Wirecard knapp 400 Millionen Euro betrug. Für ein überwiegendes Informationsinteresse streitet auch der Umstand, dass der dringende Verdacht besteht, dass 1,9 Milliarden € aus der …nie existiert haben, wovon ein maßgeblicher Betrag auf die von dem Verfügungskläger geleitete … entfällt. Es handelt sich um den Verdacht besonders gravierender Delinquenz von Verantwortlichen eines … die zu einer außerordentlich immensen Schadenssumme geführt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit aber andererseits bereits entschieden, dass bei der Berichterstattung über Strafverfahren die Schwere der in Frage stehenden Straftat nicht nur für das öffentliche Informationsinteresse, sondern auch bei der Gewichtung der entgegenstehenden Persönlichkeitsbelange Bedeutung erlangen kann. So wird bei einer sehr schwerwiegenden Tat zwar einerseits ein hohes öffentliches Informationsinteresse bestehen, andererseits aber die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig verurteilten Betroffenen erhöht sein (BVerfG, Beschl. v. 25.01.2012 – 1 BvR 2499/09 u. 1 BvR 2503/09, NJW 2012, 1500, 1502, Rn. 41 m.w.N.).
Die Beantragung und der Erlass eines Untersuchungshaftbefehles zeigen zudem, dass die Strafverfolgungsbehörden einen dringenden Tatverdacht gegen den Verfügungskläger bejaht haben. Dabei lautet der Haftbefehl unter anderem auf „den dringenden Tatverdacht des gemeinschaftlichen Betrugs und versuchten gemeinschaftlichen Betrugs jeweils im besonders schweren Fall sowie den Verdacht der Beihilfe zu anderen Straftaten“. Für eine Verantwortlichkeit des Verfügungsklägers spricht auch der Umstand, dass sein Strafverteidiger öffentlich erklärt hat, dass der Verfügungskläger sich seiner individuellen Verantwortung stellen wolle. Außerdem ist durch die streitgegenständliche Berichterstattung lediglich die zur Sozialsphäre zählende berufliche Tätigkeit des Verfügungsklägers betroffen. Dieser musste sich zudem der Öffentlichkeit bereits im Rahmen seiner Vernehmung als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages stellen.
3.2 Dem steht gegenüber, dass der Verfügungskläger bis dato noch nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten ist. Er gehört auch nicht etwa einer Prominenten-, Politiker-, Adelsfamilie o.ä. an. Wie bereits ausgeführt handelt es sich im Rahmen des derzeitigen Standes der Ermittlungen zwar um den Verdacht außerordentlich gravierender Delikte; welche „Rolle“ der Verfügungskläger insoweit innehatte, insbesondere soweit es etwaige Tatbeiträge, betreffenden Vorsatz und etwaige ihm zugeflossene Vorteile anbelangt, ist im hiesigen Verfahren aber im Einzelnen weder dargetan noch ersichtlich. Für den Verfügungskläger streitet weiter, dass er bislang nicht nur nicht rechtskräftig verurteilt wurde, sondern dass noch nicht einmal Anklage gegen ihn erhoben wurde. Somit kann er für sich in besonderem Maße die Unschuldsvermutung beanspruchen (vgl. dazu Burkhardt/Peifer in Wenzel: Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 10, Rn. 169 m.w.N.; Korte: Praxis des Presserechts, 2. Auf, § 2, Rn 251 m.w.N.; Rehbock: Medien- und Presserecht, 2 Aufl., § 2, Rn. 183 ff.).
Die den Beschuldigten identifizierende Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren beeinträchtigt zudem zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufes, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (BGH, Urt. v 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rn. 19 unter Bezugnahme auf Senatsurteile vom 18.12.2018 – VI ZR 439/17, Rn. 9; vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 15; vom 18.11.2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 31; jeweils m w.N.; BVerfG, NJW 2009, 3357 Rn. 15 m.w.N.). Insoweit sind auch wahre Tatsachenbehauptungen nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr können sie rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussage geeignet ist, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten oder eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden droht (BGH, Urt v 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rn. 21 m.w.N.).
Oftmals kann im Hinblick auf die Unschuldsvermutung bis zu einem erstinstanzlichen (nicht notwendig rechtskräftigen) Schuldspruch das Recht des Beschuldigten auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer identifizierenden Wortberichterstattung überwiegen. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn die besonderen Umstände der dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftat oder dessen herausgehobene Stellung ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit – auch über die Identität des Beschuldigten – begründen, hinter dem das Interesse des Beschuldigten am Schutz seiner Persönlichkeit zurückzutreten hat (BGH, Urt. v. 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rn. 41 m.w.N.).
Außerdem fungiert der Verfügungskläger für die Staatsanwaltschaft als sog. … weswegen er selbst bei einer etwaigen späteren Verurteilung jedenfalls auf eine nicht unerhebliche Strafmilderung nach § 46b StGB hoffen kann. Daher kann auch ernsthaft damit gerechnet werden, dass der Gesichtspunkt der Resozialisierung des Verfügungsklägers in nicht erst vollkommen fernliegender Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird; auch dieser laufen die Preisgabe seines Namens und seines Bildes in der Öffentlichkeit zuwider. Überdies besteht für den Verfügungskläger auch ein Interesse daran, in der Untersuchungshaft möglichst anonym zu bleiben, da er in der Wahrnehmung der Mithäftlinge als vermögend gelten muss und sich damit grundsätzlich der Gefahr von rechtswidrigen Angriffen von Mithäftlingen ausgesetzt sehen könnte.
3.3. Da der Verfügungskläger bislang in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung getreten ist, und sich aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten auch nicht ergibt, dass er über längere Zeit die Nennung seines Namens toleriert hätte, ist ein besonderes gesellschaftspolitisches Interesse an der Identität des Verfügungsklägers auch im Hinblick auf die besondere Bedeutung des … nicht gegeben. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird bereits durch eine – selbstredend zulässige – Berichterstattung über die nunmehr bekannten Hintergründe der Tat und die Angaben zur Person des Verfügungsklägers, welche eine Identifizierung für die breite Öffentlichkeit nicht ermöglichen, in hohem Maße befriedigt. Die Pressefreiheit wird insoweit nicht besonders schwerwiegend beschränkt, wenn – jedenfalls noch im derzeitigen Stadium des Ermittlungsverfahrens – nicht zusätzlich auch noch der volle Name des Verfügungsklägers und nicht anonymisierte Fotos von diesem veröffentlicht werden. So ist der Verfügungskläger nicht etwa Politiker oder der Öffentlichkeit aus anderen Gründen bekannt. Für den Durchschnittsleser und dessen Informationsbedürfnis ist es damit korrespondierend für das Verständnis der Vorgänge ohne besondere Relevanz, ob der Verfügungskläger … der …eißt oder einen anderen Namen trägt. Selbiges gilt für die Frage, welche Kopfform er hat und welche Frisur er trägt. Der Eingriff in die Pressefreiheit stellt sich deshalb als überschaubar dar, wenn im Rahmen der – im Übrigen freilich zulässigen – streitgegenständlichen Berichterstattung statt des vollen Namens des Verfügungsklägers etwa nur von …ie Rede ist und sein Foto durch einen schwarzen Balken über den Augen oder durch Verpixelung verfremdet wird Demgegenüber wird aus den dargelegten Gründen das Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers – für den in diesem sehr frühen Verfahrensstadium und bei dem äußerst gravierenden Tatverdacht die Unschuldsvermutung noch besonders stark streitet – durch eine identifizierende Wort- und Bildberichterstattung besonders schwerwiegend beeinträchtigt.
Der Gesichtspunkt der in nicht vollkommen fernliegender Zeit erwartbaren Resozialisierung des Verfügungsklägers, der den Ermittlungsbehörden umfangreiche Aufklärungshilfe leistet und daher mit einer deutlichen Strafmilderung rechnen kann, sowie die mit einer besonderen Verletzlichkeit verbundene Situation des in Untersuchungshaft befindlichen Verfügungsklägers überwiegen hier deshalb jedenfalls derzeit noch das Interesse der Öffentlichkeit an der Mitteilung auch seines vollen Namens und der Veröffentlichung nicht verfremdeter Fotos. Dies gilt, obwohl es sich um ein überragend bedeutsames Ermittlungsverfahren handelt, das mit einem hohen öffentlichen Informationsinteresse verbunden ist. So bleibt es der Verfügungsbeklagten unbenommen, in nicht identifizierender Weise in Wort und Bild über den Verfügungsbeklagten und die Einzelheiten der Geschehnisse zu berichten; vor diesem Hintergrund stellt sich die Beschränkung der Pressefreiheit der Verfügungsbeklagten zwar als spürbar, aber nicht als besonders schwerwiegend dar.
Die Kammer verkennt insoweit nicht, dass die Presse auch das Recht hat, innerhalb der gesetzlichen Grenzen nach publizistischen Kriterien selbst darüber zu entscheiden, was sie im öffentlichen Interesse für berichtenswert hält (vgl. BGH v. 11.03.2009 – I ZR 8/07 – Rz. 14); eine Bedürfnisprüfung findet gerade nicht statt. Dies bedeutet aber nicht etwa, dass bereits im Ermittlungsverfahren stets jegliche identifizierende Wort- und Bildberichterstattung zulässig und richterlicher Kontrolle gänzlich entzogen wäre. Vielmehr ist eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) einerseits und dem gleichfalls (in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) garantierten Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit der Verfügungsbeklagten andererseits vorzunehmen.
Gemessen an den einschlägigen, oben dargelegten Grundsätzen steht dem Verfügungskläger mithin ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen identifizierenden Wortberichterstattung zu. Es handelt sich nach derzeitigem Sach- und Streitstand, in dem der Verfügungskläger zwar im Untersuchungsausschuss als Zeuge per Video zugeschaltet war, die Ermittlungen der Verfolgungsbehörden sich aber noch im nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens befinden, nicht um einen Vorgang von solchem Gewicht, dass ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit gerade auch an der Offenlegung der Identität des Verfügungsklägers besteht. Zwar berührt der Verdacht besonders gravierender Wirtschaftsdelikte mit immensen Schadenssummen, die von für ein … Unternehmen bzw. eine Tochtergesellschaft tätigen Beschuldigten begangen worden sein sollen, wegen der Schwere der vorgeworfenen Taten das Informationsinteresse der Öffentlichkeit in erheblichem Maße. Ein das Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers hinreichend überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, schon während des Ermittlungsverfahrens nicht nur über die Position des Verfügungsklägers im Unternehmen und den Gegenstand der Ermittlungen informiert zu werden, sondern zusätzlich auch über dessen Identität, besteht indes jedenfalls derzeit (noch) nicht. Der Verfügungskläger war nämlich nicht einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Das Informationsinteresse rührt auch nicht etwa aus seiner Stellung oder Funktion in der Öffentlichkeit oder aus etwaigen Auswirkungen seiner Tat auf die Öffentlichkeit oder auf deren Vertrauen in seine Integrität. Der im streitgegenständlichen Artikel durch Nennung des vollen Namens und Abdruck eines nicht anonymisierten Fotos für jedermann erkennbare Verfügungskläger ist überdies auch wegen des Vorwurfs, besonders gravierende Wirtschaftsdelikte begangen zu haben, der Gefahr erheblicher sozialer Missachtung schon vor einer Verurteilung ausgesetzt. Seine durch die Unschuldsvermutung konkretisierten Interessen überwogen daher im Zeitpunkt der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels, aber auch noch derzeit das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung (vgl. BGH, Urt. v. 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rn. 43 m.w.N.). Daran ändert sich in einer Gesamtschau nach Abwägung der widerstreitenden Rechte der Parteien im Ergebnis auch angesichts der Tatsache nichts, dass er – per Video zugeschaltet – als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages aufgetreten ist, wobei er sich auf sein Aussageverweigerungsrecht bezog, keine Fragen beantwortete und sich bei den Geschädigten entschuldigte (vgl. Anlage AG 2).
3.4. Ob darüber hinaus angesichts einer knappen Fristsetzung im Rahmen der dem Verfügungskläger seitens der Verfügungsbeklagten vor Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme auch noch ein Verstoß der Verfügungsbeklagten gegen die Grundsätze der sog. Verdachtsberichterstattung (vgl. dazu z.B. BGH NJW 1996, 1131, 1134) zu beklagen ist, kann somit dahinstehen.
3.5. Unter Abwägung all dieser Gesichtspunkte gelangt die Kammer in der Gesamtschau zu der Überzeugung, dass das Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers vorliegend das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit überwiegt.
4. Was für die Nennung des Namens des Verfügungsklägers gilt, muss im Hinblick auf die Systematik der §§ 22, 23 KUG erst recht für die angegriffene Bildnisveröffentlichung gelten, da insoweit sogar die Rechtswidrigkeit indiziert wird.
Eine Einwilligung des Verfügungsklägers i.S.d. § 22 KUG liegt nicht vor. Aus den oben dargelegten Gründen, die insoweit entsprechend gelten, kann hier auch nicht von einem Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ausgegangen werden, dessen Verbreitung kein berechtigtes Interesse des Verfügungsklägers i.S.d. § 23 Abs. 2 KUG verletzt. Weder eine (teil-)geständige Einlassung oder der Umstand, dass der Verfügungskläger sich einer Verhandlung in der Öffentlichkeit (vor Gericht oder in einem Untersuchungsausschuss) stellen muss, noch eine nicht rechtskräftige erstinstanzliche Verurteilung lassen die für ihn streitende Unschuldsvermutung entfallen (vgl. dazu von Strobl/Peifer in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 7, Rn. 100 und Kap. 8, Rn. 131 m.w.N.; Korte: Praxis des Presserechts, 2. Auf., § 2, Rn. 122 und 124 m.w.N.; Rehbock: Medien- und Presserecht, 2. Aufl., § 3, Rn. 333). Jedenfalls bei dem derzeitigen Sach- und Streitstand – unter Berücksichtigung insbesondere der Tatsache, dass gegen den Verfügungskläger bislang noch nicht einmal Anklage erhoben wurde geschweige denn ein zumindest erstinstanzliches Urteil ergangen ist – überwiegt jedenfalls derzeit noch das Recht des Verfügungsklägers auf Schutz der Persönlichkeit das Interesse an einer Veröffentlichung einer identifizierender Abbildung in der Presse (vgl. dazu z.B. BGH, Urt. v. 18.06.2019 – VI ZR 80/18, Rn. 33 m.w.N.).
5. Es besteht auch eine Wiederholungsgefahr entsprechend § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Verfügungsbeklagte hat es nämlich abgelehnt, hinsichtlich der streitgegenständlichen Berichterstattung eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.
6. Somit steht dem Verfügungskläger gegen die Verfügungsbeklagte ein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen identifizierenden Text- und Bild-Berichterstattung zu, so dass die einstweilige Verfügung vom 24.11.2020 aufrechtzuerhalten ist.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Verkündet am 16.12.2020


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