Patent- und Markenrecht

26 W (pat) 1/20

Aktenzeichen  26 W (pat) 1/20

Datum:
25.10.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:251021B26Wpat1.20.0
Spruchkörper:
26. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 25. Oktober 2021 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Kortge, des Richters Kätker und der Richterin kraft Auftrags Dr. Rupp-Swienty
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 10. Oktober 2019 aufgehoben, soweit der Nichtigkeitsantrag für die Waren der
Klasse 32: Biere; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken;
Klasse 33: Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; Spirituosen; Weine; Perlweine; Schaumweine; weinhaltige Getränke
zurückgewiesen worden ist.
Insoweit wird die angegriffene Marke für nichtig erklärt und das Deutsche Patent- und Markenamt angewiesen, sie zu löschen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Der Kostenantrag der Markeninhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Wortmarke
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Familienwein
3
ist am 5. August 2015 angemeldet und am 30. September 2015 unter der Nummer 30 2015 105 014 als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register eingetragen worden für Waren der
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Klasse 32: Biere; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken;
5
Klasse 33: Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; Spirituosen; Weine; Perlweine; Schaumweine; weinhaltige Getränke.
6
Am 13. Juni 2017 hat die Beschwerdeführerin die Löschung der angegriffenen Marke wegen absoluter Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 MarkenG beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Streitmarke sei nicht unterscheidungskräftig, sondern beschreibe lediglich die Art und Beschaffenheit der eingetragenen Waren, weil sie die Bedeutung vermittle, dass es sich um hauseigene Getränkeprodukte einer beliebigen Winzerfamilie oder irgendeines Familienweinguts mit positiven Assoziationen traditioneller Waren handele. Es könne sich aber auch um einen Wein für die Familie handeln, der bei familiären Anlässen oder bei jeder Gelegenheit konsumiert werde, zumal eine Familie auch aus erwachsenen Kindern und deren Eltern bestehen könne. Neben den weinhaltigen Getränken der Klasse 33 produzierten Winzerfamilien auch alkoholfreie Weine und Traubensäfte der Klasse 32. Eine solche unmittelbare Warenbezeichnung müsse jeder Winzerfamilie zur Verfügung stehen. Zahlreiche Marken mit dem begrifflich identischen Bestandteil „Family Wines“ seien nur wegen kennzeichnungskräftiger Namenszusätze registriert worden. Die vergleichbare Marke (30 2016 005 480) sei ebenfalls wegen fehlender Unterscheidungskraft und Freihaltebedürftigkeit zurückgewiesen worden. Soweit die angegriffene Marke für nicht weinhaltige Waren eingetragen sei, täusche sie über deren Art und Beschaffenheit. Der Markeninhaberin seien gemäß § 63 MarkenG die Kosten aufzuerlegen, weil sie den Löschungsantrag provoziert habe. Denn sie habe trotz mehrerer Löschungsaufforderungen von Seiten der Antragstellerin vor der Anhängigkeit dieses Verfahrens an ihrer schutzunfähigen Marke festgehalten.
7
Die Antragsgegnerin, an die der Löschungsantrag laut Empfangsbekenntnis am 30. Juni 2017 zugestellt worden ist, hat diesem am 23. August 2017 widersprochen. Ihrer Ansicht nach erkenne der allein angesprochene Durchschnittsverbraucher in der nicht lexikalisch nachweisbaren Bezeichnung „Familienwein“ mit nur 1.080 Google-Treffern keine glatt beschreibende Angabe, weil es sich um ein im Deutschen unbekanntes Wort, also einen Neologismus bzw. eine originelle Wortneuschöpfung handele. Ausweislich der Belege der Antragstellerin bezeichne „Familienwein“ nicht das Weinprodukt einer Winzerfamilie, sondern einen Wein, der bei jeder Gelegenheit oder nur bei besonderen Gelegenheiten konsumiert werde. Da Kindern der Konsum von Wein untersagt sei, gebe es einen Wein speziell für die Familie ebenso wenig wie einen aus Familien hergestellten Wein. Eine Täuschungsgefahr für nicht weinhaltige Waren bestehe nicht, weil diese in anderen Abteilungen eines Getränkemarktes in anderer Verpackung und mit anderen Inhaltsangaben als Weine angeboten würden. Gegen einen ersichtlich begründeten Löschungsantrag spreche, dass die Markenstelle von der Schutzfähigkeit der Streitmarke ausgegangen sei, weshalb eine Kostentragung ausscheide.
8
Mit Beschluss vom 10. Oktober 2019 hat die Markenabteilung 3.4 des DPMA den Löschungsantrag und den Kostenantrag der Antragstellerin zurückgewiesen und den Gegenstandwert auf 50.000 € festgesetzt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Bezeichnung „Familienwein“ sei nach Recherchen der Markenabteilung zwar nachweisbar, finde sich aber nur sehr selten. Als Hinweis auf einen Wein, der aus einer Familienwinzerei stamme, würden regelmäßig Ausdrücke wie „Familienweingut“ und „Familienkellerei“ verwendet. Auch in den von der Antragstellerin vorgelegten Nachweisen bleibe die Bedeutung von „Familienwein“ letztlich unklar, zumindest diffus und interpretationsbedürftig. Sprachlich deute das Markenwort eher auf einen Wein für die (ganze) Familie hin. Dem stehe jedoch entgegen, dass sich Wein als alkoholisches Getränk gerade nicht an die ganze Familie einschließlich Kinder richte. Mit Blick auf diese begriffliche Unschärfe und die mangelnde Gebräuchlichkeit sei der Ausdruck „Familienwein“ nicht geeignet, die Waren unmittelbar zu beschreiben, sondern werde als Unternehmenshinweis verstanden. Es gehe auch keine Täuschungsgefahr von ihm aus, weil der Begriff so unscharf und unklar sei, dass der Verkehr nicht den Schluss ziehen werde, dass es sich bei einem so bezeichneten Produkt um Wein handeln müsse. Für eine Kostenauferlegung nach § 63 Abs. 1 MarkenG bestehe insbesondere im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens kein Anlass.
9
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie wiederholt ihre Ausführungen im Amtsverfahren und vertritt die Auffassung, für die Verneinung der Unterscheidungskraft sei es ausreichend, wenn die Marke in einer ihrer möglichen Bedeutungen beschreibend sei. Vorliegend seien sogar beide Bedeutungen beschreibend. Die von ihr eingereichten Belege wiesen zudem die Gebräuchlichkeit des Begriffs „Familienwein“ nach. Der Verkehr erwarte bei einer mit „Familienwein“ bezeichneten Ware auch ein weinhaltiges Getränk.
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Sie beantragt sinngemäß,
11
den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des DPMA vom 10. Oktober 2019 aufzuheben, die angegriffene Marke für nichtig zu erklären und das DPMA anzuweisen, sie zu löschen.
12
Die Markeninhaberin beantragt sinngemäß,
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1. die Beschwerde zurückzuweisen;
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2. der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
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Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist der Ansicht, das Markenwort „Familienwein“ sei lexikalisch nicht nachweisbar, finde in der gängigen Fachliteratur keine Verwendung und sei mit der Suchmaschine Google kaum zu finden. Seine Bedeutung sei diffus, unklar und widersprüchlich. Deshalb werde es in den Verwendungsbeispielen der Antragstellerin stets mit einer ausführlichen Erklärung versehen. Bei den Waren „Mineralwässer“ und „Fruchtsäfte“ sei eine Irreführung ausgeschlossen, weil deren Handel durch die Mineral- und Tafelwasserverordnung sowie die Fruchtsaftverordnung reglementiert sei und der Verbraucher wisse, dass diese Getränke keinen Alkohol enthalten. Auch die Antragstellerin gehe offensichtlich nicht von einer Täuschungsgefahr bei nichtalkoholischen Getränken aus, weil sie ihre am 1. März 2017 eingetragene Wortmarke „Schmitt Söhne Family Wines“ nicht nur für Weine, sondern auch für „Biere; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer und andere alkoholische Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte; Sirupe und andere Präparate zur Zubereitung von Getränken“ angemeldet habe.
16
Mit gerichtlichem Schreiben vom 1. September 2021 sind die Verfahrensbeteiligten unter Beifügung von Recherchebelegen (Anlage 1 und Anlagenkonvolute 2 bis 5, Bl. 79 – 127 GA) auf die überwiegende Erfolgsaussicht der Beschwerde hingewiesen worden.
17
Am 1. Oktober 2021 hat die Antragstellerin ihren Kostenantrag zurückgenommen.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
19
Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.
20
Der Eintragung der angegriffenen Wortmarke „Familienwein“ für die beanspruchten Waren „Biere; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken“ der Klasse 32 und „Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; Spirituosen; Weine; Perlweine; Schaumweine; weinhaltige Getränke“ der Klasse 33 haben schon im Anmeldezeitpunkt die Schutzhindernisse der Freihaltebedürftigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG) und der fehlenden Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) entgegengestanden, und diese Eintragungshindernisse bestehen auch noch bis zum Entscheidungszeitpunkt fort.
21
Während des Verfahrens vor dem DPMA ist das im Streitfall maßgebliche Markenrecht durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert worden. Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist § 50 Abs. 1 in seiner neuen Fassung anwendbar, da insoweit keine Übergangsregelung gilt (BGH WRP 2021, 1166 Rdnr. 10 u. 11 – Black Friday). Da der Löschungsantrag am 13. Juni 2017 und damit vor dem 14. Januar 2019 gestellt worden ist, findet § 50 Abs. 2 MarkenG in seiner bis zum 13. Januar 2019 geltenden Fassung Anwendung (§ 158 Abs. 8 MarkenG).
22
Nach § 50 Abs. 1 MarkenG wird die Eintragung einer Marke auf Antrag, der von jedermann gestellt werden kann (§ 54 Abs. 1 Satz 2 MarkenG), nach rechtzeitig erhobenem Widerspruch für nichtig erklärt und gelöscht, wenn die Marke entgegen §§ 3, 7 oder 8 MarkenG eingetragen worden ist. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG a. F. müssen Schutzhindernisse gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 MarkenG a. F. sowohl im Zeitpunkt der Anmeldung der Marke bestanden haben als auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag bestehen. Ist eine solche Feststellung, auch unter Berücksichtigung der von den Verfahrensbeteiligten vorgelegten und von Amts wegen zusätzlich ermittelten Unterlagen nicht möglich, muss es – gerade in Grenz- oder Zweifelsfällen – bei der Eintragung der angegriffenen Marke sein Bewenden haben (BGH GRUR 2014, 483 Rdnr. 38 – test m. w. N.). Soweit der Löschungsantrag auf Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 MarkenG gestützt wird, kommt eine Löschung gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG a. F. nur in Betracht, wenn der Antrag innerhalb von zehn Jahren seit dem Tag der Eintragung gestellt worden ist.
23
Der Löschungsantrag ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin am 30. Juni 2017 gemäß § 94 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 4 VwZG gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Die zweimonatige Widerspruchsfrist gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 MarkenG hat mit der Antragszustellung am 30. Juni 2017 zu laufen begonnen und mit Ablauf des 30. August 2020 geendet (§§ 82 Abs. 1 Satz 1 MarkenG, 222 ZPO i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Der am 23. August 2017 beim DPMA eingegangene Widerspruch der Antragsgegnerin ist daher rechtzeitig erfolgt.
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Der am 13. Juni 2017 beim DPMA eingegangene Löschungsantrag ist innerhalb der seit der Eintragung der angegriffenen Marke am 30. September 2015 laufenden Zehnjahresfrist gestellt worden (§ 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).
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1. a) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind von der Eintragung Marken ausgeschlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geographischen Herkunft, der Zeit der Herstellung der Waren oder der Erbringung der Dienstleistungen oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Waren oder Dienstleistungen dienen können. Diese Bestimmung verfolgt das im Allgemeininteresse liegende Ziel, dass Zeichen oder Angaben, die ein Merkmal oder mehrere Merkmale der beanspruchten Waren oder Dienstleistungen beschreiben, von allen Wirtschaftsteilnehmern, die solche Waren oder Dienstleistungen anbieten, frei verwendet werden können und nicht aufgrund ihrer Eintragung als Marke einem Unternehmen vorbehalten werden (EuGH GRUR 2011, 1035 Rdnr. 37 – Agencja Wydawnicza Technopol/HABM [1000]; BGH WRP 2021, 1166 Rdnr. 13 f. – Black Friday; GRUR 2017, 186 Rdnr. 38 – Stadtwerke Bremen).
26
Ob ein Zeichen oder eine Angabe beschreibend ist, bestimmt sich nach dem Verständnis der Verkehrskreise, die als Abnehmer oder Interessenten der betroffenen Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommen (vgl. EuGH, GRUR 1999, 723 Rdnr. 29 – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]; BGH a. a. O. Rdnr. 14 – Black Friday; GRUR 2009, 669 Rdnr. 16 – POST II). Dabei ist auf das Verständnis des Handels und/oder des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers als maßgebliche Verkehrskreise zum Anmeldezeitpunkt abzustellen (vgl. EuGH GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 682 Rdnr. 23 – 25 – Bostongurka; a. a. O. – Windsurfing Chiemsee [Chiemsee]; BGH a. a. O. Rdnr. 19 – Black Friday; a. a. O. – Stadtwerke Bremen).
27
Ein Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG setzt nicht voraus, dass die Zeichen und Angaben nach dem zum Zeitpunkt der Anmeldung bestehenden Verkehrsverständnis bereits tatsächlich für die Merkmale der beanspruchten Waren oder Dienstleistungen beschreibend verwendet werden. Wie sich aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt, genügt es, dass die Zeichen oder Angaben diesem Zweck dienen können. Ein Freihaltebedürfnis liegt deshalb auch vor, wenn die Benutzung der angemeldeten Marke als Sachangabe noch nicht zu beobachten ist, eine solche Verwendung aber jederzeit in Zukunft erfolgen kann (vgl. EuGH GRUR 2010, 534 Rdnr. 52 – Prana Haus/HABM [PRANAHAUS]; GRUR 2004, 146 Rdnr. 32– HABM/Wrigley [Doublemint]; GRUR 2004, 680 Rdnr. 38 – Campina Melkunie [BIOMILD]; BGH a. a. O. – Black Friday; a. a. O. Rdnr. 42 – Stadtwerke Bremen).
28
b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Wortmarke „Familienwein“ schon zum Anmeldezeitpunkt, dem 5. August 2015, geeignet gewesen und auch gegenwärtig noch geeignet, die Beschaffenheit und/oder den Bestimmungszweck der beanspruchten Waren unmittelbar zu beschreiben.
29
aa) Von den angemeldeten Produkten der Klassen 32 und 33 werden sowohl der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher als auch der Getränkefachhandel und der Gastronomiefachverkehr angesprochen.
30
bb) Die angegriffene Marke setzt sich aus den beiden Wörtern „Familie“ und „Wein“ zusammen.
31
aaa) Das vom lateinischen Wort „familia“ für „Gesinde“ abstammende Wort „Familie“ bezeichnet in erster Linie eine „aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende [Lebens]gemeinschaft“, aber auch eine „Gruppe miteinander [bluts]verwandter Personen“ bzw. eine „Sippe“ (www.duden.de/rechtschreibung/Familie). Synonyme sind auch „Angehörige“ oder „Verwandtschaft“. Im Duden finden sich zahlreiche weitere Komposita mit „Familie“ wie „Familienalbum“, „Familienbesitz“ oder „Familiengrab“.
32
bbb) Das vom mittelhochdeutschen bzw. althochdeutschem wīn und dem lateinischen „Vinum“ abstammende Nomen „Wein“ bezeichnet „Weinreben“, „Weintrauben“, das „aus dem gegorenen Saft der Weintrauben hergestellte alkoholische Getränk“, den „gegorenen Saft von Beeren-, Kern- oder Steinobst“ sowie „Obstwein“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Wein). Wortkombinationen mit „Wein“ als zweitem Bestandteil werden häufig verwendet wie „Rotwein“, „Weißwein“, „Fruchtwein“, „Sommerwein“ oder „Hauswein“.
33
cc) In der Gesamtheit kommt dem Markenwort die Bedeutung „Wein von einer Familie“ oder „Wein für die Familie“ zu.
34
dd) Aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise hat sich die angegriffene Marke daher schon zum Anmeldezeitpunkt in der unmittelbar beschreibenden Angabe erschöpft, dass die so gekennzeichneten Produkte der Klasse 33 „Alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]; Spirituosen; Weine; Perlweine; Schaumweine; weinhaltige Getränke“ von einer (Winzer-)Familie stammen bzw. hergestellt worden sind oder für den Konsum in der Familie bzw. Verwandtschaft besonders geeignet sind. Dies gilt aber auch für den gegenwärtigen Zeitpunkt.
35
aaa) Viele Weingüter befinden sich noch in Familienbesitz. Der Wein wird oft von mehreren Generationen gleichzeitig und/oder nacheinander produziert. In der Werbung wird die Verbindung der jeweiligen Familien mit ihrem Wein als besonders eng beschrieben. So bewirbt die Inhaberin der Streitmarke die Weine ihrer Genossenschaft unter anderem mit folgendem Text: „Die Güte eines Weines entsteht im Weinberg. Die Kombination aus herausragenden Lagen und handwerklicher Winzerkunst unserer Familien stellt die Grundvoraussetzung für einzigartige Weine dar. … Gutsweine entstanden mit Herzblut unserer kleinen Winzerfamilien“. Auf der Website der Antragsgegnerin wird herausgestellt, dass die Winzergenossenschaft aus „90 Familien“ bestehe, die dann auch mit Namen und ihren Weinen vorgestellt werden. Bestimmte Weine werden unter der Bezeichnung „Familiengewächs“ vermarktet. Hierzu wird erläutert „Familiengewächse haben einen unverwechselbaren, authentischen Charakter, in denen das Herzblut und die Treue unserer Winzer spürbar ist.“ (www.winzer-sommerach.de, Anlage 1 zum gerichtlichen Hinweis). Wein aus Weingütern im Familienbesitz wird eine besondere Individualität und zugleich Kontinuität in der Qualität zugeschrieben. In der Werbung wird daher besonders betont, wenn der Wein von einer Winzerfamilie produziert wird.
36
bbb) Zudem wird Wein meistens in Gesellschaft konsumiert, gerne auch in der Familie. Aus diesem Grund kann „Familienwein“ auch einen Wein „für die Familie“ bezeichnen, der in der Familie oder mit der Verwandtschaft konsumiert werden soll.
37
ccc) Die Wortkombination „Familienwein“ ist schon vor dem Anmeldezeitpunkt, dem 5. August 2015, sowohl im Sinne von „Wein von einer Familie“ als auch im Sinne von „Wein für die Familie“ verwendet worden:
38
– 2007 Grüner Veltliner Stangl … Der Familienwein – Nur jemand, der ein intaktes Familienleben führt, hat den Kopf frei, herrliche Weine zu produzieren. Dieses Zitat erzählt Reinhard Waldschütz über seinen Lehrherrn in seiner Praxiszeit in Rheinland Pfalz. Diese verbrachte er als 17-jähriger bei einem gut geführten Familienbetrieb. …“ (Artikel vom 11. August 2008, Beleg zur Beschwerdebegründung);
39
– „Der neue Jahrgang eines Ausnahme-Riojas … Abelenda Reserva 2012 ist der neue Jahrgang eines klassischen Reservas, … Seit mehr als 40 Jahren führt Juan Abelenda das Unternehmen, heute zusammen mit seinen Kindern. Mit dem Abelenda Reserva 2012 wollte er in seine Referenzregion zurückkehren um einen Familienwein zu bereiten. Seinen eigenen Worten zufolge konzentriert dieser Rioja seinen gesamten Werdegang in einen Wein: „Es hat mehr als 40 Jahre gedauert, bis ich diesen Wein bereiten konnte, der ein ganzes dem Wein gewidmetes Leben zusammenfasst. Eine Arbeit, die meine Kinder nun weiterführen. …“ (Beleg zur Begründung des Löschungsantrags);
40
– „Weißwein-Cuvée 2012: Der Familien-Wein für jede Gelegenheit“ – Ein Wein für jedermann, der zu (fast) allen Gelegenheiten passt: Im städtischen Weingut wird dieser trockene Weißwein deshalb gerne als „Familien-Cuvée“ bezeichnet. … (Stuttgarter Zeitung vom 30. Juli 2014, Beleg zur Beschwerdebegründung);
41
– „SANKT LAURENT – Ein Winzer aus dem österreichischen Burgenland hat Weingeschichte geschrieben. Wer kosten will, was das heißt, sollte seinen Rotwein St. Laurent probieren. …JUHU, ein Familienwein!“ (17. Dezember 2014, Anlagenkonvolut 3 zum gerichtlichen Hinweis);
42
– „Produkttest: Weinprobe unter Frauen! – Castel aus Frankreich lädt ein. … Die Geschichte der Famille-Castel-Weine aus Frankreich begann mit neun Geschwistern, die ihre Leidenschaft für Wein teilten. Im Laufe der Jahre entwickelten sie das Familienunternehmen der Castel-Gruppe. Seine sogenannten „Familienweine“ produzierte Castel anfänglich besonders für die Verkostung im Freundeskreis und als perfekte „geistige“ Begleiter für besondere Momente in der Familie.“ (Kommentar vom 20. Oktober 2014, Anlagenkonvolut 3 zum gerichtlichen Hinweis);
43
– „Eine Liebesgeschichte zwischen Baron Philippe und Mouton Cadet … Philippe Rothschild brachte Neuerungen in das Familiengeschäft, indem er sich entschloss dieselbe Traubensorte zu verwenden, die auch auf dem Familienanwesen wuchs und gab so dem edlen Familienwein einen „kleinen Bruder“.“ (www.pattayablatt.com vom 4. August 2013, Anlagenkonvolut 3 zum gerichtlichen Hinweis).
44
ddd) Eine Verwendung in beiden Bedeutungen erfolgt auch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt:
45
– „Familienwein aus Südafrika“ (Online-Magazin INCENTO vom 15. Juni 2018);
46
– „Hoya Muñoz: Unser Wein des Jahres 2019 … Ramón Castaño stammt aus einer Weinbauernfamilie. Als er in den 50er Jahren das Weingut Bodegas Castaño gründete, ging es darum, den Familienwein zu machen. …“ (Weinblog Kölner Weinkeller vom 18. Januar 2019);
47
– „Carl Tesdorpf: „AUF EIN GLAS“ MIT MATTEO INAMA … Ich bin Matteo Inama, ich arbeite in der dritten Generation auf dem Weingut Inama. … Mein erster Wein, an den ich mich erinnern kann ist …Mein Familienwein …“ (www.tesdorpf.de vom 6. April 2019);
48
– „Echeverria – Unwooded Chardonnay Reserva 2016 … Die Familie Echeverria schaut in Chile auf eine über 250-jährige Tradition im Weinbau zurück. … Seit 1992 wird der Familienwein im eigenen Betrieb abgefüllt und erfolgreich in alle Welt exportiert. … Vom Weinbau bis hin zur Vermarktung bürgt die Familie mit ihrem Einsatz und Namen für die Qualität der Weine. Feste (Familien)wurzeln und die Leidenschaft zum Wein begründen Ursprung und Erfolg der Echeverria-Weine. …“ (www.elvinjo.de von 2018);
49
(alle vorgenannten Fundstellen stammen aus Anlage BF1 zur Beschwerdebegründung).
50
– „Weingut Kolb Kirchheim – „FAMILIENWEINE – WEINE MIT SIEGEL – Das Siegel auf dem Etikett unserer Familien-Linie zeigt das Familienwappen Kolb aus dem 17ten Jahrhundert. Unsere Weinlinie „Familie Kolb“ umfasst die typischen Gutsweine von guter und preiswerter Qualität. …“ (https://weingutkolb.de/weine/familenweine/ vom 23. August 2021);
51
– „… Dein Wein – ein Familienprojekt – Familienwein bei den PIRIs– … Der erste eigene Wein wird ein Familienwein … Laura und ihre Familie … wird … ihren ganz eigenen Wein für die Familie inkl. Etikett herstellen. …“ (https://vinventure.de, 23. August 2021);
52
– „Produkte von Tenuta San Guido – Ursprünglich war der Sassicaia einmal der Familienwein der Marchesi Incisa della Rocchetta aus einem kleinen Weinberg … (https://weine-feinkoste.de/shop/Tenuta-San-Guido vom 23. August 2021);
53
(alle vorgenannten Fundstellen stammen aus dem Anlagenkonvolut 2 zum gerichtlichen Hinweis);
54
– „EL Coto Crianza 2014 … Anlass: Familienwein, Essensbegleiter …“ (https://www.hoepner-getränke.de vom 24. August 2021);
55
– „BODA WEINHAUS – Familienwein – Das sind für uns Weine, die eigentlich immer auf dem Tisch stehen müssten. … Sie sind nie spektakulär aber begleiten uns ein Leben lang. …“ (https://boda-weinshop.de vom 24. August 2021);
56
– „Neuerburg Kabinett Weinherb Familienwein …“ (www.vivino.com vom 24. August 2021);
57
– „CHÂTEAU BEL AIR SAUVIGNON BLANC RÉSERVE AOC … ANLASS: Sommerwein, Familienwein …” (www.maxpiehl.de vom vom 24. August 2021);
58
– „… Selbst gemachter Familienwein, Schmuck, Kleidung, Spielsachen: Der Flohmarkt in Weidenhausen war ein voller Erfolg. …“ (Funke Medien NRW vom 24. August 2021);
59
– „UNSER WEINBERG – Unser Weinberg San José de Agrelo (DOC Luján de Cuyo) liefert uns den Großteil der Trauben, welche wir in unseren FAMILIA ROSSO Weinen verwenden. … Der kalkhaltige Boden des Weinbergs San José und die thermische Amplitude im Sommer bieten die besten Voraussetzungen eine einzigartige Traube wachsen zu lassen, welche den Familienwein prägt und hervorhebt. …“ (https://familiaross.com vom 24. August 2021)
60
(alle vorgenannten Fundstellen stammen aus dem Anlagenkonvolut 4 zum gerichtlichen Hinweis).
61
ee) Eine unmittelbar beschreibende Beschaffenheitsangabe hat die angegriffene Marke zum Anmeldezeitpunkt aber auch für die Waren der Klasse 32 „Biere; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken“ dargestellt. Denn die Bezeichnung „Familienwein“ weist bei ihnen darauf hin, dass sie von einem Familienbetrieb hergestellten oder für die Familie bestimmten alkoholfreien Wein oder ein von einer (Winzer-)Familie erzeugtes Weinaroma enthalten. Dies gilt unverändert auch für die Gegenwart.
62
aaa) Der Europäische Gerichtshof hat bereits am 12. März 1987 entschieden, dass das Verbot, ausländische Biere, die nicht nach den deutschen Regeln hergestellt wurden, in Deutschland unter der Bezeichnung „Bier“ zu verkaufen, gegen die Warenverkehrsfreiheit des EWG-Vertrages verstoße und dass das absolute Verkehrsverbot für Biere mit Zusatzstoffen unverhältnismäßig und nicht nach Art. 36 EWGV (heute Artikel 36 AEUV) gerechtfertigt sei (Rs. 178/84 Kommission/Deutschland, Slg. 1987, 1227 = NJW 1987, 1133). Dementsprechend ist schon lange vor dem Anmeldezeitpunkt aromatisiertes Bier zumindest als Importware erhältlich gewesen (vgl. zur Aromatisierung von Bier mit Fruchtaromen: BPatG 26 W (pat) 550/12 – Sanddorn; 25 W (pat) 544/13 – Wilder Kirschen-Mix; 26 W (pat) 546/10 – Cayenne; 26 W (pat) 25/14 – Bro-Secco). Dazu gehören auch Weinaroma oder Weinbier, die auf unterschiedliche Weise erzeugt werden können: Bierwürze und Weinmost oder ein Weinhefestamm können gemeinsam vergoren werden. Der Biergärung kann Traubensaft zugesetzt werden. Das Bier kann in Weinfässern gelagert werden. Ein Hopfen mit Weinaroma kann zum Einsatz kommen (Anlagenkonvolut 5 zum gerichtlichen Hinweis).
63
bbb) Auch die Produkte „kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke“ können entsprechend aromatisiert sein, zumal Fruchtsaftgetränke meist aus Wasser, Fruchtsaft oder -mark sowie Zucker und Aromen bestehen. Auch alkoholfreie Weinschorlen sind schon lange vor dem Anmeldetag angeboten worden. Dies gilt auch für die Waren „Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken“. Glühweinsirup oder Sirup für Obstweine, wie z. B. Holunderblütenwein, sind schon lange vor dem Anmeldezeitpunkt erhältlich gewesen und werden auch gegenwärtig noch angeboten.
64
ff) Da die Eignung zur Beschreibung festgestellt worden ist, bedarf es für die Begründung des Eintragungshindernisses wegen eines bestehenden Freihaltebedürfnisses keines weiteren lexikalischen oder sonstigen Nachweises, dass und in welchem Umfang das Anmeldezeichen als beschreibende Angabe bereits vor dem Anmeldezeitpunkt bekannt war oder verwendet wurde. Es genügt, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ergibt, dass sie diesem Zweck dienen kann.
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gg) Da das Anmeldezeichen einen sinnvollen Gesamtbegriff vermittelt, sprachüblich und grammatikalisch korrekt gebildet ist und sich in vergleichbare deutsche Wortverbindungen wie „Hauswein“, „Tafelwein“ oder „Lieblingswein“ einreiht, fehlt es an einer ungewöhnlichen Änderung, die hinreichend weit von der Sachangabe wegführt (EuGH GRUR 2004, 674 Rdnr. 98 – 100 – Postkantoor; a. a. O. Rdnr. 39 – 41 – Campina Melkunie [BIOMILD]; BGH GRUR 2009, 949 Rdnr. 13 – My World). Von einer unüblichen, fantasievollen Wortverbindung, die erst nach analysierender Betrachtungsweise als beschreibende Angabe verstanden wird, kann daher entgegen der Auffassung der Markeninhaberin nicht ausgegangen werden.
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hh) Soweit dem Anmeldezeichen nicht konkret entnommen werden kann, ob es sich um einen Wein von einer Familie handelt oder der Wein für die Familie bestimmt ist, vermag dies nichts an der Eignung zur Merkmalsbeschreibung zu ändern. Denn die Annahme einer beschreibenden Bedeutung eines Begriffs setzt nicht voraus, dass die Bezeichnung feste begriffliche Konturen erlangt und sich damit eine einhellige Auffassung zum Sinngehalt herausgebildet hat. Von einem beschreibenden Begriff kann vielmehr auch auszugehen sein, wenn das Zeichenwort verschiedene Bedeutungen hat, sein Inhalt vage und nicht klar umrissen ist oder nur eine der möglichen Bedeutungen die Waren beschreibt (EuGH a. a. O – HABM/Wrigley [Doublemint]; a. a. O. Rdnr. 38 – 42 – Campina Melkunie [BIOMILD]; BGH GRUR 2017, 520 Rdnr. 32 – MICRO COTTON; GRUR 2014, 872 Rdnr. 25 – Gute Laune Drops; GRUR 2014, 569, Rdnr. 18 – HOT; GRUR 2013, 522, Rdnr. 13 – Deutschlands schönste Seiten). Vorliegend sind sogar beide Bedeutungen beschreibend.
67
2. Wegen seines unmittelbar beschreibenden Charakters für die tenorierten Waren hat der Wortmarke „Familienwein“ zum Anmeldezeitpunkt auch die erforderliche Unterscheidungskraft gemäß § 8 Ab. 2 Nr. 1 MarkenG gefehlt. Auch gegenwärtig ist die Marke für diese Produkte nicht unterscheidungskräftig.
68
a) Allein der Umstand, dass der Begriff „Familienwein“ lexikalisch nicht nachweisbar ist, steht der Annahme des Schutzhindernisses nicht entgegen. Der Verkehr ist daran gewöhnt, im Geschäftsleben ständig mit neuen Begriffen konfrontiert zu werden, durch die ihm sachbezogene Informationen vermittelt werden sollen. Er wird daher auch bisher noch nicht verwendete, ihm aber gleichwohl verständliche Sachaussagen als solche und damit nicht als betriebliche Herkunftshinweise auffassen (BPatG 28 W (pat) 33/15 – Traumtomaten).
69
b) Die Schutzunfähigkeit des Anmeldezeichens besteht unabhängig vom Anbringungsort.
70
aa) Bei der Prüfung, ob das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft besteht, ist auf die Kennzeichnungsgewohnheiten im maßgeblichen Warensektor abzustellen (vgl. EuGH GRUR 2019, 1194 Rdnr. 24 und 33 – AS/DPMA [#darferdas?]; BGH GRUR 2020, 411 Rdnr. 13 – #darferdas? II; GRUR 2018, 932 Rdnr. 18 – #darferdas? I, m. w. N.;). Hierzu rechnen die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet, und insbesondere die Stelle, an der sie angebracht werden. Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf der Ware angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft oder als bloß beschreibendes oder dekoratives Element auffasst, kann nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren (vgl. BGH a. a. O. – #darferdas? II; a. a. O. – #darferdas? I, m. w. N.). Dabei muss die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, geprüft werden (vgl. EuGH a. a. O. Rdnr. 33 – AS/DPMA [#darferdas?]; BGH a. a. O. Rdnr. 15 – #darferdas? II). Sind in der maßgeblichen Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssen bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann (vgl. EuGH a. a. O. Rdnr. 25 – AS/DPMA [#darferdas?; BGH a. a. O. – #darferdas? II]).
71
bb) Auch unter Berücksichtigung sämtlicher praktisch bedeutsamer und daher wahrscheinlicher Verwendungsarten bei alkoholischen und alkoholfreien Getränken auf deren Etikett oder auf der Verpackung von Getränkezubereitungspräparaten ist das Anmeldezeichen von den angesprochenen inländischen Verkehrskreisen wegen seines produktbeschreibenden Charakters schon zum Anmeldezeitpunkt nicht als betriebliches Unterscheidungsmittel aufgefasst worden. Dies gilt auch für die Gegenwart.
72
3. Für die beanspruchten Waren der Klasse 32 „Mineralwässer; Fruchtsäfte“ ist die angegriffene Marke „Familienwein“ weder freihaltebedürftig (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG), noch fehlt ihr die erforderliche Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG). Dies gilt auch für den Anmeldezeitpunkt.
73
Denn diese Getränke dürfen aufgrund der Mineral- und Tafelwasserverordnung vom 1. August 1984 (BGBI. I S. 1036, zuletzt geändert durch Art. 25 der Verordnung vom 5. Juli 2017, BGBI. I S. 2272) sowie der Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränkeverordnung vom 24. Mai 2004 (BGBI. I S. 1016, zuletzt geändert durch Art. 12 der Verordnung vom 5. Juli 2017, BGBI. I S. 2272) weder Wein noch ein entsprechendes Aroma enthalten (vgl. BPatG 26 W (pat) 513/18 – Popcorn; 26 W (pat) 512/16 – juicefresh; 26 W (pat) 546/10 – Cayenne).
74
4. Die Streitmarke stellt für „Mineralwässer; Fruchtsäfte“ der Klasse 32 weder zum Anmelde- noch zum Entscheidungszeitpunkt eine täuschende Angabe im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG dar.
75
a) Nach § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die geeignet sind, das Publikum insbesondere über die Art, die Beschaffenheit oder die geografische Herkunft der Waren oder Dienstleistungen zu täuschen. Bei der Beurteilung, ob ein solches Schutzhindernis besteht, geht es um die Irreführung durch den Zeicheninhalt und nicht um die Prüfung, ob das Zeichen bei einer besonderen Art der Verwendung im Geschäftsverkehr geeignet sein kann, irreführende Vorstellungen zu erwecken. Dabei wird der Zeicheninhalt im Wesentlichen geprägt durch die Waren oder Dienstleistungen, für die der markenrechtliche Schutz beansprucht wird (BGH GRUR 2002, 540, Juris-Tz. 24 – OMEPRAZOK). Ist für die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen eine Markenbenutzung möglich, bei der keine Irreführung des Verkehrs erfolgt, liegt das absolute Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG insoweit nicht vor (vgl. BGH GRUR 2017, 186 Rdnr. 21– Stadtwerke Bremen; a. a. O., Juris-Tz. 25 – OMEPRAZOK). Diese Täuschungseignung ist hier aber zu verneinen.
76
b) Da der Handel mit „Mineralwässern“ und „Fruchtsäften“ in Deutschland durch die oben genannten Verordnungen reglementiert wird, haben die Endverbraucher weder am 5. August 2015 noch gegenwärtig angenommen, dass diese Produkte mit Wein oder einem entsprechenden Geschmacksstoff versetzt oder angeboten werden (vgl. BPatG 26 W (pat) 516/11 – aloe to go; 26 W (pat) 546/10 – Cayenne; 26 W (pat) 552/14 – Venezianischer Spritzer). Denn der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher dieser Waren weiß seit langem aufgrund entsprechender Unterrichtung in den Medien, vor allem in Verbraucher- und anderen Zeitschriften, im Fernsehen und im Internet, dass Mineralwässer und Fruchtsäfte keine Zusätze enthalten (vgl. BPatG 26 W (pat) 516/16 – Hopfentraum). Deshalb kann er durch das Markenwort „Familienwein“ auch nicht irregeführt werden. Dies gilt erst recht für den vorliegenden Fachverkehr, dessen Verständnis allein von ausschlaggebender Bedeutung sein kann (EuGH MarkenR 2013, 110 Rdnr. 71 – Abbott Laboratories/HABM [RESTORE]; a. a. O. Rdnr. 30 – Prana Haus/HABM [PRANAHAUS]; GRUR 2006, 411 Rdnr. 24 – Matratzen Concord/Hukla; GRUR 2004, 682 Rdnr. 26 – Bostongurka; BPatG 26 W (pat) 507/17 – SMART SUSTAINABILITY; 24 W (pat) 18/13 – CID; 26 W (pat) 550/10 – Responsible Furniture; MarkenR 2007, 527, 529 f. – Rapido).
III.
77
Es besteht kein Anlass, der Antragstellerin entsprechend dem Antrag der Markeninhaberin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
78
a) Nach § 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG gilt der Grundsatz, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG kann das Bundespatentgericht die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegen, wenn dies der Billigkeit entspricht. Hierzu bedarf es stets besonderer Umstände (BGH GRUR 1972, 600, 601 – Lewapur; GRUR 1996, 399, 401 – Schutzverkleidung). Solche Umstände sind insbesondere dann gegeben, wenn ein Verhalten vorliegt, das mit der prozessualen Sorgfalt nicht zu vereinbaren ist. Davon ist auszugehen, wenn ein Verfahrensbeteiligter in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation sein Interesse am Erhalt oder Erlöschen des Markenschutzes durchzusetzen versucht und dadurch dem Verfahrensgegner vermeidbare Kosten aufbürdet (vgl. BGH a. a. O. – Lewapur; BPatG 29 W (pat) 504/15 – Vital You!®/VITAL/VITAL regional; 27 W (pat) 14/13 – SOLITUDE REVIVAL; 27 W (pat) 40/12 – mcpeople/McDonald′s; BPatGE 12, 238, 240 – Valsette/Garsette). Dabei ist stets ein strenger Maßstab anzulegen, der dem Umstand Rechnung trägt, dass die Kostentragung aus Billigkeitsgründen nur ausnahmsweise bei einem sorgfaltswidrigen Verhalten in Betracht kommt. Demnach ist auch der Verfahrensausgang in der Hauptsache für sich genommen kein Grund, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen (BGH a. a. O. – Lewapur; a. a. O. – Schutzverkleidung). Im Nichtigkeitsverfahren sind solche besonderen Umstände beispielsweise gegeben, wenn der Nichtigkeitsantrag auf Gründe gestützt wird, für die es weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur auch nur ansatzweise Gründe gibt.
79
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil schon die differierenden Auffassungen des DPMA und des Senats zeigen, dass die Antragstellerin nicht in einer nach anerkannten Beurteilungsgesichtspunkten aussichtslosen oder zumindest kaum Aussicht auf Erfolg versprechenden Situation tätig geworden ist.


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