Steuerrecht

Änderung eines Erbschaftssteuerbescheides

Aktenzeichen  4 K 1100/21

Datum:
16.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZEV – 2022, 310
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
ErbStG § 29 Abs. 1 Nr. 4 S. 1, § 175 Abs. 1 S.1 Nr. 2
AO § 51, § 129, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil ihm die gesetzliche Grundlage fehlt oder weil er auf unrichtiger Rechtsanwendung beruht. Er verdient nur dann ausnahmsweise keine Beachtung, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (vgl. Urteil des FG Nürnberg vom 29.7.2008 2 K 1697/2007). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision zum Bundesfinanzhof wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Finanzamt (FA) zu Recht die Aufhebung eines Erbschaftsteuerbescheids abgelehnt hat.
Die Klägerin, eine inländische gemeinnützige Stiftung (i.S.d. §§ 51 ff. der Abgabenordnung – AO -), ist aufgrund notariellen Erbvertrags (…) Alleinerbin nach der am 21. November 2017 verstorbenen X (…).
X hatte zuvor ihren am 9. März 2016 verstorbenen Ehemann Y (…) aufgrund des o.g. Erbvertrags als Alleinerbin beerbt.
Ausgehend von der Erbschaftsteuererklärung der X, die am 1. Juni 2017 beim FA eingegangen ist, setzte das FA gegen X mit Erbschaftsteuerbescheid vom 23. August 2017 Erbschaftsteuer i.H.v. 468.635 € fest. Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Erbschaftsteuerbescheid vom 27. März 2019 setzte das FA Erbschaftsteuer i.H.v. 458.090 € fest; der Bescheid vom 27. März 2019 war adressiert an die Klägerin, vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, der Testamentsvollstrecker der am 21. November 2017 verstorbenen X und Stiftungsvorstand der Klägerin ist. Gegen keinen dieser beiden Erbschaftsteuerbescheide (vom 23. August 2017 und vom 27. März 2019) wurde Einspruch eingelegt.
Den mit Schriftsatz vom 2. November 2020 gestellten Antrag der Klägerin, den Erbschaftsteuerbescheid vom 27. März 2019 nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) aufzuheben, lehnte das FA mit Bescheid vom 25. November 2020 ab. Den hiergegen (mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2020) eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 17. Mai 2021 bei Gericht eingegangene Klage, zu deren Begründung die Klägerin im Wesentlichen Folgendes vorträgt: Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG, der keine eigenständige Korrekturvorschrift sei, seien im Streitfall erfüllt. Daher seien im Streitfall die Tatbestandsvoraussetzungen der Korrekturvorschrift § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfüllt. Die formelle Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheids vom 23. August 2017 stehe einer Änderung des (ebenfalls formell bestandskräftigen) Änderungsbescheids vom 27. März 2019 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht entgegen. Im Übrigen sei der Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 27. März 2019 nichtig i.S.d. § 125 AO. Schließlich sei der Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 27. März 2019 nach § 129 AO zu berichtigen.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 25. November 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, den Erbschaftssteuerbescheid vom 27. März 2019 sowie den vorangegangenen Erbschaftssteuerbescheid vom 23. August 2017 aufzuheben,
hilfsweise, für den Fall der Klageabweisung, die Revision zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA ist der Ansicht, es habe die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 zu Recht abgelehnt. In Ergänzung zur Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 trägt das FA vor: Der Erbschaftsteueränderungsbescheid vom 27. März 2019 sei zwar materiell rechtswidrig, jedoch keinesfalls nichtig i.S.d. § 125 AO. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 129 AO lägen im Streitfall ebenfalls nicht vor, da entweder ein Fehler in der Gesetzesanwendung oder ein Fehler bei der Sachverhaltsaufklärung erfolgt sei. In beiden Fällen sei aber eine Korrektur nach § 129 AO ausgeschlossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gem. § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vom FA vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2022 Bezug genommen.
II.
1.) Die zulässige, da insbesondere fristgerecht erhobene, Klage ist unbegründet.
2.) Der Ablehnungsbescheid vom 25. November 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2021 ist nicht zu beanstanden. Das FA hat zu Recht die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 sowie des vorangegangenen Erbschaftssteuerbescheids vom 23. August 2017 abgelehnt. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus den nachfolgenden Erwägungen:
a) Eine Änderung bzw. Aufhebung der streitgegenständlichen Erbschaftsteuerbescheide (vom 27. März 2019 und vom 23. August 2017) nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nicht möglich:
aa) Nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG erlischt die durch einen Erwerb von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden entstandene Steuer rückwirkend, soweit die erworbenen Vermögensgegenstände innerhalb von 24 Monaten nach dem Todestag einer inländischen Stiftung zugewendet werden, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar als gemeinnützig anzuerkennenden wissenschaftlichen oder kulturellen Zwecken dient. § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ergänzt die Steuerbefreiungen des § 13 Abs. 1 Nr. 15 und 16 ErbStG, wonach eine Zuwendung an inländische Gebietskörperschaften oder gemeinnützige Stiftungen beim Empfänger steuerbefreit ist. Auch in denjenigen Fällen, in denen der Erblasser oder Schenker keine entsprechende Bestimmung vorgegeben hat, soll dem Empfänger die letztlich freiwillige Vermögensabgabe an eine gemeinnützige Einrichtung leichter gemacht werden, indem seine vorher entstandene Steuer erlischt (Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Loseblatt, Stand 31. Juni 2021, § 29 Rn. 95). Voraussetzung für das Erlöschen der Steuer ist die Zuwendung von Vermögensgegenständen an die im Gesetz genannten Institutionen. Das deutet auf die Weitergabe durch Schenkung unter Lebenden hin. Die Vorschrift ist aber nach ihrem Sinn und Zweck auch dann anwendbar, wenn die Übertragung innerhalb der Frist von Todes wegen erfolgt (Szczesny in Tiedtke, ErbStG, 1. Aufl. 2009, § 29 Rn. 28; Meincke/Hannen/Holtz, ErbStG, 18. Auflage 2021, § 29 Rn. 20; Jülicher, a.a.O., § 29 Rn. 98; Weinmann in Moench/Weinmann, ErbStG, Loseblatt, Stand September 2021, § 29 Rn. 19).
bb) Eine eigenständige Befugnis zur Aufhebung eines bereits ergangenen Steuerbescheides enthält § 29 ErbStG allerdings nicht. Zu diesem Zweck ist vielmehr auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zurückzugreifen (Meincke/Hannen/Holtz, a.a.O, § 29 Rn. 2; Jülicher, a.a.O, § 29 Rn. 76 m.w.N.; Szczesny, a.a.O., § 29 Rn. 2).
cc) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Aus dem Tatbestandsmerkmal der Vorschrift, dass ein „Ereignis eintritt“, ergibt sich, dass der Vorgang sich nachträglich ereignen muss, d.h. nachdem der Steueranspruch entstanden ist und nachdem der ursprüngliche Steuerbescheid, der aufgehoben oder geändert werden soll, erlassen worden ist. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nicht anwendbar, wenn das Ereignis bereits beim Erlass des betreffenden Bescheids bzw. bei dessen Änderung hätte berücksichtigt werden können (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -BFHvom 16. Juni 2015 IX R 30/14, BFHE 250, 305, BStBl II 2017, 94; ebenso das Schrifttum, vgl. stellvertretend: von Wedelstädt in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Loseblatt, 164. Lieferung, § 175 AO Rn. 47). Ist das Ereignis vor Erlass des Änderungsbescheids eingetreten, kann es nur bei diesem Änderungsbescheid berücksichtigt werden und es gibt keinen Anlass, die Bestandskraft des (späteren) Änderungsbescheids zu durchbrechen, selbst wenn das Ereignis (materiell unzutreffend – entgegen der Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO-) nicht beim Änderungsbescheid berücksichtigt wurde (vgl. Rüsken in Klein, AO, 15. Auflage 2020, § 175 Rn. 52). Zusammenfassend ausgedrückt, bedeutet dies: Die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO durchbricht die Bestandskraft nur insoweit, als der jeweilige Korrekturgrund den zu korrigierenden Bescheid betrifft (v. Groll in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 266. Lieferung 11.2021, § 175 AO Rn. 92). Im Hinblick darauf, dass die Finanzbehörde nach den §§ 85 und 88 AO gehalten ist, bei Erlass des Bescheids alle ihr zugänglichen Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen, sowie in Abgrenzung zu § 173 AO bedeutet Nachträglichkeit, dass das Ereignis grundsätzlich (Ausnahme: Fall des sog. ungeregelten Sachverhalts) eingetreten sein muss, nachdem der zu korrigierende Bescheid ergangen ist, genauer gesagt, nachdem er den Einflussbereich der Erlassbehörde verlassen hat (Rechtsgedanke des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO) und danach wirksam (§ 124 AO) geworden ist (v. Groll a.a.O. § 175 AO Rn. 272 m.w.N.). Teilweise wird auch vom BFH vertreten, dass das Ereignis eingetreten sein muss, nachdem der zu korrigierende Bescheid bestandskräftig geworden ist (vgl. zu den Nachweisen zur Rechtsprechung und zum Schrifttum: v. Groll a.a.O. § 175 AO Rn. 272 Fußnote 6).
dd) Ausgehend von den oben dargelegten Grundsätzen kann im Streitfall der Erbschaftsteuerbescheid vom 27. März 2019 nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden.
(1) Zwar sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 ErbStG erfüllt und materiell-rechtlich ist die (durch den Erbanfall nach dem Tod des Y entstandene) Erbschaftsteuer erloschen. So wurde die am 21. November 2017 verstorbene X, die ihren am 9. März 2016 verstorbenen Ehemann Y alleinig beerbt hat, wiederum von der Klägerin beerbt. Damit wurde das gesamte Nachlassvermögen, das X von Todes wegen erworben hat (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), innerhalb von 24 Monaten nach Steuerentstehung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, im Streitfall: am 9. März 2016) der Klägerin, einer gemeinnützigen Stiftung (§§ 52 ff. AO), zugewandt.
(2) Damit wäre im Streitfall grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eröffnet (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 168. Lieferung 11.2021, § 175 AO Rn. 50; Szczesny, a.a.O., § 29 Rn. 2). Jedoch ist das Ereignis „Erwerb des Nachlasses des Y durch die Klägerin als gemeinnützige Stiftung innerhalb von 24 Monaten nach dem Tod des Y“ nicht erst nach Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 eingetreten, sondern bereits mit dem Tod der X am 21. November 2017 und damit vor dem Ergehen des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019. Damit ist der Änderungsbescheid vom 27. März 2019, der den Erbschaftsteuerbescheid vom 23. August 2017 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert hatte, materiell rechtswidrig, da die vom FA vorzunehmende Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO unterblieben ist.
(3) Eine (spätere) Änderung des Erbschaftsteueränderungsbescheids vom 27. März 2019, wie von der Klägerin beantragt, ist jedoch nicht möglich, da formelle und materielle Bestandskraft eingetreten ist (siehe oben).
(4) Vielmehr hätte die Klägerin nur dadurch die begehrte Änderung des Änderungsbescheids vom 27. März 2019 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erreichen können, wenn sie rechtzeitig Einspruch eingelegt hätte (§ 347 ff. AO). Anhaltspunkte dafür, dass für die Klägerin, die (bereits zum damaligen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Erbschaftsteueränderungsbescheids vom 27. März 2019) vom fachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde, ein Einspruch gegen den Bescheid vom 27. März 2019 nicht möglich gewesen war, sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich.
b) Auch ist eine Änderung bzw. Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 nach § 129 AO nicht möglich. Daran vermögen auch die diesbezüglichen Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 21. Juli 2021 nichts zu ändern.
aa) Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen.
bb) Eine „ähnliche offenbare Unrichtigkeit“ setzt voraus, dass die Unrichtigkeit einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich ist, d.h. dass es sich um einen „mechanischen“ Fehler handelt, der ebenso „mechanisch“, also ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 27.Mai 2009 X R 47/08, BStBl II 2009, 946; vom 12.April 1994 IX R 31/91, BFH/NV 1995, 1; vom 29. März 1990 V R 27/85, BFH/NV 1992, 711). Der offenbare Fehler muss grundsätzlich in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden sein. Eine Unrichtigkeit ist dann offenbar, wenn der Fehler (der Finanzbehörde) bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (z.B. BFH-Urteile vom 4.06.2008 X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801). Die Unrichtigkeit ist offenbar, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergibt. Die Annahme einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO kann zwar ausgeschlossen sein, wenn der Sachbearbeiter feststehende Tatsachen nicht berücksichtigt. Hat die Nichtberücksichtigung einer Tatsache ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit und liegt sie offen zutage, so kann von einem auf mangelnder Sachaufklärung beruhenden Nichterkennen der Tatsache nicht gesprochen werden (BFH-Urteil vom 26. April 1989 VI R 39/85, BFH/NV 1989, 619). Ist daher ohne weitere Prüfung erkennbar, dass ein Teil des bekannten Sachverhalts aus Unachtsamkeit bei der Steuerfestsetzung nicht erfasst worden ist, darf diese offenbare Unrichtigkeit zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Berichtigung der versehentlich fehlerhaften Steuerfestsetzung korrigiert werden (BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2018 VIII B 79/18, BFH/NV 2019, 102). Ist jedoch die mehr als theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums gegeben, liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor. Auch eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter – ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht – jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen. Ebenso stellt auch die bewusste Nichtberücksichtigung von Teilen des feststehenden Akteninhalts keinen mechanischen Fehler dar, da auch Fehler bei der Erfassung des feststehenden Sachverhalts (Nichtbeachtung feststehender Tatsachen; Annahme eines in Wirklichkeit nicht gegebenen Sachverhalts) eine Berichtigung nach § 129 AO ausschließen (BFH-Urteil vom 10. März 2020 IX R 29/18, BFHE 268, 407, BStBl II 2020, 698, Rn. 17). Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, ist jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 2009 X R 47/08, BStBl II 2009, 946, m.w.N.). Ein mechanisches Versehen muss feststehen. Es genügt nicht, dass es bloß möglich erscheint. Vielmehr muss ein davon abzugrenzender Fehler bei der Willensbildung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens ausgeschlossen sein (BFH-Urteil vom 10. März 2020 – IX R 29/18, BFHE 268, 407, BStBl II 2020, 698).
cc) Nach diesen Grundsätzen kann eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 nicht auf § 129 AO gestützt werden. So sind im Streitfall etwaige Anhaltspunkte für einen Schreib- oder Rechenfehler oder eine ähnliche mechanische Unrichtigkeit beim Erlass des Erbschaftsteuerbescheids vom 27. März 2019 weder vorgetragen noch sonst für den erkennenden Senat ersichtlich. Vielmehr geht der erkennende Senat – auch nach eingehender Würdigung der vom FA vorgelegten Erbschaftsteuerakte – zwar davon aus, dass sich der zuständigen Sachbearbeiterin des FA eine weitere Sachverhaltsaufklärung zumindest angeboten hätte, um die Gemeinnützigkeit der Klägerin und damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG zu ermitteln. Diese unterlassene Sachverhaltsermittlung, die sich insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Klägerin eine Stiftung ist, angeboten hätte, schließt aber eine Änderung nach § 129 AO aus (s.o.).
c) Etwaige andere Änderungsvorschriften sind von der Klägerin weder vorgetragen noch sonst in irgendeiner Weise ersichtlich.
d) Schließlich liegen Nichtigkeitsgründe, die den Erbschaftsteuerbescheid vom 27. März 2019 ausnahmsweise unbeachtlich machen würden, ebenfalls nicht vor.
aa) Nichtig ist ein Verwaltungsakt nach § 125 Abs. 1 AO, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, lässt sich nicht generell, sondern nur von Fall zu Fall entscheiden (BFH-Beschluss vom 30. November 1987 VIII B 3/87, BStBl. II 1988, 183). Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil ihm die gesetzliche Grundlage fehlt oder weil er auf unrichtiger Rechtsanwendung beruht. Er verdient nur dann ausnahmsweise keine Beachtung, wenn er die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, ihn als verbindlich anzuerkennen (vgl. Urteil des FG Nürnberg vom 29.7.2008 2 K 1697/2007, juris m.w.N.).
bb) Im Streitfall weist der Erbschaftsteuerbescheids vom 27.3.2019 keine Mängel von solchem Gewicht auf, dass eine Nichtigkeit anzunehmen wäre. Vielmehr ist der Bescheid materiell rechtswidrig, da die Sachbearbeiterin des FA beim Erlass des o.g. Steuerbescheids die Tatbestandsvoraussetzungen für die Vorschriften § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht hinreichend ermittelt hat, so dass eine unrichtige Rechtsanwendung vorliegt (s.o.).
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.


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