Auffahrer sind immer schuldig – funktioniert so der Anscheinsbeweis?

Entscheidend ist hierbei, dass der hintere Fahrer genügend Zeit hatte, um auf die Bewegungen des Vordermanns zu reagieren.

Auffahrer sind immer schuldig – funktioniert so der Anscheinsbeweis?

Der Anscheinsbeweis dient der Beweis­erleich­terung

Im stressigen Alltag gibt es viele Gründe, aus denen Menschen den erforderlichen Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden nicht einhalten und dadurch die Straßenverkehrsordnung missachten. Allein im Jahr 2015 kam es zu über 50.000 Auffahrunfällen, teilweise sogar mit Personenschäden. Nachfolgend erfahren Sie, wie in diesen Fällen die typische Beweisführung aussieht und wie diese gesetzlich geregelt ist. Wir erklären Ihnen vor allem den Anscheinsbeweis.

Wie funktioniert der Anscheinsbeweis?

Bei dieser Form der Beweisführung handelt es sich um einen sogenannten erleichterten Beweis. In der Fachliteratur wird er häufig auch als Prima-Facie-Beweis bezeichnet. Er kommt im deutschen Recht immer dann zum Tragen, wenn der exakte Unfallhergang nicht zweifelsfrei geklärt werden kann. Dabei erlaubt es ein erleichterter Beweis, aufgrund festgestellter Tatsachen Rückschlüsse auf das Verschulden zu ziehen.

Anscheinsbeweis
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Die Schuldfrage ist nicht immer eindeutig.

Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass in einer unklaren Sachlage auch Erfahrungsgrundsätze mit einbezogen werden dürfen. Dadurch wird ein typischer Geschehensablauf rekonstruiert und bei der Beweisführung berücksichtigt. Aus diesem Grund kann ein Prima-Facie-Beweis ausschließlich in jenen Fällen angewendet werden, in denen tatsächlich ein typischer Geschehensablauf vorliegt.

Die erleichterte Beweisführung kann vom Beschuldigten daher immer dann erschüttert werden, wenn er Tatsachen vorbringt, die auf einen atypischen Geschehensablauf hindeuten. Dabei muss gezeigt werden, dass Sicherheitsabstand, Sorgfalt und Geschwindigkeit angemessen waren. Die Sachlage muss dabei nicht bewiesen werden. Es genügt, einen abweichenden Handlungsverlauf vorzubringen. Die Beweislast liegt danach ausschließlich beim Anspruchsteller.

Ein Element des Gewohnheitsrechts

Diese Form der Beweisführung hat keine rechtliche Grundlage. Sie ist ausschließlich auf dem Gewohnheitsrecht begründet. Obwohl sich in der Zivilprozessordnung in § 371a entsprechende Regelungen bezüglich dieser Beweiswürdigung finden, gibt es im Verkehrsrecht eine solche gesetzliche Grundlage nicht.

Haben Auffahrer wirklich immer Schuld?

Die Auffassung, dass stets der Auffahrer die Schuld am Unfall trägt, begründet sich aus der Vermutung, dass dieser den Unfall durch eine zu hohe Geschwindigkeit oder eine mangelnde Sorgfalt verursacht hat. Diese Annahme trifft in vielen Fällen zu. Dennoch ist auch hier Vorsicht geboten, denn der Prima-Facie-Beweis kann nur dann angeführt werden, wenn beide Fahrzeuge bereits längere Zeit hintereinandergefahren sind. Entscheidend ist hierbei, dass der hintere Fahrer genügend Zeit hatte, um auf die Bewegungen des Vordermanns zu reagieren.

Beispiele für eine erfolgreiche Entlastung

Obwohl im deutschen Recht dadurch grundsätzlich der Auffahrende die volle Haftung übernehmen muss, gibt es einige Konstellationen, in denen ein Mitverschulden des Unfallgegners anzunehmen ist. Typische Beispiele dafür sind unter anderem:

  • Das geschädigte Fahrzeug parkte an einer unüblichen Stelle.
  • Es bremste ohne ersichtlichen Grund ab.
  • Das geschädigte Fahrzeug war im Dunkeln nicht beleuchtet.
  • Es fuhr in Anbetracht der Verkehrsbedingungen in einer nicht nachvollziehbar langsamen Geschwindigkeit.

In diesen Fällen ist sogar eine Alleinhaftung des Geschädigten möglich, wenn dieser seiner Beweislast nicht ausreichend nachkommen kann.


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