Steuerrecht

Vermögensverfall, Rechtsanwaltschaft, Versagungsgründe, Ratenzahlungsvereinbarung, Versagungsbescheid, Prozeßbevollmächtigter, Rechtsanwaltskammer, Wiederzulassung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, mündlich Verhandlung, Personalakten, Gesamtergebnis des Verfahrens, Brao, Einstweiliger Rechtsschutz, Streitwertfestsetzung, Vermögensverhältnisse, Widerrufsbescheid, Schriftsätze, Anwaltsgerichtshof, Prognoseentscheidung

Aktenzeichen  BayAGH I – 5 – 7/20

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BRAK-Mitt – 2021, 115
Gerichtsart:
Anwaltsgerichtshof
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
I.
Nach Maßgabe von § 112c Abs. 1 BRAO richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der VwGO. Gemäß Art. 15 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen. Die formgerecht erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 74 Abs. 1 und 2 VwGO) ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Der Versagungsbescheid wurde dem Kläger persönlich formell ordnungsgemäß, §§ 32 Abs. 1, 34 BRAO, § 41 Abs. 1 S. 2 VwVfG am 30.01.2020 zugestellt. Die einmonatige Klagefrist endete damit gemäß § 32 Abs. 1 BRAO, § 31 Abs. 1 VwVfG, § 188 Abs. 2 BGB, 31 Abs. 3 VwVfG am 02.03.2020, da das eigentliche Fristende (29.02.2020) auf einen Samstag fiel, so dass die Klagefrist gewahrt wurde. Dies gilt im Übrigen erst recht, wenn man den Klägervortrag als richtig unterstellt, wonach sich bereits vor der Bekanntgabe des Bescheids sein Prozessbevollmächtigter unter Vorlage einer Prozessvollmacht bestellt hatte. In diesem Fall hätte gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG, § 7 Abs. 1 S. 2 VwZG eine Zustellung an seinen Bevollmächtigten erfolgen müssen. Eine etwaige Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften führt gemäß § 8 VwZG dazu, dass der Verwaltungsakt als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt (und damit eine Heilung eines etwaigen Zustellungsmangels eintritt), in dem er dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Davon ist hier (mangels anderweitiger Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers) jedenfalls mit dem Zeitpunkt der Klageerhebung auszugehen.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Versagungsbescheid vom 28.01.2020 ist rechtmäßig, da der Zulassung des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2020 die Versagungsgründe des § 7 Nr. 5 und § 7 Nr. 9 BRAO entgegenstehen. Der Versagungsbescheid verletzt den Kläger mithin nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO
Der (Wieder-) Zulassung des Klägers steht auch noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO entgegen.
a) Der Senat legt seiner Entscheidung folgende Rechtssätze zugrunde:
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 14.01.2019 – AnwZ (Brfg) 70/17, m.w.N.; BVerfG, Bes. v. 26.02.1986, NJW 1986, 1802 und NJW 2017, 3704, Rn. 25 ff.) kann einem Bewerber die (Wieder-) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen schuldhaften Verhaltens, das ihn als unwürdig erscheinen lässt, nach § 7 Nr. 5 BRAO den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, versagt werden, wenn er bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblicher Umstände – wie z.B. Zeitablauf, früheres und späteres Wohlverhalten und seine Lebensumstände im Ganzen – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheint. Unwürdigkeit ist vor allem bei strafrechtlicher Verurteilung wegen gravierender Delikte anzunehmen, wobei besondere Sorgfalt bei berufsbezogenem Fehlverhalten angezeigt ist (Heussen/Hamm/Scharmer, Beck´sches Rechtsanwalts-Handbuch, § 56 Rn. 11; Weyland/Vossebürger, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 7, Rn. 57).
Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen.
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der (Wieder-) Zulassung liegen. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten. Wurde die Unwürdigkeit durch die Begehung von Straftaten seitens des Rechtsanwalts begründet, ist neben der seit der Begehung der letzten Straftat vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat.
Eine etwaig schlechte gesundheitliche Verfassung eines Bewerbers kann sich auf die Prognose einer künftigen, einwandfreien Berufsausübung negativ auswirken (Weyland/Vossebürger, aaO, § 7, Rn. 45).
Maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bzw. bei Entscheidung nach mündlicher Verhandlung dieser Zeitpunkt (BGH, Urteil vom 09.02.2015, AnwZ (Brfg) 16/14, Rn. 8; Weyland/ Vossebürger, aaO, § 7 Rn. 37 f.).
b) Nach diesen Maßstäben ist der Kläger zur Überzeugung des Senats nach seiner Gesamtpersönlichkeit derzeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar, die insoweit gebotene Prognoseentscheidung fällt zu seinen Lasten aus.
Zugunsten des Klägers sprechen:
– Er hat sich keiner schweren Straftat schuldig gemacht, die dementsprechend auch nur milde geahndet wurde.
– Er befand sich zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat jedenfalls aus seiner subjektiven Sicht in einer Konfliktsituation, mit der er nicht anders umzugehen wusste.
– Die Strafe wurde zwischenzeitlich erlassen (der Senat unterstellt zugunsten des Klägers, dass dem so ist), er hat sich straffrei geführt.
Zulasten des Klägers sprechen folgende Aspekte:
– Bei der vom Kläger im Sommer 2018 begangenen Straftat des Titelmissbrauchs handelt es sich um ein berufsbezogenes Täuschungsdelikt.
– Dieses Handeln wie auch sein Auftreten in diesem Rechtsstreit sind geprägt von der fehlenden Einsicht in die Strafbarkeit seines Tuns, durch das er als nicht (mehr) zugelassener Anwalt seine(n) Recht suchenden Mandanten vor Gericht in Wirklichkeit alleine und anwaltslos gelassen hat.
– Zwischen seinem Fehlverhalten im Sommer 2018 und der nunmehr begehrten Zulassung liegt nur ein sehr kurzer Zeitraum, wobei die Bewährungsstrafe frühestens im Sommer 2020 erlassen worden sein kann, so dass die straffreie Führung des Klägers jedenfalls weitgehend auch unter dem Druck der offenen Bewährung erfolgt ist.
– Der Kläger ist kein „unbeschriebenes Blatt“. Seine jeweils kurzen Zulassungszeiten als Rechtsanwalt waren geprägt von Problemen verschiedener Art und auch in der jüngeren Vergangenheit bedurfte er z.B. nach seinem eigenen Vortrag der Unterstützung seines Bruders bei seiner Lebensführung.
Eine auf dieser Grundlage vorzunehmende Abwägung des Interesses des Klägers nach beruflicher und sozialer Eingliederung, die sich allerdings nicht „von selbst“ allein mit seiner (Wieder-) Zulassung einstellen wird, und des durch das Berufsrecht geschützten Interesses der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes/ einer funktionierenden Rechtspflege, das der Kläger weiterhin nicht hinreichend in den Blick nimmt, führt vorliegend – auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat hinterlassen hat – zu einer negativen Prognose. Zur Überzeugung des Senats bestehen die Gründe für die Versagung der Wiederzulassung nach § 7 Nr. 5 BRAO (noch) fort, der Kläger ist für den Anwaltsberuf derzeit nicht tragbar.
2. Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO
Unabhängig von dem Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO steht der Wiederzulassung des Klägers zur Anwaltschaft vorliegend auch der Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO entgegen.
a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn ein Bewerber in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er wird vermutet, wenn über das Vermögen des Antragstellers ein Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antragsteller in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis, § 26 Abs. 2 InsO, § 882 b ZPO, eingetragen ist. In diesen Fällen spricht daher eine widerlegliche gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall (Weyland/Vossebürger, aaO, § 7, Rn. 142). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Bes. v. 07.12.2004 – AnwZ (B) 40/04, NZI 2005, 274) kann unter Umständen von einem Vermögensverfall nicht mehr ausgegangen werden, wenn sich der Betreffende in Vergleichs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat, diesen Ratenzahlungen nachkommt und während dessen keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden.
Maßgeblich für die Beurteilung ist auch insoweit der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bzw. bei Entscheidung nach mündlicher Verhandlung dieser Zeitpunkt.
b) Ausgehend von diesen Rechtssätzen ist beim Kläger derzeit auch der Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO zu bejahen.
Zwar greift beim Kläger die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls nicht ein, zur aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats steht jedoch fest, dass er sich (weiterhin) in ungeordneten, schlechten finanziellen Verhältnissen befindet. Dies ergibt sich unter anderem auch aus seiner Darstellung im Schriftsatz vom 20.11.2020 und im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Danach kommt er zwar seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen nach, bedarf jedoch nach seinen eigenen Angaben der Hilfe der Schuldnerberatung der Caritas, um zu verifizieren, welche Forderungen gegen ihn in welcher Höhe bestehen und erhofft sich damit eine für ihn günstige Gläubigervereinbarung zu erzielen. Er hat mithin Schulden in unbekannter Höhe und ist selbst nicht in der Lage deren Höhe festzustellen und diese zu bezahlen. Auch hat er seine Steuerschulden noch immer nicht durch Abgabe einer Steuererklärung begonnen zu ordnen, so dass noch immer die vom Finanzamt bislang geschätzte, nach Angaben des Klägers deutlich überhöhte Steuerschuld im Raum steht. Mithin ist vorliegend auch der vom BGH normierte Ausnahmefall, wonach die Annahme eines Vermögensverfalls ausscheiden kann, wenn der Betreffende sich in Vergleichs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat und diesen Ratenzahlungen nachkommt, nicht gegeben. Davon ist der Kläger noch weit entfernt. Offensichtlich hat der Kläger auch nur unter dem Druck der bevorstehenden mündlichen Verhandlung den Versuch unternommen, seine schlechten finanziellen Verhältnisse zu ordnen. Bei all dem darf im Übrigen nicht außer Acht gelassen werden, dass seine Zulassung wegen Vermögensverfalls bereits mehrfach widerrufen werden musste.
Im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Rechtspflege und damit dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes muss dem Kläger unter den derzeitigen Umständen des vorliegenden Einzelfalls daher die Wiederzulassung zur Anwaltschaft auch nach § 7 Nr. 9 BRAO versagt bleiben.
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass Anhaltspunkte, die eine weitere Amtsermittlung geboten hätten, nicht gegeben sind. Der Kläger hat am Ende der mündlichen Verhandlung lediglich darum gebeten, sich weiter zum Sachverhalt zu erklären. Er hatte zuvor jedoch bereits sowohl schriftsätzlich als auch im Rahmen seiner Anhörung ausreichend Gelegenheit sich zu allen entscheidungserheblichen Punkten zu äußern.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 BRAO, § 154 Abs. 1 und 3 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 112c Abs. 1 BRAO, § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, § 112 e BRAO i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO.


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