Steuerrecht

Anerkennung von Verlusten aus Knock-out-Zertifikaten

Aktenzeichen  VIII R 1/17

Datum:
16.6.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.160620.VIIIR1.17.0
Normen:
§ 20 Abs 2 S 1 Nr 3 Buchst a EStG 2009
§ 20 Abs 2 S 1 Nr 7 EStG 2009
§ 20 Abs 6 EStG 2009
§ 20 Abs 9 EStG 2009
§ 23 Abs 1 S 1 Nr 4 S 2 EStG 2002
§ 119 Nr 6 FGO
EStG VZ 2008
EStG VZ 2009
EStG VZ 2010
EStG VZ 2011
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

1. Bei sog. Wave XXL Papieren, die das Recht des Inhabers verbriefen, während der –allein durch eine Stopp-Loss-Schwelle begrenzten– Laufzeit vom Emittenten einen Barausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Basispreis und dem aktuellen Wert des Basiswerts, vermindert um ein Bezugsverhältnis zu verlangen, handelt es sich um Optionsscheine i.S. von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG 2008.
2. Hat der Inhaber des Optionsscheins das Recht, auch bei Durchbrechung der Stopp-Loss-Schwelle eine Abrechnung und einen Differenzausgleich zu verlangen, wird der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 2008 beendet (Abgrenzung zu BFH-Urteil vom 10.11.2015 – IX R 20/14, BFHE 251, 381, BStBl II 2016, 159).
3. Nach der Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 werden Verluste aus Knock-out-Zertifikaten als negative Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 EStG berücksichtigt (Anschluss an BFH-Urteil vom 20.11.2018 – VIII R 37/15, BFHE 263, 169, BStBl II 2019, 507).

Verfahrensgang

vorgehend FG Köln, 26. Oktober 2016, Az: 7 K 3387/13, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 26.10.2016 – 7 K 3387/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Ehegatten und wurden in den Streitjahren 2008 bis 2011 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erwarb in den Streitjahren sog. Wave XXL Papiere der Deutschen Bank sowie vergleichbare Papiere der Commerzbank und der Dresdner Bank. Es handelte sich dabei um sog. “Open-End-Knock-Out”-Produkte, die an Indizes oder einen bestimmten Aktienkurs gekoppelt waren. Der Preis eines Wertpapiers bestimmte sich nach der Differenz zwischen einem vereinbarten Basispreis und dem Wert des Bezugsindex bzw. der Bezugsaktie (Basiswert) bei Erwerb des Produkts, vermindert um ein bestimmtes Bezugsverhältnis, so dass der Anleger nur einen Bruchteil der Differenz (regelmäßig 1/100) bezahlen musste. In gleicher Weise berechnete sich der Abrechnungsbetrag bei Ausübung des Wertpapiers. Die Wertpapiere waren mit einer sog. Stopp-Loss-Schwelle (Knock-Out-Barriere) versehen, die dem Basispreis vorgelagert war. Bei Berühren oder Durchbrechen der Stopp-Loss-Schwelle endete die Laufzeit des Produkts. Der Restwert wurde abgerechnet und an den Anleger ausbezahlt. Er entsprach der Differenz aus dem Auflösungskurs und dem Basispreis und belief sich auf mindestens 0,001 € je Wertpapier.
2
Der Kläger erzielte aus den Papieren in den Streitjahren Verluste in Höhe von 55.136 € (2008), 299.074,89 € (2009), 102.941 € (2010) und 161.849,19 € (2011), die auf das Erreichen der Knock-Out-Barriere zurückzuführen waren. Sämtliche Wertpapiergeschäfte wurden ab dem Streitjahr 2009 über ein Wertpapierdepot einer Schweizer Bank abgewickelt.
3
Die Kläger machten im Rahmen der Einkommensteuererklärungen diese Verluste bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften (2008) bzw. bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (2009 bis 2011) geltend.
4
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) lehnte die steuerliche Berücksichtigung der Verluste bei der Einkommensteuerfestsetzung ab. Die hiergegen erhobenen Einsprüche blieben ohne Erfolg.
5
Das Finanzgericht (FG) hat der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben (Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 216).
6
Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es macht geltend, die Begründung des FG trage die Entscheidung nicht. Das FG unterscheide rechtsfehlerhaft nicht zwischen Optionsscheinen und Zertifikaten. Nur auf Optionsscheine seien § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der Fassung des Streitjahres 2008 (EStG 2008) und nach Einführung der Abgeltungsteuer zum 01.01.2009 § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a EStG 2009 sowie die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anwendbar, wonach auch der wertlose Verfall einer Option steuerbar sei. Auf Zertifikate sei dagegen nur § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG 2009 anwendbar. Diese Norm setze eine Veräußerung voraus. Der Forderungsausfall sei jedoch keine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG 2009. Eine Veräußerung liege auch nicht vor, wenn der Veräußerungspreis die Transaktionskosten nicht übersteige.
7
Das FA beantragt,das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Die Kläger beantragen,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.


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