Steuerrecht

Überschreitung der Versandschlusszeit als Verschulden bei Wiedereinsetzungsantrag

Aktenzeichen  M 7 K 17.2399

Datum:
31.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20288
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
VwGO § 60

 

Leitsatz

1. Durch den Postdienstleister verursachte Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung sind dem Absender nicht als Verschulden anzurechnen; er darf darauf vertrauen, dass für den Normalfall festgelegte Postlaufzeiten eingehalten werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf einem Kläger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand daher grundsätzlich nicht als Verschulden angerechnet werden.    (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird eine Postsendung nach Ablauf der angegebenen Versandschlusszeit aufgegeben und der Absender hierauf hingewiesen, kann er nicht davon ausgehen, dass die Postsendung am nächsten Werktag zugestellt wird. Eine Nichteinhaltung der Klagefrist in in diesem Fall verschuldet. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.
Die mit den Klageanträgen zu 1 und 2 jeweils geltend gemachten Verpflichtungs- bzw. Leistungsklagen sind unzulässig, da den Klägern diesbezüglich das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist ungeschriebene Voraussetzung für die Zulässigkeit einer jeden Inanspruchnahme des Gerichts. Dieses ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommt (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 11). Für die Verpflichtungsklage ist dabei anerkannt, dass ihre Zulässigkeit grundsätzlich von einem vorher im Verwaltungsverfahren erfolglos gestellten Antrag auf Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts abhängt (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2007 – 6 C 42/06 – juris Rn. 23). Das gilt auch bei der allgemeinen Leistungsklage (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 40 Rn. 13). Vorliegend ist jedoch weder aus den Akten ersichtlich noch vorgetragen, dass die Kläger vor Klageerhebung den Klageanträgen zu 1 und 2 entsprechende Anträge beim Landratsamt bzw. bei der entsprechenden Behörde gestellt und dadurch versucht hätten, ihr Klageziel schneller und einfacher zu erreichen.
Die mit den Klageanträgen zu 3 und 4 jeweils erhobenen allgemeinen Leistungsklagen (vgl. §§ 43 Abs. 2 Satz 1, 111, 113 Abs. 4 VwGO) sind ebenfalls unzulässig.
Es handelt sich jeweils um eine vorbeugende Unterlassungsklage. Verwaltungsrechtsschutz ist allerdings grundsätzlich nachgängiger Rechtsschutz. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt darum ein System nachgängigen – ggf. einstweiligen – Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich ausreicht. Vorbeugende Klagen sind daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz – einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes – mit für den Kläger unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 35/07 – juris Rn. 26). Vorliegend wurde jedoch weder seitens der Kläger dargetan noch ist anderweitig ersichtlich, dass es für diese mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre, vorab mit dem geltend gemachten Begehren an den Beklagten heranzutreten.
Schließlich ist die mit dem Klageantrag zu 5 erhobene Anfechtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO unzulässig, da die Klagefrist nicht eingehalten wurde.
Nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden. Vorliegend wurden die Bescheide vom 18. April 2017 den Klägern ausweislich der Postzustellungsurkunden jeweils am 27. April 2017 zugestellt und dadurch wirksam bekannt gegeben. Entgegen dem Vorbringen der Kläger steht einer wirksamen Bekanntgabe auch nicht entgegen, dass ihnen die Bescheide nicht persönlich übergeben, sondern in den Briefkasten eingelegt wurden. Denn dies stellt eine wirksame Zustellung nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i.V.m. § 180 ZPO dar. Demensprechend begann die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 187 Abs. 1 BGB am 28. April 2017 um 0:00 Uhr und endete gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 188 Abs. 1, 193 BGB am Montag, den 29. Mai 2017 um 24:00 Uhr. Die per Einschreiben versandte Klage vom 27. Mai 2017 ist bei Gericht jedoch erst am 30. Mai 2017 und somit nach Ablauf der Klagefrist eingegangen.
Den Klägern war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, innerhalb der Antragsfrist dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen. Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben kann und muss das Gericht allerdings auch nach Fristablauf aufklären (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2018 – 11 ZB 17.2428 – juris Rn. 22).
Die Kläger haben vorliegend jedoch nicht hinreichend dargelegt, dass sie unverschuldet daran gehindert waren die Klagefrist einzuhalten. Denn zwar ist den Klägern zuzugeben, dass dem Bürger Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die … AG nicht als Verschulden angerechnet werden dürfen und der Bürger vielmehr darauf vertrauen darf, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der .. AG für den Normalfall festgelegt werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf dem Bürger im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, weil er darauf keinen Einfluss hat (vgl. BGH, B.v. 20.5.2009 – IV ZB 2/08 – juris Rn. 8). Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag im Bundesgebiet ausgeliefert werden. Allerdings liegt es im Verantwortungsbereich des Bürgers, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es nach deren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann (vgl. BVerfG, B.v. 7.3.2017 – 2 BvR 162.16 – juris Rn. 26 m.w.N.). Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Bürger deshalb bei korrekter Adressierung und Frankierung nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 4 C 2.12 – juris Rn. 8).
Vorliegend haben die Kläger die Klage zwar am Samstag, den 27. Mai 2017 als Einschreiben bei ihrer örtlichen Postfiliale aufgegeben und Einschreiben werden auch in der Regel am Tag nach der Einlieferung zugestellt (vgl. unter https://www…de/…html). Allerdings bestehen vorliegend dennoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger nicht von einer Zustellung des Einschreibens am nächsten Werktag, mithin am Montag, den 29. Mai 2017 ausgehen durften. Denn zum einen wurde das Einschreiben ausweislich des übermittelten Einlieferungsbelegs um 17:33 Uhr aufgegeben und damit zwar noch innerhalb der Öffnungszeiten der örtlichen Postfiliale, allerdings erst nach Ablauf der dortigen Versandschlusszeit (10:40 Uhr) an einem Samstag (vgl. https://standorte…de/…& ort=Stockdorf). Zum anderen ist auf dem Einlieferungsbeleg selbst folgender Hinweis enthalten: „Versandschlusszeit überschritten. Der Transport der Sendung beginnt am nächsten Werktag“. Somit war für die Kläger auf Grund der Versandschlusszeit sowie insbesondere des expliziten Hinweises auf dem Einlieferungsbeleg eindeutig erkennbar, dass das Einschreiben erst am Montag, den 29. Mai 2017 befördert werden würde. Dementsprechend durften die Kläger unter Berücksichtigung einer gewöhnlichen Postlaufzeit von einem Tag nicht darauf vertrauen, dass ihr Einschreiben noch am 29. Mai 2017 bei Gericht eingeht, sondern mussten vielmehr davon ausgehen, dass dies erst am 30. Mai 2017 der Fall sein würde. Somit haben die Kläger die Nichteinhaltung der Klagefrist verschuldet.
Auf Grund der Unzulässigkeit der mit dem Klageantrag zu 5 erhobenen Anfechtungsklage haben auch die mit den Klageanträgen zu 6 und 7 geltend gemachten Vollzugsfolgenbeseitigungsansprüche i.S.v. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO keinen Erfolg.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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