Aktenzeichen IX B 62/17
Leitsatz
NV: Das FG trifft eine unzulässige Überraschungsentscheidung, wenn es sein Urteil tragend auf eine rechtliche Würdigung stützt, die im Verlauf des Verfahrens weder vom FG noch von den Verfahrensbeteiligten angesprochen worden war .
Verfahrensgang
vorgehend FG München, 23. März 2017, Az: 11 K 2180/15, Urteilnachgehend FG München, 25. Juli 2019, Az: 11 K 2478/17, Urteilnachgehend BFH, 8. April 2020, Az: IX B 88/19, Beschluss
Tenor
Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 23. März 2017 11 K 2180/15 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten um das Vorliegen sonstiger Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
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Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) war im Streitjahr 2010 als Geschäftsführer der Z-GmbH (GmbH) tätig. An der GmbH war er zunächst mit 10 % und damit einem Nennkapitalanteil von 10.000 € am gesamten Nennkapital von 100.000 € beteiligt. In der Folge einer (quotalen) Kapitalerhöhung im März 2010 auf 500.000 € wurde sein 10 %iger Anteil am Nennkapital auf 50.000 € erhöht.
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Die GmbH machte aus Rechnungen der Firma A-Handel (A) den Vorsteuerabzug geltend. Bei der A handelte es sich um eine Scheinfirma, die im Rahmen von umsatzsteuerlichen Karussellgeschäften eingesetzt wurde.
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Im November 2009 schloss der Kläger mit der A eine als “Darlehensvertrag” bezeichnete Vereinbarung, wonach ihm ein Darlehen in Höhe von 100.000 € zugesagt wurde. Es waren eine feste Laufzeit bis zum 31. Dezember 2014 und ein Zinssatz von 3 % pro Jahr vereinbart. Ein Darlehenszweck oder Sicherheiten waren nicht vereinbart. Ebenso war kein Konto benannt, auf das die Zinsen zu zahlen waren. Im Februar 2010 erhielt der Kläger den entsprechenden Betrag von der A ausbezahlt. Der Kläger zahlte weder Zinsen auf das Darlehen noch wurde von ihm der ausgezahlte Betrag an die A wieder zurückgezahlt.
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Anlässlich von Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle kam der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt –FA–) zu dem Ergebnis, dass der Kläger mit der Zahlung Bestechungsgelder erhalten habe. Die A sei eine bloße Scheinfirma gewesen. Der Darlehensvertrag sei nur zum Schein abgeschlossen worden.
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Mit geändertem Einkommensteuerbescheid 2010 vom 27. März 2014 unterwarf das FA den an den Kläger gezahlten Betrag als Entgelt für eine sonstige Leistung nach § 22 Nr. 3 EStG der Besteuerung. Der vom Kläger dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Im anschließenden Klageverfahren machte der Kläger geltend, die Überweisung des Geldes sei die Auszahlung eines Darlehens gewesen, das der Finanzierung der im März 2010 durchgeführten Kapitalerhöhung gedient habe. Das FA hielt demgegenüber daran fest, dass es sich um Bestechungsgeld gehandelt habe.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit Urteil vom 23. März 2017 statt. Der dem Kläger zugeflossene Betrag falle unter keine steuerbare Einkunftsart. Der Darlehensvertrag sei zwar ein Scheingeschäft gewesen. Eine sonstige Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG liege aber nicht vor. Vielmehr sei der Vorgang als Schenkung einzuordnen. Die Revision ließ das FG nicht zu.
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Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich das FA u.a. auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–, § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Die dem Urteil zugrunde liegende Einordnung des Vorgangs als Schenkung sei weder zuvor im Verfahren oder anderweitig noch in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Sowohl im Einspruchs- und im Klageverfahren sowie im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung sei allein streitig gewesen, ob in der Folge der Einordnung des Darlehensvertrags als Scheingeschäft Einkünfte nach § 22 Nr. 3 EStG anzunehmen seien. Es liege damit eine Überraschungsentscheidung vor.
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Der Kläger ist der Beschwerde entgegengetreten. Das FA habe in der mündlichen Verhandlung die Einordnung des streitigen Vorgangs als Schenkung angesprochen.