Aktenzeichen 461 C 24378/17
Leitsatz
Bei der Abwägung, ob dem Kündigenden aufgrund einer Beleidigung die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar ist, sind die Begleitumstande der Äußerungen zu berücksichtigen. Eine Beleidigung stellt sich als weniger verletzend dar, wenn sie aus einer Provokation heraus oder im Zusammenhang einer bereits vorgegebenen streitigen Atmosphäre erfolgt oder wenn sie als eine momentane und vereinzelt gebliebene Unbeherrschtheit zu bewerten ist (hier Kündigungsrecht verneint bei Bezeichnung der Lebensgefährtin des Vermieters als asozial bezogen auf ein bestimmtes Verhalten). (Rn. 60 – 75) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Hohe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 14.400,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif. Auf die Einvernahme des Sohnes der Beklagten zur Frage ob er das Paket am 16.06.2018 entgegengenommen habe, kommt es nicht an.
Die zulässige Klage war abzuweisen, da sie unbegründet ist.
A. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, weil die Streitigkeit einem Mietverhaltnis über eine im Bezirk des Amtsgerichts München gelegene Wohnung entspringt, §§ 29 a Abs. 1 ZPO, 23 Nr. 2 a GVG
B. Die Klage war aber unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gemaß § 546 Abs. 1 BGB oder auf Herausgabe gemäß § 985 BGB, da keine der Kündigungen das Mietverhaltnis beendet hat.
I. Die Kündigung vom 10.09.2017 wegen Eigenbedarfs hat das Mietverhaltnis nicht beendet.
Nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Vermieter einen Wohnraummietvertrag nur kundigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhaltnisses hat Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhaltnisses liegt nach § 573 Abs. 2 S. 2 BGB insbesondere dann vor, wenn der Vermieter die Räume für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benotigt.
Der behauptete Eigenbedarf war hier durch die Beklagte bestritten worden.
Für den Eigenbedarf ist dabei der Vermieter beweispflichtig. Darauf hatte das Gericht mit Verfugung vom 20.06.2018 (Bl 66) auch hingewiesen.
Der Kläger ist hier beweisfallig geblieben, er hat keinen Beweis angeboten, auch nicht Parteivernahme oder Anhörung seiner selbst.
Der behauptete Eigenbedarf ist für das Gericht auch zweifelhaft.
Es liegt für das Gericht nahe und ist durch den Kläger nicht widerlegt, dass der gemeinsame Sohn … vor allem bei seiner Mutter, der Beklagten leben will. Die vom Kläger vorgetragene Nutzung zum Eigenbedarf, dass der Kläger mit seiner Lebensgefahrtin und dem Sohn … in der streitgegenstandlichen Wohnung leben will, ist damit nach Auffassung des Gerichts schon nicht umsetzbar Insofern benotigt der Kläger die Wohnung nicht zu dem Zweck, dort mit seinem Sohn leben zu können Denn bei einem Auszug der Beklagten wurde eben der gemeinsame Sohn … ebenfalls ausziehen. Es ist daher nicht ersichtlich, dass es einen vernunftigen Grund gibt, warum die Wohnung, die der Kläger bisher mit seiner Lebensgefahrtin bewohnt, nicht ausreicht.
Das Gericht kann zudem nicht ausschließen, dass der Kläger vor allem den Auszug der Beklagten zur Beseitigung eines Unruheherdes erstrebt, es für ihn aber nicht auf die Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung für sich selbst ankommt.
II. Auch die fristlose Kündigung vom 21.06.2018 (K2, Bl 74) hat das Mietverhaltnis nicht beendet.
Gemäß § 543 Abs. 1 S. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhaltnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kundigen Ein wichtiger Grund liegt dabei nach § 543 Abs. 1 S. 1 BGB vor, wenn dem Kundigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhaltnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhaltnisses nicht zugemutet werden kann.
Nach § 543 Abs. 3 S. 1 BGB ist die Kündigung, wenn der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag besteht, erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulassig Dies gilt nach § 543 Abs. 3 S. 2 BGB nicht, wenn eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht (Nr. 1) oder die sofortige Kündigung aus besonderen Grunden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (Nr. 2)
1. Das Öffnen des Paketes stellt bei der vorzunehmenden Abwägung nach § 543 Abs. 1 BGB keinen Kundigungsgrund dar, da der Klagepartei der Nachweis nicht gelungen ist, dass die Beklagte vorsätzlich handelte, und die Beklagte sich sofort von sich aus entschuldigte Soweit der Beklagten unzweifelhaft Fahrlässigkeit zur Last fallt, fehlt es zudem an der erforderlichen Abmahnung, die bei fahrlässigen Handeln jedenfalls nicht nach § 543 Abs. 3 entbehrlich ist.
a) Die Beklagte hat selbst zugegeben, das Paket geoffnet zu haben. Dass dies vorsätzlich geschah, und damit auch eine Straftat gemäß § 202 StGB vorlag, hat der Kläger nicht zu beweisen vermocht.
Die Prüfung, ob die Post für einen selbst bestimmt ist, erfolgt in der Regel nicht bei Öffnen, sondern bei der Entgegennahme, wahrend die Öffnung selbst in der Regel ein automatisierter Vorgang ist Dass man dann die Pakete vollständig offnet und die Adressierung erst am Ende überprüft, ist für das Gericht nachvollziehbar, da man zunächst nicht damit rechnet, dass das Paket nicht für einen selbst bestimmt ist.
Die Einlassung der Beklagten, sie habe die Pakete in der Wohnung vorgefunden und nicht selbst vom Paketboten entgegengenommen, ist nicht widerlegt. Die von der Klagepartei vorgelegte Auskunft von Hermes über email ist nicht ausreichend ergiebig. Für einen Paketboten ist es nach allgemeiner Lebenserfahrung von untergeordneter Bedeutung, die tatsächliche Empfangsperson richtig zu erfassen. Er will vor allem das Paket abgeben Unklar ist zudem, welche genauen Informationen dem Fertiger der email vom 08.10.2018 vorlagen. So ist es ohne weiteres denkbar, dass der Paketbote bei Übergabe an den minderjahrigen … den Namen der Mutter erfasste.
Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte auch selbst bei der Firma … bestellt, denn sie hat eine entsprechende Rechnung vom 11.05.2018 vorgelegt (B4, Bl 90) Dies hat die Klagepartei auch nicht bestritten, sondern nur, dass die Beklagte im Zusammenhang mit dieser Rechnung eine Lieferung auch am 16.06.2018 erhielt.
b) Die erforderliche Abmahnung war hier nicht entbehrlich, auch wenn unstreitig die Beklagte bereits einmal ein Paket der Zeugin … geoffnet hatte Denn auch insoweit lag der Beklagten nicht mehr als Fahrlässigkeit zur Last.
Zudem kann bei der nach § 543 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung nicht verkannt werden, dass, wie schon in der Kündigung dargelegt ist, die Beklagte von selbst durch ihren Sohn Cam gegenüber Zeugin … das Öffnen des Paketes offenlegte, das Paket überbrachte und zugleich eine Entschuldigung übermitteln ließ.
2. Auch die Beleidigung der Lebensgefährtin des Klägers als asozial stellt hier noch keinen Kundigungsgrund dar.
Grundsatzlich kann eine Beleidigung einen Kundigungsgrund darstellen.
Beleidigungen gegenüber dem Vermieter, der Hausverwaltung oder anderen Hausbewohnern können einen wichtigen Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB darstellen Wahrend bloße Unhoflichkeiten und andere missliebige Verhaltensweisen ohne ehrverletzenden Charakter eine Kundigung nicht rechtfertigen, sind insbesondere Formalbeleidigungen grundsatzlich geeignet, dem Vermieter eine Fortsetzung des Mietverhaltnisses unzumutbar zu machen Bei der Abwägung, ob dem Kundigenden aufgrund einer Beleidigung die Fortsetzung des Mietverhaltnisses unzumutbar ist, sind stets die Begleitumstande der Äußerungen zu berücksichtigen Eine Beleidigung stellt sich als weniger verletzend dar, wenn sie aus einer Provokation heraus oder im Zusammenhang einer bereits vorgegebenen streitigen Atmosphare erfolgt oder wenn sie als eine momentane und vereinzelt gebliebene Unbeherrschtheit zu bewerten ist Demgegenüber haben manche Beleidigungen ein solches Gewicht, dass die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung auf der Hand liegt (vgl. LG München I vom 27.09.2017, 14 S 288/17, ZMR 2018, 47)
Grundsätzlich kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an Keinesfalls lasst sich ein genereller Rechtssatz aufstellen, dass eine Straftat immer auch einen Kundigungsgrund darstellt Dagegen spricht schon, dass die Kündigung eines Mietverhaltnisses für den Mieter einen erheblich größeren Einschnitt in das Leben darstellen kann als etwa die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessatzen Zum anderen sind bei der Frage, ob ein Verhalten eine Kündigung rechtfertigt, auch die Person und die Interessen des Vermieters sowie das Mietverhaltnis in den Blick zu nehmen.
a) Das Gericht ist zwar davon überzeugt, dass die Beklagte die Lebensgefährtin des Klägers, also des Vermieters, die zugleich in demselben Haus wohnt, am 16.06.2018 als asozial bezeichnet und damit beleidigt hat.
Davon ist das Gericht aufgrund der Aussage der Zeugin … in der Verhandlung vom 15.01.2019 überzeugt.
Die Zeugin hat bekundet, dass die Beklagte sie als asozial bezeichnete.
Die Zeugin war glaubwürdig, ihre Aussage glaubhaft.
Die Zeugin steht zwar im Lager des Klägers Doch war ihre Aussage detailreich und plausibel. Die Zeugin wirkte auf das Gericht so, dass sie die Wahrheit sagen wollte.
Die Zeugin tatigte auch ihr nachteilige Aussagen. So gab sie an, sie habe selbst sehr geschimpft und habe auch erwidert, die Beklagte solle selber die Fresse halten Sie sei richtig wutend gewesen und habe richtig geschimpft. Die Zeugin verschwieg auch nicht, dass die Beklagte sich selbst entschuldigt habe, als sie ein früheres Paket geoffnet hatte. Die Zeugin dramatisierte auch das Verhältnis zur Beklagten nicht, sondern gab an, dass man sich gegenseitig grüße, wenn man sich im Haus begegne.
Die Überzeugung des Gerichts wird durch die Angaben der Beklagten und die anderen Zeugenaussagen nicht erschüttert.
Die Einlassung der Beklagten, sie habe nur die Äußerung der Zeugen als asozial bezeichnet, ist von der Aussage der Zeugen nicht weit entfernt Das Gericht halt es für unwahrscheinlich, dass in einer solchen Erregungssituation Beteiligten zu derart gewählten Formulierungen greifen, wie die Beklagte sie getroffen haben will.
Die Angaben der Zeugen der Beklagtenpartei stehen der Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit der Angaben der Zeugin … nicht entgegen.
So war die Aussage der Zeugin … für das Gericht nicht überzeugend. Die Aussage widersprach den Angaben der anderen Zeugen. Wahrend die Zeugin … angab, sie sei auch auf die Veranda hinausgegangen, der Zeuge … sei auch herausgegangen, sagte der Zeuge …, er sei nicht herausgegangen Aus den Schilderung des Zeugen … ergab sich für das Gericht auch, dass die Zeugin … nicht hinausgegangen sein kann, weil der Zeuge … zwischen ihr und der Verandatur saß und der Zeuge hatte mitbekommen müssen, dass die Zeugin … rausging.
Der Zeuge … war erkennbar nervos, wahrend die Aussage der Zeugin … zum eigentlichen Geschehensbereich sehr reduziert war und die Zeugin angab, sie hore nicht gut.
b) Durch diese Beleidigung liegt aber hier im konkreten Einzelfall noch kein Kundigungsgrund vor.
Die Beleidigung als asozial bezog sich hier auf ein konkretes Verhalten der Zeugin …, so dass das Gericht sie im konkreten Einzelfall für weniger schwerwiegend halt, als wenn das Wort asozial beleidigend die Person als solche oder deren Lebensführung meint Indem das Wort sich konkret auf selbst wiederum die Beklagte kritisierende Äußerungen der Zeugin bezog, ist ferner die grundrechtliche Gewahrleistung der Meinungsfreiheit zu sehen, dass die Beklagte das Rechte hatte, sich kritisch zum Verhalten der Zeugin zu außern, auch wenn sie dies nicht in beleidigender Weise hatte tun sollen.
Die Äußerung der Beklagten erfolgte hier in einem Streit, zu dem die Zeugin … selbst schilderte, sie habe richtig geschimpft und sei richtig wutend gewesen Sie habe gesagt, das ware wohl das letzte und die Beklagte solle selbst (ihre blode Fresse) halten. Auch nach dem Gedanken des § 199 StGB muss sich dies mildernd für die Beklagte auswirken.
3. Auch in der Gesamtschau liegt kein Kundigungsgrund vor, da es die Missachtung des Postgeheimnisses nur fahrlassig geschah und die Beleidigung einen einmaligen Vorfall innerhalb eines Streites, bei dem es auch zu wechselseitigen Beleidigungen kam, darstellt Zudem lag keine Abmahnung vor.
C. Der Streitwert der Raumungsklage war auf das Zwolffache der Monatsnettomiete (12 × 1.200,00 €) festzusetzen, § 41 Abs. 2 GKG, und zwar einschließlich der Betriebskosten, die als Pauschale gezahlt werden, § 41 Abs. 1 S. 2 GKG.
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 BGB Der Kläger hat als im Rechtsstreit Unterlegener die Kosten zu tragen.
E. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.