Steuerrecht

Besteuerung von Veräußerungsgewinnen

Aktenzeichen  7 K 498/19

Datum:
15.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2021, 573
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 20 Abs. 3
EStG § 16 S. 1 Nr. 2, § 17 Abs. 1 S. 1, § 34
AO § 164 Abs. 2 S. 2, § 360 Abs. 1
FGO § 100 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Veräußert der Steuerpflichtige eine langjährig (hier: seit 1999) gehaltene Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft unter Geltung des Teileinkünfteverfahrens (hier: im Streitjahr 2012), so ist der Veräußerungsgewinn nach der im Veräußerungsjahr geltenden Gesetzeslage (Steuerbefreiung nach dem Teileinkünfteverfahren in Höhe von 40 % gem. § 3 Nr. 40c EStG) zu besteuern. Es ist nicht verfassungswidrig und verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG, dass ein unter Geltung des Teileinkünfteverfahrens realisierter Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG auch insoweit nach dem Teileinkünfteverfahren in Höhe von 60 % besteuert wird, als damit Wertsteigerungen erfasst werden, die noch vor dem 1.1.2009 und damit unter der Geltung des Halbeinkünfteverfahrens entstanden sind. Es besteht daher kein Anspruch darauf, dass der Veräußerungsgewinn zeitlich auf die Zeit vor und nach Einführung des Teileinkünfteverfahrens aufgeteilt wird und der auf die Zeit vor Einführung des Teileinkünfteverfahrens entfallende Teil des Veräußerungsgewinns entsprechend dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren nur zu 50 % besteuert wird.
2. Veräußert der Steuerpflichtige eine langjährig (hier: seit 1968) gehaltene Beteiligung an einer Personengesellschaft im Streitjahr 2012, so ist der Veräußerungsgewinn iSd § 16 I 1 Nr. 2 EStG nach der im Veräußerungsjahr geltenden Gesetzeslage (unter anderem halber durchschnittlicher Steuersatz nach § 34 III EStG 2012 maximal für einen Teilbetrag des Veräußerungsgewinns in Höhe von 5.000.000 EUR) zu besteuern. Es ist nicht verfassungswidrig, dass während der Haltedauer der Beteiligung bei einer früheren Veräußerung ein Veräußerungsgewinn zeitweise in voller Höhe bzw. betragsmäßig in höherem Umfang einem ermäßigten Steuersatz unterlegen hätte und dass bei der nunmehrigen tatsächlichen Veräußerung im Jahr 2012 Wertsteigerungen nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, die in Veranlagungszeiträumen entstanden sind, in denen die Begrenzung nach § 34 III EStG 2012 noch nicht oder noch nicht in dieser Höhe bestanden hat. Es besteht daher auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, dass die in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven auf die Haltedauer zu verteilen und nach der damals jeweils gültigen Rechtslage abschnittsweise zu besteuern sind.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Streitig ist die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen.
Der Kläger war seit 1968 als unbeschränkt haftender Gesellschafter an der Firma H beteiligt, einer Kommanditgesellschaft schweizerischen Rechts mit Sitz in X, Schweiz, und Betriebsstätte in A. Seine bei der H geführten Kapitalkonten wiesen zum 31. Dezember 2011 folgende Werte auf:
Kapitalkonto I (Einlagen) laut Bilanz per 31. Dezember 2011: 624.082,87 € Kapitalkonto II (Rücklagen) laut Bilanz per 31. Dezember 2011: 2.623.071,00 €
Außerdem war der Kläger seit 1999 mit einem Anteil von 33,33% an der H Holding AG beteiligt, einer Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Geschäftsleitung und Sitz in X, Schweiz, und Betriebstätte in A. Im Jahr 1999 beliefen sich die Anschaffungskosten auf 3.242.097,39 €. Die Anteile an der H Holding AG hielt der Kläger in seinem Privatvermögen, sie wurden nicht als Sonderbetriebsvermögen bei der H behandelt. Mit Vertrag vom 1. Dezember 2012 schied der Kläger gegen eine Abfindung in Höhe von 40.000.000 € aus der H aus und veräußerte seine Aktien an der H Holding AG zu einem Kaufpreis von 22.584.000 €. Als Vollzugstag wurde der 21. Dezember 2012 festgesetzt.
Mit Schreiben vom 18. Juli 2013 beantragte der Kläger, die Besteuerung des Wertzuwachses der Anteile an der H Holding AG im Verhältnis der Zeitanteile vor und nach dem Übergang vom Halbeinkünfteverfahren auf das Teileinkünfteverfahren aufzuteilen und nach der im jeweiligen Jahr geltenden Rechtslage zu besteuern. Dabei berief er sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 sowie 2 BvL 14-02, 2/04, 13/05, Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BStBl II 2004, 284) sowie das BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010 (BStBl I 2011, 14). Da der Kläger die Aktien im Zeitraum 1999 bis Dezember 2012 gehalten habe, bliebe bei der Besteuerung im Jahr 2012 unberücksichtigt, dass zwischen den Jahren 2000 und 2008 Gewinne aus der Veräußerung wesentlicher Anteile gem. § 3 Nr. 40 Buchst. c Einkommensteuergesetz (EStG) nur zu 50% steuerpflichtig gewesen seien (Halbeinkünfteverfahren). Somit sei der auf die Jahre 2000 bis 2008 entfallende Anteil von 9/13 des Veräußerungsgewinns nach dem Halbeinkünfteverfahren mit 50% und der auf die Jahre 2009 bis 2012 entfallende Anteil von 4/13 nach dem Teileinkünfteverfahren mit 60% zu versteuern. Nur auf diese Weise werde dem in Einkommensteuerrecht verankerten Grundsatz der Abschnittsbesteuerung Rechnung getragen und eine verfassungswidrige nachträgliche Entwertung einer bereits entstandenen Vermögensposition vermieden.
Davon abweichend vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass für die Besteuerung der Zeitpunkt der Realisierung der Veräußerungsgewinne und damit die für das Streitjahr 2012 geltende Rechtslage maßgebend sei. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2014 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2012 auf 15.785.566 € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung fest.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2015 beantragte der Kläger, den Einkommensteuerbescheid 2015 nach § 164 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO) dahingehend zu ändern, dass der Gewinn aus der Veräußerung seiner Anteile an der H Holding AG nicht in Höhe von 10.126.605,78 €, sondern in Höhe von 8.958.151,27 € der Besteuerung unterworfen werde. Mit Verfügung vom 20. Mai 2015 lehnte das Finanzamt den Antrag ab. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 1. Juni 2015 Einspruch ein, den er mit Schreiben vom 2. November 2015 auf den Veräußerungsgewinn im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden aus der H erweiterte.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens machte der Kläger weitere Veräußerungskosten geltend (vgl. Schreiben vom 10. Oktober 2016, die das Finanzamt in Abstimmung mit den Feststellungen einer für den H Konzern durchgeführten Betriebsprüfung berücksichtigte (vgl. Schreiben des Betriebsprüfers des Finanzamts Z vom 5. Juli 2017. Der Gewinn aus der Veräußerung der im Privatvermögen gehaltenen Aktien der Firma H Holding AG i.S.d. § 17 EStG wurde mit 15.274.901,00 € ermittelt. Der Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der H i.S.d. § 16 EStG wurde mit rechtskräftigem Feststellungsbescheid vom 10. August 2018 mit 23.884.432,20 € festgestellt.
Am 11. Dezember 2018 erließ das Finanzamt einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid und setzte die Einkommensteuer mit 14.982.903 € fest. Die Besteuerung der Veräußerungsgewinne erfolgte nach §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 EStG bzw. §§ 17 Abs. 1 Satz 1, § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG in den für das Streitjahr 2012 geltenden Fassungen.
Mit Verfügung vom 17. Januar 2019 wurde die Ehefrau des Klägers, Frau …, nach § 360 Abs. 1 AO zum Verfahren hinzugezogen. Mit Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2019 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der hiergegen erhobenen Klage wiederholt und vertieft der Kläger seinen Vortrag aus dem Einspruchsverfahren. Die – der Höhe nach unstreitigen – steuerpflichtigen Gewinne aus der Veräußerung seiner Beteiligungen an der H. und der H Holding AG seien unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum rechtstaatlichen Vertrauensschutz herabzusetzen (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05; 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05; 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06). Die in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven seien auf die Haltedauer zu verteilen und nach der jeweils gültigen Rechtslage abschnittsweise zu besteuern.
In seiner Entscheidung zur Verlängerung der Haltefrist für Grundstücke im Privatvermögen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG von zwei auf zehn Jahre sowie zur Absenkung der Beteiligungsgrenze in § 17 Abs. 1 EStG von 25% auf 10% definiere das Bundesverfassungsgericht eine schützenswerte „konkret gefestigte Vermögensposition“ in dem Sinne, dass sich in der Zeit Wertzuwächse gebildet hätten, die zum Zeitpunkt ihrer Bildung im steuerfreien Bereich gelegen hätten. Sofern der Gesetzgeber durch eine spätere Gesetzesänderung auf solche steuerfrei gebildeten Wertzuwächse zugreife – insbesondere durch eine Verschärfung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen – liege eine unechte Rückwirkung vor, an die erhöhte Anforderungen hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit zu stellen seien. Ohne die Gesetzesverschärfung hätte der Steuerpflichtige die stillen Reserven steuerlich günstiger realisieren können. Die Verschlechterung der Steuerrechtslage für den Steuerpflichtigen begründe somit einen Verstoß gegen das Gebot des Vertrauensschutzes.
Das Bundesverfassungsgericht habe außerdem deutlich gemacht, dass es auf die tatsächliche Realisierung zwischenzeitlich entstandener stillen Reserven nicht ankomme. Vor dem Gleichheitssatz besonders rechtfertigungsbedürftig sei allein der Umstand, dass eine verschärfte Veräußerungsgewinnbesteuerung das Jahressteuerprinzip nicht mehr konsequent und widerspruchsfrei umsetze, sondern auch Gewinne erfasse, die unter Geltung des Jahressteuerprinzips gerade nicht hätten besteuert werden dürfen.
Auch Prof. … komme in dem vom Kläger in Auftrag gegebenen Gutachten …zu dem Ergebnis, dass die nach früherem Recht günstigeren Regeln der Veräußerungsgewinnbesteuerung dem Grunde nach eine schutzwürdige Vertrauensposition des Klägers begründet hätten. Dies gelte sowohl hinsichtlich der Veräußerung der Mitunternehmeranteile als auch hinsichtlich der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsanteile. Die volle Erfassung aller Wertsteigerungen bei einer Veräußerung nach § 17 EStG nach dem Übergang vom Halbauf das Teileinkünfteverfahren sei als unmittelbarer Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu bewerten. In den Veranlagungszeiträumen 1999 und 2000 habe das frühere Anrechnungsverfahren gegolten, die Vorschrift des § 3 Nr. 40 EStG sei noch nicht in Kraft gewesen. Ab dem Veranlagungszeitraum 2001 habe das Halbeinkünfteverfahren gegolten, da es sich bei der H Holding AG um eine ausländische Kapitalgesellschaft gehandelt habe. Somit sei die Hälfte des Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG gemäß § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG a.F. steuerfrei gewesen. Diese Steuerbefreiung sei durch das Unternehmersteuerreformgesetz 2008 ab dem Veranlagungszeitraum 2009 auf 40% abgesenkt worden. Die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns unter dem Teileinkünfteverfahren verletze den verfassungsrechtlich garantierten Vertrauensschutz soweit Wertsteigerungen erfasst würden, die bereits vor Einführung des Teileinkünfteverfahrens im Jahr 2009 entstanden seien.
Die Verschärfung der Rechtslage betreffe auch die Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 EStG im Zusammenhang mit der Veräußerung seiner Anteile an der H. Technisch habe der Gesetzgeber jedoch das Ziel verfolgt, Härten auszugleichen, die sich wegen der progressiven Ausgestaltung des Einkommensteuertarifs ergeben können, wenn bestimmte Einkünfte zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum erzielt bzw. über viele Jahre hinweg kumulierte stille Reserven auf einmal im Veräußerungszeitpunkt bezogen würden. Würde man im Veräußerungszeitpunkt – im Streitfall im Jahr 2012 – auf den Veräußerungsgewinn die Steuer nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage festsetzen, bliebe unberücksichtigt, dass in diesem Veräußerungsgewinn stille Reserven aus Veranlagungszeiträumen enthalten seien, in denen der Gesetzgeber zur Vermeidung von Härten der Steuerprogression eine weitergehende Begünstigung vorgesehen habe. Auch insoweit liege ein Verstoß gegen das Gebot des Vertrauensschutzes vor.
Die vom Finanzamt vorgenommene Besteuerung im Veräußerungszeitraum lasse sich nicht damit rechtfertigen, dass zwischen der jeweiligen gesetzlichen Änderung, durch die sich die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen der Veräußerungsgewinnbesteuerung verschlechtert hätten, und dem Veräußerungszeitpunkt bereits einige Jahre verstrichen seien. Es spiele keine Rolle, dass der Kläger seinen Mitunternehmeranteil bzw. seine Kapitalgesellschaftsbeteiligung erst 13 bzw. 5 Jahre nach den gesetzlichen Änderungen (Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999, BGBl I 1999, 402 bzw. Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912) veräußert habe. Vorliegend gehe es um den Vertrauensschutz für bereits in der Vergangenheit entstandene Wertsteigerungen. Den Motiven des Gesetzgebers lasse sich insoweit kein Rechtfertigungsgrund entnehmen.
Zu Unrecht stelle das Finanzamt im Rahmen des Vertrauensschutzes darauf ab, ob eine verbindliche Disposition über den Vermögensgegenstand stattgefunden habe. Nach der bindenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 sei eine Disposition bei einem rückwirkenden steuerrechtlichen Zugriff auf in der Vergangenheit gebildete Wertzuwächse gerade nicht erforderlich.
Das Finanzamt verkenne auch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, nach der bei der rückwirkend verschärfenden Besteuerung von in der Vergangenheit entstandenen stillen Reserven das Realisationsprinzips zu modifizieren sei, um auch unter Folgegerechtigkeitsgesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) der gesetzgeberischen Grundentscheidung der periodischen Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerecht zu werden. Mithin sei eine Besteuerung nach den schärferen Regelungen im Realisationszeitpunkt zu korrigieren, wenn es durch eine Besteuerung nach diesen Regelungen nicht mehr lediglich zu einem „Nachholen“ der Besteuerung, sondern zu einer Besteuerung vorhandener Vermögensgestände kommen würde, deren Zuerwerb nicht der Einkommensteuer unterlegen habe. Dieser verfassungsrechtliche Modifikationsauftrag gelte sowohl für vollständig als auch teilweise steuerfrei gebildete Wertzuwächse.
Daher sei im Streitfall die Vereinfachungsmethode anzuwenden, die im BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010 (DStR 2011, 31) dargestellt sei. Der gesamte Wertzuwachs (Veräußerungsgewinn) müsse auf die gesamte Haltedauer des Mitunternehmeranteils bzw. der Kapitalgesellschaftsbeteiligung linear verteilt werden. Sodann sei zu berechnen, welcher steuerlichen Belastung der Kläger ausgesetzt gewesen wäre, wenn er die dem jeweiligen Veranlagungszeitraum zuzuordnenden Wertzuwächse realisiert hätte. Die Summe der jeweiligen Steuerbelastungen, die der Kläger hätte tragen müssen, wenn er die Wertsteigerungen zeitanteilig sukzessive in den Veranlagungszeiträumen realisiert hätte, sei schließlich der Steuerbelastung gegenüberzustellen, die das Finanzamt nach der Rechtslage 2012 für zutreffend halte. Dies ergebe die verfassungsrechtlich gebotene Belastungsmilderung. Zur weiteren Vereinfachung solle ein Spitzensteuersatz von 45% auf die jeweilige Wertsteigerung im Veranlagungszeitraum angewandt werden. Nach den vom Kläger vorgenommenen Berechnungen ergebe sich insoweit ein Veräußerungsgewinn nach §§ 17, 3 Nr. 40 Buchst. c EStG von 3.936,671,16 € und nach §§ 16, 34 EStG von 6.673.570,43 €.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Ablehnung des Änderungsantrags vom 20. Mai 2015 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2019 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid für 2012, letztmals geändert am 9. Juli 2020, dahingehend zu ändern, dass die tarifliche Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils an der H. auf 6.673,570,43 € und die tarifliche Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der Kapitalgesellschaftsbeteiligung an der H Holding AG auf 3.936.671,16 € herabgesetzt wird, hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, hilfsweise die Zulassung der Revision zum Bundesfinanzhof.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Im Streitfall sei die Gesetzeslage im Veräußerungszeitpunkt anzuwenden. Gewinne entstünden erst dann, wenn zumindest das wirtschaftliche Eigentum auf den Erwerber übergehe. Dies gelte auch für die Frage, ob in zeitlicher Hinsicht für einen Veräußerungsgewinn i.S.d. § 17 EStG noch das Halbeinkünfteverfahren oder bereits das Teileinkünfteverfahren Anwendung finde.
Die Frage des Vertrauensschutzes sei anhand der Maßstäbe für eine unechte Rückwirkung zu prüfen. Davon gehe auch das vom Kläger eingereichte Gutachten von Prof. … aus. Es sei jedoch zu beachten, dass nicht jede belastende Rückwirkung unzulässig sei. Auch das Bundesverfassungsgericht habe ausgeführt, dass der Bürger nicht darauf vertrauen könne, dass das bestehende Recht auch in Zukunft unverändert erhalten bleibe. Eine Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Wertzuwächse sei nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte einzustufen.
Die Mitunternehmerbeteiligung des Klägers an der H sei seit dem Jahr 1968 steuerverstrickt gewesen. Die Aufdeckung der stillen Reserven durch eine mögliche Veräußerung der Mitunternehmerbeteiligung hätte fortwährend zu einer Besteuerung nach der jeweils geltenden Fassung des EStG geführt. Nicht erst mit Inkrafttreten des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 und der Einführung der für den Kläger ungünstigeren Umgestaltung des § 34 EStG sei es zu einer Besteuerung der stillen Reserven im Fall einer Veräußerung gekommen.
Auch die Wertsteigerungen der gehaltenen AG-Anteile des Klägers seien fortlaufend steuerverstrickt gewesen. Während der gesamten Haltedauer wären Veräußerungsgewinne – wenn auch nach unterschiedlichen Verfahren – besteuert worden. Anders als in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen zur Spekulationsfrist des § 23 Nr. 1 EStG bzw. der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Abs. 1 EStG sei es nach den jeweiligen Gesetzesänderungen jedoch nicht zu einer erstmaligen bzw. erneuten Steuerverstrickung gekommen.
Im Streitfall sei von dem allgemein gültigen Grundsatz auszugehen, nach dem die allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genieße (vgl. BVerfGE 38, 61, 839). Solange das Vermögen der Besteuerung unterliege bzw. ein Wirtschaftsgut ab Anschaffung steuerverstrickt sei, könne daher keine geschützte Rechtsposition in das Vertrauen auf das Fortbestehen der gegenwärtigen Rechtslage entwickelt werden. Der Steuerpflichtige müsse jederzeit mit einer für ihn auch ungünstigen Änderung der Besteuerung rechnen. Insoweit werde auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Oktober 2010 (IX R 56/09) verwiesen. Der BFH halte die Änderung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStG auch nach der modifizierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter Verweis auf das Fehlen einer prinzipiellen Kontinuitätsgewähr für verfassungsgemäß. Im Übergang vom halben Steuersatz zur Fünftel-Regelung durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 habe der BFH keinen Verstoß gegen den rechtsstaatlich gewährleisteten Vertrauensschutz gesehen.
Selbst wenn man jedoch eine schutzwürdige Vertrauensposition des Klägers bejahen sollte, sei deren Enttäuschung verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Abschaffung des Anrechnungsverfahrens sei europarechtlich zwingend geboten gewesen. Die Einführung des Teileinkünfteverfahrens habe der Belastungsgleichheit im Rahmen der Anpassung der steuerlichen Gesamtbelastung der Gesellschaft und deren Anteilseigner im Zuge der Absenkung der Belastung der Körperschaften und einer wirtschaftlichen Einmalbelastung der Gewinne der Gesellschaft gedient.
Im Übrigen würde die Unterteilung und gesonderte Besteuerung steuerfrei erworbener Wertsteigerungen unter dem Halbeinkünfteverfahren eine hypothetisch unterstellte Veräußerung in diesen Jahren voraussetzen und mögliche Wertschwankungen nicht berücksichtigen. Schätzungen oder die Aufteilung des tatsächlichen Veräußerungsgewinns pro rata temporis wären zu pauschal und entsprächen auch nicht einer rechtmäßigen abschnittsweisen Besteuerung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten, auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze und auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Einkommensteuerbescheid 2012 vom 11. Dezember 2018 und die Einspruchsentscheidung vom 24. Januar 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
1. Da die Höhe des Gewinns nach §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 EStG aus der Veräußerung der Anteile an der H unstreitig ist, ist nicht im Feststellungsverfahren, sondern im vorliegenden Verfahren über die vorliegend im Streit stehende Rechtmäßigkeit der sich aus § 34 Abs. 3 EStG ergebenden Tarifermäßigung zu entscheiden (vgl. auch Wacker in Schmidt, EStG, 39. Auflage 2020, § 34 Rn. 65). Das Finanzamt hat die der Höhe nach unstreitigen Veräußerungsgewinne aus der Veräußerung der Anteile an der H sowie an der H Holding AG jeweils zutreffend gem. §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 EStG und §§ 17 Abs. 1 Satz 1, § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG der Einkommensteuer unterworfen.
1.1. Die Gewinne aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Gewinne aus der Veräußerung des gesamten Anteils eines Gesellschafters, der als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), sind gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG wie Gewinne aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs zu beurteilen. Die Besteuerung erfolgt in dem Jahr, in dem der Gewerbetrieb veräußert wurde, und zwar zu den für dieses Jahr geltenden Vorschriften und Steuersätzen. Entscheidend ist der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums.
Eine Veräußerung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG ist grundsätzlich kein laufendes, sondern stellt ein einmaliges und steuerlich punktuell zu erfassendes Ereignis dar. Der Steuerpflichtige beendet seine bisherige gewerbliche Tätigkeit und erzielt durch die Übertragung des Betriebsvermögens im Rahmen eines einheitlichen Vorgangs und die Aufdeckung der stillen Reserven einen Veräußerungsgewinn, der im Veranlagungszeitraum seiner Realisierung zu versteuern ist. Über § 16 Abs. 4 EStG (Freibetrag) und § 34 EStG ist dieser geballt anfallende Veräußerungsgewinn tarifwirksam begünstigt (§ 34 Abs. 1 EStG, sog. Fünftel-Regelung, oder auf Antrag gem. § 34 Abs. 3 EStG, sog. halber Steuersatz, wenn hiermit die zusammengeballte Aufdeckung der stillen Reserven einhergeht (Kobor in: Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 16 EStG, Rn. 445 und Patt in: Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 16 EStG, Rn. 320).
1.2. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war. Gemäß § 17 Abs. 3 EStG wird der Veräußerungsgewinn zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er den Teil von 9.060 Euro übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht. Der Freibetrag ermäßigt sich um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn den Teil von 36.100 Euro übersteigt, der dem veräußerten Anteil an der Kapitalgesellschaft entspricht. Nach § 3 Nr. 40 Buchst. c Satz 1 EStG sind nach dem Teileinkünfteverfahren 60 v. H. des Veräußerungsgewinns steuerbar. Gemäß § 3c Abs. 2 EStG sind 60 v.H. der Anschaffungskosten und der Veräußerungskosten zu erfassen.
Auch der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG ist grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der Veräußerung, d.h. der Zeitpunkt, zu dem das rechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Anteilen auf den Erwerber übergegangen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 18. November 2014 IX R 30/13, Rn. 17 – 18, juris, m.w.N., vgl. auch Schmidt in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 17 EStG, Rn. 163 m.w.N.) Wertsteigerungen im Rahmen des § 17 sind im Zeitpunkt ihrer Realisation zu versteuern.
2. Die vom Finanzamt vorgenommene Besteuerung entspricht dem geltenden Recht. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der im Streitjahr angewandten Vorschriften bestehen nach Auffassung des Senats keine Bedenken. Die im Streitjahr 2012 geltenden Fassungen der § 3c EStG und § 34 EStG verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG) herzuleitende Rückwirkungsverbot, so dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Betracht kommt.
2.1. Dem Kläger ist zuzustimmen, dass mit den Veräußerungsvorgängen im Jahr 2012 stille Reserven offengelegt wurden, die seit dem Jahr 1968 (H) bzw. dem Jahr 1999 (H Holding AG) gebildet wurden und im Zeitpunkt ihrer Entstehung teilweise deutlich günstigeren Entlastungsregelungen als im Veranlagungszeitraum 2012 unterlagen (vgl. zur Rechtsentwicklung des § 34 EStG Horn in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 34 EStG, Rn. 2 sowie zur Besteuerung der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften vgl. Schulte/Bron in: Bott/Walter, KStG, 1. Aufl. 1996, 143. Lieferung, § 17 EStG, Rn. 173, Rn. 22).
So bestimmte sich der Besteuerungsrahmen des § 34 Abs. 1 EStG in den Veranlagungszeiträumen 1968 bis 1987 durch einen gesetzlich bestimmten Steuersatz in Höhe der Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes (vgl. zur Rechtsentwicklung des § 34 EStG Horn in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 34 EStG, Rn. 2). Mit dem Inkrafttreten des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) und dem Änderungsgesetz zum Steuerreformgesetz 1990 vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1989, 1267) wurde die Höhe der begünstigungsfähigen Veräußerungsgewinne auf 30 Mio. DM beschränkt. Mit dem Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 (BGBl I 1997, 2590) wurde dieser Höchstbetrag für die Veranlagungsperiode 1998 auf 10 Mio. DM herabgesetzt.
Durch das Steuerentlastungsgesetz vom 24. März 1999 (BGBl. I 1999, 402) wurde die Regelung über den halben durchschnittlichen Steuersatz rückwirkend zum 1.1.1999 durch eine Progressionsglättung nach Art der bis dahin für Einkünfte aus mehrjährigen Tätigkeiten geltenden Regelung (Fünftelung dieser Einkünfte und Verfünffachung der darauf entfallenden ESt) ersetzt und die Anwendung des besonderen Steuersatzes von der Stellung eines darauf gerichteten – unwiderruflichen – Antrags abhängig gemacht. Durch das Steuersenkungsergänzungsgesetz vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I 2000, 812) wurde ab dem Veranlagungszeitraum 2001 durch einen neu angefügten § 34 Abs. 3 EStG für Veräußerungsgewinne i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG alternativ zur Fünftel-Regel des § 34 Abs. 1 EStG unter bestimmten Voraussetzungen die Regelung über den halben durchschnittlichen Steuersatz in eingeschränktem Umfang wiederhergestellt (Horn in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 34 EStG, Rn. 2)
Im Zusammenhang mit der Veräußerung der AG-Anteile war für Veräußerungsgewinne in den Veranlagungszeiträumen 1998 bis 2000 der begünstigte Steuersatz nur insoweit anzuwenden, als diese den Betrag von 15 Mio. DM pro Veranlagungszeitraum nicht überstiegen. Für den Veranlagungszeitraum 2001 galt statt des Betrags von 15 Mio. DM der Betrag von 10 Mio. DM pro Veranlagungszeitraum (vgl. § 52 Abs. 24a EStG). Mit dem Steuersenkungsgesetz (vom 23. Oktober 2000, BGBl I 2000, 1433) wurde das seit 1977 gültige körperschaftsteuerrechtliche Anrechnungsverfahren mit Wirkung zum 1. Januar 2001 durch das sog. Halbeinkünfteverfahren ersetzt. Für Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr galt das Halbeinkünfteverfahren mit der Folge, dass sowohl der Veräußerungspreis/der gemeine Wert der Anteile zur Hälfte steuerbefreit ist (§ 3 Nr. 40 Buchst. c EStG a.F.) als auch die im Zusammenhang mit der Veräußerung stehenden Kosten sowie die Anschaffungskosten nur noch zur Hälfte in Abzug gebracht werden dürfen (§ 3c Abs. 2 EStG a.F.). Ab dem Veranlagungszeitraum 2009 gilt das Teileinkünfteverfahren mit der Folge, dass nicht 50%, sondern nur noch 40% sowohl des Veräußerungserlöses, der Veräußerungskosten, als auch der Anschaffungskosten außer Betracht bleiben (Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912, vgl. Schulte/Bron in: Bott/Walter, KStG, 1. Aufl. 1996, 143. Lieferung, § 17 EStG, Rn. 173, Rn. 22).
2.2. Im Zusammenhang mit der Verschärfung von Besteuerungsvorschriften ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwischen einer verfassungsrechtlich regelmäßig unzulässigen echten Rückwirkung und einer so genannten unechten Rückwirkung zu unterscheiden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl II 2011, 77; 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86; 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BFH/NV 2010, 1968). Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass eine Rechtsnorm echte Rückwirkung entfaltet, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits für abgeschlossene Tatbestände gelten soll (Rückbewirkung von Rechtsfolgen).
Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden (tatbestandliche Rückanknüpfung), liegt eine unechte Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig, denn die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Lage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren, vielmehr müssen besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl II 2011, 77, m. w. N.). Dabei spielt das Zeitmoment eine entscheidende Rolle. Der Steuerpflichtige kann keinen absoluten verfassungsrechtlichen Schutz beanspruchen, weil er im Hinblick auf das stets in Rechnung zu stellende (mindestens potentielle) Änderungsbedürfnis des Gesetzgebers nicht auf den zeitlich unbegrenzten Fortbestand der einmal geltenden Rechtslage vertrauen kann (BVerfGBeschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl II 2011, 77, m. w. N.). Da der Gesetzgeber typischerweise das Einkommensteuerrecht – dem Periodizitätsprinzip entsprechend – veranlagungszeitraumbezogen ändere, könne über mehr als einen Veranlagungszeitraumwechsel hinweg weniger vertraut werden.
Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei der Gesamtwürdigung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.
2.3. Im Streitfall liegt in der Besteuerung des aus der Veräußerung der Anteile an der H Holding AG insgesamt entstandene Veräußerungsgewinns nach dem Teileinkünfteverfahren nach § 17 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG keine echte Rückwirkung, da durch die im Jahr 2012 geltenden Besteuerungsvorschriften nicht eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abgeändert wurde. Denn die Einkommensteuer entsteht bei periodischen Steuern erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, im Streitfall daher mit Ablauf des 31.12.2012 (§§ 25 Abs. 1, 36 Abs. 1 EStG). Dieser Steueranspruch wurde nicht durch eine spätere Gesetzesänderung abgeändert.
Soweit in dem Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 2 EStG stille Reserven enthalten sind, die bereits zu einem Zeitpunkt entstanden sind, in dem für solche Veräußerungsgewinne noch das Halbeinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 Buchst. 3 EStG in die er von 2001 bis 2008 geltenden Fassung gegolten hat, könnte jedoch eine unechte Rückwirkung vorliegen, da mit dem Gesetz vom 14.8.2007 (BGBl. I S. 1912) der steuerfreie Prozentsatz von Veräußerungsgewinnen nach § 17 Abs. 2 EStG von 50% auf 40% herabgesetzt wurde. Voraussetzung wäre jedoch, dass durch die steuerliche Erfassung von stillen Reserven, die bereits vor der am 14.8.2007 in Kraft getretenen Gesetzesänderung wirtschaftlich entstanden, aber noch nicht durch einen Veräußerungsvorgang realisiert worden sind, „tatbestandlich ein bereits ins Werk gesetzter Sachverhalt ausgelöst“ worden ist. Diese Frage kann indes dahinstehen, da, selbst wenn dieser Vorgang als unechte Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG anzusehen wäre, an seiner Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestehen.
Nach Ansicht des Senats war das Vertrauen des Klägers auf das Fortbestehen von für ihn günstigeren Vorschriften zur Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nicht schutzwürdig. Nach den oben dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konnte er im Hinblick auf das stets in Rechnung zu stellende Änderungsbedürfnis des Gesetzgebers nicht auf den zeitlich unbegrenzten Fortbestand der einmal geltenden Rechtslage vertrauen. Da der Gesetzgeber typischerweise das Einkommensteuerrecht – dem Periodizitätsprinzip entsprechend – veranlagungszeitraumbezogen ändert, kann über mehr als einen Veranlagungszeitraumwechsel hinweg weniger vertraut werden. Die Erwartungen des Steuerpflichtigen an den Fortbestand der bisherigen Rechtslage sind grundsätzlich nicht geschützt (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 5. Dezember 1997 VI R 94/96, BStBl II 1998, 211 und BFHBeschluss vom 21. Januar 2003 X B 106/02, BFH/NV 2003, 618).
Im Streitfall sind die die Besteuerung von stillen Reserven verschärfenden Vorschriften, insbesondere die Besteuerung außerordentlicher Einkünfte nach § 34 EStG (Einführung der Fünftel Regelung) bereits durch das Steuerentlastungsgesetz vom 24. März 1999 in Kraft getreten. Aufgrund des bei der Prüfung des Vertrauensschutzes zu berücksichtigenden zeitlichen Moments erschließt sich dem Senat nicht, inwieweit der Kläger meint, sich bei einem Veräußerungsvorgang im Veranlagungszeitraum 2012 auf für ihn günstigere Besteuerungsvorschriften aus den Jahren vor 1999 berufen zu können.
Der Kläger kann sich auch nicht zu seinen Gunsten auf die in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2010 zur rückwirkenden Verlängerung der Veräußerungsfrist bei Spekulationsgeschäften und zur rückwirkenden Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle bei der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen niedergelegten Rechtsgrundsätze berufen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verlängerung der Spekulationsfrist in § 23 EStG für private Grundstücke von zwei auf zehn Jahre (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 in BStBl II 2011, 77) sowie die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 25% auf 10% bei der Besteuerung privater Anteile an Kapitalgesellschaften im Sinne von § 17 EStG (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 in BStBl. II 2011, 862) als verfassungsrechtlich unzulässige unechte Rückwirkungen angesehen. Die Gesetzesänderungen führten nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes in diesen Fällen dazu, dass Wertsteigerungen steuerlich erfasst wurden, die bei einer Veräußerung bis zur Verkündung des Gesetzes nach der früheren Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Damit habe der Gesetzgeber nachträglich eine konkret verfestigte Vermögensposition entwertet, woraus sich ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf ergibt.
Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Rechtsgrundsätze, die sich auf die grundsätzliche Steuerbarkeit von Veräußerungsvorgängen beziehen, lassen sich auf die hier streitige Frage, ob sich der nach § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG steuerfreie Teil des dem Grunde nach steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns nach § 17 Abs. 2 EStG noch vor Veräußerung der Anteile zu einer verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition gefestigt hat, nicht übertragen. Der Senat folgt nicht den Ausführungen des im Klageverfahren vorgelegten Gutachtens, dass die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Steuerpflichtigen davor schützt, stille Reserven zu ungünstigeren steuerlichen Rahmenbedingungen als im Zeitpunkt ihrer Entstehung versteuern zu müssen (vgl. unter VII abschließende Zusammenfassung). Der Umstand, dass sowohl die Anteile an der H als auch an der H Holding AG seit ihrer Anschaffung durchgehend steuerlich verstrickt waren, steht einer schützenswerten Vertrauensposition des Klägers entgegen. Denn die Aufdeckung der stillen Reserven im Fall einer Veräußerung der Mitunternehmeranteile bzw. der Anteile an der Kapitalgesellschaft hätte seit dem Jahr 1968 bzw. dem Jahr 1999 in jedem Veranlagungszeitraum nach den jeweils geltenden Fassungen der §§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 EStG bzw. des § 17 (vgl. zur Besteuerung die Ausführungen unter 2.1.) stets zu einer Besteuerung geführt. Der Kläger konnte daher nicht darauf vertrauen, dass es bei einer Veräußerung seiner Anteile an der H bzw. der H Holding AG nicht zu einer Besteuerung der stillen Reserven kommen werde. Er kann daher nicht mit Erfolg einwenden, dass durch die im Streitjahr 2012 geltende Besteuerung auch Teile der stillen Reserven erstmals besteuert würden, die in den früheren Veranlagungszeiträumen nicht der Besteuerung unterlägen hätten. Vielmehr musste er aufgrund der fortwährenden steuerlichen Verstrickung damit rechnen, dass eine Besteuerung der stillen Reserven nach den Vorschriften erfolgen wird, die im Zeitpunkt ihrer Realisierung gelten. Wie bereits ausgeführt, wird das Vertrauen auf den zeitlich unbegrenzten Fortbestand der einmal geltenden Rechtslage nicht geschützt.
Im Streitfall steht außerdem nicht einmal ansatzweise fest, in welcher Höhe bei einer Anteilsveräußerung in vorangegangenen Veranlagungszeiträumen mit stillen Reserven zu rechnen gewesen wäre. In den Veranlagungszeiträumen mit einer für den Kläger günstigeren Besteuerung – eine positive Ertragslage der Unternehmen vorausgesetzt – bestanden lediglich Gewinnerwartungen, aber mitnichten konkret verfestigte Vermögenspositionen (vgl. insoweit FG Münster, Urteil vom 22. Mai 2019 7 K 1014/16 E, Rn. 17 – 29, juris zur rückwirkenden Erfassung von Gewinnen aus der Veräußerung von Lebensversicherungen, die vor dem 1.1.2005 abgeschlossen wurden). Wie auch das Finanzamt zutreffend ausgeführt hat, würde die Unterteilung und gesonderte Besteuerung anteilig steuerfrei erworbener Wertsteigerungen unter dem Halbeinkünfteverfahren eine hypothetisch unterstellte Veräußerung in diesen Jahren voraussetzen und mögliche Wertschwankungen nicht berücksichtigen. Schätzungen oder die Aufteilung des im Streitjahr 2012 ermittelten Veräußerungsgewinns entsprechen nicht dem Grundsatz einer abschnittsweisen Besteuerung.
Im Übrigen hat auch das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass Wertsteigerungen im Rahmen des § 17 EStG erst im Zeitpunkt ihrer Realisation zu versteuern sind. Dies hat seinen Grund allein im Prinzip einer vorsichtigen, substanzschonenden Besteuerung. Die Besteuerung ist nicht deshalb auf die Realisation bezogen, weil erst zu diesem Zeitpunkt der Wertzuwachs entsteht, sondern obwohl er bereits vorher beim Steuerpflichtigen entstanden ist. Es wird im Zeitpunkt der Realisation ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen (vgl. BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 in BStBl II 2011, 86). Der Veräußerungsgewinn bzw. -verlust i.S.d. § 17 Abs. 2 EStG entsteht steuerrechtlich also im Zeitpunkt der Veräußerung (Schmidt in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 17 EStG, Rn. 163 m.w.N.).
Ebenso verhält es sich mit dem Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 1 Satz 1 EStG. Insoweit kommt es durch ein einmaliges und steuerlich punktuell zu erfassendes Ereignis zur „zusammengeballten“ Aufdeckung der stillen Reserven. Der hieraus resultierende Veräußerungsgewinn ist im Veranlagungszeitraum seiner Realisierung zu versteuern (vgl. Kobor in: Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 16 EStG, Rn. 445 und Patt in: Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, 296. Lieferung 02.2020, § 16 EStG, Rn. 320).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe ersichtlich ist. Auch die Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist nicht geboten (vgl. Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz i.V.m. § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht).


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