Steuerrecht

Bedarfsbewertung für Zwecke der Schenkungsteuer

Aktenzeichen  4 K 2988/17

Datum:
7.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
StEd – 2021, 125
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
BewG § 184 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet und daher abzuweisen.
Der festgestellte Grundbesitzwert ist vom FA dem Grunde und der Höhe nach zutreffend im Ertragswertverfahren ermittelt worden.
a) Nach § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) i.V.m. §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 157 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BewG sind für die Erbschaft- und Schenkungsteuer ab 1. Januar 2009 die Grundbesitzwerte gesondert festzustellen und für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens unter Anwendung der §§ 159 und 176 bis 198 BewG zu ermitteln. Die Bewertung bebauter Grundstücke (§ 180 BewG) ist von der Grundstücksart (§ 181 Abs. 1 BewG) abhängig. Gemischt genutzte Grundstücke i.S. von § 181 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 7 BewG -wie das streitgegenständliche Objektsind nach § 182 Abs. 3 Nr. 1 BewG im Ertragswertverfahren nach den §§ 184 bis 188 BewG zu bewerten. Bei Anwendung des Ertragswertverfahrens ist der Wert der Gebäude (Gebäudeertragswert) getrennt von dem Bodenwert auf der Grundlage des Ertrags nach § 185 BewG zu ermitteln (§ 184 Abs. 1 BewG). Bei der Ermittlung des Gebäudeertragswerts ist von dem Reinertrag des Grundstücks auszugehen (§ 185 Abs. 1 Satz 1 BewG). Dieser ergibt sich aus dem Rohertrag des Grundstücks abzüglich der Bewirtschaftungskosten (§ 185 Abs. 1 Satz 2 BewG). Rohertrag ist das Entgelt, das für die Benutzung des bebauten Grundstücks nach den am Bewertungsstichtag geltenden vertraglichen Vereinbarungen für den Zeitraum von zwölf Monaten zu zahlen ist (§ 186 Abs. 1 Satz 1 BewG).
Für Grundstücke oder Grundstücksteile, die der Eigentümer dem Mieter zu einer um mehr als 20% von der üblichen Miete abweichenden tatsächlichen Miete überlassen hat, ist die übliche Miete anzusetzen (§ 186 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG). Auf welche Art und Weise die übliche Miete zur Prüfung der 20-Prozent-Grenze zu ermitteln ist, gibt der Gesetzgeber nicht vor. Letztlich handelt es sich um eine Schätzung gemäß § 162 AO, bei der alle Umstände, die für die Schätzung von Bedeutung sind, zu berücksichtigen sind. Weicht die tatsächlich vereinbarte Miete um mehr als 20% nach oben von der üblichen Miete ab, liegt es im eigenen Interesse des Steuerpflichtigen, die Abweichung nachzuweisen, ihn trifft also in diesem Fall die Nachweislast (vgl. Rossler/Troll, BewG, §§ 184 – 188, Rz. 15a).
Die übliche Miete kann aus Vergleichsmieten oder Mietspiegeln abgeleitet, mit Hilfe einer Mietdatenbank (§ 558e des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB -) geschätzt oder durch ein Mietgutachten ermittelt werden (BFH-Urteil vom 5. Dezember 2019 II R 41/16, ZEV 2020, 438; R B 186.5 Abs. 1 Satz 1 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 – ErbStR 2011 -).
Mietspiegel ist in erster Linie ein nach dem Gesetz zur Regelung der Miethöhe bzw. nach den §§ 558c, 558d BGB erstellter Mietspiegel für den Bewertungsstichtag, aber auch ein anderer Mietspiegel, der einen repräsentativen Querschnitt der ortsüblichen Entgelte vergleichbarer Wohnungen oder Räumlichkeiten aufweist (vgl. R B 186.5 Abs. 3 Satz 1, 2 ErbStR 2013). Ein Mietspiegel ist nach § 558c Abs. 1 BGB eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist. § 558d Abs. 1 BGB bezeichnet einen Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist, als qualifizierten Mietspiegel. Ist er nach Maßgabe von § 558d Abs. 2 BGB regelmäßig angepasst, wird nach § 558d Abs. 3 BGB vermutet, dass die im qualifizierten Mietspiegel bezeichneten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben. Wird für die Anwendung des § 186 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG ein Mietspiegel herangezogen, werden die Daten differenziert verwendet. In Mietspiegeln wird häufig der um Ausreißer bereinigte Durchschnitt aller erhobenen Mietwerte in Form des Mittelwerts veröffentlicht. Zusätzlich werden Mietspannen angegeben, um den Besonderheiten des Einzelfalls besser Rechnung tragen zu können. Grundsätzlich ist der im Mietspiegel ausgewiesene gewichtete Mittelwert anzusetzen. Bei ausreichenden Anhaltspunkten für einen konkreten niedrigeren oder höheren Wert ist dieser Wert anzusetzen. Für die Überprüfung der Ortsüblichkeit von tatsächlich erzielten Mieten ist auf den jeweils unteren Wert oder den jeweils oberen Wert der Spanne abzustellen. D.h. eine Miete, die mehr als 20% niedriger ist als der untere Wert der Spanne bzw. die mehr als 20% höher ist als der obere Wert der Spanne, ist nicht mehr ortsüblich (vgl. H B 186.5 der Erbschaftsteuer-Hinweise „Mietspiegel“).
Befinden sich -wie im Streitfallauf einem Grundstück mehrere selbständige Gebäude oder Gebäudeteile und lässt sich für mindestens eines dieser Gebäude oder -teile keine übliche Miete ermitteln, erfolgt die Wertermittlung für die gesamte wirtschaftliche Einheit einheitlich nach dem Sachwertverfahren (R B 182 (5), ErbStR 2013).
b) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FA zu Recht den Grundbesitzwert im Ertragswertverfahren ermittelt und i.H.v. 10.792.320 € festgestellt.
aa) Unstreitig handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Grundstück um ein gemischt genutztes Grundstück, da es neben Wohnzwecken zu mehr als 50% und zu nicht mehr als 80% eigenen oder fremden betrieblichen Zwecken dient.
bb) Das gemischt genutzte Grundstück ist nach Ansicht des Gerichts auch gem. § 182 Abs. 3 Nr. 2 BewG im Ertragswertverfahren und nicht nach § 182 Abs. 4 Nr. 2 BewG im Sachwertverfahren zu bewerten, weil sich im Streitfall auf dem örtlichen Grundstücksmarkt nicht nur für die Wohnflächen, sondern auch für die Büros, die Läden und die an das Hotel vermieteten Flächen jeweils eine übliche Miete ermitteln lässt.
(1) Für die Wohnflächen kann die übliche Miete dem von der X-Stadt veröffentlichten qualifizierten Mietspiegel für X-Stadt 2013 entnommen werden.
(2) Nach Ansicht des Gerichts besteht im Streitfall in Anbetracht der Vielzahl der vermieteten gewerblichen Flächen in X-Stadt nicht nur für die Wohnflächen, sondern auch für die Gewerbeflächen, also für die Flächen, die zur Nutzung als Büro, Laden bzw. Hotel vermietet sind, ein örtlicher Grundstücksmarkt und damit die Möglichkeit der Ermittlung einer ortsüblichen Miete.
(2.1) Dass sich insbesondere für die als Büro und Laden vermieteten Gewerbeflächen in Anbetracht der Vielzahl der vermieteten Läden und Büros in München eine ortsübliche Miete ermitteln lässt, steht für das Gericht außer Frage. So können zur Ermittlung der ortsüblichen Miete von Büros und Ladenlokalen z.B. der von der Süddeutschen Zeitung und der Industrie- und Handelskammer für X-Stadt und die Region herausgegebene Gewerbeimmobilienmarktbericht oder der IVD Gewerbe Preisspiegel 2012/2013 herangezogen werden. Im Gewerbeimmobilienmarktbericht sind unter anderem Mietpreise für Büroflächen und Ladenlokale in X-Stadt nach ausgewählten Stadtbezirken veröffentlicht worden. Der IVD Gewerbe Preisspiegel 2012/2013 weist die Netto-Kaltmieten von Büroflächen mit einfachem, mittlerem und gutem Nutzungswert sowie Höchstmieten für Spitzenobjekte in Toplagen, Ladenmieten für Flächen in 1a- und 1b-Lagen im Geschäftskern und Nebenkern in X-Stadt aus. Auch anhand von vom FA erstellten Aufstellungen von Vergleichsmieten -wie der vom FA im Klageverfahren vorgelegten Aufstellung von sechsundzwanzig Vergleichsmieten für Läden und Büros in X-Stadt in der näheren Umgebung des streitigen Objekts kann im Streitfall eine ortsübliche Miete für die Büro- und Ladenflächen ermittelt werden.
(2.2) Auch für die Räume, in denen das Hotel betrieben wird, lässt sich nach Ansicht des Gerichts eine übliche Miete ermitteln. Denn nach Ansicht des Gerichts handelt es sich hierbei um Gewerberäume und nicht um eine Hotelimmobilie. Dies ergibt sich für das Gericht insbesondere aus den Bestimmungen des Mietvertrages über Gewerberäume vom 14. Mai 2001, den BM am 21. Juli 2008 übernommen hat. Bereits nach dem Wortlaut des Mietvertrages sind Gewerberäume zur Nutzung als Hotel/Pension und kein Hotelbetrieb vermietet worden. Ferner mussten diese Gewerberäume nach den Regelungen im Mietvertrag vom damaligen Mieter AM selbst für die Nutzung als Hotelzimmer ausgebaut und eingerichtet werden. Auch um die behördlichen Genehmigungen für die Hotelnutzung musste sich der Mieter selbst kümmern. Nach Ablauf der Mietzeit ist der jetzige Mieter, BM, lt. Mietvertrag verpflichtet, das Mietobjekt vollständig geräumt zurückzugeben und das von ihm bzw. AM ab 1. Juli 2000 eingebaute Zubehör sowie die eingebrachte Einrichtung und sonstige Einbauten, Verkabelungen, Reklameanlagen etc. zu entfernen. Damit enthält der Mietvertrag für Gewerberäume übliche Bestimmungen. Jedenfalls handelt es sich bei den an BM vermieteten Räumen nicht um eine Managementimmobilie, wie die Klägerin zu bedenken gibt. Weder ist ein ausgestattetes Hotel zur Nutzung überlassen worden und der Mietzins nach der Ertragskraft bemessen (Pachtvertrag), noch ist ein Hotelmanager zum Betrieb des Hotels engagiert worden, dem eine umsatz- und/oder gewinnabhängige Vergütung bezahlt wird. Auch eine Mischform aus Pacht- und Managementvertrag liegt nicht vor. Dass die X-Stadt am 11. Mai 2005 die Nutzung der zu diesem Zeitpunkt von AM gemieteten Räume als Beherbergungsbetrieb genehmigt hat, ändert daran nichts. Deshalb ist als übliche Miete im Streitfall die übliche Miete für Gewerberäume, die als Hotel genutzt werden können, heranzuziehen. Diese übliche Miete lässt sich in Anbetracht der Vielzahl der vermieteten Gewerberäume in X-Stadt, gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen, ermitteln.
(2.3) Auch wenn im Streitfall an BM ein Hotelbetrieb vermietet bzw. verpachtet worden wäre, ließe sich nach Ansicht des Gerichts eine ortübliche Miete ermitteln. So befinden sich (wie eine Abfrage im Buchungsportal Booking.com ergeben hat) in einem Umkreis des streitgegenständlichen Objekts von weniger als 3 km mehr als 200, in einem Umkreis von weniger als 5 km mehr als 300 Hotels und Pensionen, so dass in Anbetracht der Vielzahl der Hotels im engen Umkreis des im streitgegenständlichen Objekts betriebenen Hotels auch für Hotelimmobilien ein örtlicher Grundstücksmarkt und damit die Möglichkeit der Ermittlung einer ortsüblichen Miete, nötigenfalls durch Einbeziehung eines Sachverständigen, besteht. Für die Anwendbarkeit des Ertragswertverfahrens fordert § 182 Abs. 3 Nr. 2 BewG lediglich, dass sich -wie im Streitfallauf dem örtlichen Grundstücksmarkt eine übliche Miete ermitteln lässt. Nicht erforderlich ist nach Ansicht des Gerichts, dass eine übliche Miete bereits ermittelt worden ist.
cc) Zu Recht hat das FA der Ermittlung des Ertragswerts auch die tatsächlichen und nicht die üblichen Mieten zugrunde gelegt.
Gem. § 186 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG ist statt der tatsächlichen die übliche Miete anzusetzen, wenn das Grundstück dem Mieter zu einer um mehr als 20% von der üblichen Miete abweichenden tatsächlichen Miete überlassen worden ist.
(1) Weicht die tatsächliche Miete um mehr als 20% nach oben von der ortsüblichen Miete ab, so wirkt sich der Ansatz der ortsüblichen Miete zu Gunsten des Steuerpflichtigen aus. Für eine Prüfpflicht des FA, ob eine solche Abweichung vorliegt, ist nach Ansicht des Gerichts deshalb zumindest ein diesbezüglicher substantiierter Vortrag des Steuerpflichtigen erforderlich.
Im Streitfall hat die Klägerin weder im Klage- noch im Einspruchsverfahren vorgetragen, dass die tatsächlichen Mieten für die Wohnungen, Läden, Büros und das Hotel um mehr als 20% nach oben von den ortsüblichen Mieten abweichen. Vielmehr ist der steuerliche Vertreter der Klägerin, wie sich aus der beim FA eingereichten Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts ergibt, davon ausgegangen, dass die tatsächlich erzielten Mieten für die Wohnungen und das Hotel nicht um mehr als 20% von den ortsüblichen Mieten abweichen. Denn er hat eine übliche Monatsmiete für die Mietwohnungen von 12 €/qm, sowie für die Büros und das Hotel von 13 €/qm und tatsächlich erzielte Mieten für die Wohnungen von 10,20 €/qm bis 13,77 €/qm und für die Büros und das Hotel von 6,85 €/qm bis 14,65 €/qm erklärt.
Das FA war daher nach Ansicht des Gerichts befugt, die tatsächlich erzielten Mieten der Ermittlung des Ertragswertes zu Grunde zu legen.
(2) Sollte das FA für einzelne Einheiten -die Miete des für 6,85 €/qm vermieteten Büros weicht nach Ansicht des Gerichts um mehr als 20% nach unten von der ortsüblichen Miete abzu Unrecht die tatsächliche statt der üblichen Miete angesetzt haben, so kann dies im vorliegenden Klageverfahren nicht berücksichtigt werden. Denn der Ansatz der ortsüblichen Miete würde sich in diesem Fall zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken. Der Änderung des Feststellungsbescheides stünde das sich aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) ergebende sog. Verböserungsverbot (reformation in peius) entgegen.
(3) Ob das FA zu Recht davon ausgegangen ist, dass die tatsächlichen Mieten für die Wohnungen, Büros, Läden und das Hotel um nicht mehr als 20% nach oben oder unten von der ortsüblichen Miete abweichen, kann deshalb im Streitfall dahinstehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Die Revision wird zugelassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO liegen vor.


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