Aktenzeichen L 10 AL 304/15
SGB X SGB X § 44 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1 Der Erwerb eines (neuen) Stammrechts in Bezug auf das Arbeitslosengeld setzt Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung und Erfüllung der Anwartschaftszeit voraus, § 137 Abs. 1 SGB III. Die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Verlängerung der Rahmenfrist kommt nicht in Betracht. Es werden allein Zeiten eingerechnet, in denen der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat. Weitere Ausnahmen sieht das Gesetz nicht mehr vor. Insbesondere ist der Bezug von Krankengeld ohne Bedeutung. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 19 AL 424/14 2015-10-16 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg
Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.10.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 30.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenstand ist die Überprüfung des Bescheides vom 11.04.2013, mit dem die Beklagte Alg im Hinblick auf einen Restanspruch für 388 Tage ab dem 08.04.2013 bewilligt hat. Eine Änderung des Bescheides hat sie mit dem hier gegenständlichen Bescheid vom 30.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2014 abgelehnt.
Eine Änderung des Bewilligungsbescheides vom 11.04.2013 hat die Beklagte zu Recht abgelehnt. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht nicht erhoben worden sind.
Die Beklagte hat das Recht weder unrichtig angewandt noch ist sie von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg ab dem 08.04.2013 für mehr als 388 Tage.
Zunächst hat der Kläger am 08.04.2013 kein neues Stammrecht in Bezug auf das Alg erworben. Ein solcher Anspruch setzt nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus. Der Kläger hat die für einen Anspruch auf Alg ab 06.11.2014 notwendige Anwartschaftszeit iSv § 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht erfüllt.
Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs. 1 SGB III zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Der Kläger hat sich am 08.04.2013 (erneut) arbeitslos gemeldet, sich den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestellt und die Zahlung von Alg beantragt. Damit ergibt sich hieraus eine Rahmenfrist vom 08.04.2011 bis 07.04.2013. Eine Verlängerung der Rahmenfrist kommt nicht in Betracht. Nach § 143 Abs. 3 Satz 1 SGB III werden allein Zeiten nicht in die Rahmenfrist eingerechnet, in denen der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat. Dies war vorliegend nicht gegeben. Ausnahmen für weitere Fällen sind vom Gesetz nicht (mehr) vorgesehen, so dass es bei der Rahmenfrist vom 08.04.2011 bis 07.04.2013 verbleibt. Insbesondere der Bezug von Krankengeld vor der Rahmenfrist bleibt daher ohne Bedeutung. Innerhalb der genannten Rahmenfrist hat der Kläger nicht mindestens zwölf Monate in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Vielmehr ist diesbezüglich kein Versicherungspflichtverhältnis nachgewiesen.
Nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III sind versicherungspflichtig Personen u. a. in der Zeit, für die sie von einem Leistungsträger Krankengeld beziehen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatten. Der Kläger erhielt im Anschluss an seinen Alg-Bezug (bis 07.04.2010) vom 08.04.2010 bis 22.10.2010 Krankengeld von der BKK Mobil. Dieser Zeitraum liegt jedoch außerhalb der Rahmenfrist.
Weitere Zeiten eines Versicherungspflichtverhältnisses in der Rahmenfrist wurden vom Kläger nicht nachgewiesen. Nach Auskunft der BKK Mobil ist weder ein Überprüfungsverfahrens noch ein Berufungsverfahren wegen des Bezuges von Krankengeld anhängig. Im Übrigen kommt es für die Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2 Nr. 1 SGB III auf die tatsächliche Zahlung des Krankengeldes an, so dass es nicht ausreichend wäre, dass alleine ein Anspruch bestanden hat – unabhängig davon, ob dies tatsächlich so zutreffend sein sollte – ist unerheblich (vgl. dazu auch Brand in Brand, SGB III, 7. Auflage, § 26 Rn. 19). Andere Tatsachen, die ein Versicherungspflichtverhältnis innerhalb der Rahmenfrist hätten begründen können, sind weder hinreichend konkret vorgetragen bzw. nachgewiesen worden noch überhaupt erkennbar. Auf den Ausgang des Berufungsverfahrens gegen die Knappschaft () kommt es nicht an. Der dort geltend gemachte Anspruch betrifft einen späteren Zeitraum, der außerhalb der Rahmenfrist liegt.
Der Kläger kann damit allein seinen noch offenen Restanspruch aus dem am 06.11.2009 entstandenen Stammrecht geltend machen. Mit bestandskräftigen und vorliegend nicht zur Überprüfung gestellten Bescheid vom 29.10.2012 hatte die Beklagte Alg ab dem 06.11.2009 für 540 Kalendertage bewilligt.
Unter Berücksichtigung des Alg-Bezuges vom 06.11.2009 bis 07.04.2010 (152 Tage), mit dem der Anspruch jeweils um einen Tag vermindert worden ist (§ 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), verbleibt ein noch bestehender Alg-Anspruch von 388 Tagen (540 Tage – 152 Tage). Da der erworbene Anspruch auf Alg vom 06.11.2009 nicht wegen eines neu entstandenen Anspruchs auf Alg erloschen ist (§ 161 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), und am 08.04.2013 noch nicht vier Jahre seit seiner Entstehung verstrichen waren (§ 161 Abs. 2 SGB III), konnte dem Kläger ab dem 08.04.2013 Alg noch für 388 Kalendertage bewilligt werden.
Soweit der Kläger zudem die Erstattung von Rechtsanwaltskosten für ein früheres Klageverfahren vor dem SG begehrt, ist dies nicht Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens gewesen. Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs im Berufungsverfahren stellt demnach eine Klageänderung bzw. -erweiterung dar. Diese ist nur zulässig, wenn sie sachdienlich ist oder sich die Beklagte hierauf eingelassen hat (§ 99 SGG). Beides ist vorliegend nicht der Fall.
Im Ergebnis hat der Kläger damit unter keinerlei Gesichtspunkten einen Anspruch auf Alg ab dem 08.04.2013 für mehr als 388 Kalendertage. Die Berufung war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.