Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Gewerbemiete in den Zeiten der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  420 C 8432/20

Datum:
15.12.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50264
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB , § 313, § 326

 

Leitsatz

1. Behördliche Schließungsanordnungen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie begründen keinen Mietmangel. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Anpassung nach den Grundsätzen der Geschäftsgrundlage kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn die Schließung weniger als drei Monate gedauert hat. (Rn. 23 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.234,82 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 03.04.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 2.234,82 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der rückständigen hälftigen Aprilmiete 2020 in eingeklagter Höhe aus § 535 Abs. 2 BGB.
Auch für die Zeit der Schließungsanordnung bestand nämlich die Verpflichtung zur Mietzahlung.
Die Einwendungen der Beklagten greifen nicht.
Der Zahlungsanspruch ist weder wegen eines Mangels noch in Folge von Unmöglichkeit erloschen noch war der Vertrag nach den Grundsätzen der gestörten Geschäftsgrundlage anzupassen.
Ein Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 BGB, der zur Minderung berechtigte, ist nicht gegeben.
Der Vermieter hat nämlich grundsätzlich dem Mieter nur die Möglichkeit des Gebrauchs zu verschaffen und die Mietsache in einem dem Verwendungszweck entsprechenden Zustand zu erhalten. Der Vermieter schuldet demnach nur die Überlassung der für den Betrieb der notwendigen Räume, nicht aber die Überlassung des Betriebs selbst. Vertragsgegenstand ist bei der Raummiete eine körperliche Sache und nicht die Gesamtheit von materiellen und immateriellen Rechten. Daher gehören nur rechtliche Umstände, welche die körperliche Beschaffenheit der Mietsache betreffen zur Leistungspflicht des Vermieters, die erfolgreiche Nutzung hingegen gehört zum Verwendungszweck des Mieters
Überdies begründen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse nur dann einen Sachmangel, wenn sie unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen. Ist die Mietsache weiter zur Nutzung grundsätzlich geeignet und nur der geschäftliche Erfolg des Mieters betroffen, realisiert sich das vom Mieter zu tragende Verwendungsrisiko.
Die behördliche Schließungsanordnung steht vorliegend in keinerlei Zusammenhang mit der Beschaffenheit der streitgegenständlichen Mietsache. Die Mietsache war trotz der Schließungsanordnung weiterhin zum vereinbarten Betriebszweck geeignet wie vor der behördlichen Anordnung.
Es liegt auch kein Fall der Unmöglichkeit vor. Weder ist dem Mieter seine Zahlungspflicht unmöglich geworden, denn Geld hat man zu haben.
Noch liegt eine Unmöglichkeit der Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters vor. Nach Überlassung verdrängen die § 536 ff BGB nämlich die allgemeinen Regelungen zum Leistungsstörungsrecht. Dies gilt jedenfalls bei teilweiser oder zeitweiser Unmöglichkeit der Nutzung der Mietsache mit Ausnahme der völligen Zerstörung der Mietsache. Überdies ist wie bereits im Rahmen des Gewährleistungsrechts erörtert (siehe oben) der Mietgegenstand als solcher zur vertragsgemäßen Nutzung weiterhin geeignet. Die behördlichen Beschränkungen lassen die Gebrauchsüberlassungspflicht unberührt und richten sich ausschließlich gegen die Nutzung. Sie treffen damit das Verwendungsrisiko des Mieters.
Auch eine Anpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB kommt nicht in Betracht.
Es liegt zwar eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, da beide Parteien bei Vertragsschluss wohl vorausgesetzt haben, dass es nicht zu einer globalen Pandemie mit Betriebsschließungen kommt. Eine Anpassung ist aber nur dann zulässig, wenn dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (BGH NJW 2012, 1718). Für diese Unzumutbarkeit ist die Beklagte als Schuldnerin des vereinbarten Mietzinses darlegungs- und belastet.
Nicht jede einschneidende Veränderung der gemeinsamen Vorstellungen rechtfertigt eine Vertragsanpassung. Die Aufrechterhaltung muss vielmehr zu nicht mehr tragbaren Ergebnissen führen. Bei lediglich vorübergehenden Betriebsschließungen sind hieran hohe Anforderungen zu stellen.
Die folglich durchzuführende Interessenabwägung rechtfertigt vorliegend eine Vertragsanpassung in Form einer Reduzierung der Miete nicht.
Zu beachten ist, dass grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko trägt. Ferner muss berücksichtigt werden, dass jeder Mieter die Krise anders bewältigt und auch gehalten ist, Kompensationsmaßnahmen zu kreieren, z.B. durch vorgezogene Instandhaltungsarbeiten oder Onlinehandel, bevor er eine Anpassung des Vertrages verlangen kann. Hierzu wurde trotz Hinweises des Gerichts seitens der Beklagten nichts vorgetragen.
Auch muss bedacht werden, dass der Staat umfangreiche Hilfspakete zur Abwendung wirtschaftlicher Not geschnürt hat, die Umsatzsteuer gesenkt hat und auch Kurzarbeitergeld für Angestellte in Betracht kommt. Auch hierzu hat die Beklagte trotz Hinweises des Gerichts keinerlei Ausführungen gemacht.
Die Beklagte hat lediglich vorgetragen, es sei zu einem totalen Umsatzausfall gekommen. Ein Onlineshop sei nicht vorhanden. Dies allein ist nicht ausreichend. Ein gesundes Unternehmen kann in der Regel einen Umsatzausfall von fünf Wochen verkraften. Gedacht ist die Möglichkeit der Anpassung von Verträgen bei Störungen der Geschäftsgrundlage bei einer schwerwiegenden Änderung der Umstände. Es muss also die Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Daraus resultiert das Erfordernis einer gewissen Dauer der Störung. Erst wenn eine gewisse Dauer der Beschränkungen erreicht ist, kann das Risiko nicht mehr einseitig dem Mieter auferlegt werden. Vorliegend handelte es sich aber lediglich um den Zeitraum April 2020. Das Gericht geht davon aus, dass für eine Vertragsanpassung das Vorhandensein von geänderten Umständen während mindestens eines Zeitraums von ca. 3 Monaten erforderlich wäre. Dieser Richtwert ist vorliegend bei weitem nicht erreicht.
Die Widerklage ist nicht rechtshängig geworden. Über sie ist deshalb keine Entscheidung zu treffen. Es handelt sich bei der Widerklage um einen neuen Sachantrag, der unzulässig wäre, weil er gem. § 261 Abs. 2, § 297 ZPO spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung zu stellen gewesen wäre. Dies gilt auch, wenn dies im Rahmen einer eingeräumten Schriftsatzfrist erfolgt ist.
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gem. § 156 ZPO kam nicht in Betracht, da es in diesem Fall zu einer Verfahrensverzögerung käme. Die versehentlich erfolgte Zustellung der Widerklage begründet bei Ablehnung der Wiedereröffnung des Verfahrens keine Rechtshängigkeit.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.
Die Streitwertentscheidung gründet sich auf § 3 ZPO. Die Widerklage erhöht mangels Rechtshängigkeit den Streitwert nicht.


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