Steuerrecht

Einheitsbewertung: Schätzung der üblichen Miete bei renoviertem Altbau – Fehlerbeseitigende Wertfortschreibung

Aktenzeichen  4 K 1098/13

Datum:
9.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2017, 1238
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
BewG BewG § 76
BewG BewG § 78
BewG BewG § 79 Abs. 1
BewG BewG § 79 Abs. 2 S. 2
BewG BewG § 79 Abs. 5
BewG BewG § 22 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Die übliche Miete ist nach § 79 Abs. 2 S. 2 BewG grundsätzlich in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung am 1.1.1964 regelmäßig gezahlt wurde.
2. Hat sich durch an dem Gebäude vorgenommene bauliche Maßnahmen der Zustand der Räume so wesentlich verändert, dass sie nicht mehr mit Räumen des ursprünglichen Baujahrs des Gebäudes vergleichbar und deshalb nicht mehr diesem, sondern dem vom FA angenommenen späteren Baujahr zuzuordnen sind, so ist der Berechnung der Jahresrohmiete der diesem Baujahr im Mietspiegel zugeordnete Wert zugrunde zu legen.
3. Eine anderweitige Schätzung der ortsüblichen Jahresrohmiete reicht zur Vornahme einer Fortschreibung zur Fehlerbeseitigung nur dann aus, wenn die ursprüngliche Schätzung (im Streitfall aufgrund zunächst unzutreffender Ermittlung des für die Berechnung der Jahresrohmiete maßgeblichen Baujahrs des Gebäudes) außerhalb jeder vernünftigen Überlegung gelegen hat.

Gründe

II.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der mit Wertfortschreibungsbescheid vom 2. Oktober 2012 vom FA auf den 1. Januar 2012 auf 8.334 EUR festgestellte Einheitswert für das Grundstück des Klägers ist rechtmäßig.
a) Das Finanzamt hat im Rahmen der angegriffenen Fortschreibung der für den Einheitswert maßgebenden Jahresrohmiete zutreffend eine monatliche übliche Miete von 3 DM monatlich pro qm zugrundegelegt.
aa) Dabei hat das FA im Streitfall zu Recht die nach den Wertverhältnissen vom 1.1.1964 für die Einheit 10 übliche Jahresrohmiete anhand des zur Schätzung der üblichen Jahresrohmiete aufgestellten Mietspiegels ermittelt (§ 79 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 BewG).
Nach § 76 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 78 BewG ist bei Zweifamilienhäusern der Grundstückswert u.a. auf der Grundlage der sog. Jahresrohmiete zu ermitteln. Ist – wie hier im Streitfall – der Grundstückswert im Wege einer Fortschreibung neu zu ermitteln, so bestimmt sich gemäß § 79 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 BewG die Jahresrohmiete entsprechend dem gesetzlichen Grundkonzept nach dem Gesamtentgelt, das die Mieter für die Benutzung des Grundstücks aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand im Hauptfeststellungszeitpunkt, den 1. Januar 1964, sowie nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 der Vorschrift zu entrichten haben. Für den Fall, dass – wie hier im Streitfall – bezogen auf den Stichtag 1. Januar 1964 irgendwelche tatsächlich für das Objekt gezahlten Mieten fehlen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) abweichend von der Grundregel entsprechend § 79 Abs. 2 Satz 1 BewG die übliche Miete als Jahresrohmiete anzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 15.Oktober 1986 II R 230/81, BStBl II 1987, 201). Die übliche Miete ist nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG grundsätzlich in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung am 1. Januar 1964 regelmäßig gezahlt wurde. Es entspricht der Rechtsprechung des BFH, dass für die Fortschreibung des Einheitswerts vorrangig die sich aus den von den Finanzämtern für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich erarbeiteten Mietspiegeln ergebende übliche Marktmiete für nicht grundsteuerbegünstigten (freifinanzierten) Wohnraum am 1. Januar 1964 heranzuziehen ist, wenn, wie hier, die übliche Miete dadurch ermittelt worden ist, dass der regelmäßig gezahlte Mietpreis für Räume vergleichbarer Art eines bestimmten Gebiets (ermittelt aus einer ausreichenden Zahl von Hauptfeststellungserklärungen zum 1. Januar 1964) bestimmt worden ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BStBl II 1987, 201 und vom 17. Februar 1999 II R 48/97, BFH/NV 1999, 1452), soweit diese den gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG maßgebenden Kriterien (insbesondere Unterscheidung nach Art, Lage und Ausstattung) für die Schätzung der üblichen Miete entspricht (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. August 1984 III R 41/75, BStBl II 1985, 36; vom 5. Mai 1999 II R 54/97, BFH/NV 2000, 169 und vom 17. Februar 1999 II R 48/97, BFH/NV 1999, 1452; Urteile des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 1997 3 K 227/93, EFG 1998, 13 und vom 24. März 1995 3 K 231/89, EFG 1995, 655). Auch enthält der vom FA vorgelegte Mietspiegel eine ausreichende Differenzierung nach Grundstücksart (u.a. Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser, Eigentumswohnungen 1 Zimmer, 2 und 3 Zimmer, ab 4 Zimmer, Mietwohnungen), Baujahr (vor 21. 6. 1948, 21.6.1948 bis 1959, 1960 und später), Ausstattung (einfach, mittel, gut) sowie der Lage (Differenzierung nach Stadtteilen) und entspricht damit den Kriterien, die nach § 79 Abs.2 Satz 2 BewG für die Schätzung der üblichen Miete durch Vergleich mit vermieteten Grundstücken maßgebend sind.
bb) Ebenfalls zu Recht hat das FA der Berechnung der Jahresrohmiete den Mietspiegelwert für Mietwohnungen Baujahr 1960 und später i.H.v. 3 EUR monatlich pro qm zugrunde gelegt.
Durch nachträgliche Baumaßnahmen kann ein Gebäude so wesentlich verändert werden, dass es bei Anwendung eines Mietspiegels nicht mehr mit Gebäuden des ursprünglichen Baujahrs vergleichbar ist. Hat sich durch die an dem Gebäude vorgenommenen baulichen Maßnahmen der Zustand der Räume so wesentlich verändert, dass sie nicht mehr mit Räumen des ursprünglichen Baujahrs des Gebäudes vergleichbar und deshalb nicht mehr diesem, sondern dem vom FA angenommenen späteren Baujahr zuzuordnen sind, so ist der Berechnung der Jahresrohmiete der diesem Baujahr im Mietspiegel zugeordnete Wert zugrunde zu legen (BFH-Urteil vom 5. Mai 1999 II R 54/97, BFH/NV 2000, 169).
Zwar wurde das Grundstück A bereits im Jahr 1870 mit Vorder- und Rückgebäude bebaut. Nach Ansicht des Gerichts hat sich durch die Gesamtheit der an dem Rückgebäude in den Jahren 2008 bis 2010 vorgenommenen baulichen Maßnahmen der Zustand der vom Kläger erworbenen Räume der Wohnung Nr. 10 so wesentlich verändert, dass sie nicht mehr mit Räumen des Baujahrs 1870, des ursprünglichen Baujahrs des Gebäudes, vergleichbar und deshalb nicht mehr diesem, sondern dem vom FA angenommenen späteren Baujahr 1960 und später zuzuordnen sind.
Insbesondere die folgenden baulichen Maßnahmen waren für die Einschätzung des Gerichts ausschlaggebend: Die Einheit Nr. 10 ist durch Zusammenlegung der bisherigen in der rechten Haushälfte bestehenden Wohneinheiten sowie des Kellers und des vorherigen allgemeinen Treppenhauses zu einer Einheit neu entstanden. Sie ist nicht mehr – anders als die Wohnungen vor Durchführung der Baumaßnahmen – über ein allgemeines Treppenhaus zugänglich, sondern verfügt nunmehr über einen eigenen separaten Eingang. Die Wohnung Nr. 10 wurde mit zwei Bädern im EG sowie im OG ausgestattet. Die Außentoiletten wurden abgebaut. Die Wohnung Nr. 10 erhielt eine Dachterrasse im extensiv begrünten Dachgeschoss. Durch den Abriss von Zwischenwänden wurden in allen Geschossen Räume vergrößert. Die neue Wohnung Nr. 10 wird nicht mehr – wie die Räume im Rückgebäude bisher – mit Einzelöfen, sondern mittels Zentralheizung beheizt. Sie wurde u.a. mit neuen Versorgungsleitungen sowie neuen Isolierglasfenstern und Türen ausgestattet. Diese Baumaßnahmen führen nach Ansicht des Gerichts dazu, dass nicht lediglich von der Sanierung einer vorhandenen Wohnung auszugehen ist. Vielmehr liegt aufgrund des Umfangs der Baumaßnahmen hier eine Neuherstellung einer Wohnung vor.
Nach Ansicht des Gerichts entsprechen die Wohnräume der Wohnung Nr. 10 nach den Verhältnissen vom 1.1.1964 auch (mindestens) guter Ausstattung des Baujahrs 1960 und später, so dass das FA der Berechnung der Jahresrohmiete zu Recht die Mietspiegelmiete in Höhe von 3 DM/qm monatlich für Bauten 1960 und später zugrunde gelegt hat. Ebenfalls zu Recht hat das FA bei der Anwendung des Vervielfältigers gem. § 80 BewG auf das tatsächliche Baujahr des Rückgebäudes abgestellt.
b) Schließlich lagen auch die Voraussetzungen für eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung gem. § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG im Streitfall vor.
Gem. § 22 Abs. 1 BewG wird der Einheitswert neu festgestellt, wenn der Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5.000 Deutsche Mark, oder um mehr als 100.000 Deutsche Mark abweicht. Eine Fortschreibung findet nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Der Fehlerbegriff umfasst jede Unrichtigkeit, also sowohl die unzutreffende Tatsachenwürdigung als auch die unrichtige Anwendung von Rechtsvorschriften. Eine lediglich anderweitige Schätzung ist kein ausreichender Grund, um eine bei einer früheren Einheitswertfeststellung vorgenommene Schätzung als fehlerhaft zu behandeln (BFH-Urteil vom 31. Juli 1981 II R 127/79, BStBl II 1982, S. 6). Auch eine anderweitige Schätzung der ortsüblichen Jahresrohmiete reicht grundsätzlich zur Vornahme einer Fortschreibung zur Fehlerbeseitigung nicht aus. Ein solcher Fehler darf nur dann angenommen werden, wenn die ursprüngliche Schätzung der Jahresrohmiete außerhalb jeder vernünftigen Überlegung gelegen hat (BFH-Urteile vom 5. August 1955 III 123/53 U, BStBl III 1955 S. 289; vom 22. April 1966 III 145/65, BStBl III 1966, S. 532 und vom 31. Juli 1981 III R 127/79, BStBl II 1982, S. 6; Rössler/Troll, BewG, § 22 Rz. 57).
Der Kläger beruft sich im Streitfall zu Unrecht auf den – prinzipiell zutreffenden – Grundsatz, dass eine anderweitige Schätzung der ortsüblichen Jahresrohmiete grundsätzlich zur Vornahme einer Fortschreibung zur Fehlerbeseitigung nicht ausreicht. Denn eine Schätzung ist sehr wohl dann zu korrigieren, wenn sich herausstellt, dass – wie im Streitfall – eine Schätzung deshalb unrichtig ist, weil die Schätzungsgrundlagen – hier das für die Berechnung der Jahresrohmiete erforderliche Baujahr des Gebäudes – zunächst unzutreffend ermittelt worden sind (ebenso z.B. BFH-Urteil vom 31. Juli 1981 III R 127/79, BStBl II 1982, S. 6).
Ohne Belang wäre, wenn – wie der Kläger vorträgt – dem FA im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Einheitswertbescheids am 19. Oktober 2010 der Umfang der in den Jahren 2008 bis 2010 vorgenommenen Baumaßnahmen bereits bekannt gewesen wäre. Denn die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung setzt nicht voraus, dass der Fehler seine Ursache in der Unkenntnis des Finanzamts über die tatsächlichen Verhältnisse hat. Deshalb kommt eine Fehlerbeseitigung durch Fortschreibung auch dann in Betracht, wenn dem Finanzamt die tatsächlichen Verhältnisse bekannt waren, es diese Verhältnisse aber rechtlich unzutreffend beurteilt hat (vgl. BFH/Urteil vom 29. November 1989 II R 53/87, BStBl II 1990, 149; Bruschke in: Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, 134. Lieferung 06.2016, § 22 BewG).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben