Steuerrecht

(Ausübung des Wahlrechts nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG durch ausländische Personengesellschaft – Sperrwirkung bei Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach ausländischem Recht)

Aktenzeichen  IV R 3/20

Datum:
20.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.200421.IVR3.20.0
Normen:
§ 140 AO
§ 141 AO
§ 180 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AO
§ 180 Abs 5 Nr 1 AO
§ 4 Abs 1 EStG 2009
§ 4 Abs 3 S 1 EStG 2009
§ 5 Abs 1 EStG 2009
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 2009
§ 32b Abs 1 S 1 Nr 3 EStG 2009
Art 5 Abs 1 DBA LUX 1958
Art 20 Abs 2 S 2 DBA LUX 1958
§ 120 Abs 3 Nr 2 Buchst b FGO
§ 155 S 1 FGO
§ 242 Abs 1 HGB
§ 293 ZPO
§ 560 ZPO
§ 96 Abs 1 S 3 FGO
EStG VZ 2011
EStG VZ 2012
Spruchkörper:
4. Senat

Leitsatz

1. Die als Mitunternehmerschaft anzusehende ausländische Personengesellschaft wird für Zwecke der Ermittlung der steuerfreien, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte als “fiktive” Normadressatin des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG behandelt; ein danach ggf. bestehendes Gewinnermittlungswahlrecht ist von ihr selbst, nicht von ihren inländischen Gesellschaftern auszuüben.
2. In diesem Fall ist das (materielle) Gewinnermittlungswahlrecht nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ausgeschlossen, wenn nach ausländischen gesetzlichen Vorschriften eine Buchführungs- und Bilanzierungspflicht besteht.
3. Das Eingreifen der Sperrwirkung setzt nicht voraus, dass die ausländischen gesetzlichen Pflichten mit den deutschen funktions- und informationsgleich sind.

Verfahrensgang

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 30. August 2017, Az: 7 K 1095/15, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Revisionsklägerinnen wird das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 30.08.2017 – 7 K 1095/15 aufgehoben, soweit es die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 der Abgabenordnung für 2011 und 2012 betrifft.
Die Sache wird insoweit an das Hessische Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des gesamten Verfahrens übertragen.

Tatbestand

A.
1
Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Revisionsklägerinnen) –die A-GbR (im finanzgerichtlichen Verfahren Klägerin zu 2., jetzt Revisionsklägerin zu 1. oder GbR 1) und die B-GbR (im finanzgerichtlichen Verfahren Klägerin zu 3., jetzt Revisionsklägerin zu 2. oder GbR 2)– sind die ehemaligen inländischen Gesellschafterinnen (Kommanditistinnen) der während des finanzgerichtlichen Verfahrens vollbeendeten C S.à.r.l. & Cie. S.e.c.s. (C oder ausländische Untergesellschaft). Die C war eine im Großherzogtum Luxemburg (Luxemburg) ansässige Personengesellschaft, die einer GmbH & Co. KG inländischen Rechts entsprach. Komplementärin der C war die C S.à.r.l. (im finanzgerichtlichen Verfahren Klägerin zu 1.); die Komplementärin war am Gewinn und Verlust der C nicht beteiligt. Die C betrieb einen Goldhandel.
2
Die C war nach luxemburgischem Aufsichtsrecht verpflichtet, jährlich eine Bilanz zu erstellen. Sie ist dieser Verpflichtung in den Jahren 2011 und 2012 (Streitjahre) nachgekommen. Die bei der luxemburgischen Steuerverwaltung eingereichten bilanziellen Betriebsergebnisse wiesen für 2011 einen Verlust von … € und für 2012 einen Gewinn von … € aus. Daneben erstellte die C für die Besteuerung der Gesellschafter im Inland Einnahmen-Überschussrechnungen, in denen für 2011 ein Verlust von … € und für 2012 ein Gewinn von … € ermittelt wurde. Diese Ergebnisse der Einnahmen-Überschussrechnungen wurden in Erklärungen der C zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung als nach dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerfreie Einkünfte erklärt, für die ein Progressionsvorbehalt in Betracht kommt.
3
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) wies in dem unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (Feststellungsbescheid) für 2011 vom 17.12.2012 nach dem DBA steuerfreie (negative) Progressionseinkünfte in Höhe von ./. … € aus; der Komplementärin wurde hiervon ein Betrag von 0 €, der GbR 1 ein Betrag von ./. … € und der GbR 2 ein Betrag von ./. … € zugerechnet. Der vom FA ebenfalls unter Vorbehalt der Nachprüfung erlassene Feststellungsbescheid für 2012 vom 23.03.2015 enthielt nach dem DBA steuerfreie (positive) Progressionseinkünfte in Höhe von … €; der Komplementärin wurde auch hier ein Betrag von 0 €, der GbR 1 ein Betrag von … € und der GbR 2 ein Betrag von … € zugerechnet. Die Minderungen gegenüber den erklärten Beträgen resultierten aus einer inzwischen als unzutreffend angesehenen Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
4
Infolge der hiergegen von der C eingelegten Einsprüche erließ das FA für beide Streitjahre die zusammengefasste Einspruchsentscheidung vom 23.04.2015, die am 13.05.2015 zur Post gegeben wurde. Hierin wurden (erstmalig) für die GbR 1 und die GbR 2 im Inland steuerpflichtige gewerbliche Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) in Höhe der bilanziellen Ergebnisse festgestellt (für 2011: steuerpflichtige gewerbliche Verluste in Höhe von … €; Anteil GbR 1: ./. … €; Anteil GbR 2: ./. … €; für 2012: steuerpflichtige gewerbliche Gewinne in Höhe von … €; Anteil GbR 1: … €; Anteil GbR 2: … €); der Komplementärin wurde jeweils ein Anteil in Höhe von 0 € zugerechnet. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die C sei originär vermögensverwaltend tätig gewesen und habe im Inland nur aufgrund gewerblicher Prägung gewerbliche Einkünfte erzielt. Das inländische Besteuerungsrecht sei durch die gewerbliche Prägung nicht beseitigt worden. Die C habe ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG ermitteln müssen. Im Übrigen wurde die Feststellung nach dem DBA steuerfreier, dem Progressionsvorbehalt unterliegender Einkünfte versagt.
5
Dagegen wandte sich die C mit ihrer Klage. Sie begehrte vor dem Finanzgericht (FG), für die C für 2011 nach dem DBA steuerfreie Progressionseinkünfte in Höhe von ./. … € und für 2012 in Höhe von … € (Ergebnisse der Einnahmen-Überschussrechnungen) festzustellen und diese Beträge anteilig auf die GbR 1 und die GbR 2 zu verteilen sowie die Einspruchsentscheidung vom 13.05.2015 aufzuheben, soweit sie für 2011 und 2012 steuerpflichtige Einkünfte nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO feststellt. Die C wurde während des finanzgerichtlichen Verfahrens vollbeendet. Das FG behandelte die ehemaligen Gesellschafter der C, die Komplementärin sowie die GbR 1 und die GbR 2, als deren prozessuale Rechtsnachfolgerinnen.
6
Die Klage hatte teilweise (in geringem Umfang) Erfolg. Das Hessische FG hob mit Urteil vom 30.08.2017 – 7 K 1095/15 die in der Einspruchsentscheidung erstmals erfolgte Feststellung steuerpflichtiger Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO auf. Außerdem stellte es für die C für das Jahr 2011 nach dem DBA steuerfreie Progressionseinkünfte in Höhe von ./. … € (Anteil GbR 1: ./. … €; Anteil GbR 2: ./. … €) und für das Jahr 2012 nach dem DBA steuerfreie Progressionseinkünfte in Höhe von … € (Anteil GbR 1: … €; Anteil GbR 2: … €) fest. Im Übrigen wies es die Klage ab.
7
Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus: Die in der Einspruchsentscheidung getroffenen Feststellungen, insbesondere die nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, seien wegen fehlerhafter Einkünftequalifikation aufzuheben. Die C habe in den Streitjahren –in Anwendung der neuen Rechtsprechungsgrundsätze zum physischen Goldhandel– originär gewerbliche Einkünfte erzielt. Diese Einkünfte unterlägen nach Art. 5 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23.08.1958 (BGBl II 1959, 1270) –DBA-LUX 1958– der luxemburgischen Besteuerung. Sie seien im Inland nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 DBA-LUX 1958 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG als nach dem DBA steuerfreie Progressionseinkünfte zu behandeln. Die Feststellungsbescheide nach § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO für 2011 und 2012 seien zu ändern, weil die Progressionseinkünfte nicht durch Einnahmen-Überschussrechnung, sondern durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln seien. Dabei bedürfe die Frage, ob eine ausländische Buchführungspflicht das Gewinnermittlungswahlrecht ausschließe, keiner Entscheidung. Entscheidend sei, dass die C ihren Gewinn in Luxemburg durch einen Betriebsvermögensvergleich ermittelt habe. So habe der Bundesfinanzhof (BFH) inzwischen in mehreren Entscheidungen dem Gewinnermittlungssubjekt die Einnahmen-Überschussrechnung verwehrt, wenn für Zwecke der ausländischen Besteuerung tatsächlich eine Bilanz erstellt werde (BFH-Urteile vom 25.06.2014 – I R 24/13, BFHE 246, 404, BStBl II 2015, 141; vom 10.12.2014 – I R 3/13; vom 19.01.2017 – IV R 50/14, BFHE 257, 35, BStBl II 2017, 456). Es greife auch nicht der Einwand durch, die C habe in den Streitjahren ihr Gewinnermittlungswahlrecht zugunsten der Einnahmen-Überschussrechnung ausgeübt, weil sie zuerst solche Gewinnermittlungen erstellt habe. Ob der Vortrag zutreffe, dass die C in beiden Streitjahren zuerst Einnahmen-Überschussrechnungen erstellt und zeitlich nachgelagert in Luxemburg Bilanzen habe erstellen lassen, lasse sich nicht aufklären. Zum einen gingen die Zweifel in tatsächlicher Hinsicht zu Lasten der C. Zum anderen sei die C aufgrund aufsichtsrechtlicher, ggf. auch steuerrechtlicher Vorschriften in Luxemburg zur Erstellung von Bilanzen verpflichtet gewesen. Es wäre daher beliebig, darauf abzustellen, welche der beiden Gewinnermittlungen zuerst nach außen präsentiert werde. Die ausländische Bilanzierungspflicht entfalte eine Sperrwirkung.
8
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der vom FG als prozessuale Rechtsnachfolgerinnen angesehenen ehemaligen Gesellschafterinnen der C hat der Senat die Revision für die GbR 1 und die GbR 2 zugelassen, die Nichtzulassungsbeschwerde der Komplementärin hingegen als unzulässig verworfen; die Komplementärin selbst hat keine Revision eingelegt.
9
Die GbR 1 und die GbR 2 greifen mit ihrer Revision allein die Höhe der festgestellten nach DBA steuerfreien Progressionseinkünfte an. Sie rügen eine Verletzung materiellen Bundesrechts, insbesondere des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG, und Verfahrensfehler.
10
Sie beantragen,das angefochtene Urteil des Hessischen FG vom 30.08.2017 – 7 K 1095/15 aufzuheben und die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 180 Abs. 5 Nr. 1 AO für 2011 vom 17.12.2012 und für 2012 vom 23.03.2015, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23.04.2015 (Aufgabe zur Post am 13.05.2015), dahin zu ändern, dass steuerfreie gewerbliche Einkünfte für 2011 in Höhe von ./. … € und für 2012 in Höhe von … € jeweils für Zwecke des Progressionsvorbehalts bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt werden,hilfsweise, das angefochtene Urteil des Hessischen FG vom 30.08.2017 – 7 K 1095/15 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
11
Das FA beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.


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