Steuerrecht

Gewinnzuschlag und Zinsen

Aktenzeichen  3 K 301/19

Datum:
18.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 18633
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 6c Abs. 1
FGO § 68 Abs. 1 S. 1
AO § 233a
BGB § 247

 

Leitsatz

Mit dem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber nicht nur, den durch die Bildung einer Rücklage eingetretenen Zinsvorteil dem Steuerpflichtigen nicht zu belassen. Vielmehr soll, da wegen nicht vorgenommener begünstigter Reinvestition keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit für eine Begünstigung des Gewinns aus der Veräußerung besteht, der Zinsvorteil durch Erhöhung des Gewinns wieder ausgeglichen werden (vgl. BT-Drucks 9/842, S. 66). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Kläger werden durch den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 30.09.2021 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Das Finanzamt hat zu Recht eine Verzinsung für den Gewinnzuschlag nach § 6c Abs. 1 EStG i.V.m. § 6b Abs. 7 EStG angesetzt.
1. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt und damit zulässig. Die Klage muss den Kläger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens, bei Anfechtungsklagen auch den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf bezeichnen. Sie soll nach § 65 Abs. 1 Satz 2 FGO einen bestimmten Antrag enthalten. Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Klägers in die Lage versetzt wird zu erkennen, worin die den Kläger betreffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt. Der Basiszinssatz ist ein variabler Zinssatz, der von der Deutschen Bundesbank jeweils zweimal im Jahr im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Der Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank nach § 247 BGB beträgt 0,12% (ab 01.07.2012), – 0,13% (ab 01.01.2013), – 0,38% (ab 01.07.2013), – 0,63% (ab 01.01.2014), – 0,73% (ab 01.07.2014), – 0,83% (ab 01.01.2015 bis 30.06.2016) und – 0,88% (ab 01.07.2016).
Damit ist das Finanzgericht in der Lage, die Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu bestimmen.
2. Die Reinvestitionsrücklage war zum 30.06.2016 gemäß § 6b Abs. 3 Satz 4 EStG gewinnerhöhend aufzulösen. § 6b EStG i.V.m. § 6c EStG dienen dem Zweck, die aufgrund bestimmter Veräußerungsvorgänge freiwerdenden stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen, sondern sie auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen. Die Übertragung muss dabei innerhalb der in § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG genannten Fristen geschehen. Im Streitfall hatte der Kläger für seinen landwirtschaftlichen Betrieb im Wirtschaftsjahr 2012/2013 einen Gewinn aus der Veräußerung von Grund und Boden in Höhe von 13.358 € erzielt und hierfür die Steuervergünstigung nach §§ 6b, 6c EStG in Anspruch genommen. Mit Einreichung der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr hat der Kläger mitgeteilt, dass der landwirtschaftliche Betrieb stillgelegt sei und eine Auflösung der gebildeten Rückstellung erfolgen solle.
3. Soweit eine nach §§ 6c Abs. 1, 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend aufgelöst wird, ohne dass ein entsprechender Betrag nach Abs. 3 abgezogen wird, ist gemäß § 6b Abs. 7 EStG der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6% des aufgelösten Rücklagebetrags zu erhöhen. Der Gewinnzuschlag ist hier für den Zeitraum vom 30.06.2012 zum 30.06.2016, in dem die Rücklage bestanden hat, zu bilden. Die Erhöhung beträgt 3.205 € im Wirtschaftsjahr. Die Höhe ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
4. Die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die Höhe des Gewinnzuschlags von 6% teilt der Senat jedenfalls für die hier relevanten Jahre 2012 bis 2016 nicht. Insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -) nicht verletzt.
a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (Beschlüsse des BVerfG vom 29.03.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082, Rz 98; vom 07.05.2013 – 2 BvR 909/06, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 288/07, BVerfGE 133, 377, Rz 73; vom 06.07.2010 – 2 BvL 13/09, BStBl. II 2011, 318, Rz 35). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 m.w.N.).
b) Für das Steuerrecht wird dem Gesetzgeber ein weitreichender Entscheidungsspielraum zugestanden. Dies gilt für die Auswahl des Steuergegenstands und auch für die Bestimmung des Steuersatzes (BVerfG-Beschlüsse vom 04.12.2002 – 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BStBl. II 2003, 534, unter C.I.1.b, und vom 22.06.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655, unter C.II.1.d). Das BVerfG erkennt in ständiger Rechtsprechung Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse an. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Steuergesetze Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 m.w.N.).
c) Für die Auswahl des Zinsgegenstands und die Bestimmung des Zinssatzes gilt das nicht in gleicher Weise. Denn bei den von den Steuerpflichtigen erhobenen Nachzahlungszinsen handelt es sich gerade nicht um eine Steuer, sondern um steuerliche Nebenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AO, also um Geldleistungspflichten, die neben einer Steuer entstehen. Die Schuldner dieser Nebenleistungen sind regelmäßig zugleich Steuerpflichtige, die bereits als solche zur Finanzierung der die Gemeinschaft treffenden Lasten herangezogen werden. Neben dieser steuerlichen Inanspruchnahme bedürfen steuerliche Nebenleistungen, die die Einzelnen zu einer weiteren Finanzleistung heranziehen, zur Wahrung der Belastungsgleichheit eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes, der eine deutliche Unterscheidung gegenüber der Steuer ermöglicht. Dabei können neben den Zwecken etwa des Vorteilsausgleichs und der Kostendeckung auch – was insbesondere für den Säumnis- und den Verspätungszuschlag gilt – Zwecke der Verhaltenslenkung die Bemessung einer steuerlichen Nebenleistung rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, BGBl I 2021, 4303).
d) Allerdings kann der Gesetzgeber auch bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen. Begrenzt wird sein Spielraum jedoch auch hier dadurch, dass die von ihm geschaffenen Zinsregelungen grundsätzlich in der Lage sein müssen, den mit ihnen verfolgten Belastungsgrund realitätsgerecht abzubilden. Werden Zinsen als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, bedeutet dies, dass die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden muss, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 – 1 BvR 2237/14, BGBl. I 2021, 4303). Hieraus folgt, dass eine gesetzliche Zinssatztypisierung, die sich evident von realitätsgerechten Verzinsungen am Markt entfernt (hat), den gleichheitsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt.
e) Diese verfassungsrechtlichen Grenzen wurden im Streitfall nicht überschritten. So hat der Bundesfinanzhof die Höhe des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG jedenfalls bis zum Jahr 2009 nicht als verfassungswidrig angesehen (BFH-Urteile vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 und vom 29.04.2020 XI R 39/18, BStBl. II 2021, 517). Mit dem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber nicht nur, den durch die Bildung einer Rücklage eingetretenen Zinsvorteil dem Steuerpflichtigen nicht zu belassen. Vielmehr soll, da wegen nicht vorgenommener begünstigter Reinvestition keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit für eine Begünstigung des Gewinns aus der Veräußerung besteht, der Zinsvorteil durch Erhöhung des Gewinns wieder ausgeglichen werden (vgl. BT-Drucks 9/842, S. 66). Damit dient der Gewinnzuschlag der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Rücklage (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl. II 2020, 635 m.w.N.; Marchal in Herrmann/Heuer/ Raupach – HHR -, § 6b EStG Rz 149). Der durch die Steuerstundung bewirkte Steuervorteil wird dabei nicht konkret berechnet, sondern der Rücklagenbetrag wird aus Gründen der Steuervereinfachung je Jahr in pauschalierter Weise in Höhe von 6 v.H. verzinst und als Gewinnzuschlag erfasst. Die pauschale Berechnungsmethode soll nach der gesetzgeberischen Zielsetzung die im Einzelfall oft schwierige Ermittlung des konkreten wirtschaftlichen Vorteils unter Beachtung von Zins und Zinseszins und dem jeweiligen Steuersatz vermeiden. Die sich aus dieser pauschalen Berechnungsmethode des Gewinnzuschlags ergebenden Unschärfen bei der steuerlichen Belastung im Einzelfall ist nach Ansicht des Gerichts verfassungsrechtlich unbedenklich. Diese Zwecksetzung, eine missbräuchliche Inanspruchnahme von Rücklagen nach Abs. 3 zu verhindern, und die Entschließungsfreiheit des Steuerpflichtigen bei der Rücklagenbildung nach § 6 b EStG sind ausreichende Rechtfertigungsgründe, einen Gewinnzuschlag nach § 6 b Abs. 7 EStG unabhängig von der Höhe des wirtschaftlichen Vorteils im Einzelfall in Ansatz zu bringen (so auch Finanzgericht Münster, Urteil vom 17.11.2000 2 K 7511/97 E, Rn. 28, juris; Schmidt/Loschelder, EStG, 41. Auflage; § 6b Rz 88, m.w.N.). Bis zum Jahr 2016 hat sich nach Auffassung des Gerichts noch kein strukturelles Niedrig-Marktzinsniveau verfestigt, das den Gesetzgeber unter Berücksichtigung einer angemessenen Beobachtungsphase und des Gesichtspunktes der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der nur auf Antrag zu gewährenden Rücklage nicht weiterhin berechtigt hätte, im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung an dem statisch-typisierenden Zinssatz von 6% bei Berechnung des Gewinnzuschlags nach § 6b  Abs. 7 EStG festzuhalten.
f) Dem steht auch nicht der Beschluss des BVerfG vom 08.07.2021 (1 BvR 2237/14, BGBl. I 2021, 4303) entgegen. Dieser Beschluss ist zum einen zur Verfassungsmäßigkeit der Vollverzinsung gemäß §§ 233a, 238 Abs. 1 Satz 1 AO ergangen. Die Entscheidung ist also zu Zinsfestsetzungen ergangen, die als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben werden. Bei § 6b Abs. 7 EStG und damit im Streitfall dient der Gewinnzuschlag der Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Rücklage, da die Rücklage ja nur auf Antrag des Steuerpflichtigen gebildet wird. Steuerpflichtige haben hier – anders als bei der Vollverzinsung – grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen. So hat das BVerfG im Beschluss vom 08.07.2021 auch ausgeführt, dass eine Erstreckung der Unvereinbarkeitserklärung auf die anderen Verzinsungstatbestände nach der Abgabenordnung zulasten der Steuerpflichtigen, namentlich auf Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, nicht in Betracht kommt (Rz. 242). Nichts Anderes gilt bei § 6b Abs. 7 EStG. Zum anderen hält das BVerfG aber auch die Fortgeltung des Zinssatzes in Höhe von 6% p.a. nach den § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO für Verzinsungszeiträume vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2018 für geboten, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Dies erscheint insbesondere mit Blick auf die ansonsten bestehenden erheblichen haushaltswirtschaftlichen Unsicherheiten geboten. Damit wäre auch unter diesem Gesichtspunkt im Streitfall die Fortgeltung des Zinssatzes des § 6b Abs. 7 EStG geboten.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO genannten Gründe vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.


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