Steuerrecht

Betriebsaufspaltung und minderjährige Kinder

Aktenzeichen  X R 5/19

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.140421.XR5.19.0
Normen:
§ 181 BGB
§ 1626 Abs 1 S 2 BGB
§ 1630 Abs 1 BGB
§ 1643 Abs 3 BGB
§ 1829 Abs 1 BGB
§ 1909 BGB
§ 1915 Abs 1 BGB
§ 1922 BGB
§ 2033 BGB
§ 16 GmbHG
§ 18 Abs 1 GmbHG
§ 35 Abs 1 GmbHG
§ 40 GmbHG
§ 47 Abs 1 GmbHG
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009
R 15.7 Abs 8 S 1 EStR 2012
EStG VZ 2010
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. Die personelle Verflechtung verlangt –abgesehen vom Sonderfall der faktischen Beherrschung–, dass der das Besitzunternehmen beherrschende Gesellschafter auch in der Betriebskapitalgesellschaft die Stimmenmehrheit innehat und dort in der Lage ist, seinen Willen durchzusetzen; eine Beteiligung von exakt 50 % der Stimmen reicht nicht aus (Bestätigung des BFH-Urteils vom 30.11.2005 – X R 56/04, BFHE 212, 100, BStBl II 2006, 415).
2. Sind sowohl ein Elternteil als auch dessen minderjähriges Kind an der Betriebskapitalgesellschaft beteiligt, sind die Stimmen des Kindes jedenfalls dann nicht dem Elternteil zuzurechnen, wenn in Bezug auf die Gesellschafterstellung des Kindes eine Ergänzungspflegschaft angeordnet ist.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 29. Januar 2019, Az: 11 K 1398/16, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 29.01.2019 – 11 K 1398/16 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Der am 03.01.2010 verstorbene V war bis zu seinem Tod alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH (GmbH). Geschäftsgegenstand der GmbH war im Wesentlichen die Ausführung von Bau- und Betonbauarbeiten sowie von Flachdachabdichtungen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags (GV) der GmbH reicht für die Beschlussfassung die einfache Mehrheit der Stimmen aus, soweit in der Satzung oder im Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) nicht zwingend eine andere Mehrheit vorgeschrieben ist. § 5 GV sieht die Möglichkeit vor, den Geschäftsführer von dem Verbot eines Insichgeschäfts nach § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu befreien.
2
Die Klägerin zu 1. und Revisionsbeklagte (Klägerin), Witwe des V, ist die Alleineigentümerin des mit einer Lagerhalle einschließlich Büro- und Sozialtrakt sowie Garagen bebauten Grundstücks. Bereits mit Vertrag vom 26.02.2001 hatte die Klägerin dieses Grundstück an die GmbH verpachtet.
3
Erben des V sind neben der Klägerin (zu ½) ihre beiden Söhne, die Kläger zu 2. und zu 3., zu je ¼. Der Kläger zu 3. war im Streitjahr 2010 noch minderjährig. Die Erbengemeinschaft blieb im Streitjahr ungeteilt.
4
Die Klägerin und der Kläger zu 2. unterzeichneten am 11.01.2010 ein als Protokoll einer Gesellschafterversammlung bezeichnetes Dokument, wonach die Klägerin zur einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführerin der GmbH bestellt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit wurde. Für den Kläger zu 3. unterzeichnete die Klägerin dieses Dokument, wobei sie in einem Klammerzusatz darauf hinwies, sie vertrete den Kläger zu 3. als Erziehungsberechtigte. Die Klägerin wurde zunächst nicht als Geschäftsführerin ins Handelsregister eingetragen.
5
Obwohl die Klägerin nicht über die nach der Handwerksordnung notwendige fachliche Ausbildung verfügte, duldete die Handwerkskammer laut einem Aktenvermerk vom 11.04.2010 bis zum Abschluss der Berufsausbildung des Klägers zu 2. die Fortführung des Betriebs.
6
Mit Beschluss vom 07.06.2010 ordnete das Familiengericht eine Ergänzungspflegschaft für den Kläger zu 3. an. Sie umfasste die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte und -pflichten des Klägers zu 3. in der GmbH.
7
Am 17.06.2010 fasste die Gesellschaftsversammlung der GmbH wiederum den Beschluss, die Klägerin zur einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführerin der GmbH zu bestellen. Diesen Beschluss unterschrieb die Ergänzungspflegerin für den Kläger zu 3. Eine Befreiung der Klägerin von den Beschränkungen des § 181 BGB enthält dieser Beschluss nicht.
8
Die am 13.07.2010 beim Handelsregister eingegangene Gesellschafterliste führte die Erbengemeinschaft, bestehend aus der Klägerin und den Klägern zu 2. und zu 3., als Gesellschafterin der GmbH auf. Der nicht geteilte Geschäftsanteil betrug 25.000 €.
9
Die Klägerin wurde am 14.07.2010 als einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der GmbH in das Handelsregister, allerdings ohne Befreiung von den Beschränkungen nach § 181 BGB, eingetragen.
10
Nachdem die Klägerin zusammen mit der Erbengemeinschaft als Rechtsnachfolgerin des V für das Streitjahr zunächst erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt worden war, ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) die Prüfung der Einkünfte aus der Verpachtung des Grundstücks der Klägerin an.
11
Der Prüfer war der Ansicht, dass mit der Bestellung der Klägerin zur einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführerin am 17.06.2010 neben der bereits bestehenden sachlichen Verflechtung auch eine personelle Verflechtung mit der GmbH eingetreten sei. Gegen ihren Willen habe sie als Geschäftsführerin nicht abberufen werden können. Aufgrund der deshalb vorliegenden Betriebsaufspaltung sei das Grundstück in das Besitzunternehmen der Klägerin einzulegen gewesen. Für die Zeit ab dem 17.06.2010 habe sie aus der Verpachtung des Grundstücks folglich gewerbliche Einkünfte erzielt. Für das nicht streitbefangene Jahr 2012 ging der Prüfer aufgrund der Bestellung der Kläger zu 2. und 3. zu weiteren Geschäftsführern der GmbH von der Beendigung der Betriebsaufspaltung und einem Aufgabegewinn aus.
12
Der vom FA ermittelte Einlagewert des Grundstücks führte zu einer Erhöhung der Summe der Einkünfte der Klägerin um 2.434 €, da die zeitanteilig ermittelte Absetzung für Abnutzung im Besitzunternehmen der Klägerin entsprechend geringer ausfiel. Der Einkommensteueränderungsbescheid vom 15.07.2013 erging gegenüber der Klägerin sowie gegenüber sämtlichen Klägern als Erben nach V.
13
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2019, 1770).
14
Das FA macht mit seiner Revision geltend, das FG habe die Voraussetzungen der Betriebsaufspaltung rechtsfehlerhaft verneint. Neben der sachlichen sei auch die personelle Verflechtung gegeben gewesen, da die Klägerin die geschäftlichen Betätigungen der GmbH beherrscht habe. Dies folge daraus, dass ihr aufgrund der Vermögenssorge zum einen die Stimmrechte des minderjährigen Klägers zu 3. zuzurechnen sei und sie zum anderen am 17.06.2010 zur alleinigen Geschäftsführerin bestellt worden sei. Das FG habe den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12.03.1985 – 1 BvR 571/81 u.a. (BVerfGE 69, 188, BStBl II 1985, 475), der zur Frage der Zusammenrechnung der Anteile von Eheleuten –also von voll geschäftsfähigen Erwachsenen– ergangen sei, rechtsfehlerhaft auch auf das Verhältnis von Eltern und minderjährigen Kindern angewendet. Dies verkenne, dass minderjährige Kinder noch nicht in der Lage seien, die Tragweite ihrer Entscheidung vorauszusehen und einen eigenständigen Willen zu bilden. Weder die Bestellung eines Ergänzungspflegers noch die Genehmigung bestimmter Geschäfte durch das Familiengericht gemäß § 1822 BGB veränderten den Umfang der Vermögenssorge durch den Elternteil. Die Anteile minderjähriger Kinder seien deshalb dem Elternteil zuzurechnen, der die Vermögenssorge innehabe. Somit habe die Klägerin in beiden Unternehmen das Tagesgeschäft beherrscht. Sie habe im Namen des Klägers zu 3. in der Gesellschafterversammlung bei Beschlüssen über Geschäftsführungsmaßnahmen auftreten können. Aufgrund einer teleologischen Reduktion gelte § 181 BGB insoweit nicht.
15
Das FA beantragt,das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
16
Die Kläger beantragen,die Revision zurückzuweisen.
17
Eine Betriebsaufspaltung scheitere an der fehlenden personellen Verflechtung der Klägerin mit der GmbH, da sie nur über einen Anteil von exakt 50 % verfügt habe. Auch habe die Klägerin im Streitjahr für Verwaltungsmaßnahmen einer gerichtlichen Genehmigung bedurft.
18
Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten und unterstützt die Ansicht des FA. Es ergänzt dessen Vortrag insoweit, als es auf die faktische Beherrschung der GmbH durch die Klägerin abstellt.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben