Steuerrecht

Erkrankung, Leistungen, Wiedereinsetzung, Widerspruchsbescheid, Bescheid, Antragstellung, Frist, Ausbildungsverkehr, Widerspruch, Tod, Aufhebung, Verschulden, Glaubhaftmachung, Widerspruchsverfahren, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Antrag auf Wiedereinsetzung, Kosten des Verfahrens

Aktenzeichen  Au 3 K 20.2439

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 15362
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen nach § 45a Personenbeförderungsgesetz (PBefG) zu, weil er den hierzu erforderlichen Antrag nicht innerhalb der Frist des § 7 Abs. 1 Satz 1 PBefAusglV gestellt hat. Danach ist der Antrag auf Gewährung eines Ausgleichs vom Unternehmer bis zum 31. Mai jeden Jahres für das vorangegangene Kalenderjahr bei der zuständigen Genehmigungsbehörde zu stellen. Diese Frist wurde durch den erst am 10. Juni 2020 bei der …  eingegangenen Antrag nicht gewahrt.
2. Dem Kläger kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wer den. Zwar ist eine Wiedereinsetzung in die Frist des § 7 Abs. 1 Satz 1 PBefAusglV grundsätzlich möglich (BayVGH, B.v. 9.4.2002 – 11 ZB 01.2803 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 27.6.2002 – 11 ZB 01.2772 – juris Rn. 15; VG München, U.v. 1.8.2001 – M 23 K 01.1573 – juris Rn. 30; OVG NW, U.v. 12.12.1983 – 13 A 2257/82, NVwZ 1984, 387). Der Kläger hat allerdings nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist gehindert war.
a) Verschuldet ist ein Fristversäumnis, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (OVG Berlin U.v. 13.11.1997 – 5 B 77.96 – BeckRS 1997, 16289 Rn. 20). Dabei ist eine individuelle Betrachtung anhand eines Verkehrskreises, dem der Betroffene angehört, anzustellen. Während der Maßstab bei juristischen Laien großzügiger, bei Rechtsbesorgern und Behörden hingegen strenger ist, gilt für Gewerbetreibende wie den Kläger ein Mittelweg: Insoweit bestehen erhöhte Sorgfaltspflichten bei der Wahrung von Fristen, die sich auf einen wesentlichen Bestandteil der Geschäftstätigkeit beziehen (zum Ganzen Baer in Schoch/Schneider, VwVfG, Stand Juli 2020, § 32 Rn. 18). Um eine solche Frist mit Bezug zu einem wesentlichen Bestandteil der Geschäftstätigkeit handelt es sich hier, da von der rechtzeitigen Antragstellung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 PBefAusglV die Zahlung eines Ausgleichs nach § 45a PBefG abhängt. Der Kläger unterliegt damit – obgleich Einzelkaufmann eines Kleinunternehmens – als Gewerbetreibender strengeren Anforderungen hinsichtlich seiner Obliegenheiten zur Fristwahrung als Privatpersonen.
b) Die durch den Kläger im Rahmen seines Wiedereinsetzungsantrags angegebenen und später vertieften Gründe rechtfertigen vor diesem Hintergrund nicht die Annahme fehlenden Verschuldens. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass sich der Kläger damals in einer sehr schwierigen Situation befunden hat, die ihn stark belastet hat. Dies stellt allerdings noch keinen ausreichenden Wiedereinsetzungsgrund dar. Diesbezüglich hat der Kläger mit Schreiben vom 10. Juni 2020 zunächst vorgetragen, dass wegen eines Todesfalls in der Familie viele Dinge in Vergessenheit geraten seien, wobei er auf telefonische Rückfrage der … angab, dass sein Bruder überraschend verstorben sei. Im Widerspruchsverfahren hat er seinen Vortrag dahingehend konkretisiert, dass der Tod seines Bruders für ihn so einschneidend gewesen sei, dass die Antragsfrist dadurch völlig übersehen worden und er infolge des Zusammentreffens verschiedener Umstände nahezu handlungsunfähig gewesen sei. Er habe in dieser Phase unter massiven Existenzängsten und Depressionen gelitten. Er sei nicht in der Lage gewesen, Büroarbeiten auszuführen, da er sich auf nichts habe konzentrieren können und mit der Situation völlig überfordert gewesen sei. Im Klageverfahren hat er sodann im Wesentlichen ausgeführt, dass er für mehrere Wochen den Fokus nicht mehr auf die betriebliche Tätigkeit habe richten können. Er sei in diesem Zeitraum in eine Abwärtsspirale gefangen gewesen, die zielgerichtetes Arbeiten nahezu unmöglich gemacht habe. In der mündlichen Verhandlung hat er schließlich auf das schwere Schicksal seines am 8. November 2020 verstorbenen Sohnes hingewiesen.
c) Insoweit kann dahinstehen, ob zusätzlich zu den ursprünglich vorgetragenen Gründen, die wesentlich auf den Tod des Bruders abstellen, auch die durch den Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen weiteren Umstände im Zusammenhang mit der Erkrankung seines Sohnes noch berücksichtigt werden können. Gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Zweiwochenfrist für den Wiedereinsetzungsantrag ist nur gewahrt, wenn während ihres Laufs neben dem Antrag auch die Tatsachen zu seiner Begründung zur Kenntnis gebracht werden. Sie können nachträglich lediglich noch ergänzt und verdeutlicht werden, soweit sich ein solches späteres Vorbringen auf den fristgerecht geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund beschränkt (vgl. OVG Koblenz, B.v. 24.8.1972 – 2 B 119/72, NJW 1972, 2326 zu § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Das „Nachschieben“ neuer Gründe ist hingegen nicht zulässig (vgl. Michler in BeckOK VwVfG, 53. Ed., Stand 1.10.2021, § 32 Rn. 23 zu § 32 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Vorliegend kann offen bleiben, ob es sich bei der erstmals in der mündlichen Verhandlung erwähnten Erkrankung des Sohnes des Klägers lediglich um eine zulässige Vertiefung der bisherigen oder um ein unzulässiges Nachschieben neuer Gründe handelt. Selbst wenn man den erstmaligen Vortrag aus der mündlichen Verhandlung für die Frage des Verschuldens berücksichtigt, begründet dies kein unverschuldetes Fristversäumnis. Denn der für die Frage des Verschuldens maßgebliche Zeitpunkt ist vorliegend früher, nämlich im Rahmen eines Organisationsverschuldens, anzusetzen.
d) Das maßgebliche Verschulden liegt in einem Organisationsmangel des klägerischen Gewerbebetriebs. Der Kläger war dafür verantwortlich, dass die für seinen Gewerbebetrieb wesentlichen Fristen überwacht wurden (vgl. OVG Berlin U.v. 13.11.1997 – 5 B 77.96 – BeckRS 1997, 16289 Rn. 20). Da sein Betrieb auf die regelmäßige Einhaltung von Fristen angewiesen war, musste er seine betrieblichen Abläufe so organisieren, dass ein Fristversäumnis auch im Fall seiner persönlichen Verhinderung ausgeschlossen war. Er musste also – etwa durch sachgerechte Vertretungsorganisation – dafür Sorge tragen, dass im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit oder sonstigen Verhinderung jedenfalls die für seinen Gewerbebetrieb wesentlichen Fristen anderweitig überwacht und eingehalten wurden. Eine solche Organisation war in seinem eigenen Interesse zur Abwendung von Schäden für sein Unternehmen zu erwarten.
e) Dabei kann dahinstehen, inwieweit es sich vorliegend aufgrund des Zusammentreffens tragischer Umstände zum Zeitpunkt des Fristablaufs um eine persönliche Ausnahmesituation für den Kläger handelte. Insoweit werden nach der Rechtsprechung Vorkehrungen zu Fristwahrungen grundsätzlich auch dann verlangt, wenn beispielsweise eine Abwesenheit nicht vorhersehbar war. So muss ein Unternehmen dafür Sorge tragen, dass Posteingänge etwa bei Unglücksfällen oder gefährlichen Erkrankungen weiter bearbeitet werden (BGH, B.v. 2.7.2008 – IV ZB 5/08 – NJW-RR 2008, 1565 Rn. 12; BGH, B.v. 20.11.1986 – VII ZB 11/86 – juris Rn. 6). Dies ist auf den vorliegenden Fall, in dem der Kläger zwar nicht abwesend, aber nach seinem Vortrag faktisch arbeitsunfähig war, übertragbar.
f) Dabei berücksichtigt die Kammer, dass der Kläger lediglich ein Kleinunternehmen mit wenigen Mitarbeitern ohne umfangreiche Büroorganisation geführt hat. Auch vor diesem Hintergrund hat der Kläger allerdings nicht glaubhaft gemacht, dass es ihm unmöglich war, seinen Betrieb so zu organisieren, dass jedenfalls die wesentlichen Fristen auch dann überwacht und eingehalten werden konnten, wenn er persönlich daran gehindert war. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung zwar angegeben, dass die übrigen Mitarbeiter des Unternehmens lediglich Fahrtätigkeiten ausgeübt hätten und er allein für die anfallenden Bürotätigkeiten zuständig gewesen sei. Allerdings lasse er sich – gerade auch angesichts seines fortgeschrittenen Alters – mitunter von seiner Tochter hierbei helfen, die ihm auch weiterhelfe, wenn er überfordert sei. Der Kläger war damit bei Bürotätigkeiten nicht ohne jede Hilfe, sondern konnte bei Bedarf grundsätzlich auf seine Tochter zurückgreifen. Dass ihm dennoch die Organisation einer Vertretung für den Verhinderungsfall, die laufende Fristen überwacht, nicht möglich oder zumutbar war, ist nicht glaubhaft gemacht. Insoweit handelt es sich auch nicht um Tätigkeiten, die nur der Kläger persönlich ausführen konnte: Die Überwachung von Fristen ließ sich ohne große Schwierigkeiten oder Fachkenntnisse mithilfe eines Fristenkalenders auch durch eine Vertretungsperson adäquat sicherstellen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Voll streckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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