Steuerrecht

Gewerbesteuerzerlegung beim Versorgungsunternehmen nach Entflechtung von Netz- und Versorgungsbetrieb (Unbundling)

Aktenzeichen  III R 8/19

Datum:
18.2.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:B.180221.IIIR8.19.0
Normen:
§ 2 Abs 1 S 1 GewStG 2002
§ 5 Abs 1 S 1 GewStG 2002
§ 5 Abs 1 S 3 GewStG 2002
§ 6 GewStG 2002
§ 11 GewStG 2002
§ 28 Abs 1 S 1 GewStG 2002
§ 28 Abs 1 S 2 GewStG 2002
§ 12 AO
§ 6 Abs 2 S 1 EnWG
§ 6 Abs 2 S 3 EnWG
§ 3 Abs 2 GasNZV
§ 3 Abs 3 GasNZV
GewStG VZ 2009
§ 8 GewStDV
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. Findet bei einem integrierten Energieversorgungsunternehmen eine Entflechtung statt, aufgrund derer das Versorgungsnetz an eine andere Gesellschaft verpachtet wird, ist eine Gewerbesteuerzerlegung auf die Netzgemeinden im Hinblick auf die bei dem Energieversorgungsunternehmen verbliebenen Geschäftsbereiche nur dann vorzunehmen, wenn das Energieversorgungsunternehmen in den einzelnen Netzgemeinden weiterhin selbst Betriebsstätten im Sinne des § 12 AO unterhält.
2. Eine mehrgemeindliche Betriebsstätte im Sinne der §§ 28 Abs. 1 Satz 2 Alternative 1, 30 GewStG setzt voraus, dass jeder der auf mehrere Gemeinden entfallenden Teile dieser Einheit die Voraussetzungen des Betriebsstättenbegriffes erfüllt.
3. Aus einem Pachtvertrag, mit dem der Pächterin die Netzhoheit über ein Versorgungsnetz übertragen wird, ergibt sich auch dann keine Verfügungsbefugnis der Verpächterin über das Netz, wenn der Verpächterin Mitwirkungsrechte bei der Aufstellung und Durchführung des Wirtschaftsplans vorbehalten werden.
4. Der Teilbetriebsfiktion in § 6 Abs. 2 Sätze 1 und 3 EnWG kommt keine Aussagekraft im Hinblick auf das Bestehen der für den Betriebsstättenbegriff notwendigen Verfügungsmacht an den von der Entflechtung betroffenen Geschäftseinrichtungen zu.
5. Aus der Verpflichtung des Netzbetreibers zum Abschluss eines Transportvertrages folgt keine Verfügungsbefugnis des Transportkunden über das Netz.
6. Eine Mitunternehmerstellung des Energieversorgungsunternehmens beim Netzbetreiber begründet im Hinblick auf das Energieversorgungsgeschäft keine Betriebsstätten des Energieversorgers in den Betriebsstätten des Netzbetreibers.

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 11. Dezember 2018, Az: 5 K 5039/18, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 11.12.2018 – 5 K 5039/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags (GewStMB) vorliegen.
2
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Rechtsnachfolgerin der B-GmbH (im Folgenden: B-GmbH). Gegenstand des Unternehmens der B-GmbH war der Handel mit Erdgas über Rohrnetze. Die Hauptverwaltung (einschließlich Geschäftsleitung) der B-GmbH befand sich im Streitjahr 2009 in C in gemieteten Räumen. Auf die Hauptverwaltung in C entfielen 100 % der Arbeitslöhne.
3
Seit 2007 war die B-GmbH an der seinerzeit gegründeten, konzernzugehörigen D-GmbH & Co. KG (im Folgenden: D-GmbH & Co. KG) mit einem Anteil von 1,5 % beteiligt.
4
Die B-GmbH betrieb zunächst selbst ein in ihrem Eigentum stehendes Gasnetz. Mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.2005 (BGBl I 2005, 1970, 3621) –EnWG– wurden Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, bestimmte Entflechtungsmaßnahmen durchzuführen und den Geschäftsbereich Netzbetrieb von anderen Geschäftsbereichen zu trennen (sog. Unbundling). Zur Erfüllung dieser Verpflichtung verpachtete die B-GmbH mit Pachtvertrag vom 07.12.2006 ihr Gasnetz ab 01.01.2007 an die D-GmbH & Co. KG. Hierdurch kam es zur Trennung von Netz und Vertrieb. Das wirtschaftliche Eigentum an den Netzen ist bei der B-GmbH als Verpächterin verblieben. Der Pächterin ist für die Netzbewirtschaftung die Netzhoheit eingeräumt. Sie entscheidet im Rahmen des genehmigten Wirtschaftsplans (§ 8 des Pachtvertrages), zu dem Informations- und Mitspracherechte der Verpächterin bestehen, über den Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau des Netzes selbständig (§ 3 des Pachtvertrages). Danach ist die Pächterin verpflichtet, den Pachtgegenstand nach den “allgemein anerkannten Regeln der Technik” i.S. von § 49 EnWG ordnungsgemäß zu betreiben und auf ihre Kosten instand zu halten. Die Pächterin ist nach Maßgabe des Pachtvertrages berechtigt und verpflichtet, aufgrund eigener Sachkunde und Beurteilung alle erforderlichen Entscheidungen zum Betrieb des Pachtgegenstandes und dessen Instandhaltung, Erneuerung und Erweiterung zu treffen.
5
Die B-GmbH blieb Inhaberin der von den Gemeinden eingeräumten Konzessionen zur Benutzung der öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und die Benutzung der Gasleitungen. Ab Beginn der Verpachtung dienten die Konzessionen unmittelbar dem Betrieb der D-GmbH & Co. KG als Netzpächter und -betreiber. Die weiter von der B-GmbH zu entrichtenden Konzessionsabgaben wurden dieser von der D-GmbH & Co. KG erstattet. Die D-GmbH & Co. KG stellte diese zusammen mit den Netznutzungsentgelten den jeweiligen Netznutzern, also auch der B-GmbH, in Rechnung (§ 12 des Pachtvertrages).
6
Ertragsteuerlich wurden die verpachteten Wirtschaftsgüter ab dem Jahr 2007 als Sonderbetriebsvermögen der B-GmbH bei der D-GmbH & Co. KG behandelt, sodass eine Verpachtung zwischen Sonderbetriebsvermögen und Gesamthand stattfand.
7
Weiterhin bestand zwischen der D-GmbH & Co. KG (Netzbetreiber) und der B-GmbH (sog. Transportkunde) ein sog. Lieferantenrahmenvertrag, der die Rechte und Pflichten der Vertragspartner im Hinblick auf den Zugang zu den Gasnetzen regelte. Derartige Verträge bestehen auch mit Transportkunden, die nicht zugleich Verpächter des Gasnetzes sind.
8
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) zerlegte den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag 2009 zunächst mit Bescheid vom 20.07.2011 auf mehrere Gemeinden –die Beigeladenen (sog. Netzgemeinden)–. Hierbei wurden auch Gemeinden berücksichtigt, in denen sich ausschließlich Teile des verpachteten Gasnetzes (insbesondere Hausanschlussstationen) befanden. Zur Bestimmung des Zerlegungsmaßstabs wurden die Anschaffungskosten der Ortsnetze mit 45 %, die gemeindebezogenen Umsatzerlöse mit 45 % und die Arbeitslöhne nach Wohnort in Betriebsstättengemeinden mit 10 % gewichtet.
9
Eine für die Jahre 2007 bis 2010 durchgeführte Betriebsprüfung gelangte dagegen zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Verpachtung des Gasnetzes eine Betriebsstätte nur noch am Sitz der Hauptverwaltung in C bestehe. Dem folgte das FA und hob den Zerlegungsbescheid vom 20.07.2011 auf. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 01.03.2018 als unbegründet zurück.
10
Die Klage blieb ohne Erfolg.
11
Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
12
Die Klägerin beantragt,das angefochtene Urteil sowie den Bescheid für 2009 über die Zerlegung des Gewerbesteuermessbetrags vom 23.11.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.03.2018 aufzuheben.
13
Das FA beantragt,die Revision zurückzuweisen.


Ähnliche Artikel

Steuererklärung für Rentner

Grundsätzlich ist man als Rentner zur Steuererklärung verpflichtet, wenn der Grundfreibetrag überschritten wird. Es gibt allerdings Ausnahmen und Freibeträge, die diesen erhöhen.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben