Sozialrecht

Einzahlungsverpflichtung in den Pflegeausbildungsfonds (verneint), Verletzung von Mitwirkungspflichten (verneint), Schätzung der Berechnungsgrundlagen, Neugründung einer ambulanten Pflegeeinrichtung, materiell-rechtlicher Begründungsmangel

Aktenzeichen  Au 9 K 20.857

Datum:
13.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33352
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PflBG § 7 Abs. 1 Nr. 3
PflBG § 32
PflBG § 33 Abs. 4
PflAFinV § 11 Abs. 4
PflAFinV § 12 Abs. 3 S. 1
PflAFinV § 18

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2020 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2020, mit dem der Kläger zur Einzahlung eines Betrags von 2.104,49 EUR in den Pflegeausbildungsfond Bayern für das Finanzierungsjahr 2020 verpflichtet wurde, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Nach den insoweit maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des Gesetzes über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG – vom 17. Juli 2017, gültig ab 1. Januar 2020, BGBl I 2017, 2581) und insbesondere der Verordnung über die Finanzierung der beruflichen Ausbildung nach dem Pflegeberufegesetz sowie zur Durchführung statistischer Erhebungen (Pflegeberufe-Ausbildungsfinanzierungsverordnung – PflAFinV – vom 2. Oktober 2018, gültig ab 1. Januar 2019) besteht für den Kläger für das Finanzierungsjahr 2020 keine Einzahlungsverpflichtung in den Pflegeausbildungsfonds. Die der Berechnung zugrundeliegende Bescheidsbegründung ist materiell-rechtlich unrichtig und nicht geeignet, für den Kläger eine Einzahlungsverpflichtung in den Pflegeausbildungsfonds zu begründen.
1. Rechtsgrundlage für eine Beitragszahlung in den neu geschaffenen Pflegeausbildungsfonds ist § 33 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 PflBG i.V.m. §§ 12, 13 PflAFinV.
a) Nach § 33 Abs. 1 PflBG wird der nach § 32 PflBG ermittelte Finanzierungsbedarf durch die Erhebung von Umlagebeträgen und Zahlungen nach § 26 Abs. 3 PflBG aufgebracht, deren Anteile in § 33 Abs. 1 PflBG für die verschiedenen Einzahlergruppen jeweils gesondert festgelegt wurden. Maßgeblich für die hier vorliegende ambulante Pflegeeinrichtung des Klägers als Einzelunternehmer ist § 33 Abs. 1 Nr. 2 PflBG, wonach ihr Anteil als Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 PflBG 30,2174% beträgt, der über Ausbildungszuschläge aufgebracht wird (§ 33 Abs. 4 Satz 1 PflBG). Die zuständige Stelle setzt gegenüber jeder Einrichtung den jeweils zu entrichtenden Umlagebetrag fest (§ 33 Abs. 4 Satz 2 PflBG). Hierfür wird der Anteil nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 PflBG auf die Sektoren „voll- und teilstationär“ und „ambulant“ im Verhältnis der in diesen Sektoren beschäftigten Pflegefachkräfte aufgeschlüsselt (§ 33 Abs. 4 Satz 3 PflBG).
Die Aufteilung des Finanzierungsbedarfs auf die einzelnen Pflegeeinrichtungen legt § 12 PflAFinV fest. Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 PflAFinV bemisst sich der auf die einzelne ambulante Einrichtung entfallene Anteil an dem nach § 12 Abs. 1 PflAFinV für den ambulanten Sektor ermittelten Betrag nach dem Verhältnis der in den zwölf Monaten vor dem 1. Januar des Festsetzungsjahres von der jeweiligen Einrichtung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch entsprechend des im jeweiligen Land geltenden Abrechnungssystems abgerechneten Punkte oder Zeitwerte zur Gesamtzahl der Punkte oder Zeitwerte im ambulanten Sektor im selben Zeitraum. Festsetzungsjahr im Sinne der PflAFinV ist dabei nach § 1 Abs. 3 PflAFinV das Vorjahr des jeweiligen Finanzierungszeitraums nach dem Pflegeberufegesetz.
Zur Berechnung des Finanzierungsbedarfs schafft die PflAFinV in § 11 gesetzliche Mitteilungspflichten der Pflegeeinrichtungen. So haben die stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 PflAFinV der zuständigen Stelle bis zum 15. Juni des Festsetzungsjahres die Anzahl der Vollzeitäquivalente der Pflegefachkräfte mitzuteilen, die am 15. Dezember des Vorjahres des Festsetzungsjahres in der Einrichtung beschäftigt oder eingesetzt sind. § 11 Abs. 2 Satz 2 PflAFinV erweitert dies für ambulante Pflegeeinrichtungen dahingehend, dass diese zusätzlich mitzuteilen haben, welcher Anteil an Vollzeitäquivalenten auf Pflegeleistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch entfällt. Weitergehend bestimmt § 11 Abs. 4 PflAFinV, dass die ambulanten Pflegeeinrichtungen der zuständigen Stelle ebenfalls bis zum 15. Juni des Festsetzungsjahres zusätzlich die Anzahl der in den zwölf Monaten vor dem 1. Januar des Festsetzungsjahres von der jeweiligen Einrichtung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch entsprechend des im jeweiligen Land geltenden Abrechnungssystems abgerechneten Punkte oder Zeitwerte mitteilen. Auf der Grundlage dieser Mitteilungen setzt die zuständige Stelle nach § 12 Abs. 4 Satz 1 PflAFinV bis zum 31. Oktober des Festsetzungsjahres den monatlichen Umlagebetrag gegenüber den Pflegeeinrichtungen fest.
b) Für die Pflegeeinrichtung des Klägers wurde für das Finanzierungsjahr 2020 auf dieser Grundlage in dem mit der Klage angegriffenen Bescheid vom 11. Mai 2020 ein Einzahlungsbetrag in Höhe von 2.104,49 EUR festgesetzt. Dies erfolgte mit der Begründung, dass der Kläger seinen Mitteilungspflichten nach § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 und Abs. 4 PflAFinV nicht nachgekommen sei und deshalb zu seinen Lasten sowohl die Zahl der Vollzeitäquivalente der Pflegefachkräfte als auch die nach dem Abrechnungssystem des Landes Bayern abgerechneten Punkte oder Zeitwerte bezogen auf den Stichtag 15. Dezember 2018 (Zahl der Vollzeitäquivalente) bzw. das Bezugsjahr 2018 geschätzt worden seien. Diese Begründung trägt die gegenüber dem Kläger begründete Einzahlungspflicht in Höhe von 2.104, 49 EUR jedoch nicht. Für das Finanzierungsjahr 2020 besteht nach den im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der PflAFinV gerade keine Einzahlungspflicht des Klägers (1). Unter Berücksichtigung der geltenden Bestimmungen der PflAFinV kann somit keine Verletzung von Mitwirkungspflichten des Klägers festgestellt werden (2).
(1) Für den ambulanten Pflegebetrieb des Klägers besteht im Jahr 2020 bereits keine Einzahlungsverpflichtung. Dies folgt daraus, dass es sich bei dem am 1. Februar 2020 aufgenommenen ambulanten Pflegebetrieb des Klägers um eine Neugründung handelt, die der gesetzlichen Regelung in § 18 PflAFinV unterliegt. Dies lässt der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten gänzlich unberücksichtigt. Nach § 18 Abs. 2 Satz 2 PflAFinV werden bei Neugründungen die in § 11 PflAFinV geregelten Mitteilungspflichten zur Aufteilung des Finanzierungsbedarfs auf die jeweiligen Pflegeeinrichtungen dahingehend modifiziert, dass Pflegeeinrichtungen, die den Betrieb aufgenommen haben, die Mitteilungen nach § 11 Abs. 3 oder 4 PflAFinV unverzüglich vornehmen und die Zuständige Stelle nach § 18 Abs. 2 Satz 3 PflAFinV den monatlichen Umlagebetrag gegenüber einer neu aufgenommenen Pflegeeinrichtung zum nächstmöglichen Zeitpunkt festsetzt. Der sich auf dieser Grundlage ergebende Umlagebetrag wird nach § 18 Abs. 2 Satz 4 PflAFinV wiederum auf der Grundlage von § 12 Abs. 2 oder 3 PflAFinV ermittelt. Da bei Neugründungen für die Berechnung des einzelnen Umlagebetrages – anders als in Bezug auf die Mitteilungspflichten – keine gesetzliche Modifikation in der Verordnung (PflAFinV) erfolgt ist, bemisst sich der festzusetzende Betrag nach wie vor nach dem Verhältnis der in den zwölf Monaten vor dem 1. Januar des Festsetzungsjahres von der jeweiligen Einrichtung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch entsprechend des im jeweiligen Land geltenden Abrechnungssystems abgerechneten Punkte oder Zeitwerte zur Gesamtzahl der Punkte oder Zeitwerte im ambulanten Sektor im selben Zeitraum. Aufgrund fehlender Anpassung der Berechnungsgrundlagen in § 18 Abs. 2 Satz 4 PflAFinV für neu gegründete Pflegeeinrichtungen ist nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung für den hier maßgeblichen Finanzierungszeitraum 2020 ausgehend vom Festsetzungsjahr 2019 das Bezugsjahr 2018 maßgeblich. Da der Betrieb des Klägers aber erst im Februar 2020 seine Tätigkeit aufgenommen hat, liegen für ihn auch für den nach § 18 Abs. 2 Satz 4, § 12 Abs. 3 PflAFinV maßgeblichen Bezugszeitraum 2018 keine für die Berechnung notwendigen Punkte und Zeitwerte vor. Zwingende rechtliche Folge ist somit, dass der Einzahlungsbetrag des Klägers für das Finanzierungsjahr 2020 auf Null festzusetzen ist. Dies ergibt sich aus der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 18 Abs. 2 Satz 4 PflAFinV mit dem dort erfolgten Verweis auf die inhaltlich für Neugründungen nicht entsprechend angepasste Berechnungsgrundlage des § 12 Abs. 3 PflAFinV.
(2) Aufgrund der vom Verordnungsgeber erfolgten Bezugnahme auf das Jahr 2018 ist eine Verletzung der Mitteilungs- bzw. Mitwirkungspflichten nach § 18 Abs. 2 Satz 2 PflAFinV bzw. § 11 Abs. 4 PflAFinV durch den Kläger begrifflich bereits nicht denkbar, weil dieser mangels Geschäftsbetriebs im Bezugsjahr 2018 keine berechnungsrelevanten Unterlagen vorlegen konnte. Daher durfte die mit der Verletzung von Mitwirkungspflichten begründete Schätzung fehlender Berechnungsgrundlagen zu Lasten des Klägers auch nicht erfolgen.
c) Der Bescheid erweist sich aus den dargestellten Gründen in seiner Begründung und der darauf fußenden Berechnung des Umlagebetrags somit als materiell rechtswidrig. Es handelt sich hierbei auch nicht lediglich um einen bloßen formellen Begründungsmangel im Sinne des Art. 39 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetzt (BayVwVfG), der einer Heilung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG zugänglich wäre. Die Begründung des mit der Klage angegriffenen Bescheids vom 11. Mai 2020 ist vielmehr inhaltlich unrichtig, da für den Kläger im maßgeblichen Finanzierungsjahr 2020 keine Einzahlungsverpflichtung besteht. Dies ist Folge der gesetzlich missglückten Regelung in § 18 Abs. 2 Satz 4 PflAFinV, der für die Berechnung des Umlagebetrags bei Neugründungen nach Auffassung der Kammer verfehlt auf die nicht modifizierte Berechnung der Umlage nach § 12 Abs. 3 PflAFinV verweist.
2. Mangels Einzahlungspflicht für das gesamte Finanzierungsjahr 2020 ist es letztlich unerheblich, dass der Kläger den Betrieb seiner ambulanten Pflegeeinrichtung in Form eines Einzelunternehmens bereits zum 30. September 2020 eingestellt hat und eine Einzahlungspflicht für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2020 zusätzlich nach § 18 Abs. 3 PflAFinV ausscheidet, wonach die Pflicht zur Zahlung von Umlagebeträgen mit der endgültigen Aufgabe des Betriebs für die Zukunft entfällt.
Daher war der Klage des Klägers stattzugeben und der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2020 antragsgemäß aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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