Steuerrecht

Erweiterte Gewerbeuntersagung und Widerruf der Gewerbeerlaubnis

Aktenzeichen  AN 4 K 17.00427

Datum:
21.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 95 Abs. 1 S. 1, § 102 Abs. 2
GewO GewO § 35 Abs. 1 S. 1, S. 2, § 55, § 57 Abs. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Das Gericht muss nicht bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe entschieden haben, wenn mangels Vorlage der Nachweise zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eine Entscheidung nicht geboten war. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 S. 1 GewO ist eine gebundene Entscheidung. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit richtet sich nach objektiven Kriterien; auf ein subjektiv vorwerfbares Verhalten bzw. auf ein Verschulden kommt es nicht an. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4 Zum ordnungsgemäßen Betrieb eines Gewerbes gehört auch, dass der Gewerbetreibende die mit der Gewerbeausübung zusammenhängenden steuerrechtlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten erfüllt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die – jedenfalls mit dem am 14. März 2017 mit gültiger Unterschrift bei Gericht eingegangenen Schriftsatz des Klägers – erhobene Klage ist zulässig, jedoch insgesamt unbegründet und deshalb abzuweisen.
Vorab ist auszuführen, dass das Gericht – durch den Einzelrichter – im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21. April 2017 über die Klage entscheiden konnte, obwohl der Kläger in die sem Termin ausgeblieben ist. Der Kläger ist ordnungsgemäß und insbesondere fristgerecht zum Termin geladen worden mit dem ausdrücklichen Hinweis gemäß § 102 Abs. 2 VwGO, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann. Auch das persönliche Erscheinen des Klägers zum Termin ist vom Gericht nicht nach § 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO angeordnet worden.
Der Umstand, dass bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom Gericht nicht über den gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines in …, d.h. außerhalb des Gerichtsbezirks des Verwaltungsgerichts Ansbach, niedergelassenen Rechtsanwaltes entschieden worden ist, stand der Verhandlung und Entscheidung im Termin vom 21. April 2017 nicht entgegen. Eine – zumal stattgebende – Entscheidung über den gestellten Antrag vor Durchführung des Termins war nicht geboten, denn der Kläger hat bis dahin nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Nachweise zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (vgl. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO, insbesondere § 117 ZPO i.V.m. der Pro-zesskostenhilfevordruck-Verordnung) zu den Akten des Gerichts gereicht. Im Übrigen hat der Kläger auch nach Zustellung der Ladung zum Termin vom 21. April 2017 nicht gerügt, dass über den von ihm gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung und Anwaltsbeiordnung noch nicht vorab entschieden worden ist. Die Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag ergeht gleichzeitig mit dem vorliegenden Urteil (vgl. den beigefügten entsprechenden gesonderten Beschluss).
Darüber hinaus erforderten auch die am 20. April 2017 – laut Faxausdruck um 15.39 Uhr -, also am Nachmittag des letzten Tages vor dem geladenen Termin, bei Gericht eingegangenen Unterlagen keine Terminverlegung. Von diesen Unterlagen (insgesamt drei Blatt) ist nur das Deckblatt eindeutig lesbar. Der Text lautet: „Eilt. BITTE SOFORT DEM ZUSTÄNDIGEN Richter vorlegen. DANKE MFG … von Samsung-Tablett gesendet.“ Die beiden weiteren mit übersandten Blätter sind auf Grund mangelhafter technischer Qualität nicht hinreichend sicher lesbar, sie lassen jedenfalls maßgebliche Terminverlegungsgründe nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen. Das Risiko der vollständigen und lesbaren Übertragung von auf elektronischem Weg übermittelten Dokumenten trägt der Kläger, zumal bei einer so kurzfristig wie hier vor dem gerichtlich anberaumten Termin unternommenen Übermittlung. Eine zeitgerechte Rückfrage beim Kläger per Telefax oder auf telefonischem Weg war nicht möglich. Zum einen waren auf den übermittelten Unterlagen keine elektronischen Kommunikationsdaten des Klägers angegeben, zum anderen war der Kläger im elektronischen Telefonbuch – unter Zugrundelegung der von ihm im gerichtlichen Verfahren genannten Postanschrift – nicht zu ermitteln. Zur Abrundung sei noch bemerkt, dass – zumal im Hinblick auf die bereits erwähnte mangelhafte technische Qualität der Übertragung der Dokumente – auch nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, ob die auf Blatt 3 der übermittelten Unterlagen erkennbare Unterschrift vom Kläger im Original angebracht oder auf elektronischem Weg als zuvor erzeugte Bilddatei in das übertragene Dokument eingefügt worden ist. Zu einer genauen Überprüfung dieser Frage bestand jedoch gerade im speziellen Fall des Klägers Anlass, nachdem dieser bereits in einem früheren Stadium des gerichtlichen Verfahrens – unzulässigerweise – entsprechend vorgegangen ist und zu einer formgerechten Unterzeichnung des Schriftsatzes vom Gericht angehalten werden musste (vgl. Gerichtsakte Bl. 3, 14, 17, 25).
Dies vorausgeschickt, ist in der Sache festzustellen, dass der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2017 rechtmäßig bzw., soweit er auf Ermessensentscheidungen der Beklagten beruht, nicht zu beanstanden ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 114 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht das von ihm betriebene stehende Gewerbe und darüber hinaus die Ausübung aller anderen stehenden Gewerbe sowie die Tätigkeiten als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden und mit der Leitung eines Gewerbebetriebes Beauftragten untersagt. Ferner hat sie zu Recht bzw. in nicht zu beanstandender Weise (§ 114 Satz 1 VwGO) die dem Kläger bereits im Jahr 1992 in Form der Reisegewerbekarte erteilte Erlaubnis zum Betrieb eines Reisegewerbes widerrufen. Der angefochtene Bescheid beruht auf den darin jeweils angegebenen Rechtsgrundlagen, insbesondere auf § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO (erweiterte Gewerbeuntersagung) und auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 57 Abs. 1 GewO (Widerruf der Reisegewerbeerlaubnis). Auch die in Ziffern III bis einschließlich VIII getroffenen Nebenentscheidungen zu den vorgenannten Entscheidungen beruhen auf den dazu von der Beklagten im angefochtenen Bescheid genannten Rechtsgrundlagen.
Auf Grund der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers war diesem gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zwingend, d.h. ohne dass insoweit für die Beklagte ein Ermessensspielraum bestanden hätte, die Ausübung des gemeldeten stehenden Gewerbes zu untersagen. Diese Untersagung entspricht nach den hier vorliegenden Umständen des Einzelfalles auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der sich als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) darstellt.
Unzuverlässig in diesem Sinne ist ein Gewerbetreibender, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht (mehr) die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt. Dabei kommt es nicht auf ein subjektiv vorwerfbares Verhalten bzw. auf ein Verschulden an (BVerwG, B.v. 16.2.1998, Buchholz 451.20, § 35 GewO Nr. 69). Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit knüpft vielmehr allein an objektive Tatsachen an, die für die künftige Tätigkeit eine ungünstige Prognose rechtfertigen. Unzuverlässig ist auch ein Gewerbetreibender, der zwar willens, aber nicht in der Lage ist, das Gewerbe ordnungsgemäß auszuüben (BVerwG, U.v. 2.2.1982, BayVBl. 1982, 501). Zum ordnungsgemäßen Betrieb eines Gewerbes gehört auch, dass der Gewerbetreibende die mit der Gewerbeausübung zusammenhängenden steuerlichen Zahlungs- und Erklärungspflichten erfüllt (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 20.9.1991, BayVBl. 1992, 281).
In diesem Sinn war der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsver-fügung unzuverlässig, weil er seit geraumer Zeit Steuererklärungen nicht abgegeben hat, Steuervoranmeldungen nicht vorgenommen hat und erhebliche Steuerbeträge (im Zeitpunkt des Bescheiderlasses mehr als 115.000 EUR) schuldig geblieben ist. Es handelte sich beim Kläger auch nicht um eine kurzfristige, sondern um eine langanhaltende Leistungsunfähigkeit, was auch beispielsweise die zahlreichen Einträge im Schuldnerverzeichnis und letztlich auch die strafrechtlichen Verurteilungen, insbesondere wegen Insolvenzdelikten, bezeugen.
Das Gericht sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist diesbezüglich zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2017. Das Gericht folgt diesen Ausführungen der Beklagten ausdrücklich. Der Kläger hat hiergegen weder im Verwaltungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren etwas Maßgebliches eingewandt. Er verkennt offenbar nach wie vor, dass es für die Untersagung des ausgeübten Gewerbes, wie oben bereits ausgeführt, gerade nicht darauf ankommt, ob die Umstände, die letztlich zur notwendigen Einstufung des Klägers als gewerberechtlich unzuverlässig geführt haben, diesem vorzuwerfen sind bzw. von diesem verschuldet sind. Insbesondere müssen insoweit auch Krankheiten des Klägers und die diesen eventuell zugrundeliegenden Sachverhalte unberücksichtigt bleiben. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Untersagung des ausgeübten stehenden Gewerbes (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GewO) dient nämlich der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, hier insbesondere dem Schutz der Öffentlichkeit, d.h. dem Schutz der Verbraucher und der öffentlichen Kassen, vor Gewerbetreibenden, die nicht bereit oder in der Lage sind, ihren bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Gewerbeausübung nachzukommen und ihr Gewerbe ordnungsgemäß auszuüben. Die gesetzliche Eingriffsbefugnis der zuständigen Ordnungsbehörde kann naturgemäß nicht davon abhängig gemacht werden, ob den betreffenden Gewerbetreibenden ein Verschulden daran trifft, dass er als gewerberechtlich unzuverlässig angesehen werden muss.
Nachdem die auch im angefochtenen Bescheid ausführlich dargelegten Gründe gleichermaßen relevant für alle Gewerbe sind, ist auch die Unzuverlässigkeit des Klägers in Bezug auf die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf jegliche anderweitige selbständige Tätigkeit im Bereich des stehenden Gewerbes und auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person beim Kläger gegeben. Ermessensfehler im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, insbesondere hat die Beklagte auch ihr Ermessen erkannt und ausgeübt. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2017 ist somit auch in Bezug auf die Entscheidung in Ziffer II des Bescheidtenors nicht zu beanstanden.
Entsprechendes gilt auch für den Widerruf der vom Landratsamt … (nicht, wie im Bescheid irrtümlich angegeben, von der Stadt …*) unter dem 21. Oktober 1992 erteilten Erlaubnis gemäß § 55 Abs. 2 GewO zum Betrieb eines Reisegewerbes (Reisegewerbekarte) für „Handelsvertretungen für Sportartikel, Beratung, Organisation“.
Die verfügte Einstellung der untersagten Tätigkeiten, die auferlegte Verpflichtung zur Rückgabe oder Unkenntlichmachung der Reisegewerbekarte in Ziffern III und IV des Bescheides ist als Folge der Anordnungen in Ziffern I und II des Bescheides von den diesen Ziffern zugrundeliegenden jeweiligen Rechtsgrundlagen umfasst. Bedenken hinsichtlich der Nebenentscheidungen in Ziffern V bis VIII des Bescheides vom 13. Februar 2017 bestehen nicht, etwaige entsprechende Gesichtspunkte sind auch nicht vorgetragen worden.
Soweit der Kläger unter Ziffer II der Begründung in seiner Klageschrift vom 7. März 2017 ausführt, er habe – seiner Meinung nach – gegen den Freistaat Bayern aus Rechtsüberschreitungen von Amtspersonen gegen ihn einen nicht unerheblichen Schadensersatzanspruch, welcher die Forderungen des Finanzamtes signifikant übersteige, rechtfertigt und erfordert auch dies nicht eine anderslautende Entscheidung. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2017, nicht jedoch unmittelbar die in diesem Bescheid erwähnten Steuerforderungen der Finanzverwaltung, so dass schon aus diesem Grund keine Aufrechnungslage ersichtlich ist. Schon im Hinblick hierauf, im Übrigen auch auf das insoweit völlig unsubstantiierte Vorbringen des Klägers, braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter darauf eingegangen zu werden, auf welchem Rechtsweg bzw. mit welchen verfahrensrechtlichen Mitteln die vom Kläger angesprochenen Schadensersatzforderungen von diesem geltend gemacht werden könnten.
Die Klage ist somit abzuweisen.
Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens.


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