Steuerrecht

Private Veräußerungsgeschäfte – Keine Besteuerung des auf das häusliche Arbeitszimmer entfallenden Veräußerungsgewinns

Aktenzeichen  IX R 27/19

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.010321.IXR27.19.0
Normen:
§ 22 Nr 2 EStG 2009
§ 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 1 EStG 2009
§ 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 3 Alt 1 EStG 2009
§ 4 Abs 5 S 1 Nr 6b EStG 2009
§ 9 Abs 5 S 1 EStG 2009
§ 23 Abs 1 S 1 Nr 1 S 3 Alt 2 EStG 2009
EStG VZ 2017
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

Wird eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Eigentumswohnung innerhalb der zehnjährigen Haltefrist veräußert, ist der Veräußerungsgewinn auch insoweit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen, als er auf ein zur Erzielung von Überschusseinkünften genutztes häusliches Arbeitszimmer entfällt (entgegen BMF-Schreiben vom 05.10.2000, BStBl I 2000, 1383, Rz 21).

Verfahrensgang

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 23. Juli 2019, Az: 5 K 338/19, Urteil

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 23.07.2019 – 5 K 338/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Streitig ist, ob ein Gewinn aus der Veräußerung einer Eigentumswohnung als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr (2017) geltenden Fassung (EStG) zu berücksichtigen ist, soweit er auf den Bereich des häuslichen Arbeitszimmers entfällt.
2
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielte im Streitjahr als Lehrerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; bei der Ermittlung dieser Einkünfte machte sie –wie auch in früheren Veranlagungszeiträumen– Aufwendungen für ein in ihrer Eigentumswohnung liegendes häusliches Arbeitszimmer als Werbungskosten geltend, die von dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) jeweils mit dem Höchstbetrag in Höhe von 1.250 € anerkannt worden sind. Die Klägerin hatte die Eigentumswohnung mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 29.06.2012 erworben und sodann mit Vertrag vom 11.07.2017 veräußert.
3
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin einen aus dieser Veräußerung resultierenden, anteilig auf die Grundfläche des häuslichen Arbeitszimmers entfallenden Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 10.918 €. Das FA folgte der Berechnung im Wesentlichen und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 15.10.2018 Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 10.941 €.
4
Der Einspruch der Klägerin wurde als unbegründet zurückgewiesen.
5
Der Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2020, 46 veröffentlichten Urteil statt und setzte die Einkünfte aus der Veräußerung der Eigentumswohnung mit 0 € an. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Veräußerungsgewinn sei zwar grundsätzlich gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG steuerpflichtig, da die Klägerin das Objekt innerhalb des Zehnjahreszeitraums veräußert habe. Der Veräußerungsgewinn sei aber nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen, auch soweit er auf das häusliche Arbeitszimmer innerhalb der selbst genutzten Wohnung entfalle. Für die Ausnahme von der Besteuerung sei es nicht schädlich, wenn die Klägerin ihre Eigentumswohnung vor der Veräußerung mit einem unwesentlichen Teil (ca. 10 % der Wohnfläche) zu ausschließlich beruflichen Zwecken als häusliches Arbeitszimmer genutzt habe. Die Veräußerungsgewinnbesteuerung nach § 23 Abs. 1 EStG stelle darauf ab, dass ein einzeln veräußerbares “Wirtschaftsgut” veräußert werde. Nur die Eigentumswohnung als solche, nicht hingegen das häusliche Arbeitszimmer erfülle den Begriff des Wirtschaftsguts, da das Arbeitszimmer nicht losgelöst von der Eigentumswohnung veräußerbar sei.
6
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 EStG). Es trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, der Besteuerungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG sei erfüllt, da die Veräußerung der Eigentumswohnung auch das häusliche Arbeitszimmer umfasst habe. Das häusliche Arbeitszimmer sei nahezu ausschließlich beruflich und nicht zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden. Die vom FG angeführte Voraussetzung, dass es sich bei dem häuslichen Arbeitszimmer um ein eigenständiges Wirtschaftsgut handeln oder man ein solches durch eine Teilung herstellen können müsse, um eine Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vorzunehmen, sei weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung erkennbar. Folge man dem FG, wäre bei dem veräußerten Gesamtwirtschaftsgut “Wohnung”, das nicht in selbständige Wirtschaftsgüter aufteilbar sei, die Veräußerung insgesamt deshalb zu versteuern, weil das in Rede stehende Gesamtwirtschaftsgut “Wohnung” nicht im Ganzen zu Wohnzwecken genutzt werde.
7
Das FA beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG aus der Veräußerung des Objekts Y-Straße in Z mit 10.941 € anzusetzen.
8
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
9
Sie schließt sich der Auffassung des FG an.
10
Das dem Rechtsstreit beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat keinen Antrag gestellt. Es unterstützt das Begehren des FA und führt im Wesentlichen aus, ein für die Arbeitnehmertätigkeit als häusliches Arbeitszimmer genutzter Gebäudeteil sei –unabhängig von der Qualifizierung als einzeln veräußerbares Wirtschaftsgut– bei der Veräußerung der selbst bewohnten Eigentumswohnung nicht den eigenen Wohnzwecken nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG zuzuordnen und damit auch nicht von der Besteuerung ausgenommen. Die Veräußerung des Gebäudeteils “häusliches Arbeitszimmer” erfülle daher den Veräußerungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.


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