Aktenzeichen 20 O 21847/10
WEG § 14, § 15 Abs. 3
GG Art. 14
Leitsatz
Die in der Teilungserklärung vereinbarte Nutzung von Räumlichkeiten als “Laden mit Lager” steht bei typisierender Betrachtungsweise zum Ausschluss einer Benutzung der Räumlichkeiten als “Eltern-Kind-Zentrum”, da von einer Begegnungsstätte Geräuschemissionen ausgehen, die andere Eigentümer stärker beeinträchtigen, als dies bei einer Ladennutzung der Fall wäre. (Rn. 30 – 38) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Räumlichkeiten der im Erdgeschoss des Anwesens …, gelegenen Teileigentumseinheiten … als … zu benutzen.
II. Dem Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten gegen ihn festgesetzt wird.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 75.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Gemäß dem § 1004 BGB in Verbindung mit § 14 WEG und § 15 Abs. 3 WEG können die Kläger auch vom Beklagten als Mieter die Unterlassung der Nutzung der vermieteten Teileigentumseinheiten als … beanspruchen, denn ein von der Teilungserklärung abweichender Gebrauch ist unzulässig.
Die Teilungserklärung erlaubt für die dem Beklagten vermieteten Räumlichkeiten einen Laden mit Lager. So lautet auch die Eintragung im Grundbuch, Anlage K1. Es handelt sich um eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter im Sinne der §§ 10 Abs. 2, 15 Abs. 1 WEG.
Das ergibt die maßgebliche normativ-objektive Auslegung der Teilungserklärung. Die Teilungserklärung ist nach den für eine Grundbucheintragung geltenden Regeln objektiv-normativ auszulegen; maßgebend ist dabei der sich aus dem Grundbuch ergebende Wortlaut des Beschlusses und der Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung des Wortlauts ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind. Auf die subjektiven Vorstellungen der Parteien kommt es nicht an (BGH, Beschluss vom 10. September 1998 – V ZB 11/98 -, BGHZ 139, 288 Rn. 16).
Die im Wohnungseigentumsrecht anzustellende typisierende Betrachtungsweise führt hier in der Gesamtschau dazu, dass die Benutzung der Räumlichkeiten als … mit verschiedenen Veranstaltungen ein von der Teilungserklärung abweichender Gebrauch ist, der unzulässig ist, weil er stärker stört als die Benutzung als Laden mit Lager.
Aufgrund der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, die auch in § 13 Abs. 1 WEG ihren Niederschlag gefunden hat, ist die sich aus der Zweckbestimmungserklärung ergebende Beschränkung der Eigentumsrechte ergänzend dahin auszulegen, dass eine von der im Grundbuch eingetragenen Zweckbestimmung abweichende Nutzung dann zulässig ist, wenn sie bei typisierender Betrachtungsweise generell nicht mehr stören oder beeinträchtigen kann als eine der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung (BGH, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 72/09, NJW 2010, 3093; LG München I, Urteil vom 04. April 2011 – 1 S 16861/09 -, Rn. 7, juris; Spielbauer/Then, WEG, 2. Aufl., § 14 Rn 19). Denn in diesem Fall besteht kein schützenswertes Interesse der übrigen Miteigentümer an der Unterbindung der zweckbestimmungswidrigen Nutzung. Entscheidend ist dabei, dass eine solche anderweitige Nutzung die übrigen Wohnungseigentümer nicht über das Maß hinaus beeinträchtigt, das bei einer Nutzung zu dem vereinbarten Zweck typischerweise zu erwarten ist (BGH, Urteil vom 10.7.2015 – V ZR 169/14, Rn. 21; BGH, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 16 m.w.N.). Darlegungs- und beweisbelastet dafür ist der Nutzer.
Unter einem Laden sind Geschäftsräume zu verstehen, bei denen der Charakter einer Verkaufsstätte im Vordergrund steht, in der sich also Personal aufhält, während der Öffnungszeiten Kunden ein- und ausgehen und gelegentlich Waren angeliefert werden. Ein Laden darf nicht als Begegnungsstätte für Menschen genutzt werden, da bei typisierender Betrachtung davon auszugehen ist, dass von einer Begegnungsstätte Geräuschemissionen ausgehen, die andere Eigentümer stärker beeinträchtigen, als dies bei einer Ladennutzung der Fall wären, vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.09.2002, 3 WX 64/02, und Kammergericht Berlin, Beschluss vom 13.02.2007, AZ: 24 W 247/06, vgl. dazu auch Urteil des Bundesgerichtshofes vom 10.07.2015, AZ: V ZR 169/14, Randnummer 18 und 20 und 21, zitiert nach Juris.
Die konkrete derzeitige Nutzung ist zwischen den Parteien unstreitig, nämlich dass wechselnde Veranstaltungen zum Teil in offenen Treffs, zum Teil in festen Gruppen, zum Teil ohne Anmeldung, zum Teil mit Anmeldung, zum Teil mit Eltern, zum Teil nur mit Kindern und Betreuern durchgeführt werden und zwar von morgens 9.00 Uhr bis abends 18.00 Uhr, mit jeweils einer Mittagspause und auch am Samstag. Zu diesen Veranstaltungen zählen auch Feiern wie z.B. Faschingsfeiern. Auch werden dort Flohmärkte veranstaltet. Zudem gibt es Deutsch als Fremdsprache für die Eltern, Musikgruppen, eine Zumbagruppe und jeden Tag ein offenes Spielzimmer für Klein und Groß mit Kaffee und Kuchen.
Vergleicht man diese Nutzung mit einer Nutzung als Laden, so ergibt sich ein deutlicher Unterschied, denn in einem Laden hält man sich nicht in Gruppen über einen längeren Zeitraum auf.
Die hier gebotene typisierende Betrachtungsweise macht eine Beweiserhebung zu den konkreten Umständen des Einzelfalls entbehrlich. (AG München Urteil vom 03.02.2016, 482 C 18351/15 WEG …, bestätigt durch das LG München I, Beschluss vom 06.07.2016, 1 S 4188/16).
Danach ist davon auszugehen, dass die Nutzung als … schon im Hinblick auf die Geräusch-, aber auch auf die sonstigen Belästigungen deutlich mehr stört, als eine Nutzung als Laden.
Zumba ist eine Mischung aus Aerobic und überwiegend lateinamerikanischen Tanzelementen mit Fitnesscharakter, wozu auch anregende Musik gehört. Darüber hinaus gibt es einige Musikveranstaltungen. Alle Veranstaltungen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zwischen einer dreiviertel Stunde und zwei Stunden dauern.
Dies ist eine deutlich stärkere Beanspruchung der unter der Wohnung der Kläger liegenden Räumlichkeiten als durch einen Laden. Dadurch, dass sich spielende, singende, tanzende Gruppen dort für einen längeren Zeitraum versammeln, wird die Wohnung der Kläger, die beide im Ruhestand sind, deutlich stärkeren Immissionen ausgesetzt als sie durch einen Laden ausgesetzt war bzw. ausgesetzt wäre.
Die Frage, ob eine Nutzung nicht mehr stört als eine andere, bemisst sich nicht allein an den Lärmemissionen, sondern an allen Begleitumständen. Hierzu gehört etwa bereits die Nutzung (und sei es nur durch schweigsames Passieren) von Gemeinschaftseingängen, und -flächen durch Publikumsverkehr bzw. Besucher von Veranstaltungen.
Daher kann dahinstehen, dass die Privilegierung von Kinderlärm nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz auch im Wohnungseigentumsrecht zu beachten ist.
Hier besteht zudem die Besonderheit, dass der Beklagte ausdrücklich nicht nur ein Treff für Kinder ist oder nur der Kinderbetreuung dient, sondern gerade auch Eltern, Großeltern und andere Betreuungspersonen anspricht und für diese Austausch anbietet. Für diesen Personenkreis gibt es keine Privilegierung.
Auch das gesellige Beisammensein, ein offenes Spielzimmer für Klein und Groß mit Kaffee und Kuchen führt dazu, dass dort ein Austausch mit Gesprächen, Gelächter stattfindet, der in dieser Form und Intensität in einem Laden nicht stattfinden würden.
Zwar trifft es zu, dass die Betriebszeiten des Beklagten inzwischen kürzer sind als die erlaubten Ladenöffnungszeiten. Dies führt aber in der Gesamtbetrachtung nicht dazu, von einer weniger störenden oder hinzunehmenden Nutzung auszugehen.
Zeitlich werden die Räume weniger genutzt, aber die Intensität der Nutzung ist erheblich höher.
In einem Laden halten sich nicht Gruppen über einen längeren Zeitraum auf und üben Aktivitäten wie Singen, Tanzen, Spielen und Turnen aus. Von diesen Aktivitäten gehen deutlich größere Störungen für die Kläger aus. Denn es ist davon auszugehen, dass zu den fixen Kursterminen mehrere Personen zum selben Zeitpunkt kommen und auch gleichzeitig wieder gehen.
Die Wohnung der Kläger und die Räume des Beklagten liegen in einem ruhigen Hinterhof und nicht an einer Hauptverkehrs- oder Ladenstraße.
Daher sind auch die Kundenzahlen, die …, die Vorsitzende des Vereins, für Läden an den Hauptstraßen ermittelt hat, nicht vergleichbar für diese Räumlichkeiten.
Weil also die Räumlichkeiten, so wie es in der Teilungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft bestimmt wurde, nicht dazu geeignet sind, dass dort ein … in der beschriebenen und betriebenen Form erlaubt ist, ist der beklagte Verein zu verurteilen, dies zu unterlassen.
Verboten wird die Betätigung des Vereins damit nicht.
Die Räumlichkeiten sind wegen ihrer Zweckbestimmung ungeeignet zu dem Betrieb des Beklagten.
Kosten: § 91 ZPO.
Durch die Rücknahme der Klagen der ursprünglich beteiligten weiteren Miteigentümer sind keine zusätzlichen Kosten entstanden, so dass keine Kostenaufteilung notwendig wurde, denn die Mehrvertretungsgebühr für die Klägervertreterin fällt auch für die beiden noch verbleibenden Kläger an.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.