Aktenzeichen X R 25/11
Leitsatz
1. Die Abzinsung einer Rückstellung für die Verpflichtung zur Nachbetreuung von Versicherungsverträgen richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG nach dem Zeitraum bis zur erstmaligen Erfüllung der Bestandspflegepflicht. Diesen hat der Steuerpflichtige darzulegen und mit Stichproben zu belegen (Fortentwicklung der Rechtsprechung in den Senatsurteilen vom 19. Juli 2011 X R 26/10, BFHE 234, 239, BStBl II 2012, 856; X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032, und X R 8/10, BFH/NV 2011, 2035).
2. Steht fest, dass der Steuerpflichtige vertraglich zur weiteren Betreuung der von ihm vermittelten Versicherungsverträge verpflichtet ist und auch tatsächlich entsprechende Nachbetreuungsleistungen erbracht hat, scheitert die Bildung der Rückstellung zwar nicht daran, dass er keine der Rechtsprechung entsprechenden Aufzeichnungen über den Umfang der Betreuungsleistungen vorlegen kann. Da den Steuerpflichtigen aber die Darlegungs- und Beweislast trifft, muss sich die dann vorzunehmende Schätzung des Betreuungsaufwandes im unteren Rahmen bewegen.
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 11. Mai 2011, Az: 2 K 11301/08, Urteilnachgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 18. März 2015, Az: 8 K 155/14, Beschluss
Tatbestand
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I. Die Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 2004 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger erzielte als selbständiger Versicherungsvertreter Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung –EStG–).
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Als Vertreter der V, bestehend aus der A und der B, vermittelte der Kläger sowohl Lebens- als auch Sachversicherungen. Der Vertretervertrag lautete auszugsweise wie folgt:
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§ 3
Aufgaben
1. Der Vertreter ist verpflichtet, die Geschäfte der “…” nach besten Kräften zu fördern und deren Interessen in jeder Hinsicht wahrzunehmen.2. Demzufolge hat er insbesondere a) Versicherungsverträge zu vermitteln, b) den Versicherungsbestand zu pflegen sowie die sich daraus ergebenden geschäftlichen Vorgänge zu erledigen, c) an der Bearbeitung von Schadenfällen nach besonderer Weisung mitzuwirken, d) die Schadenverhütungsbestrebungen der “…” zu unterstützen.
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Für die Vermittlung von Sachversicherungen der B erhielt der Kläger neben der Abschlussprovision zusätzlich eine Verwaltungsprovision für die Pflege des Versicherungsbestandes, für den ihm übertragenen Beitragseinzug, die Mitwirkung bei der Bearbeitung von Schadensfällen und für sonstige ihm nach § 3 des Vertretervertrages obliegende Aufgaben. Für die Vermittlung von Lebensversicherungen der A erhielt der Kläger eine einmalige Abschlussprovision, mit der “die Vermittlung des Versicherungsvertrages und andere Tätigkeiten abgegolten” waren sowie ab Erreichen von bestimmten Grenzen zusätzlich eine Sondervergütung.
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Aufgrund eines Kooperationsvertrages mit der C hielt V ihre Vertreter in einem dem Vertretervertrag beigefügten Merkblatt dazu an, bei sich bietender Gelegenheit als Untervertreter der V Bausparverträge für die C zu vermitteln. Hierfür erhielt der Kläger von der C im Auftrag der V eine einmalige Abschlussprovision. Einmalige Abschlussprovisionen erhielt er zudem für die Vermittlung von Krankenversicherungen der D als “Partner-Produkt”.
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Zum 31. Dezember 2004 befanden sich 53 Krankenversicherungen, 125 Bausparverträge sowie 591 Lebensversicherungsverträge im Bestand des Klägers. In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte er erstmalig Rückstellungen für Bestandspflege sämtlicher Versicherungen, d.h. einschließlich der Sachversicherungen, in Höhe von insgesamt 311.823,58 €. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) erkannte diese Rückstellungen nicht an.
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Im Einspruchsverfahren legten die Kläger Schreiben der V vor, nach denen der vom Kläger zugrunde gelegte Aufwand von zwei Stunden für die Betreuung der Lebensversicherungen nicht als zu hoch gegriffen erscheine. Aufgrund von Stundenzetteln seiner Mitarbeiter für den Monat Dezember 2006 ermittelte der Kläger einen Betreuungsbedarf von 1:38 Stunden pro Lebensversicherungsvertrag im Jahr. Dieser sei allerdings aufgrund des Arbeitsanfalls bei den Kfz-Versicherungen niedriger als im Jahresdurchschnitt.
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Das FA führte in dieser Zeit eine Außenprüfung durch. Der Prüfer vertrat abschließend weiterhin die Auffassung, die Rückstellungen seien bereits dem Grunde nach nicht anzuerkennen. Der Prüfer forderte den Kläger u.a. auf, die Unterlagen zu 30 zufällig ausgewählten Verträgen vorzulegen. Dem kam der Kläger nach Rücksprache mit V aus Datenschutzgründen nicht nach. Der Einspruch blieb daraufhin erfolglos.
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Im Klageverfahren begehrten die Kläger noch Rückstellungen für die Lebensversicherungen, Krankenversicherungen und Bausparverträge in Höhe von insgesamt 188.493,73 €.
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Im Rahmen der vertraglich vereinbarten Betreuung seien beispielsweise Änderungen der Zahlungsnachweise, Änderungen der Bankverbindungen, Änderungen der Adressen sowie Änderungen der Deckung zu berücksichtigen. Bei den Lebensversicherungsverträgen seien außerdem Anträge auf Beitragsfreistellung sowie Beitragsänderungen aufgrund finanzieller Engpässe vorzunehmen. Weiter kämen Änderungen der Laufzeit in Betracht und seien jährliche Auskünfte zum Rückkaufswert zu erteilen. Häufig würden auch Anträge auf Teilauszahlung der Lebensversicherungen oder die Möglichkeit zum Ruhenlassen des Vertrages geltend gemacht. Schließlich seien steuerliche Fragen zu beantworten. Häufig müsse er, der Kläger, bei der Direktion in X Rückfrage halten. Für die Betreuung der Lebensversicherungsverträge sei von einem jährlichen Aufwand von zwei Stunden auszugehen, die Betreuung der Krankenversicherungsverträge erfordere einen Zeitaufwand von einer Stunde, die der Bausparverträge von 30 Minuten.
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Die Klage hatte teilweise Erfolg (Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1691). Für die Lebensversicherungsverträge sah das Finanzgericht (FG) die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung als dem Grunde nach gegeben an. Der Höhe nach schätzte das FG eine Rückstellung in Höhe von 23.272 €. Den Nachbetreuungsaufwand schätzte es dabei auf 20 Minuten je Vertrag und Jahr.
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Für die Bausparverträge sowie die Krankenversicherungen lehnte das FG hingegen die Bildung von Rückstellungen ab. Da es insoweit schon an einer eindeutigen vertraglichen Verpflichtung zur Bestandsbetreuung fehle, befinde sich der Kläger nicht in einem Erfüllungsrückstand.
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Gegen das FG-Urteil wenden sich sowohl die Kläger als auch das FA mit der Revision wegen Verletzung materiellen Rechts.
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Die Kläger machen geltend:
(1) Entgegen der Auffassung des FG seien auch für die Betreuung der Krankenversicherungen und Bausparverträge Rückstellungen zu bilden, da sich der Kläger insoweit ebenfalls in einem Erfüllungsrückstand befunden habe. Aus § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages ergebe sich auch insoweit eine vertragliche Betreuungsverpflichtung.
Die von dem FG für die Lebensversicherungen geschätzte Rückstellung sei der Höhe nach unzureichend, da insoweit von einem Betreuungsaufwand von zwei Stunden pro Vertrag und Jahr auszugehen sei.
(2) Die Revision des FA sei demnach unbegründet.
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Die Kläger beantragen,das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 6. März 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2008 dergestalt zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung einer Rückstellung bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb in Höhe von 95.438,57 € festgesetzt wird, sowie die Revision des FA zurückzuweisen.
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Das FA beantragt,das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Revision der Kläger zurückzuweisen.
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Es ist der Ansicht, entgegen der Würdigung des FG könne aus § 3 Nr. 2 Buchst. b des Vertretervertrages nicht auf einen Erfüllungsrückstand des Klägers und damit auf die Berechtigung zur Bildung einer Rückstellung dem Grunde nach geschlossen werden. Erst recht ergebe sich daraus keine rechtliche Verpflichtung zur Pflege des Bestandes von Produkten Dritter wie den Krankenversicherungen und Bausparverträgen.
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Aber auch dann, wenn die Bildung von Rückstellungen dem Grunde nach möglich sein sollte, stelle sich die Frage nach deren Höhe. Nach den allgemeinen Beweislastregeln habe keine Schätzung erfolgen dürfen. Das FG lasse völlig unberücksichtigt, dass die objektive Beweislast für die behaupteten Betreuungsleistungen beim Kläger liege, die beigebrachten Unterlagen nach den Feststellungen des FG für eine Berechnung der Rückstellung aber völlig unzureichend gewesen seien, insbesondere genügten diese auch nicht den vom Bundesfinanzhof (BFH) gestellten Anforderungen.
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Sei es möglich, auch ohne entsprechende Aufzeichnungen schätzen zu können, erscheine es gerechtfertigt, den zeitlichen Aufwand für die Betreuungsleistungen für die gesamte Laufzeit allenfalls mit einer Stunde pro Lebensversicherungsvertrag zu berücksichtigen. Auch dann komme eine Schätzung nur dann in Betracht, wenn für den Kunden daneben kein Sachversicherungsvertrag vorliege, für den eine entsprechende Betreuungsprovision gezahlt werde.