Steuerrecht

Pflegebedingte Aufwendungen, Verwaltungsgerichte, Pflegeeinrichtung, Pflegesätze, Befähigung zum Richteramt, Beihilfeanspruch, Beihilfeberechtigte, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Beihilfeverordnung, Beihilferecht, Beihilfeleistungen, Widerspruchsbescheid, Eingliederungshilfeleistung, Rechtsmittelbelehrung, Pflegeleistungen, Streitwertfestsetzung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Pflegebedürftigkeit, Behindertenhilfe, vollstationäre Pflege

Aktenzeichen  W 1 K 20.129

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 645
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV § 36
BayBhV § 37
BayBhV § 48

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, § 101 Abs. 2 VwGO, ist unbegründet. Der Bescheid vom 18. März 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Oktober 2019 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf eine weitergehende Zahlung von Beihilfe für die streitgegenständlichen Rechnungen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Beihilfeberechtigte, deren Dienstherr der Freistaat Bayern ist, werden gem. Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG Beihilfeleistungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsversorgung nach Maßgabe der aufgrund von Art. 96 Abs. 5 Satz 1 BayBG erlassenen Rechtsverordnung, der Bayerischen Beihilfeverordnung – BayBhV, gewährt, sofern die Aufwendungen nachgewiesen medizinisch notwendig und angemessen sind. Hinsichtlich der maßgeblichen Sach- und Rechtslage in Beihilfestreitigkeiten ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen abzustellen (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 6.11.2014 – 5 C 7.14 – juris; U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – juris, jeweils m.w.N.). Da vorliegend die Rechnungen auf den Zeitraum 4. April 2018 bis 4. März 2019 datieren, ist somit für die Rechnungen aus dem Jahr 2018 die BayBhV in der Fassung vom 1. September 2017 maßgeblich, für die Rechnungen aus dem Jahr 2019 die seit dem 1. Januar 2019 geltende Fassung. Gem. § 7 Abs. 1 BayBhV werden Aufwendungen erstattet, die dem Grunde nach medizinisch notwendig waren (Nr.1), der Höhe nach angemessen waren (Nr. 2) und bei denen die Beihilfe nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr.3).
Vorliegend ist der Kläger selbst kein Beihilfeberechtigter, dessen Dienstherr der Freistaat Bayern ist. Er hat jedoch mit Schreiben vom 9. September 2010 die Beihilfeansprüche des Herrn H., einem Beihilfeberechtigten, dessen Dienstherr der Freistaat Bayern ist, gem. § 93 SGB XII auf sich übergeleitet, sodass ihm nunmehr etwaige Beihilfeansprüche des Herrn H. zustehen.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Zahlung von Beihilfe gem. § 36 BayBhV.
Gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind bei stationärer Pflege in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XI die nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit entstehenden pflegebedingten Aufwendungen im Sinne des § 84 Abs. 2 Satz 2 SGB XI beihilfefähig. Herr H. befindet sich zwar innerhalb einer binnendifferenzierten Einrichtung in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung im Sinne des § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, der Pflegeeinrichtung P* … … … allerdings hat der Kläger nicht ausreichend nachgewiesen, dass und in welcher Höhe für Herrn H. pflegebedingte Aufwendungen entstanden sind. Dies ist jedoch bereits dem Wortlaut nach Voraussetzung für die Gewährung von Beihilfe nach § 36 BayBhV. Beihilfefähig sind nach § 36 BayBhV explizit nur pflegebedingte Aufwendungen. Auch wenn es naheliegend erscheinen mag, dass für einen Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 3 in einer Pflegeeinrichtung pflegebedingten Aufwendungen entstanden sind, so setzt § 48 Abs. 2 BayBhV voraus, dass die entstandenen Aufwendungen durch Belege nachgewiesen werden müssen. Die Rechnungen sind damit anspruchsbegründende Voraussetzungen für den Beihilfeanspruch. Aus ihnen müssen zwingend die Aufwendungen nach Art und Höhe erkennbar sein (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, § 48 Anm. zu Abs. 2). Ein solcher Nachweis ist im Hinblick auf pflegebedingte Aufwendungen vorliegend jedoch nicht erfolgt. Vorliegend wurden seitens des Klägers zwar Rechnungen vorgelegt, denen zu entnehmen ist, dass Herr H. Pflegegrad 3 besitzt und innerhalb des St. J* …haus in der Pflegeeinrichtung P* … … … untergebracht ist. Allerdings lassen sich den Rechnungen keine pflegebedingten Aufwendungen zweifelsfrei entnehmen. Den Leistungsbeschreibungen der Rechnungen lässt sich entnehmen, dass jeweils eine Maßnahmenpauschale, eine Grundpauschale sowie eine Investitionspauschale berechnet wurde, zum Teil noch Bekleidungsgeld, ein Barbetrag sowie ein Zusatzbarbetrag. Bei der Maßnahmenpauschale, der Grundpauschale sowie der Investitionspauschale handelt es sich jedoch gerade nicht um Leistungstypen der Pflege, sondern der Behindertenhilfe (vgl. früher etwa § 76 Abs. 2 SGB XII; Rahmenvertrag nach § 79 Abs. 1 SGB XII für Baden-Württemberg). Pflegebedingte Aufwendungen werden dagegen mittels Pflegesätzen abgerechnet (vgl. etwa § 84 SGB XI). Auch ergibt sich aus dem für das St. J* …haus getroffenen Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI, dass als Vergütung in dem Pflegeheim P* … … … Pflegesätze nach § 84 SGB XI anzusetzen sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Umrechnungsbestätigung im Rahmen des vereinfachten Verfahrens gemäß § 92c SGB XI von 2016, die für die binnendifferenzierte Einrichtung P* … … … Pflegesätze festgesetzt hat, welche aber gerade keinen Eingang in die vorgelegten Rechnungen gefunden haben. Für Herrn H. ergäbe sich aus dieser Bestätigung ein Pflegesatz von 49,52 EUR/Tag, wobei 30,42 Tage pro Monat angesetzt werden. Der in der Rechnung enthaltene Betrag allein für die Maßnahmenpauschale beträgt bereits 104,56 EUR/Tag und somit mehr als das doppelte des für Herrn H. anzusetzenden Pflegesatzes. Vorliegend ist den Rechnungen daher nicht zu entnehmen, dass pflegebedingte Aufwendungen getätigt wurden, vielmehr wurden jeweils Leistungen der Behindertenhilfe abgerechnet, die nicht gem. § 36 BayBhV beihilfefähig sind.
Auf die Rechnungsstellung von Pflegesätzen kann auch nicht deshalb verzichtet werden, weil sich der Beamte in einer Einrichtung befindet, die im Rahmen des Sondermodells der „binnendifferenzierten Einrichtung“ betrieben wird. Dem Modell der Binnendifferenzierung liegt der Gedanke zugrunde, Leistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung zusammenzuführen. Dabei werden innerhalb von vollstationären Einrichtungen der Behindertenhilfe eigenständige Einrichtungsteile eingerichtet, die im vollen Umfang alle Erfordernisse einer Pflegeeinrichtung i. S. d. SGB XI (Versorgungsvertrag, selbständig wirtschaftende Einrichtung, ständige Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft, Pflegebedürftigkeit der Bewohner) erfüllen. Unabhängig davon werden allen Bewohnern Eingliederungshilfeleistungen auf der Grundlage von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII im notwendigen Umfang angeboten (Vgl. Positionspapier „Weiterentwicklung der stationären Hilfe für alt gewordene Menschen mit Behinderungen und zunehmendem Pflegebedarf“ der Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2009, S. 4, https://www.kvjs.de/fileadmin/dateien/soziales/egh/positionspapier-lagoefw.pdf). Hieraus folgt, dass die Einrichtung trotz einheitlichen Auftretens nach außen im sozialrechtlichen Sinne nicht als nur eine – einheitliche – Einrichtung anzusehen ist, sondern zwei Einrichtungen bildet: Zum einen eine – originäre – Einrichtung der Behindertenhilfe, welche gemäß § 71 Abs. 4 SGB XI keine Pflegeeinrichtung im Sinne von § 71 Abs. 2 SGB XI ist, zum anderen „binnendifferenziert“ von dieser eine stationäre Pflegeeinrichtung im Sinne von § 71 Abs. 2 SGB XI. Da § 71 Abs. 4 SGB XI es ausschließt, dass eine einzelne Einrichtung im rechtlichen Sinne sowohl als Pflegeeinrichtung einzustufen ist als auch als Einrichtung, in der die Leistungen zur medizinischen Vorsorge, zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben oder am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung kranker oder behinderter Menschen im Vordergrund des Zweckes der Einrichtung stehen, müssen Einrichtungsträger entweder eine Entscheidung treffen, ob im Vordergrund ihres Leistungsangebotes die Pflege oder die Förderung behinderter Menschen steht, oder aber, wenn sie zwei Einrichtungszwecke parallel verfolgen möchten, – dem Modell der sog. Binnendifferenzierung folgend – im rechtlichen Sinne zwei unterschiedliche Einrichtungen schaffen, für welche jeweils rechtlich eigenständig die entsprechenden Vereinbarungen mit den unterschiedlichen jeweils sozialrechtlich zuständigen Leistungsträgern geschlossen werden (VG Düsseldorf, U.v. 9.8.2019 – 26 K 5686/15 -, Rn. 39 – 46, juris).
Folglich ist die innerhalb der Binnendifferenzierung geschaffene Pflegeeinrichtung als rechtlich selbstständig zu beurteilen und somit als gänzlich unabhängig von der Behinderteneinrichtung zu sehen. Die Pflegeeinrichtungen haben daher auch entsprechend der Regelungen für Pflegeeinrichtungen nach Pflegesätzen abzurechnen und gerade nicht nach Leistungstypen der Behindertenhilfe. Über diese Notwendigkeit kann das Modell der binnendifferenzierten Einrichtung somit nicht hinweghelfen. Insoweit sind die Rechnungen des St. J* …haus fehlerhaft erstellt worden. Es obliegt jedoch dem Beihilfeantragsteller, bei Zweifeln an der Richtigkeit der Abrechnung eine korrigierte Rechnung einzureichen. Gelingt dies nicht, so geht dies zu seinen Lasten (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, § 48 Anm. 3 zu Abs. 2).
Da vorliegend somit pflegebedingte Aufwendungen nicht durch Belege nachgewiesen wurden, besteht für den Kläger kein Anspruch auf eine Beihilfe nach § 36 BayBhV.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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