Aktenzeichen 485 C 20738/17 WEG
Leitsatz
1. Für die Auferlegung aller zukünftiger Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten einer Baumaßnahme auf den Eigentümer bietet § 16 Abs. 4 WEG keine Beschlusskompetenz, so dass der Beschluss nichtig ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soll über einen “Baukostenzuschuss” an Eigentümer beschlossen werden, muss dieser Beschluss angekündigt werden, alleine die Ankündigung eines Finanzierungsbeschlusses für eine Baumaßnahme genügt nicht. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 21.09.2017 zu TOP 7b), Beschlussantrag b) („Genehmigung zur Anbringung von Glasdächern“), nichtig ist.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.612,10 € festgesetzt.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist auch das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Da das Anfechtungsrecht nicht nur dem persönlichen Interesse des anfechtenden Wohnungseigentümers oder dem Minderheitenschutz dient, sondern dem Interesse der Gemeinschaft an einer ordnungsmäßigen Verwaltung, genügt für die Anfechtung grundsätzlich das Interesse eines Wohnungseigentümers, eine ordnungsmäßige Verwaltung zu erreichen. Es ist demnach nicht erforderlich, dass der anfechtende Wohnungseigentümer durch den Beschluss persönlich betroffen ist oder sonst Nachteile erleidet (BGH, NZM 2003, 764).
Die Klage ist auch begründet. Der Beschluss zu TOP 7b), Beschlussantrag b), ist insgesamt nichtig.
In dem Beschluss wird den Eigentümern der Wohnungen mit Pergolabalken gestattet, bauliche Veränderungen vorzunehmen. Den Eigentümern, die von dieser Option Gebrauch machen, werden in dem letzten Satz des Beschlusses die Kosten für die zukünftige Instandhaltung und Instandsetzung der Pergolaüberdachungen auferlegt. Die vorliegende Regelung zielt nach ihrem klaren Wortlaut („zukünftige Instandhaltung und Instandsetzung“) unzweifelhaft auf eine Vielzahl künftiger Maßnahmen. Für eine solche Regelung besteht keine Beschlusskompetenz der Eigentümer.
Eine Beschlusskompetenz ergibt sich insbesondere nicht aus § 16 Abs. 4 WEG. § 16 Abs. 4 WEG räumt den Wohnungseigentümern zwar eine Beschlusskompetenz zur abweichenden Verteilung von Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten, Kosten baulicher Veränderungen und Modernisierungskosten ein. Die Kompetenz ist aber nur für Einzelfälle und nicht für dauerhafte oder generelle Regelungen eröffnet. Nur in diesen Grenzen besteht die Beschlusskompetenz. Bewegen sich die Wohnungseigentümer außerhalb dieser Kompetenz, so ist nach allgemeinen Grundsätzen (vgl. BGH NJW 2000, 3500) der gefasste Beschluss mangels Beschlusskompetenz nichtig (BeckOK WEG/Bartholome § 16 WEG Rn. 166 m.w.N.). Beschlüsse aufgrund § 16 Abs. 4 WEG können also nur „im Einzelfall“ gefasst werden. Dieses Merkmal ist kompetenzbegrenzend. Beschlüsse, die wie hier für die Zukunft generell den Kostenverteilungsschlüssel ändern wollen, sind nicht von § 16 Abs. 4 WEG gedeckt. Eine entsprechende Regelung ist nur durch Vereinbarung möglich (BeckOK WEG, a.a.O. Rz. 174 m.w.N.).
Bereits gem. § 139 BGB ist der gesamte Genehmigungsbeschluss zu TOP 7b), Beschlussantrag b), einschließlich der Genehmigung der baulichen Veränderung für nichtig zu erachten (LG München I, ZMR 2014, 923).
Das Gesetz geht in § 139 BGB grundsätzlich davon aus, dass das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig ist, sofern nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Bei Wohnungseigentumsbeschlüssen liegt eine Unwirksamkeit bzw. Ungültigkeit des gesamten Beschlusses vor, wenn der unbeanstandet gebliebene Teil allein sinnvollerweise keinen Bestand haben kann und anzunehmen ist, dass ihn die Wohnungseigentümer nicht so beschlossen hätten (BGH, ZWE 2012, 371).
Dies ist bzgl. der Regelung in Beschlussantrag b) nicht möglich. Es kann nicht angenommen werden, dass die WEG den übrigen Beschlussteil auch ohne die Regelung der Kostentragung für die künftige Instandhaltung und -setzung der einzelnen Pergolaüberdachungen zu Lasten des jeweiligen Eigentümers mehrheitlich beschlossen hätte.
Die Nebenentscheidungen haben ihre Grundlage in §§ 91, 709 ZPO, die Streitwertfeststezung erfolgte gem. § 49 a GKG.
Lediglich ergänzend wird noch auf folgende, nicht entscheidungserhebliche Aspekte hingewiesen:
Der streitgegenständliche Beschluss zu TOP 7b), Beschlussantrag b), leidet auch an einem formellen Beschlussmangel, da der Beschlussgegenstand unzureichend i.S.v. § 23 Abs. 2 WEG angekündigt wurde. § 23 Abs. 2 WEG dient dem Informationsinteresse der Eigentümer, die nicht mit überraschenden Anträgen konfrontiert werden sollen. Es geht darum, ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, sich auf die Versammlung vorzubereiten. Die vorgesehenen Beschlussgegenstände sind textlich so genau zu bezeichnen, dass die Wohnungseigentümer verstehen und überblicken können, was in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert und beschlossen werden soll und welche Auswirkungen der vorgesehene Beschluss insoweit auf die Wohnungseigentümergemeinschaft, den Verband Wohnungseigentümergemeinschaft und sie selbst hat (BGH NJW 2013, 3098). Die Bezeichnung muss mithin so gestaltet sein, dass sie den Wohnungseigentümer angemessen auf die Erörterung der Beschlussgegenstände vorbereitet (BGH NZM 2011, 515). An die Bezeichnung dürfen zwar „keine übertriebenen Anforderungen“ gestellt werden (KG ZMR 2009, 709 LG Hamburg ZMR 2010, 226 ff) und die Wohnungseigentümer sind stets berechtigt, von einem angekündigten Beschlussantrag abzuweichen (LG München I ZWE 2010, 138), soweit sich dadurch der Beschlussgegenstand nicht ändert und ein „aliud“ wird. Häufig genügt auch eine schlagwortartige Bezeichnung (BGH NZM 2015, 595), die Art und Weise der Bezeichnung ist aber vom Beschlussgegenstand abhängig und richtet sich außerdem stets nach den berechtigten Informationsbedürfnissen der Wohnungseigentümer (KG ZMR 2009, 709).
Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Bezeichnung auch und gerade in Zusammenhang mit den mit der Einladung verschickten Anlagen nicht ausreichend. Zwar ist bei einem Beschluss über eine bauliche Maßnahme anzunehmen, dass grundsätzlich auch über die Finanzierung derselben beschlossen wird. Als mögliche Finanzierungsformen sind aber in der Einladung und den beigefügten „Darlegungen und Beschlussvorschlägen“ des jetzigen Beklagtenvertreters nur eine vollständige Finanzierung über eine Sonderumlage, ggf. kombiniert mit einer Entnahme aus der IHR, und eine vollständige Finanzierung durch die Eigentümer der betreffenden Wohnungen vorgesehen, nicht aber eine Finanzierung in Form einer Vorauszahlung durch die Eigentümer der betreffenden Wohnungen und eines „Baukostenzuschusses“ aus „dem Verwaltungsvermögen“.
Der streitgegenständliche Beschluss ist auch nicht hinreichend bestimmt. Der Inhalt eines Beschlusses muss, insbesondere weil ein Sondernachfolger nach § 10 Abs. 4 WEG an Beschlüsse gebunden ist, klar und hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar sein, durchführbare Regelungen enthalten und darf keine inneren Widersprüche aufweisen, was durch Auslegung zu ermitteln ist. Der Inhalt muss dem Beschluss selbst zu entnehmen sein. Die Formulierung „Der Verwalter wird bevollmächtigt und beauftragt, den Baukostenzuschuss aus dem Verwaltungsvermögen auszubezahlen bzw. mit der zu zahlenden Summe von (…) zu verrechnen“ genügt diesen Anforderungen nicht. Es wird bereits nicht deutlich, aus welchem „Verwaltungsvermögen“ (freie liquide Mittel? Entnahme aus der Instandhaltungsrückstellung?) der „Zuschuss“ ausbezahlt werden soll.