Steuerrecht

ambulante Notfallbehandlung, Beratungspflicht, Honorarbescheid, Honoraroptimierung, Informationspflicht, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  L 12 KA 24/18

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51341
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Die Kassenärztliche Vereinigug ist nicht verpflichtet, die Vertragsärzte über sämtliche laufenden Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Vertragsarztrechts bundesweit auf dem Laufenden zu halten. Eine solche Informationspflicht kann auch nicht aus § 3 der Satzung der Beklagten abgelesen werden, wonach die KVB ihre Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben berät. Die individuelle Honoraroptimierung eines Vertragsarztes ist weder gesetzliche noch satzungsmäßige Aufgabe der KV.

Verfahrensgang

S 43 KA 1297/15 2018-05-08 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Urteile des Sozialgerichts München vom 8. Mai 2018, S 43 KA 1297/15 und S 43 KA 206/16, werden zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt auch die Kosten der Berufungsverfahren.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufungen der Klägerin sind zulässig, aber nicht begründet.
Das Sozialgericht München hat mit den angefochtenen Urteilen vom 08.05.2018 zu Recht die Klagen der Klägerin gegen die Honorarbescheide für die Quartale 3/2008, 4/2008, 2/2009, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25.11.2015 und 03.02.2016 abgewiesen. Die Beklagte hat zutreffend entschieden, dass die Widersprüche der Klägerin gegen die streitgegenständlichen Honorarbescheide unstatthaft bzw. verfristet waren und der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
1) Hintergrund der Widersprüche der Klägerin ist ein Urteil des BSG zur Rechtswidrigkeit der Vergütung für ambulante Notfallbehandlungen im Krankenhaus im Quartal 2/2008 (Urteil vom 12.12.2012, Az. B 6 KA 3/12 R). Das BSG hatte mit diesem Urteil die Zusatzpauschalen GOP 01211, 01215, 01217 und 01219 im Hinblick auf den Grundsatz der gleichen Vergütung für Vertragsärzte und Krankenhäuser insofern beanstandet, als Krankenhäusern, die eine Notfallambulanz betreiben, diese Zusatzpauschalen mangels nachgewiesener Besuchsbereitschaft nicht vergütet worden sind und dem Bewertungsausschuss Gelegenheit zu einer gesetzeskonformen Neuregelung gegeben.
Der Bewertungsausschuss hat mit den Beschlüssen in der 341., 344. und 354. Sitzung die entsprechenden Bestimmungen des EBM rückwirkend zum 01.01.2008 geändert und dabei die beanstandeten Positionen 01211, 01215, 01217 und 01219 gestrichen. Das BSG hat diese Änderungen des EBM wie folgt zusammengefasst (Urteil vom 03.04.2019 – B 6 KA 67/17 R, Rn. 18):
„Die bisherige GOP 01210 EBM-Ä (Notfallpauschale) wurde geändert und mit der GOP 01212 EBM-Ä eine weitere Notfallpauschale eingefügt, wobei diese beiden GOP gleichermaßen im organisierten vertragsärztlichen Not(-fall) dienst und für nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser abrechenbar sind. Die GOP 01210 EBM-Ä ist bei einer Inanspruchnahme zwischen 7 Uhr und 19 Uhr (außer an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen und am 24. und 31.12.) und die höher bewertete GOP 01212 EBM-Ä bei einer Inanspruchnahme zwischen 19 Uhr und 7 Uhr des Folgetages sowie ganztägig an Samstagen, Sonntagen, gesetzlichen Feiertagen und am 24. und 31.12. abrechenbar. Hiermit soll der Mehraufwand einer Not(-fall) versorgung in den Abend- und Nachtstunden sowie an Feiertagen abgebildet werden. Der Besuch im organisierten Not(-fall) dienst sowie der Besuch im Rahmen der Notfallversorgung durch nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte, Institute und Krankenhäuser wurde aus der GOP 01411 EBM-Ä („Dringender Besuch“) ausgegliedert und in eine neue GOP 01418 EBM-Ä („Besuch im organisierten Not(-fall) dienst“) überführt. Das aufgrund der Streichung der GOP 01211, 01215, 01217 und 01219 EBM-Ä und der Anpassung der GOP 01210 EBM-Ä freigewordene Vergütungsvolumen wurde zur Anpassung bzw. Festlegung der Bewertung der GOP 01212, 01214, 01216, 01218 und 01418 EBM-Ä verwendet, um eine „punktsummenneutrale Umstrukturierung“ zu erreichen (vgl. Entscheidungserhebliche Gründe zum Beschluss des BewA gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 SGB V in seiner 341. Sitzung am 17.12.2014 zur Änderung des EBM mit Wirkung zum 1.1.2008).“
2) Die Klägerin kann keine (höhere) Vergütung für die streitbefangenen Quartale 3/2008, 4/2008, 2/2009, 4/2009 und 1/2010 bis 2/2014 nach den rückwirkend zum 01.01.2008 geänderten Neuregelungen des EBM beanspruchen, denn die Honorarbescheide für diese Quartale sind bestandskräftig geworden.
a) Die Widersprüche bezogen auf die Quartale 4/2008, 2/2009, 4/2009, 2/2010, 3/2010, 4/2010, 2/2011 und 2/2012 waren schon unstatthaft, da die Klägerin gegen die jeweiligen Honorarbescheide zuvor aus anderen Gründen Widerspruch erhoben hatte. Über diese Widersprüche war sodann entweder (ohne nachfolgendes Klageverfahren) entschieden worden (Quartal 4/2008: WB vom 22.09.2010; Quartale 2/2009 und 4/2009: WBe vom 05.09.2012; Quartale 2/2010, 3/2010 und 4/2010: WBe vom 08.05.2013; Quartal 2/2011: WBe vom 24.04.2012 und 18.12.2013) oder die Klägerin hatte die Widersprüche zurückgenommen (Quartale 2/2010 und 4/2010 bzgl. RLV und 2/2012 wegen Verfristung). Nach § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, sofern gegen ihn kein Rechtsbehelf eingelegt wurde oder der Rechtsbehelf erfolglos eingelegt wurde (vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 77 Rn. 4). Ein erneutes Vorverfahren sieht das SGG nicht vor.
b) Soweit die Klägerin gegen die Honorarbescheide bislang keine Widersprüche eingelegt hatte (Quartale 3/2008, 1/2010, 1/2011, 3/2011, 4/2011, 1/2012 und 3/2012 bis 2/2014), waren die Widersprüche wegen Ablauf der Widerspruchsfrist unzulässig. Nach § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt bekannt gegeben worden ist, einzulegen. Nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der – wie hier – durch die Post übermittelt wird, mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehenen Honorarbescheide sind der Klägerin daher wie folgt bekanntgegeben worden:
Quartal Datum Honorarbescheid Datum Bekanntgabe (jeweils am gleichen Tag zur Post gegeben)
3/2008 10.03.2009 13.03.2009
1/2010 18.08.2010 21.08.2010
1/2011 17.08.2011 20.08.2011
3/2011 15.02.2012 18.02.2012
4/2011 15.05.2012 18.05.2012
1/2012 16.08.2012 19.08.2012
3/2012 13.02.2013 16.02.2013
4/2012 15.05.2013 18.05.2013
1/2013 14.08.2013 17.08.2013
2/2013 20.11.2013 23.11.2013
3/2013 12.02.2014 15.02.2014
4/2013 19.05.2014 22.05.2014
1/2014 18.08.2014 21.08.2014
2/2014 18.11.2014 21.11.2014
Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass ihr die Honorarbescheide zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sind. Der bei der Beklagten am 03.02.2015 eingegangene Widerspruch gegen die vorgenannten Honorarbescheide war damit verfristet. Dies bestreitet die Klägerin auch nicht.
3) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG liegen nicht vor. Wiedereinsetzungsgründe hat die Klägerin weder ausreichend dargelegt noch sie glaubhaft gemacht. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Für die Quartale bis einschließlich 2/2013 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung schon nicht zulässig. Nach § 67 Abs. 3 SGG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig. Die Jahresfrist des § 67 Abs. 3 SGG verfolgt den Zweck, eine unangemessene Verzögerung von Prozessen zu verhindern und den Eintritt der Rechtskraft zu gewährleisten. Der Honorarbescheid für das Quartal 2/2013 vom 20.11.2013 ist der Klägerin am 23.11.2013 bekanntgegeben worden, Ablauf der Widerspruchsfrist nach § 84 Abs. 1 SGG war damit Montag, der 23.12.2013 und infolgedessen Ablauf der Jahresfrist Dienstag, der 23.12.2014. Zum Zeitpunkt des am 03.02.2015 erhobenen Antrages auf Wiedereinsetzung war die Jahresfrist für das Quartal 2/2013 daher bereits abgelaufen. Der Ablauf der Jahresfrist für die Vorquartale lag vor diesem Zeitpunkt, da der Klägerin – wie oben aufgeführt – die Honorarbescheide für die Quartale bis 1/2013 zu einem früheren Datum als dem 23.11.2013 bekanntgegeben wurden, sodass auch hinsichtlich der streitbefangenen Vorquartale die Jahresfrist nicht eingehalten wurde.
b) Der Antrag war auch nicht vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich. Unter höherer Gewalt iS des § 67 Abs. 3 SGG wird nicht nur wie im Haftungsrecht ein von außen kommendes nicht beeinflussbares Ereignis (Krieg, Naturkatastrophe, Reaktorunfall, Epidemie oÄ), sondern jedes Geschehen verstanden, das auch durch die größtmögliche, von dem Betroffenen unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung vernünftigerweise zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (BSG, Beschluss vom 06.10.2011 – B 14 AS 63/11 B -, SozR 4-1500 § 67 Nr. 9). Damit können sich etwa objektiv falsche oder irreführende Auskünfte einer Behörde nach der Rechtsprechung des BSG als höhere Gewalt iS des § 67 Abs. 3 SGG darstellen (vgl BSGE 91, 39 = SozR 4-1500 § 67 Nr. 1, RdNr. 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 67 Rn 14a).
Die Beklagte hat aber weder falsche noch irreführende Auskünfte im Hinblick auf die vertragsärztliche Vergütung des Bereitschaftsdienstes gegeben. Dies trägt die Klägerin auch nicht vor. Sie wirft der Beklagten vielmehr vor, einer ihr obliegenden Beratungs- und Informationspflicht nicht nachgekommen zu sein. Höhere Gewalt stellt dies indes nicht dar.
b) Aber auch für die Quartale 3/2013 bis 2/2014 ist der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Widerspruchsfrist einzuhalten. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Vertragsärzte über sämtliche laufenden Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Vertragsarztrechts bundesweit auf dem Laufenden zu halten. Eine solche Informationspflicht kann auch nicht aus § 3 der Satzung der Beklagten abgelesen werden, wonach die KVB ihre Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben berät. Die individuelle Honoraroptimierung eines Vertragsarztes ist weder gesetzliche noch satzungsmäßige Aufgabe der Beklagten. Zudem war auch nach Veröffentlichung des Urteils des BSG vom 12.12.2012, B 6 KA 3/12 R, im Mai 2013 für die Beklagte nicht ersichtlich, welche Konsequenzen der Bewertungsausschuss aus dem Urteil ziehen würde. Zu einer Änderung der entsprechenden Bestimmungen des EBM rückwirkend zum 01.01.2008 kam es erst mit den Beschlüssen des Bewertungsausschusses in der 341. (Beschluss vom 17.12.2014), 344. und 354. Sitzung. Nach Veröffentlichung dieser Beschlüsse hatte die Beklagte aber ua die Klägerin auf die Neuregelung hingewiesen, mit der Folge der Widersprucheinlegung vom 03.02.2015. Erst nach Veröffentlichung der maßgeblichen Beschlüsse des Bewertungsausschusses war klar, dass und mit welchem Inhalt die Regelung zur Notfall/Bereitschaftsdienstvergütung rückwirkend zum 01.01.2008 getroffen wurde. Zudem war Hintergrund der Neuregelung eine Schlechterstellung der Krankenhäuser gegenüber den Vertragsärzten, so dass sich schon aus diesem Grund keine Information der Klägerin als vertragsärztlicher Praxis aufgedrängt hätte. Außerdem ist das vg Urteil des BSG vom 12.12.2012 bereits im Mai 2013 ua im Ärzteblatt veröffentlicht worden, so dass die Klägerin selbst bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der (alten) EBM-Regelungen hätte erlangen können. Damit ist mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung am 02.03.2015 auch die Frist des § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht eingehalten worden, wonach der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses (hier Veröffentlichung des BSG-Urteils) zu stellen ist.
Die Berufungen haben daher unter keinem denkbaren Aspekt Erfolg und waren zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


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