Steuerrecht

Bekanntgabe eines Steuerbescheids bei Erteilung einer Vollmacht

Aktenzeichen  4 K 3055/19

Datum:
15.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50748
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
GrEStG §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1
AO § 122 Abs. 1 S. 3 u. 4

 

Leitsatz

1. Wird der Steuerbescheid statt dem empfangsbevollmächtigten Steuerberater dem Steuerpflichtigen persönlich bekannt gegeben, genügt es für die Heilung des Bekanntgabemangels, dass der Bescheid in der Kanzlei des Steuerberaters eingeht. Es ist nicht erforderlich, dass der Steuerberater den Bescheid zur Kenntnis nimmt (vgl. BFH, Beschl. v. 21. 2. 2013 – II B 113/12 m.w.Nachw.). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nach Auffassung des Gerichts unbeachtlich, dass sich das FA abweichend von der Rechtslage auf rein technische Fragen im Zusammenhang mit dem Abruf aus der Vollmachtsdatenbank (§ 80a AO) beruft und hieraus meint ableiten zu können, dass die vom Kläger für alle Steuerarten erteilte Empfangsvollmacht nicht auch für die Bekanntgabe von GrESt-Bescheiden gelten soll.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Unter Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 27. Juni 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. November 2019 wird die festgesetzte Grunderwerbsteuer auf 18.935 € herabgesetzt.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Gründe

I.
Streitig ist, ob das beklagte Finanzamt (FA) zu Recht die Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids abgelehnt hat.
Der Kläger erwarb aufgrund notariellen Kaufvertrags vom … 2018 (UrNr. …) von Herrn … (im Folgenden: Verkäufer) das Alleineigentum an dem Grundvermögen in …, …str. .. (FlurNr. …). Das Grundvermögen war u.a. belastet mit einem (in Abteilung II des im Grundbuch eingetragenen) Wohnungsrecht für Frau … (im Folgenden: X). Der Kaufpreis betrug insgesamt 550.000 € und beinhaltete u.a. eine Photovoltaikanlage im Wert von 9.000 €. … unterzeichnete eine Löschungsbewilligung betreffend das o.g. Wohnrecht und eine (damit korrespondierende) Sicherungshypothek unter der Auflage einer Zahlung i.H.v. 48.572,73 € (vgl. Ziffer I Nr. 2 Buchstabe b des o.g. Notarvertrags). Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Kaufvertrag vom … 2018 (UrNr. …) verwiesen. In der Folgezeit (konkret am 29. Juni 2018) bezahlte der Kläger an X den Betrag i.H.v. 48.572,73 € und weitere Beträge i.H.v. 47.000 €, 440.427,27 (jeweils am 29. Juni 2019) und 14.000 € (am 2. Juli 2018) an den Verkäufer. Die Gesamtzahlungen des Käufers im Zusammenhang mit dem Erwerb des o.g. Grundvermögens beliefen sich mithin auf 550.000 €.
Am 20. Juni 2017 übermittelte der steuerliche Vertreter des Klägers, der auch Prozessbevollmächtigter in diesem Klageverfahren ist, an das FA eine vom Kläger am 28. Juli 2015 unterschriebene Bekanntgabevollmacht, die auch die Grunderwerbsteuer (GrESt) erfasst. Diese Bekanntgabevollmacht, auf die wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, beinhaltete neben der Steueridentifikationsnummer des Klägers auch dessen (die Einkommensteuer -EStbetreffende) Steuernummer. Diese Vollmacht, die alle Steuerarten umfasste, war – nach Aktenlage (vgl. den in der GrESt-Akte auf Blatt 3 befindlichen Ausdruck) – in der Vollmachtsdatenbank des FA seit dem 20. Juni 2017 hinterlegt.
Mit Bescheid vom 27. Juni 2018 setzte das FA Grunderwerbsteuer i.H.v. 20.635 € fest. Hierbei ging das FA von einer Bemessungsgrundlage i.H.v. 589.572 € aus, indem es die Gegenleistung des Klägers aus dem o.g. Kauvertrag vom … 2018 (UrNr. …) aus einem Kaufpreis i.H.v. 550.000 € zzgl. der Zahlung an HV i.H.v. 48.572,73 € und abzüglich der Photovoltaikanlage im Wert von 9.000 € ermittelte. Dieser Bescheid – wurde entgegen der beim FA in der Vollmachtsdatenbank hinterlegten Bekanntgabevollmacht – an den Kläger selbst und nicht an dessen steuerlichen Vertreter bekanntgegeben und enthielt keine Nebenbestimmungen i.S.d. §§ 164,165 der Abgabenordnung (AO).
Mit Schriftsatz vom 12. September 2019 teilte der Empfangsbevollmächtigte des Klägers, der Prozessbevollmächtigte, dem FA mit, dass er am 9. September 2019 den streitgegenständlichen Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Juni 2018 vom Kläger ausgehändigt erhalten habe, beantragte die Abänderung des o.g. Bescheids und legte „hilfsweise“ Einspruch ein.
Gegen den Bescheid vom 17. September 2019, mit dem das FA die beantragte Änderung ablehnte, legte der Kläger mit Schriftsatz vom 24. September 2019 Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 20. November 2019 als unbegründet zurückwies.
Den (mit Schriftsatz vom 12. September 2019 eingelegten) Einspruch des Klägers gegen den Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Juni 2018 verwarf das FA mit (weiterer) Einspruchsentscheidung vom 20. November 2019 als unzulässig.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht am 20. Dezember 2019 bei Gericht eingegangenen Klage, zu deren Begründung der Kläger im Wesentlichen vorträgt, dass aufgrund unzutreffender Bekanntgabe die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Ferner lägen die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 129 AO bzw. § 173 AO vor.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Juni 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. November 2019 dahingehend zu ändern, dass die festgesetzte Grunderwerbsteuer um 1.700 € vermindert wird, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA verweist zur Klageerwiderung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung vom 20. November 2019.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird gemäß § 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Grunderwerbsteuerakte des FA sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 6. April 2020 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 FGO). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
II.
1. Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere fristgerecht erhoben.
2. Die Klage ist zudem begründet. Das FA hat im Streitfall dem Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Juni 2019 eine unzutreffende Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt und überdies mit der Einspruchsentscheidung vom 20. November 2019 den hiergegen eingelegten Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Dadurch ist der Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
a) Das FA hat zu Unrecht die Gegenleistung i.S.d. § 8 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i.H.v. insgesamt 589.572 € angesetzt. Tatsächlich hat aber der Kläger – was auch das FA im Klageverfahren nicht mehr in Abrede stellt – im Zusammenhang mit dem Kauf des streitgegenständlichen Grundstücks Zahlungen i.H.v. insgesamt 550.000 € erbracht, wobei in diesem Gesamtbetrag auch die (am 29. Juni 2018 erfolgte) Ablösezahlung an HV betreffend das Wohnrecht i.H.v. 48.572,73 € enthalten war. Mithin ist die Gegenleistung (i.S.d. § 8 Abs. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 GrEStG) des Klägers aus dem Kaufvertrag vom … 2018 aus dem Kaufpreis i.H.v. 550.000 € abzüglich der Photovoltaikanlage im Wert von 9.000 € zu ermitteln. Mithin beträgt (ausgehend von der zutreffenden Gegenleistung i.H.v. 541.000 €) die GrESt 18.935 € (vgl. § 11 Abs. 1 GrEStG).
b) Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Juni 2018 wurde auch mit dem beim FA am 12. September 2019 eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig, d.h. fristgerecht angegriffen. So ist der Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. Juni 2018 erst am 9. September 2019 wirksam bekannt gegeben worden.
aa) Nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO steht dem FA grundsätzlich ein Ermessen hinsichtlich der Bekanntgabe von Verwaltungsakten (VA) gegenüber einem Bevollmächtigten zu. Eine Verpflichtung zur Bekanntgabe eines VA an den Bevollmächtigten besteht nur dann, wenn ein Bevollmächtigter eindeutig und unmissverständlich gerade (auch) als Bekanntgabeadressat bestellt worden ist und sich dies unmittelbar aus einer diesbezüglichen Erklärung des Steuerpflichtigen bzw. seines Bevollmächtigten ergibt (§ 122 Abs. 1 Satz 4 AO; Urteil des Bundesfinanzhofs -BFHvom 05. Oktober 2000 VII R 96/99, BFHE 193, 41, BStBl II 2001, 86; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 AO Rn. 43 m.w.N.). Wird der Steuerbescheid statt dem empfangsbevollmächtigten Steuerberater dem Steuerpflichtigen persönlich bekannt gegeben, genügt es für die Heilung des Bekanntgabemangels, dass der Bescheid in der Kanzlei des Steuerberaters eingeht. Es ist nicht erforderlich, dass der Steuerberater den Bescheid zur Kenntnis nimmt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Februar 2013 II B 113/12 -, juris m.w.N.).
bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen gilt im Streitfall Folgendes:
(1) Der Kläger hat seinem Steuerberater, dem Prozessbevollmächtigten, ausdrücklich als Empfangsbevollmächtigten i.S.d. § 122 Abs. 1 AO bestellt, so dass das Ermessen des FA nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO hinsichtlich der Auswahl des Bekanntgabeadressaten auf Null reduziert war. Der Kläger hatte dem FA – zwischen den Beteiligten unstreitig – am 20. Juni 2017 die zu Gunsten seines steuerlichen Vertreters erteilte Empfangsvollmacht übermittelt, so dass der streitgegenständliche GrESt-Bescheid vom 27. Juni 2018 an dessen steuerlichen Vertreter, den Prozessbevollmächtigten, bekanntgemacht hätte werden müssen. Hierbei ist es nach Auffassung des Gerichts unbeachtlich, dass sich das FA abweichend von der Rechtslage auf rein technische Fragen im Zusammenhang mit dem Abruf aus der Vollmachtsdatenbank (§ 80a AO) beruft und hieraus meint ableiten zu können, dass die vom Kläger für alle Steuerarten erteilte Empfangsvollmacht nicht auch für die Bekanntgabe von GrESt-Bescheiden gelten soll. Wie aus den in der GrESt-Akte befindlichen Unterlagen ersichtlich, ist es – wenn auch möglicherweise mit zusätzlichem Arbeitsaufwand für das FA verbunden – möglich, die Empfangsvollmacht aus der Vollmachtsdatenbank abzurufen. Daher ist nach Ansicht des Gerichts der Einwand des FA unbeachtlich, dass die unter der (zur ESt erteilten) Steuernummer eingereichte Empfangsvollmacht keine Wirkung bzgl. der GrESt haben soll. Zum einen war auf der vom Kläger dem FA übermittelten Empfangsvollmacht auch die Steueridentifikationsnummer des Klägers aufgeführt und zum anderen hat der Kläger die Empfangsvollmacht auch uneingeschränkt für alle Steuerarten erteilt, wie auch durch den in der GrESt-Akte befindlichen Ausdruck, auf den an dieser Stelle nochmals verwiesen wird, klarstellend aufgeführt ist.
(2) Gleichwohl hat das FA den GrESt-Bescheid vom 27. Juni 2018 ausschließlich dem Kläger als Inhaltsadressaten bekanntgemacht. Hiermit ist jedoch – entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen – die Rechtsbehelfsfrist noch nicht in Lauf gesetzt worden. Der Bekanntgabefehler ist jedoch durch die – dem Grunde und dem Zeitpunkt nach zwischen den Beteiligten unstreitige – Weiterleitung des o.g. Steuerbescheids an den Empfangsbevollmächtigten am 9. September 2019 geheilt worden. Die einmonatige Rechtsbehelfsfrist (§ 355 Abs. 1 AO) war danach bei Einlegung des Einspruchs am 12. September 2019 noch nicht abgelaufen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und dem Vollstreckungsschutz folgt aus §§ 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.


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