Steuerrecht

erweiterte Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit, Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren, Unzuverlässigkeit wegen strafrechtlich relevanten Verhaltens, zeitliche Grenze der Verwertbarkeit strafrechtlich relevanten Verhaltens, Verurteilung wegen Betäubungsmittelhandels, Bindungswirkung des Strafurteils, Gewerbebezug einer Verurteilung wegen Betäubungsmittelhandels zum Gewerbe „Online-Handel“, keine Berücksichtigung bloßer Einträge auf einer polizeilichen „Erkenntnisliste“ (INPOL bzw. IGVP) im Rahmen der Zuverlässigkeitsprognose

Aktenzeichen  W 6 K 20.1787

Datum:
7.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21398
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GewO § 35 Abs. 1 S. 1
GewO § 35 Abs. 1 S. 2
GewO § 35 Abs. 3
BZRG § 51 Abs. 1
BtMG § 35

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 19. Oktober 2020 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Landratsamts Haßberge vom 19. Oktober 2020 ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Kläger war zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids (grundlegend BVerwG, U.v. 2.2.1982 – 1 C 146.80 – BVerwGE 65, 1; fortführend jüngst BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6/14 – GewArch 2015, 366) nicht unzuverlässig im Sinne von § 35 Abs. 1 GewO. Ihm durfte deshalb weder die Ausübung seines unter dem Dach der MCP E-Commerce GbR betriebenen Gewerbes „Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren“ untersagt werden (dazu 1.), noch erweist sich die daran anknüpfende Untersagung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO der selbstständigen Ausübung aller stehenden Gewerbe sowie entsprechender Vertretungs- und Leitungstätigkeiten als rechtmäßig (dazu 2.).
1. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
Nicht zuverlässig ist, wer nach dem Gesamtbild seines Verhaltens keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird (st. Rspr., vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 20.7.2016 – 22 ZB 16284 – juris Rn. 9). Entscheidend ist, ob der Betreffende unter Würdigung aller mit seinem Betrieb zusammenhängenden Umstände willens und in der Lage ist, in Zukunft seinen beruflichen Pflichten nachzukommen und die im öffentlichen Interesse liegende einwandfreie Führung seines Gewerbes zu gewährleisten. Die Feststellung der Unzuverlässigkeit erfordert anhand festgestellter Tatsachen eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände, die eine Prognose hinsichtlich der ordnungsgemäßen Ausübung des Gewerbes für die Zukunft erlauben (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand September 2020, § 35 Rn. 31 ff. m.w.N.). Die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO steht nicht im Ermessen der Behörde, sondern ist bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend. Beim Begriff der Unzuverlässigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der vom Gericht in vollem Umfang nachgeprüft wird (Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 27 m.w.N.).
Unter diesen Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Gerichts keine tragfähigen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger im Zeitpunkt des Bescheiderlasses für die Ausübung seines Gewerbes „Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren“ im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO unzuverlässig war.
1.1 Zunächst stellen die Einträge auf der vom Landratsamt im Untersagungsverfahren eingeholten „Erkenntnisliste“ der PI Haßfurt vom 7. August 2020 mit Auskünften über den Kläger aus der Vorgangsverwaltung der Bayerischen Polizei (IGVP) sowie dem Informationssystem der Polizei (INPOL) für sich genommen keine Tatsachen dar, die eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit begründen können.
Ausgangspunkt der Feststellung einer gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO sind stets vergangene oder gegenwartsbezogene Tatsachen, die Grundlage sind für eine in die Zukunft gerichtete Prognose, ob daraus eine Unzuverlässigkeit in Bezug auf das ausgeübte Gewerbe dargetan ist. Die Unzuverlässigkeit kann auch aus Tatsachen abgeleitet werden, die nicht im Rahmen der gewerblichen Betätigung oder vor Beginn der Gewerbeausübung eingetreten sind. Entscheidend ist stets, ob die festgestellten Tatsachen im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Einschluss der Entwicklung der Persönlichkeit des Gewerbetreibenden für die Einschätzung seines künftigen Verhaltens im Hinblick auf das konkret ausgeübte Gewerbe von Bedeutung sind (vgl. Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 28).
Hiervon ausgehend stützt die von der PI Haßfurt dem Landratsamt im Rahmen des Gewerbeuntersagungsverfahrens auf Anfrage übermittelte „Erkenntnisliste“ mit ihren insgesamt 17 Ereignismeldungen weder ergänzend noch tragend die Annahme, der Kläger werde sein Gewerbe in Zukunft nicht ordnungsgemäß ausüben. Da nach dem ausdrücklichen Hinweis der PI Haßfurt der Ausgang der aufgeführten Ermittlungsverfahren nicht bekannt ist, kann den Vorgangsmitteilungen (allenfalls) der Tatsachengehalt entnommen werden, dass der Kläger nach entsprechender Anzeige in der Vergangenheit im Rahmen diverser polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Verfahren als Beschuldigter geführt wurde. Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kann daraus jedoch per se noch nicht folgen. Zwar setzt eine Berücksichtigung strafrechtlich relevanten Verhaltens im Gewerbeuntersagungsverfahren nicht notwendig voraus, dass Strafanzeigen gegen den Gewerbetreibenden tatsächlich von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden oder dass diese schließlich gar zu einer Verurteilung führen. Indes ist im Rahmen des § 35 Abs. 1 GewO im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen schon nicht lediglich das Strafurteil die Tatsache, die eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit dartut, sondern stets das Verhalten des Betroffenen (vgl. BVerwG, B.v. 23.5.1995 – 1 B 78.95 – juris Rn. 5; OVG NW, B.v. 23.4. 2015 – 4 A 955/13 – juris Rn. 13; OVG SH, B.v. 9.11.2020 – 5 MB 29/20 – NVwZ-RR 2021, 619 Rn. 7). Genügt demnach für die Annahme einer Unzuverlässigkeit von vorneherein nicht der bloße Verweis auf eine oder mehrere Verurteilungen, genügt erst Recht nicht eine pauschale Bezugnahme auf Einträge des Gewerbetreibenden auf einer polizeilichen Vorgangsliste (hier: IGVP oder INPOL).
Will die Gewerbebehörde strafrechtlich relevantes Verhalten des Gewerbetreibenden einer Zuverlässigkeitsprognose nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zugrunde legen, muss sie stets die genauen Umstände des jeweiligen Vorfalls in Erfahrung bringen – insbesondere durch Beiziehung der Verfahrensakten. Die so gewonnenen Erkenntnisse muss sie anschließend mit Blick auf das künftig zu erwartende Verhalten des Gewerbetreibenden im konkret ausgeübten Gewerbe würdigen (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2016 – 22 ZB 16.284 – juris Rn. 10 m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 22.7.2020 – 6 K 20.380 – BeckRS 2020, 21019 Rn. 19). Bringt die Gewerbebehörde die den Einträgen zugrundeliegenden Lebenssachverhalte, das dabei jeweils zu Tage getretene Verhalten des Gewerbetreibenden sowie den Ausgang der Verfahren nicht in Erfahrung, kann der anhand einer polizeilichen „Erkenntnisliste“ festgestellte Umstand, dass mehrfach und gehäuft Strafverfahren gegen den Betroffenen geführt wurden, nicht zur Schlussfolgerung führen, der Gewerbetreibende weise einen Hang zur Missachtung der Rechtsordnung auf und verstoße beharrlich gegen geltendes Recht. Vorliegend ist ersichtlich, dass das Landratsamt zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses jedenfalls über keine näheren Informationen hinsichtlich der 13 Einträge verfügte, die die „Erkenntnisliste“ der PI Haßfurt für den Zeitraum von November 2005 bis September 2009 zulasten des Klägers aufführt. Die sich hierauf zumindest ergänzend stützende Zuverlässigkeitsprognose des Landratsamts war folglich so nicht tragfähig.
Hinzu kommt, dass die „Erkenntnisliste“ der PI Haßfurt neben einem neueren Eintrag wegen Geldfälschung vom 5. Juli 2018 (das Strafverfahren wurde eingestellt, vgl. unter 1.2.) sowie den vom LG Bamberg mit Urteil vom 29. April 2019 rechtskräftig abgeurteilten Strafverfahren (Az. 2101 Js 3022/19 und 2101 Js 11332/18, Tatzeit 1.5.2016 bis 5.7.2018; vgl. unter 1.3) ausschließlich 13 zeitlich weit zurückreichende Vorgänge im Zeitraum November 2005 bis September 2009 aufführt, in dem der im Jahr 1989 geborene Kläger noch Jugendlicher bzw. Heranwachsender war. Zwischen September 2009 und Mai 2016 und mithin für knapp sieben Jahre wurden für den Kläger keine verfahrensrelevanten Ereignismeldungen mehr erfasst, sodass sich der Gewerbebehörde die Frage der Verwertbarkeit der 13 „Alteinträge“ hätte aufdrängen müssen.
Das Landratsamt weist zwar richtigerweise darauf hin, dass sich § 35 GewO keine explizite Frist für die Verwertbarkeit strafrechtlichen Verhaltens entnehmen lässt und im Einzelfall auch länger zurückliegendes strafrechtliches Fehlverhalten Eingang in die Prüfung der Unzuverlässigkeit finden kann. Eine äußerste zeitliche Grenze für die Heranziehung von Straftaten bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden begründet jedoch das für eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO uneingeschränkt zu beachtende Verwertungsverbot gemäß § 51 Abs. 1 Bundeszentralregistergesetz – BZRG (vgl. Heß in Friauf, GewO, Stand Juni 2021, § 35 Rn. 177; Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 42, jeweils m.w.N.). Danach dürfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist.
Zwar setzt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG im Bundeszentralregister getilgte oder tilgungsreife Eintragungen von Verurteilungen voraus. Soweit den 13 „Alteinträgen“ des Klägers auf der „Erkenntnisliste“ der PI Haßfurt – was anzunehmen ist – nicht nur Strafverfahren zugrunde liegen sollten, die mit einer Eintragung im Bundezentralregister endeten, sondern auch solche, die zu Verfahrenseinstellungen führten, ist es für die Zulässigkeit der Verwertung der Verfehlungen gleichwohl nicht bedeutungslos, ob bei letzteren bereits Tilgungsreife eingetreten wäre, wenn eine ihretwegen erfolgte Ahndung in das Bundeszentralregister hätte eingetragen werden können. Dem Schutzzweck des § 51 Abs. 1 BZRG, die Eingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft nicht unnötig zu gefährden, entspricht es nämlich, eine Straftat, die nicht zu einer Verurteilung geführt hat und nicht mehr zu einer Verurteilung führen kann, grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen, wenn die Verfehlung länger zurückliegt und im Falle einer Verurteilung aller Voraussicht nach bereits Tilgungsreife eingetreten wäre. Daher ist es gerechtfertigt, auch solchen nicht rechtskräftig geahndeten strafrechtlichen Verfehlungen bei der Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit aus Gründen der Bewährung regelmäßig kein Gewicht mehr beizumessen, sobald sie länger zurückliegen, wobei eine Orientierung an den mutmaßlichen Ablauf von Tilgungsfristen des Bundeszentralregistergesetzes als äußere Grenze sachgerecht erscheint (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 26.3.1996 – 1 C 12/95 – NJW 1997, 336 hinsichtlich des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis; jüngst OVG SH, B.v. 9.11.2020 – 5 MB 29/20 – NVwZ-RR 2021, 619 Rn. 9).
Dass danach die unmittelbar oder als Orientierungswert heranziehbare zeitliche Grenze der Verwertbarkeit des § 51 Abs. 1 BZRG hier offensichtlich einer Einschätzung entgegenstand, wonach der Kläger bereits vor seiner rechtskräftigen Verurteilung durch das LG Bamberg vom 29. April 2019 bereits vom Jugendalter bis ins Erwachsenenalter „viele[r] kleine[r] Delikte und Verstöße gegen geltendes Recht“ begangen habe, hätte sich dem Landratsamt beim Blick auf das im Gewerbeuntersagungsverfahren übermittelte Führungszeugnis vom 25. März 2020 aufdrängen müssen. Dieses enthält für den Kläger neben der rechtskräftigen Verurteilung durch das LG Bamberg vom 29. April 2019 keine Einträge. Schaut man überdies in das vom Landratsamt im Untersagungsverfahren beigezogene Urteil des LG Bamberg vom 29. April 2019, stellt das Strafgericht in seinen Gründen zur Person des Klägers fest, dass dieser bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist.
Selbst wenn den 13 Einträgen des Klägers auf der „Erkenntnisliste“ für den Zeitraum November 2005 bis September 2009 Verfahren zugrunde liegen mögen, die ehedem zu einer Eintragung im Bundeszentralregister geführt haben, waren diese zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses aufgrund zwischenzeitlicher Tilgung nicht mehr verwertbar. Entsprechendes gilt in Anlehnung an § 51 Abs. 1 BZRG aufgrund mutmaßlich eingetretener hypothetischer Tilgungsreife, soweit die auf der „Erkenntnisliste“ aufgeführten „Altverfahren“ von November 2005 bis September 2009 – etwa aufgrund einer Verfahrenseinstellung – zu keiner Eintragung im Bundeszentralregister führten.
Im gerichtlichen Verfahren bestand aus diesem Grund sowie mit Blick auf die deutliche Zäsur von fast sieben Jahren ohne polizeilich vermerkten Vorfall keine Veranlassung, die genaueren Hintergründe der weit zurückliegenden Einträge bis September 2009 dahingehend näher aufzuklären, ob sich aus dem Verhalten des damals jugendlichen und heranwachsenden Klägers heute noch Rückschlüsse für seine gewerberechtliche Zuverlässigkeit ergeben.
1.2 Wenngleich beim Kläger im Zuge der Hausdurchsuchung am 5. Juli 2018 Falschgeld sichergestellt wurde, kann auch dieser Vorfall nicht zur Begründung der Unzuverlässigkeit des Klägers herangezogen werden.
Dass sich teilweise Falschgeld unter den sichergestellten und anschließend von der Staatsanwaltschaft asservierten Banknoten befand, wurde seitens der Staatsanwaltschaft Bamberg erst im Zuge der Vorbereitung der Rückzahlung des Geldes bemerkt. Den Angaben des Klägers zufolge hat dieser kurz vor seiner Festnahme geheiratet und es habe sich bei dem sichergestellten Bargeld um Hochzeitsgeschenke gehandelt. Das diesbezüglich gegen den Kläger wegen Geldfälschung geführte Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bamberg (Az. 1105 Js 12027/19 ÜL 3879/18) wurde mangels hinreichenden Tatverdachts mit Verfügung vom 29. Oktober 2019 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (vgl. Bl. 67 des beigezogenen Vollstreckungsheftes).
Zwar ist es der Gewerbebehörde sowie dem Gericht nicht grundsätzlich verwehrt, bei der Beurteilung, ob eine Person gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne von § 35 Abs. 1 GewO ist, Straftaten zu berücksichtigen, die von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt, sondern – etwa nach § 170 Abs. 2 StPO – eingestellt wurden (OVG SH, B.v. 9.11.2020 – 5 MB 29/20 – NVwZ-RR 2021, 619 Rn. 7; OVG NW, B.v. 23.4.2015 – 4 A 955/13 – NJW 2015, 3387). Vorliegend erfolgte die Einstellung des Verfahrens ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft Bamberg vom 29. Oktober 2019 jedoch gerade vor dem Hintergrund, dass die Falsifikate dem Kläger nicht zugeordnet werden konnten und es nicht auszuschließen war, dass der Kläger keine Kenntnis von den falschen Geldscheinen hatte. Ein Tatnachweis konnte deshalb nicht mit der für die Anklage erforderlichen Wahrscheinlichkeit geführt werden. Da auch im hiesigen Verfahren keine näheren Erkenntnisse zu Herkunft und Besitz des aufgefundenen Falschgeldes offenbar wurden, drängte sich angesichts der ausführlichen und nachvollziehbaren Begründung der Verfahrenseinstellung seitens der Staatsanwaltschaft Bamberg eine weitere Sachaufklärung diesbezüglich nicht auf. Aus dem Vorwurf der Geldfälschung kann daher auf eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers nicht geschlossen werden.
1.3 Schließlich rechtfertigt die rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das LG Bamberg vom 29. April 2019 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten nicht die für eine Gewerbeuntersagung erforderliche Annahme, dass der Kläger sein ausgeübtes Gewerbe „Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren“ in Zukunft nicht ordnungsgemäß betreiben wird.
Da eine gewerbliche Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden nicht schlechthin, sondern stets mit Blick auf das ausgeübte Gewerbe festzustellen ist, müssen die festgestellten Tatsachen, die die Unzuverlässigkeit begründen sollen, gewerbebezogen sein, d.h. die Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden gerade im Hinblick auf das konkret ausgeübte Gewerbe in Frage stellen (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand September 2020, § 35 Rn. 34 m.w.N.). Die Gewerbebehörde muss sich selbst davon überzeugen, welcher Sachverhalt einer Bestrafung zugrunde gelegen hat – wobei sie i.d.R. von den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts ausgehen darf – und in eigener Verantwortung prüfen, ob die der Bestrafung zugrundeliegenden Tatsachen eine Verneinung der Zuverlässigkeit für das ausgeübte Gewerbe rechtfertigen (BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34.97 – GewArch 1997, 242; vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2016 – 22 ZB 16.284 – BeckRS 2016, 50123 Rn. 10). Bereits ein einmaliger Verstoß gegen Strafgesetze kann insoweit bei bestehendem Gewerbebezug die Unzuverlässigkeit des Betroffenen begründen, wenn es sich um ein gravierendes Delikt handelt. Eine Unzuverlässigkeit kann aber auch dann zu bejahen sein, wenn die Häufung der Straftaten einen Hang zur Missachtung geltender Vorschriften erkennen lässt (siehe Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Auflage 2011, § 35 Rn. 39 m.w.N.).
Nach Maßgabe der Feststellungen im Urteil des LG Bamberg vom 29. April 2019 (dazu näher unter 1.3.1) gelangt das Gericht nicht zur Überzeugung, dass der Kläger im Zeitpunkt des Bescheiderlasses wegen des Betäubungsmittelhandels für das von ihm ausgeübte Gewerbe unzuverlässig war. Die festgestellten Tatsachen reichen insbesondere nicht für eine die Gewerbeuntersagung stützende negative Prognose, wonach der Kläger künftig im Rahmen seines Gewerbes vermögensschädigende Straftaten zulasten seiner Kunden begehen wird (dazu unter 1.3.2). Überdies liegt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gefahr vor, dass der Kläger unter dem „Deckmantel“ seines Online-Handels einen illegalen Betäubungsmittelhandel betreiben könnte (dazu unter 1.3.3).
1.3.1 Ausweislich der Feststellungen des LG Bamberg in seinem Urteil vom 29. April 2019 (Az. 33 KLs 2101 Js 11332/18) betätigte sich der Kläger im Zeitraum von Januar 2016 bis zu seiner Festnahme am 5. Juli 2018 als Betäubungsmittelhändler, wobei er insbesondere Cannabis und Kokain veräußerte. Die Geschäfte tätigte er im Raum Haßfurt und im Raum Bamberg.
Konkret verkaufte und übergab der Kläger nach den strafgerichtlichen Feststellungen bei drei Gelegenheiten zu nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2016 jeweils 100 g Haschisch sowie in zwei dieser Fälle zusätzlich jeweils mindestens 3 g Kokain in der Wohnung eines Mitangeklagten an eine Frau G. Am 21. April 2016 verkaufte und übergab der Kläger in der Wohnung eines Mitangeklagten an Frau G. weitere 300 g Haschisch. Im Frühsommer 2016 verkaufte und übergab der Kläger an Frau G. auf einem Parkplatz erneut 100 g Haschisch und zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum Anfang 2016 bis Sommer 2017 verkaufte und übergab der Kläger Frau G. in deren damaliger Wohnung 200 g Haschisch. Schließlich verabredete der Kläger mit einem nicht öffentlich ermittelnden Polizeibeamten („J* …“) als angeblichem Abnehmer den Verkauf von 70 g Kokain und sieben 100 g-Platten Haschisch. Am 5. Juli 2018 kam es auf einer Straße in Haßfurt zum Austausch von Geld und Betäubungsmitteln. Während der Kläger das ihm von „J* …“ überreichte Geld zählte, kam es zur Festnahme des Klägers.
Das LG Bamberg bewertete dies als vorsätzliches unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben tatmehrheitlichen Fällen und verurteilte den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Aufgrund der Ausführungen des Zeugen M.-
V. und des Sachverständigen Dr. M. stellte das LG Bamberg fest, dass der Kläger an einer psychischen Abhängigkeit von Kokain und Cannabinoiden (ICD-10 F 19.2) litt. Aufgrund der Abhängigkeit des Klägers gelangte das Strafgericht zur Überzeugung, dass der Kläger den Betäubungsmittelhandel „auch aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit“ begangen hat und nahm sowohl § 35 BtMG (Zurückstellung der Strafvollstreckung) als auch den daran anknüpfenden § 17 BZRG in die Liste der angewandten Strafvorschriften auf.
Zulasten des Klägers kann im Untersagungsverfahren von den Feststellungen des LG Bamberg nicht abgewichen werden (§ 35 Abs. 3 Satz 1 GewO).
1.3.2
Das der Verurteilung vom 29. April 2019 zugrundeliegende Verhalten des Klägers begründet nicht die Besorgnis, er werde sein Gewerbe „Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren“ insoweit nicht ordnungsgemäß ausüben, als die Gefahr besteht, er könnte seine Kunden durch Betrug oder ähnliche Handlungen schädigen.
Der unbestimmte Rechtsbegriff der Unzuverlässigkeit ist im Lichte des Art. 12 Abs. 1 GG sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen (vgl. BVerwG, B.v. 26.2.1997 – 1 B 34.97 – GewArch 1997, 242; Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 27). Ihm liegt ein differenzierter Prognosemaßstab zugrunde, der sich insbesondere nach der Wertigkeit der bedrohten Schutzgüter und dem zu erwartenden Schadensausmaß bemisst: Je größer der zu befürchtende Schaden ist, desto niedriger ist das erforderliche Wahrscheinlichkeitsmaß und umgekehrt.
Der Kläger vertreibt über einen eigens eingerichteten Webshop („…“) gemeinsam mit seinem Bruder Hundebetten und weitere Haustierartikel im Einzelhandel für nicht mehr als ca. 70,00 EUR je Stück. Das Ausmaß etwaiger täuschungsbedingter Vermögensschäden bei einzelnen Kunden dürfte sich somit in Grenzen halten. Der abstrakten Gefahr, dass der Kläger sein Gewerbe generell auf Betrug auslegen könnte, wirken zudem im Online-Handel mit Konsumgütern die im Internet verbreiteten Bewertungsportale sowie der bei den gängigen und vom Kläger angebotenen digitalen Zahlungsdienstleistern (etwa PayPal) verfügbare Käuferschutz entgegen. Soweit der Kläger seine Waren über bekannte Online-Marktplätze (z.B. Amazon, Facebook Marketplace, Ebay) vertreibt, droht ihm im Falle von Kundenbeschwerden die Sperrung seines Händlerzugangs, was sich disziplinierend auf die dort gewerblich tätigen Anbieter auswirkt.
Vom Gewerbe des Klägers geht mithin nur ein geringes potentielles Schadensausmaß sowie mit Blick auf den Wahrscheinlichkeitsmaßstab eine niedrigschwellige Gefahr aus. Die deshalb zu fordernden gewichtigen Anknüpfungstatsachen dafür, dass der Kläger durch betrügerisches Verhalten seine Kunden schädigen könnte, kann das Gericht in den Vorgängen, die zur rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen siebenfachen Betäubungsmittelhandels geführt haben, nicht mit der erforderlichen Überzeugungsgewissheit erkennen. Ein illegaler Betäubungsmittelhandel begründet zunächst keinen klassischen Fall einer gewerbeübergreifenden Unzuverlässigkeit, bei welchem die Begehung einer bestimmten Straftrat auf die Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden bezüglich sämtlicher gewerblicher Betätigungen ausstrahlt. Es mag zwar nicht ausgeschlossen sein, dass jemand, der in der Vergangenheit illegal mit Betäubungsmitteln gehandelt hat, im Rahmen einer anschließenden regulären gewerblichen „Handelstätigkeit“ seine Kunden durch betrügerisches Geschäftsgebaren schädigt. Ein dahingehender allgemein gültiger Erfahrungssatz und ein dementsprechender generell anzunehmender Gewerbebezug des Betäubungsmittelhandels des Klägers für sein ausgeübtes Gewerbe „Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren“ ist jedoch nicht erkennbar. Ferner bieten die Sachverhaltsfeststellungen des LG Bamberg sowie die der Verurteilung zugrundeliegende Ermittlungsakte keine konkreten Anhaltspunkte zur Besorgnis, der Kläger werde die Kunden seines Online-Handels durch betrügerisches Geschäftsgebaren schädigen. Insbesondere zeigen sich keine Hinweise, dass der Kläger im Rahmen des illegalen Betäubungsmittelhandels die Käufer seiner Betäubungsmittel „geschäftlich“ übervorteilte. Die Art und Weise des illegalen Betäubungsmittelhandels des Klägers gibt folglich keinen handfesten, an bestimmte Umstände anknüpfenden Grund zur Befürchtung, es werde im Rahmen der gewerblichen Betätigung künftig zu vermögensschädigenden Handlungen kommen.
Ferner kann im Gewerbeuntersagungsverfahren nicht zulasten des Klägers angenommen werden, er habe seine rechtskräftig abgeurteilten Betäubungsmitteldelikte gerade aufgrund eines rücksichtslosen Gewinnstrebens begangen, was die Gefahr begründen könnte, dass er sich wahrscheinlich im Rahmen seines Gewerbes rechtswidrig bereichern könnte. Einer solchen Annahme steht allerdings der Umstand entgegen, dass das LG Bamberg im Urteil vom 29. April 2019 die Voraussetzungen des § 35 BtMG bejaht hat. Damit kommt die aus der Hauptverhandlung gewonnene Überzeugung des Strafgerichts zum Ausdruck, dass die beim Kläger festgestellte Betäubungsmittelabhängigkeit kausale Ursache seiner Straffälligkeit war (vgl. Kornprobst in MüKoStGB, 3. Aufl. 2018, § 35 BtMG Rn. 44). Wegen der Vorrangbestimmung des § 35 Abs. 3 Satz 1 GewO kann die Anwendung des § 35 BtMG im Gewerbeuntersagungsverfahren nicht zuungunsten des Klägers übergangen werden. Insbesondere ist den Feststellungen des LG Bamberg an keiner Stelle zu entnehmen, dass der Betäubungsmittelhandel des Klägers den zum Eigenkonsum notwendigen Bedarf weit überstiegen habe, wie es das Landratsamt vorbringt.
Aufgrund der kausalen Bedeutung der inzwischen überwundenen (dazu sogleich näher) Betäubungsmittelabhängigkeit für die Begehung des vom LG Bamberg abgeurteilten siebenfachen Drogenhandels kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das zur rechtskräftigen Verurteilung vom 29. April 2019 führende Verhalten des Klägers mit Blick auf die Häufung der Straftaten dessen generellen Hang zur Missachtung geltender Vorschriften aufzeigt. Es besteht deshalb mit Blick auf die Häufung der Straftaten nicht die Besorgnis, der Kläger werde sich als Gewerbetreibender nicht ordnungsgemäß verhalten, weil er die Allgemeinheit schützende Normen im Bereich seiner gewerblichen Betätigung missachten wird.
1.3.3
Das Gericht kann überdies nicht mit der für eine Gewerbeuntersagung hinreichenden Wahrscheinlichkeit die Gefahr erkennen, dass der Kläger unzuverlässig wäre, weil er unter dem „Deckmantel“ seines Online-Handels erneut einen illegalen Betäubungsmittelhandel betreiben könnte.
Allerdings ist es nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass eine Person, die in der Vergangenheit nachweislich illegal mit Betäubungsmitteln gehandelt hat, einen gewerblichen Online-Handel mit Konsumgütern gründet, um damit einen verdeckten illegalen Betäubungsmittelhandel durchzuführen. Gerade dann, wenn wie im Falle des Klägers Drogengeschäfte in erheblichem Umfang sowie unter Aufbietung einer nicht geringen kriminellen Energie durchgeführt wurden, kann ein illegaler Handel mit Betäubungsmitteln durchaus die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit bezüglich bestimmter Ausprägungen eines Gewerbes indizieren (vgl. etwa im Hinblick auf einen Steh-Imbiss VG Gießen, U.v. 18.1.2008 – 8 E 314/08 – BeckRS 2008, 3352 Rn. 17). Dies mag angesichts der Eigenheiten des Online-Handels mit Konsumgütern (insb. Möglichkeit zur anonymen Fernkommunikation und zum kontaktlosen Warenaustausch) auch auf das vom Kläger ausgeübte Gewerbe zutreffen. So weist das Bundeskriminalamt (BKA) darauf hin, dass sich der Handel mit Rauschgift im Internet („Clearnet und Darknet“) weltweit als fester Vertriebsweg für Rauschgift etabliert hat und dass nationale wie internationale Ermittlungsverfahren gegen Plattformbetreiber auf eine große Anzahl von im Internet aktiven Rauschgifthändlern und -erwerbern hinweisen (siehe BKA, Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2019, S. 18). Ferner wurde in den vergangenen Jahren eine Zunahme des Handels mit inkriminierten Gütern – etwa Betäubungsmitteln – unter Nutzung von Postdienstleistern verzeichnet (vgl. BT-Drs. 19/20347, S. 1; vgl. auch das zum 18.3.2021 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Strafverfolgung hinsichtlich des Handels mit inkriminierten Gütern unter Nutzung von Postdienstleistern vom 9.3.2021, BGBl. I S. 324).
Selbst wenn man deshalb einen Gewerbebezug des siebenfachen Betäubungsmittelhandels des Klägers für sein Gewerbe „Online-Handel mit Tierbetten und Haushaltswaren“ annähme, sieht das Gericht im vorliegenden Fall jedenfalls für die anzustellende Prognose keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Handel mit Hunde- und Katzenbetten zur verdeckten Durchführung illegaler Betäubungsmittelgeschäfte missbrauchen wird. Im Rahmen der prospektiv ausgerichteten Einschätzung, ob der Gewerbetreibende seine gewerbliche Tätigkeit fortan ordnungsgemäß ausüben wird, reichen bloße Zweifel an der Zuverlässigkeit oder Vermutungen für eine Untersagung nicht aus, ebenso wenig die schlichte Möglichkeit eines Fehlverhaltens (Ennuschat in Ennuschat/Wank/Winkler, GewO, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 31). Zwar ist andererseits eine feste Gewissheit einer späteren Pflichtverletzung nicht nötig, sondern es genügt bereits die Wahrscheinlichkeit (Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand September 2020, § 35 Rn. 32). Dabei reicht eine abstrakte Gefahr – d.h. eine nach der Lebenserfahrung typischerweise zu bejahende Gefährdungslage ohne Notwendigkeit des Vorliegens einer konkreten Gefahr – für die Schutzgüter des § 35 Abs. 1 GewO (vgl. BT-Drs. 7/111, S. 5).
Letzteres kann das Gericht indes nicht erkennen. Nach den Gesamtumständen bestehen keine überzeugenden Gesichtspunkte, die es im Sinne einer abstrakten Gefahr typischerweise wahrscheinlich machen, dass der Kläger im Rahmen seines Online-Handels einen verdeckten Betäubungsmittelhandel durchführen wird. Bereits die Annahme mutet fernliegend an, wonach der noch bis Juni 2023 unter Bewährung stehende Kläger nach der erfolgreich abgeschlossenen Entwöhnungstherapie und anschließenden Rückkehr zu seiner Familie im März 2020 unmittelbar ein Gewerbe anmeldete, um hierüber einen illegalen Betäubungsmittelhandel gerade mittels eines bei der Gemeinde angezeigten und mithin gewerberechtlich überwachten Online-Handels durchzuführen. Überdies ist dem Urteil des LG Bamberg vom 29. April 2019 eine Feststellung, wonach der abgeurteilte Betäubungsmittelhandel des Klägers „zum Teil über das Internet [stattfand]“, wie es das Landratsamt in seiner Klageerwiderung vorbringt und was möglicherweise auf die künftige Durchführung eines Online-Betäubungsmittelhandels hindeuten könnte, so nicht zu entnehmen. Aus der Ermittlungsakte lässt sich ersehen, dass die früheren Drogengeschäfte teilweise unter Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel (Messenger, E-Mail) verabredet wurden. Es liegen jedoch keine Hinweise vor, dass der Kläger Betäubungsmittel ähnlich einem Online-Handel auf fernmündliche Bestellung hin unter Einsatz von Postdienstleistern an seine Abnehmer versendete. Stattdessen wurden sämtliche festgestellten Geschäfte im Rahmen persönlicher Treffen abgewickelt.
Schließlich sind die weiteren Feststellungen der strafgerichtlichen Entscheidung des LG Bamberg vom 29. April 2019 in die Prognose einzubeziehen. Wie schon erwähnt, hat das Strafgericht mit der Anwendung des § 35 BtMG zum Ausdruck gebracht, dass die beim Kläger festgestellte Betäubungsmittelabhängigkeit ursächlich für die Begehung des Betäubungsmittelhandels war. Eine zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits erfolgreiche Überwindung der Sucht hat demnach Eingang zu finden in die gewerberechtliche Prognose, ob vom Kläger erneut entsprechende oder ähnliche Straftaten zu erwarten sind. Der Kläger hat indessen vom 5. November 2019 bis 3. März 2020 und mithin vor Bescheiderlass eine stationäre Entwöhnungsbehandlung durchlaufen und diese nach Mitteilung der Klinik aus medizinischer Sicht erfolgreich abgeschlossen (vgl. den ärztlichen Entlassbericht der Kompass Kompakt Drogenhilfe). Die Vollstreckung des Strafrests wurde deshalb mit Beschluss des LG Bamberg vom 25. Juni 2020 zur Bewährung ausgesetzt, und zwar mit dem Hinweis, dass der Kläger die Fähigkeit zur Abstinenz von Drogen erworben hat. Zwar kommt der dem Bewährungsbeschluss zugrundeliegenden günstigen Prognose nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG keine Bindungswirkung für die Prüfung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit zu (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2016 – 22 ZB 16.1784 – GewArch 2017, 162 zu § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB). Die Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ist für die gewerberechtliche Zuverlässigkeitsprognose jedoch von tatsächlichem Gewicht (vgl. BayVGH, B.v. 2.7.2014 – 22 CS 14.1186 – juris Rn. 16 m.w.N.). Insoweit überschneiden sich vorliegend die in die strafvollstreckungsrechtliche und gewerberechtliche Prognose einzustellenden Erwägungen. Da der Kläger – wie es auch das LG Bamberg konstatiert – dank seiner Therapie die für seine abgeurteilte Straffälligkeit ursächliche Drogensucht überwunden hat (was – ohne dass es hierauf tragend ankommt – durch nach Bescheiderlass im Rahmen der Bewährungskontrolle eingeholte Urintests vom 20.10.2020 und vom 28.5.2021 bestätigt wird), war der maßgebliche Antrieb für die vom Kläger begangenen Straftaten zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits entfallen. Es bestand daher kein überzeugender Grund zur Besorgnis, der Kläger werde künftig im Rahmen seines Gewerbes „Online-Handel mit Tierbedarf und Haushaltswaren“ einen illegalen Betäubungsmittelhandel betreiben.
2. Da mithin die in Nr. 1 des Bescheids vom 19. Oktober 2020 gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ausgesprochene Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes rechtswidrig ist, kann auch die in Nr. 2 des Bescheids verfügte Erweiterung der Untersagung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf sämtliche stehende Gewerbe sowie entsprechende Leitungs- und Vertretungstätigkeiten nicht aufrechterhalten werden. Denn die erweiterte Untersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO setzt im Sinne einer Akzessorietät eine rechtmäßige Untersagung des ausgeübten Gewerbes nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO voraus (vgl. Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, Stand September 2020, § 35 Rn. 88 f. m.w.N.).
3. Der Bescheid vom 19. Oktober 2020 erweist sich mithin insgesamt als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war somit gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben und der Klage war mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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