Steuerrecht

Gewerbeuntersagung; nachträglich eingetretene Umstände; Prognose wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit

Aktenzeichen  3 ZKO 249/17

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:1118.3ZKO249.17.00
Normen:
§ 35 Abs 1 GewO
§ 35 Abs 1 GewO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer angegriffenen Gewerbeuntersagung ist die letzte Behördenentscheidung. Demnach sind nach dem erstinstanzlichen Urteil eingetretene Umstände wie die Abgabe einer Steuererklärung, Steuernachzahlungen oder die Vorlage einer Prognose zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Betriebes nicht zu berücksichtigen.(Rn.12)

2. Die Gewerbeuntersagung ist personen- und nicht betriebsbezogen.(Rn.11)

3. Eine Zwangsvollstreckung zur Tilgung von Steuerrückständen vermag ein künftiges, den gewerberechtlichen Obliegenheiten entsprechendes Verhalten nicht zu gewährleisten.(Rn.13)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 10. Februar 2017, 3 K 1057/15 We, Urteil

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 10. Februar 2017 wird abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
Mit Bescheid vom 29. September 2015 untersagte der Beklagte der Klägerin die selbständige Ausübung des Gewerbes „Kompostierung (Aufarbeitung von Erdstoffen), Transport sowie deren Vertrieb“ (Pkt. 1), die Gewerbeausübung generell sowie jede Tätigkeit als Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person (Pkt. 2), weil sie gewerberechtlich unzuverlässig sei. Sie habe über einen Zeitraum von 2009 bis 2015 beim Finanzamt M. Steuerschulden in Höhe von 68.482,28 EUR auflaufen lassen. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes M. seien erfolglos verlaufen; im Schuldnerverzeichnis lägen drei Einträge „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ (Aktenzeichen DR II 1501/14 und DR II 1584/14 vom 2. Januar 2015 sowie DR II 390/15 vom 6. März 2015) vor. Die nachgereichte Steuererklärung für das Jahr 2012 und eine Zahlung von 330,83 EUR im Jahre 2015 hätten zu keiner maßgeblichen Reduzierung geführt. Es sei keine Tendenz ersichtlich, dass sich ihr Verhalten in der Zukunft ändern würde. Das Verfahren sei seit dem 24. November 2014 eröffnet und es habe ausreichend Zeit zur Erfüllung ihrer gewerberechtlichen Pflichten bestanden. Außerdem habe es sich zu einem wesentlichen Teil um Umsatzsteuerrückstände gehandelt, die vom Gewerbetreibenden treuhänderisch in Empfang zu nehmen und an das Finanzamt weiterzuleiten seien. Die Nichtabführung dieser treuhänderisch vereinnahmten Umsatzsteuer deute auf ihr fehlendes Verantwortungsbewusstsein hin. Ein Erfolg versprechendes Sanierungskonzept sei nicht vorgelegt worden noch sei die Umsetzung eines solchen Konzeptes ersichtlich. Ihre finanzielle Leistungsfähigkeit sei begrenzt, so dass sie ihren gewerberechtlichen Obliegenheiten nicht ordnungsgemäß hätte nachkommen können.
Die dagegen unter dem 4. November 2015 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Weimar mit Urteil vom 10. Februar 2017 abgewiesen und wegen der Voraussetzungen der Gewerbeuntersagung auf die Begründung des angegriffenen Bescheides Bezug genommen. Ferner hat es ergänzend ausgeführt, die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit ergebe sich aus den ungeordneten Vermögensverhältnissen der Klägerin und deren Vermögenslosigkeit. Auf ein Verschulden käme es insoweit nicht an. Anders als die Klägerin meine, sei es unerheblich, dass die Steuerschulden auf Schätzungen beruhten. Es sei entgegen der Anmerkungen der Klägerin auch kein erfolgversprechendes Sanierungskonzept ersichtlich. Die Gewerbeuntersagung enthalte auch keine Berufsaberkennung und sei verfassungsrechtlich im Übrigen nicht zu beanstanden. Auch die Möglichkeit, dass die Klägerin möglicherweise zukünftig auf Sozialhilfe angewiesen sei, führe nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme. Ferner sei auch die erweiterte Gewerbeuntersagung insbesondere im Hinblick auf die von ihr bereits früher ausgeübte Gewerbetätigkeit im Güterkraftverkehr rechtlich nicht anzufechten.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 10. Februar 2017 hat keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die vorgetragenen Einwände der Klägerin geben keinen Anlass zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Solche Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner, die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163, vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 und vom 26. März 2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl. 2007, 624). Das Darlegungsgebot gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erfordert eine inhaltliche Befassung mit der angegriffenen Entscheidung, insbesondere damit, welche entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts der Rechtsmittelführer für unzutreffend hält und aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen sich dies ergibt. Dabei müssen sich regelmäßig unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig die Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des Prozessstoffes die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens rechtfertigen sollen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 4. Juli 2006 – 3 ZKO 474/06 – m. w. N.).
Nach Maßgabe dieser Anforderungen gelingt es der Klägerin nicht, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Zweifel zu ziehen.
Solche ergeben sich nicht aus ihrer Rüge, das Gericht habe im Urteil die Erkenntnisse und Ergebnisse seiner Überprüfung ihres Gesamtverhaltens nicht konkret dargelegt; es lägen insbesondere keine in der Gesamtbetrachtung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und Leistungsfähigkeit überzeugenden Darlegungen des Gerichts vor, die eine Prognose rechtfertigen würden, dass ihr Gewerbebetrieb künftig (nicht) durch eine dauerhafte wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit geprägt wäre.
Dies verkennt, dass das Verwaltungsgericht zur Frage der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin auf die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheides vom 29. September 2015 Bezug genommen hat. Gemäß § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt. Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil ausdrücklich die Begründung der Untersagungsverfügung zu Eigen gemacht und auf die Begründung verwiesen. Weitere Ausführungen waren damit entbehrlich.
Die Klägerin verkennt zudem mit ihren Ausführungen, dass es nicht darauf ankommt, ob die Kompostieranlage von einer dauerhaften wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geprägt sein wird. Selbst wenn eine Gewinnerwartung bestehen würde, wäre nicht garantiert, dass Steuern und Sozialabgaben pünktlich und dauerhaft abgeführt würden. Deswegen ist es entgegen der klägerischen Auffassung auch unerheblich, dass es sich um einen Familienbetrieb handelt und der erforderliche Grundbesitz dauerhaft zur Verfügung steht. Ausschlaggebend ist hier – was das Verwaltungsgericht in dem Urteil richtig erkennt – die Person der Klägerin als Gewerbetreibende. Die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewerbeordnungGewO – ist – wie der Wortlaut unmissverständlich klarstellt – personen- und nicht betriebsbezogen. Der Betrieb als solcher und dessen Wirtschaftlichkeit ist für die Prüfung der Unzuverlässigkeit der Gewerbetreibenden nicht vorrangig ausschlaggebend.
Die Klägerin übersieht ferner und setzt sich insoweit nicht mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts auseinander, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO durch den Beklagten maßgeblich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschluss vom 7. September 2016 – 3 ZKO 599/16 – n. v.; so schon BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 17/79 – juris Rn. 25), mithin der Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 29. September 2015. Ihren Einwendungen, die sich auf anschließend eingetretene Änderungen beziehen, wie etwa getätigte Steuererklärungen, die wenige Wochen nach dem verwaltungsgerichtlichen Urteil erfolgten Steuernachzahlungen oder die im Zulassungsverfahren dargelegte Prognose der dauerhaften wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kompostieranlage im Zeitraum von 2015 bis 2020 sind bei der im Rahmen des Gewerbeuntersagungsverfahrens erforderlichen Prognose daher nicht zu berücksichtigen. Diese sind wegen des Antragserfordernisses allein im Verfahren der Wiedergestattung nach § 35 Abs. 6 GewO relevant, nicht hingegen im Untersagungsverfahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1982 – 1 C 17/79 – juris Rn. 25).
Der Einwand, dass anstelle der Gewerbeuntersagung eine Zwangsvollstreckung als milderes Mittel in Betracht gekommen wäre, wirft ebenfalls keine Bedenken an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung auf. Angesichts der erfolglosen Pfändung der Vollziehungsbeamten des Finanzamtes M. am 14. August 2013 sowie am 2. Juni 2015, der drei Einträge „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ (Aktenzeichen DR II 1501/14 und DR II 1584/14 vom 2. Januar 2015 sowie DR II 390/15 vom 6. März 2015) in das Schuldnerverzeichnis und der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 2. August 2013 (Aktenzeichen 1 M 653/12) scheint es ausgeschlossen, dass eine Zwangsvollstreckung als gleich geeignetes Mittel überhaupt in Betracht gekommen wäre. Zudem bleibt offen und ist nicht hinreichend substantiiert dargelegt, welche Teile des Anlagevermögens des „Familienbetriebes“ für eine Zwangsvollstreckung zur Verfügung gestanden hätten; tatsächlich hat die Klägerin diese auch nicht zur Schuldentilgung bzw. Verhinderung der Verschuldung genutzt. Hinzukommt, dass ein künftiges, den gewerberechtlichen Obliegenheiten entsprechendes Verhalten mit einer Zwangsvollstreckung zur Tilgung von Steuerrückständen nicht gewährleistet wäre.
Aus diesem Grund erweist sich auch die erweiterte Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO, wie vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, als rechtmäßig, insbesondere nicht als ermessensfehlerhaft. Vielmehr hat der Beklagte das ihm insofern eingeräumte Ermessen erkannt und ordnungsgemäß darauf abgestellt, nur durch die Erweiterung sei umfassend sichergestellt, dass die gewerbeübergreifend unzuverlässige Klägerin nicht nach Einstellung ihres bisherigen Gewerbes auf andere Gewerbearten ausweichen oder in leitender Funktion für andere Gewerbebetriebe tätig werde.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist im Hinblick auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nur dann genügt, wenn in Bezug auf die Rechtslage oder hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen eine entscheidungserhebliche, unmittelbar aus dem Gesetz bzw. der Tatsachenlage nicht zu beantwortende, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete, konkrete Frage aufgeworfen und vom Antragsteller erläutert wird, warum sie nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden müssen. Es muss deshalb in der Begründung des Zulassungsantrags deutlich werden, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer konkreten Rechts- und Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen und es insoweit erforderlich ist, dass sich das höhere Gericht klärend mit der aufgeworfenen Frage befasst und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 12. Januar 1999 – 3 ZKO 1371/98 – ThürVGRspr. 1999, 142 und juris).
Das Zulassungsvorbringen scheitert bereits an der notwendigen Darlegung. Die Klägerin wirft zwar verschiedene Fragen auf, ohne jedoch näher ihre Auffassung dazu – insbesondere in Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung – aufzuzeigen. Sie unterlässt es auch, anzugeben, ob und inwieweit das Verwaltungsgericht hiervon abweicht. Insgesamt fehlt dem Vorbringen insoweit jede Begründung.
Im Übrigen fehlt es den von der Klägerin formulierten Fragen an der allgemeinen Klärungsfähigkeit. Sie sind einzelfallbezogen und lassen sich nur unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls beantworten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, 47 GKG. Insoweit wird zur Begründung auf die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung Bezug genommen.
Hinweis:Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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