Aktenzeichen M 16 K 15.2528
Leitsatz
1. Ein Gewerbetreibender ist unzuverlässig iSv § 35 Abs. 1 S. 1 GewO, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Eine Unzuverlässigkeit kann sich hierbei insbesondere aus einer mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (Anschluss an BVerwG BeckRS 1998, 30430337; stRspr). (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden als Grundlage einer (erweiterten) Gewerbeuntersagung ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. auch BVerwG BeckRS 2015, 48135 Rn. 15); nachträgliche Veränderungen der Sachlage können nur im Rahmen eines Antrags auf Wiedergestattung gemäß § 35 Abs. 6 GewO Berücksichtigung finden (bestätigt durch VGH München BeckRS 2016, 54943). (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine den Anforderungen des § 35 Abs. 1 S. 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verstoßen (Anschluss an BVerwG BeckRS 1994, 31221464). Geringe oder fehlende Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt rechtfertigen es insoweit nicht, von einer Gewerbeuntersagung wegen fortgesetzter Pflichtverletzung abzusehen (Anschluss an VGH München BeckRS 2014, 52528 Rn. 19); einer zeitlichen Befristung der Gewerbeuntersagung bedarf es mit Blick auf § 35 Abs. 6 GewO nicht. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgegangen.
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender dann gewerberechtlich unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Ge währ dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus mangelnder wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris; BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 -juris; BVerwG, B.v. 11.11.1996 – 1 B 226/96 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1997 – 1 B 56/97 – juris; BVerwG, B.v. 16.2.1998 – 1 B 26/98 – juris).
Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes gemäß § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; BVerwG, B.v. 16.6.1995 – 1 B 83/95 – juris). Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, insbesondere eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (BayVGH, B.v. 23.10.2012 -22 ZB 12.888 – juris).
Auch auf die Ursachen für entstandene Zahlungsrückstände und die Nichterfüllung von Erklärungspflichten kommt es nicht an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ausschließlich nach objektiven Kriterien bestimmt. Daher ist es grundsätzlich unerheblich, ob den Gewerbetreibenden hinsichtlich der Umstände, derentwegen ihm eine negative Prognose hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit seines künftigen gewerblichen Verhaltens ausgestellt werden muss, ein Verschuldensvorwurf trifft oder ihm diesbezüglich ggf. „mildernde Umstände“ zur Seite stehen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 8.5.2015 – 22 C 15.760 – juris Rn. 20). Auch kommt es nicht darauf an, ob der Gewerbetreibende seine öffentlich-rechtlichen Erklärungs- und Zahlungs pflichten nicht erfüllen konnte oder nicht erfüllen wollte (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.6.2014 – 22 C 14.1029 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Gewerbeuntersagung zu Recht ergangen. Die Beklagte hat die negative Prognose über die gewerberechtliche Zuverlässigkeit des Klägers in nachvollziehbarer Weise insbesondere auf seine erheblichen Zahlungsrückstände beim Finanzamt … und dem städtischen Kassen- und Steueramt gestützt. Da für die Annahme einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit die Nichterfüllung von öffentlich-rechtlichen Zahlungspflichten aller Art von Bedeutung ist, ist es auch unbeachtlich, dass sich ein bestimmter Anteil an den Steuerschulden aus den angefallenen Säumniszuschlägen (hier zum Stand 1. Juni 2015: 5.323,– Euro) ergibt (vgl. z.B. BayVHG, B.v. 17.10.2008 – 22 ZB 08.2592 – juris Rn. 2). Die Rückstände bestanden auch bereits über einen längeren Zeitraum. Der Kläger war seit 2012 in Bezug auf Einkommensteuer im Rückstand. Zwar war der Kläger bemüht, seine Rückstände abzubauen, jedoch war ihm dies auch im Zeitraum zwischen der Anhörung im November 2014 und dem Bescheidserlass Anfang Juni 2015 – trotz der angekündigten Maßnahmen – nur in geringem Umfang gelungen (Stand 24.9.2014: 45.794,04 Euro; Stand 1. Juni 2015: 43.426,29 Euro). Eine nachhaltige Verringerung der Rückstände war nicht erfolgt. Die Vollstreckungsmöglichkeiten waren bereits ausgeschöpft. Ein tragfähiges Sanierungskonzept des Klägers, das die geordnete Rückführung der Steuerschulden in einem überschaubaren Zeitraum hätte erwarten lassen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146/80 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 23.10.2012 – 22 ZB 12.888 – juris Rn. 17 f.), lag nicht vor. Auch Ratenzahlungsvereinbarungen mit den Gläubigern bestanden nicht.
Auf die von Seiten des Klägers dargestellten Ursachen für die entstandenen Zahlungsrückstände und für das Scheitern der beabsichtigten Wegfertigung der Rückstände kommt es nicht entscheidungserheblich an, da sich die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit – wie ausgeführt – ausschließlich nach objektiven Kriterien bestimmt. Gleiches gilt daher hinsichtlich des Umstands, dass es nicht zu Ratenzahlungsvereinbarungen oder einem tragfähigen Sanierungskonzepts gekommen ist. Es ist zudem auch nicht maßgeblich, dass der Kläger bemüht war, seinen Zahlungspflichten nachzukommen, da er hierzu jedenfalls wirtschaftlich nicht in der Lage war.
Insgesamt war damit zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt die Prognose über die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers gerechtfertigt, da er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bot, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausüben werde. Auch nach dem maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheidserlasses hat sich die Sachlage im Übrigen nicht wesentlich zugunsten des Klägers verändert, auch wenn er weitere Zahlungen leistete. Trotz der in Aussicht gestellten vollständigen Tilgung der Rückstände bei dem Finanzamt bestanden diese zuletzt weiterhin in einer beträchtlichen Höhe (nach dem Vortrag von Seiten des Klägers in der mündlichen Verhandlung in Höhe von ca. 30.000,– Euro, nach Angabe von Seiten der Beklagten in Höhe von 40.705,– Euro). Gleiches gilt hinsichtlich der Rückstände bei dem Kassen- und Steueramt der Beklagten (nach dem Vortrag von Seiten des Klägers in Höhe von ca. 15.000,– Euro, nach Angabe von Seiten der Beklagten in Höhe von 22.121,– Euro).
Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen, ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht der erheblichen Zahlungsrückstände und der fortlaufenden Nichtbegleichung aufgelaufener öffentlichrechtlicher Forderungen war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderlich. Eine mildere, gleichermaßen geeignete Maßnahme war nicht erkennbar.
Die Gewerbeuntersagung ist vorliegend auch nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verstoßen kann (BVerwG, B.v. 9.3.1994 – 1 B 33.94 – juris; BVerwG, B.v. 1.2.1994 – 1 B 211.93 -juris; BayVGH, z.B. B.v. 4.6.2014 – 22 C 14.1029 – juris Rn. 19). Die Voraussetzungen eines solchen extremen Ausnahmefalls sind im Fall des Klägers jedoch nicht gegeben. Geringe oder fehlende Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt rechtfertigen nicht, von einer Gewerbeuntersagung wegen fortgesetzter Pflichtverletzung abzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 4.6.2014 a.a.O.). Eine zeitliche Befristung der Gewerbe-untersagung war bereits deshalb nicht veranlasst, weil bei Wegfall der Unzuverlässigkeit gemäß § 35 Abs. 6 GewO ein Anspruch auf Wiedergestattung der Ausübung des Gewerbes besteht.
Auch die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung auf weitere gewerbliche Betätigung des Klägers auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO und die diesbezügliche Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO) sind nicht zu beanstanden.
Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragten Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung setzt der Erlass einer solchen erweiterten Gewerbeuntersagung das Vorliegen einer „gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit“ des Betroffenen voraus. Darüber hinaus muss die Erstreckung der Untersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten erforderlich sein. Dies ist dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende Tätigkei ten ausweicht. Ausreichend für diese Annahme ist es, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende ein anderes Gewerbe oder eine der genannten leitenden Tätigkeiten in Zukunft ausübt (vgl. BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 17/79 – juris; U.v. 2.2.1982 – 1 CB 2/81 – juris; B.v. 11.9.1992 – 1 B 131/92 – juris; B.v. 19.1.1994 – 1 B 5/94 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 22 B 09.2785 – juris). In Bezug auf die erweiterte Gewerbeuntersagung ist in der Rechtsprechung auch geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung durch Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang steht (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.1993 – 1 B 1/93 – juris; BayVGH, U.v. 1.6.2011 – 22 B 09.2785 – juris Rn. 15).
Diese Voraussetzungen waren hier ebenfalls gegeben. Der Kläger war gewerbeübergreifend unzuverlässig, da er mit der fortlaufenden Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten Pflichten verletzt hat, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies rechtfertigte die Annahme, dass der Kläger ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen würde. Da nicht ersichtlich war, dass der Kläger künftig keine anderweitige Tätigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO ausüben würde, war auch ein Ausweichen auf solche Tätigkeiten hinreichend wahrscheinlich.
Gegen die weiteren Verfügungen des streitgegenständlichen Bescheids hat der Kläger rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Die Klage waren daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.