Steuerrecht

9 C 2/20

Aktenzeichen  9 C 2/20

Datum:
19.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:190521B9C2.20.0
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

Die Schätzung einer üblichen Miete allein anhand des Bodenwerts des Wohngrundstücks ist mit dem Gebot gleichheitsgerechter Besteuerung des Aufwands für das Innehaben einer Zweitwohnung nicht vereinbar.

Verfahrensgang

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 10. September 2019, Az: 4 A 1403/18, Urteilvorgehend VG Dresden, 30. Oktober 2018, Az: 2 K 938/18, Urteil

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.
Die Urteile des Verwaltungsgerichts Dresden vom 30. Oktober 2018 – 2 K 938/18 – und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2019 – 4 A 1403/18 – sind unwirksam.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 144 € festgesetzt.

Gründe

1
Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 141, 125 Abs. 1 VwGO einzustellen und zur Klarstellung auszusprechen, dass die angefochtenen Urteile der Vorinstanzen gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO wirkungslos sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2017 – 9 C 13.16 – n.v.).
2
Ferner ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Der Senat folgt der protokollierten Einigung der Beteiligten über die Kostentragung (Nr. 5132 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz). Das beruht auf folgenden Erwägungen:
3
1. Die Beklagte zog den Kläger für die Jahre 2017 und 2018 zu einer Zweitwohnungssteuer für ein eigengenutztes Gartenhaus mit einer Wohnfläche von ca. 24 m2 zunächst in Höhe von jeweils 96,00 € heran. Das mit Strom und Wasser versorgte Haus, das über einen Wohnraum mit Kochnische, ein Badezimmer mit Toilette und Dusche sowie ein weiteres Zimmer verfügt, war früher Teil einer Kleingartenanlage. Der zum Haus gehörende Grundstücksanteil ist ca. 300 m2 groß.
4
Die Bestimmungen der Zweitwohnungssteuersatzung (ZwStS) der Beklagten über die Bemessungsgrundlage und die Festsetzung der Steuer lauten:
§ 4 Bemessungsgrundlage
(1) Die Steuer bemisst sich nach der aufgrund des Mietvertrages im Besteuerungszeitraum gemäß § 6 Abs. 1 geschuldeten Nettokaltmiete. …
(2) Statt des Betrages nach Absatz 1 gilt als jährliche Nettokaltmiete für solche Wohnungen, die eigengenutzt, ungenutzt, zum vorübergehenden Gebrauch unentgeltlich oder unterhalb der ortsüblichen Miete überlassen sind, die übliche Miete. Die übliche Miete wird in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für die Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird.
(3) Die bei der Schätzung der üblichen Miete maßgebliche Wohnfläche ist im Zweifelsfall die sich nach der Wohnflächenverordnung vom 25. November 2003 (BGBl. I S. 2346) ergebende Wohnfläche.
§ 5 Steuersatz
Die Steuer beträgt 10 v.H. der Bemessungsgrundlage.
§ 6 …
§ 7 Festsetzung der Steuer, Rundung
(1) Die Landeshauptstadt Dresden setzt die Steuer durch Bescheid fest. …
(2) Die Steuer ist auf volle Euro abzurunden. Ergibt sich ein nicht durch zwölf teilbarer Betrag, so ist die Steuer auf den nächstniedrigen durch zwölf teilbaren Betrag abzurunden.
5
Die übliche Miete (§ 4 Abs. 2 ZwStS) schätzte die Beklagte in den Ausgangsbescheiden anhand des niedrigsten Werts ihres Mietspiegels für die einfachste Ausstattungsklasse. Durch Anwendung des Steuersatzes von 10 % hierauf errechnete sich – abgerundet gemäß § 7 Abs. 2 ZwStS – der jeweils festgesetzte Jahressteuerbetrag.
6
Im Widerspruchsbescheid setzte die Beklagte die Zweitwohnungssteuer auf jeweils 48,00 € fest. Die neue Schätzung beruhe auf einer anderen Schätzmethode, einem “umgekehrten Ertragswertverfahren” nach §§ 17 ff. ImmoWertV. Die “übliche Jahresnettomiete” setze sich aus einem Bodenwertverzinsungsbetrag und einem gebäudebezogenen Reinertrag zusammen. Aus Vereinfachungsgründen bleibe der gebäudebezogene Reinertrag unberücksichtigt. Der Bodenwertverzinsungsbetrag stelle so eine Untergrenze für die Schätzung der üblichen Jahresnettomiete dar. Bei einem Bodenrichtwert von 150,00 €/m2 und einem hier anzuwendenden mittleren Liegenschaftszins von 1,3 % ergebe sich bei einem Grundstücksanteil von 300 m2 ein Bodenwertverzinsungsbetrag als Schätzmiete in Höhe von 585,00 €. Daraus errechne sich eine satzungsgemäß abgerundete Jahressteuer von 48,00 €.
7
Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Schätzmethode des Widerspruchsbescheids für nicht satzungsgemäß, aber jedenfalls die Steuerfestsetzung im Ergebnis für nicht zu hoch gehalten. Das Oberverwaltungsgericht hat demgegenüber die schätzweise Ermittlung einer Nettokaltmiete anhand des Bodenwertverzinsungsbetrages generell gebilligt.
8
2. Die Schätzung einer üblichen Miete für eine Zweitwohnung allein anhand des Bodenwerts und seiner Verzinsung ist grundsätzlich nicht mit Bundesrecht vereinbar (a) und auch bei Berücksichtigung der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung des Revisionsverfahrens erläuterten zusätzlichen Überlegungen rechtlichen Bedenken ausgesetzt (b). Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts hätte sich aber wohl im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dargestellt (c).
9
a. Dem Satzungsgeber kommt bei der Festlegung des Steuermaßstabs ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt aber stets eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage. Der Normgeber hat für die Wahl der Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen großen Spielraum, solange diese nur prinzipiell dazu geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen (stRspr, vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 u.a. – BVerfGE 148, 147 Rn. 96, 131 und Beschluss vom 18. Juli 2019 – 1 BvR 807/12 u.a. – DWW 2019, 387 ; BVerwG, Urteil vom 27. November 2019 – 9 C 4.19 – BVerwGE 167, 137 Rn. 16).
10
Bei einer Aufwandsteuer ist erforderlich, dass der gewählte Maßstab einen zumindest lockeren Bezug zu dem Aufwand des Steuerpflichtigen aufweist (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009 – 1 BvL 8/05 – BVerfGE 123, 1 ; BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2015 – 9 C 22.14 – BVerwGE 153, 116 Rn. 12). Der Maßstab der Nettokaltmiete und der der üblichen Miete in § 4 ZwStS der Beklagten genügen diesen Voraussetzungen.
11
Eine Satzungsbestimmung hingegen, nach der die Schätzung der üblichen Miete bei Fehlen von Vergleichsmieten allein anhand des Bodenwerts erfolgen soll, würde sich vom zu besteuernden Aufwand für das Innehaben einer Zweitwohnung zu weit lösen. Entsprechendes gilt für eine Schätzung im Einzelfall, die sich ausschließlich am Bodenwert und seiner Verzinsung orientiert. Denn der Mietaufwand für eine Wohnung bemisst sich regelmäßig nach der Wohnfläche, ihrer Ausstattung und ihrer Lage (s. auch § 4 Abs. 2 und 3 ZwStS der Beklagten). Der Bodenwert allein bildet hingegen lediglich einen Maßstab für die Lage der Wohnung und weist keinen Bezug zur Wohnfläche und der Wohnungsausstattung mehr auf.
12
Eine auf dieser Grundlage ermittelte Schätzmiete und damit die Zweitwohnungssteuer würden sich grundsätzlich verdoppeln, wenn bei gleichbleibender Wohnfläche und Ausstattung der Wohnung die Grundstücksfläche doppelt so groß ist; umgekehrt würde die Zweitwohnungssteuer bei Wohnungen mit gleicher Grundstücksfläche ungeachtet großer Unterschiede bei Wohnfläche und Wohnungsausstattung in gleicher Höhe erhoben. Durch derartige Verzerrungen beim geschätzten Mietwert wird eine gleichheitsgerechte Erhebung der Zweitwohnungssteuer verhindert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 1 BvR 807/12 u.a. – DWW 2019, 387 ). Demgegenüber sind Satzungsbestimmungen oder Schätzungen im Einzelfall, die den Bodenwert als einen von mehreren Faktoren für die Bestimmung des Mietwerts einer Wohnung heranziehen (vgl. Egger/Burth, ZKF 2021, 73 ), derartigen Bedenken nicht ausgesetzt.
13
b. Die Beklagte hat allerdings in der mündlichen Verhandlung im Ansatz überzeugend erläutert, dass ein erheblicher Gleichheitsverstoß bei der Schätzung durch die zusätzlichen Überlegungen ihrer Verwaltungspraxis verhindert werden kann. Sie verwendet den Bodenwertverzinsungsbetrag als Schätzungsgrundlage lediglich bei nicht ganzjährig bewohnbaren Gartenhäusern, weil ihr Mietspiegel hierfür keine Vergleichswerte liefert. Bei dieser Gruppe von Gartenhäusern lägen die dazugehörigen Grundstücksflächen im Bereich zwischen 300 und 600 m2, trotzdem komme den Unterschieden in der Grundstücksgröße angesichts der ohnehin niedrigen Steuerbeträge und der erheblich nivellierenden Wirkung der Abrundung gemäß § 7 Abs. 2 ZwStS keine wesentliche Bedeutung zu. Ferner werde zugunsten der Steuerpflichtigen immer eine Kontrollrechnung anhand der niedrigsten Mietspiegelwerte mit einem Abschlag von einem Drittel im Hinblick auf die nicht ganzjährige Nutzbarkeit durchgeführt. Nur wenn diese Vergleichsrechnung zu einer höheren Zweitwohnungssteuer führe, lege sie die Steuerberechnung anhand des Bodenwertverzinsungsbetrages zugrunde.
14
Gleichwohl entfernt sich die Schätzungsmethode der Beklagten von § 4 Abs. 2 ZwStS, weil sie letztlich die Lage des Gartenhauses zur alleinigen Bemessungsgrundlage erhebt. Demgegenüber bleibt eine Schätzung des Mietaufwands mit Hilfe von Zu- und Abschlägen zu Vergleichsmieten, mit denen etwa eine nicht ganzjährige Nutzbarkeit oder die besonders einfache bzw. privilegierte Lage eines Gartenhauses auf einem Erholungsgrundstück berücksichtigt wird, grundsätzlich gleichheitsgerecht innerhalb des durch die Satzung vorgegebenen Steuermaßstabs des Mietwerts. Eine solche Schätzung ist nicht willkürlich, wenn die Zu- und Abschläge anhand benannter und einer Kontrolle zugänglicher Kriterien ermittelt werden. Es ist etwa gut nachvollziehbar, wenn wegen fehlender Nutzbarkeit eines Gartenhauses über vier oder sechs Monate im Jahr ein Abschlag von einem Drittel oder der Hälfte von einer Vergleichsmiete vorgenommen wird oder wenn ein im Vergleich zu anderen Erholungsgrundstücken wesentlich höherer oder niedrigerer Bodenrichtwert als Begründung für einen (weiteren) Zu- oder Abschlag von einer Vergleichsmiete herangezogen wird.
15
c. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts hätte sich aber wohl im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig dargestellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die angefochtenen Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheids verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Widerspruchsbescheid ist zu entnehmen, dass die Beklagte als Kontrollrechnung auch eine Schätzung des Mietwerts anhand des Mietspiegels mit einem Abschlag von einem Drittel vorgenommen hat, was zu einer höheren Schätzmiete führte; die festgesetzte Zweitwohnungssteuer ergäbe sich aber bei Annahme der fehlenden Nutzbarkeit des Gartenhauses über sechs Monate im Jahr oder bei einem weiteren Abschlag wegen der Lage.
16
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG.


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