Steuerrecht

Widerruf der Waffenbesitzkarte, Ungültigerklärung und Einziehung, Jagdschein, Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit, Rechtskräftige Verurteilung, Steuerhinterziehung, Keine Ausnahme von der Regelvermutung, Kein langes Zurückliegen der Straftaten, „Zehnjahresfrist“

Aktenzeichen  M 7 K 20.3405

Datum:
29.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16082
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 45 Abs. 2 S. 1
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a
WaffG § 46
BJagdG § 18 S. 1
BJagdG § 17 Abs. 1 Satz 2

 

Leitsatz

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung bzw. ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts vom 10. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids angeordnete Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis (Waffenbesitzkarte) gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG ist rechtmäßig erfolgt. Gleiches gilt hinsichtlich der Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins in Nrn. 6 und 7 des Bescheids gemäß § 18 Satz 1 BJagdG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei maßgeblich auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier des Bescheidserlasses, abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 6 C 24.06 – juris Rn. 35).
Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis, vorliegend die Waffenbesitzkarte nach § 10 Abs. 1 WaffG, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Nach § 18 Satz 1 BJagdG ist die zuständige Behörde in Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG verpflichtet, den Jagdschein für ungültig zu erklären, wenn Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheins begründen, erst nach Erteilung des Jagdscheins eintreten oder der Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, bekannt werden. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG darf nur ein Jagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG (Falknerjagdschein) erteilt werden, wenn die Zuverlässigkeit oder die persönliche Eignung im Sinne der §§ 5 und 6 WaffG fehlen.
Nach Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 WaffG soll das mit jedem Waffenbesitz vorhan-dene Sicherheitsrisiko möglichst gering gehalten werden. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 54). Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel u.a. Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der (letzten) Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind, § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG.
Im Fall des Klägers ist der Tatbestand der Regelunzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG erfüllt, da gegen ihn mit seit 3. September 2019 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 29. Mai 2019 (1114 Cs 308 Js 152166/19) wegen acht sachlich zusammentreffender Vergehen der Steuerhinterziehung in Tatmehrheit mit einem Vergehen der versuchten Steuerhinterziehung eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen verhängt wurde.
Dabei ist es unerheblich, dass es sich bei der verhängten Geldstrafe um eine Gesamtgeldstrafe handelt. Auch die Verurteilung zu einer „Gesamtstrafe“ von mindestens 60 Tagessätzen wegen der Verwirklichung von in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG genannten Straftaten begründet die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit (vgl. HessVGH, B.v. 14.10.2004 – 11 TG 2490/04 – juris Rn. 4 ff.). Auch unter Aspekten der Gesetzessystematik ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber des Waffengesetzes mit dem Bezug auf eine „Verurteilung“ wegen Verwirklichung der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG genannten Straftatbestände nicht darauf abstellen wollte, ob die Verurteilung auf Straftatbeständen beruhte, die im konkreten Fall in Tateinheit oder Tatmehrheit verwirklicht wurden. Ausschlaggebend ist insoweit allein, dass eine Verurteilung zu einer Strafe erfolgte, die über der auf der Tatbestandsseite geregelten Mindesthöhe für den Eintritt der Rechtsfolge liegt (vgl. HessVGH, B.v. 14.10.2004 – 11 TG 2490/04 – juris Rn. 6). Durch die Gesamtstrafenbildung nach § 54 StGB erfolgt nämlich in einer Gesamtschau eine zusammenfassende Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten untereinander, sodass allein auf die Gesamtstrafe abgestellt werden kann, ohne die jeweiligen Einzelstrafen zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2005 – 19 ZB 05.2148 – juris Rn. 8 m.w.N.; vgl. auch NdsOVG, B.v. 4.9.2006 – 8 LA 114/06 – juris Rn. 7).
Das Gesetz stellt dabei für die in der Regel anzunehmende Unzuverlässigkeit allein auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen bestimmter Straftaten ab. Die Anwendung des gesetzlichen Tatbestands erfordert daher keine Prüfung der Behörde, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Indem es eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, will das Gesetz sichern, dass die behördliche Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit auf tragfähiger Grundlage erfolgt. Das gerichtliche Strafverfahren, in dem der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und im Zweifel zugunsten des Betroffenen zu entscheiden ist, bietet dafür eine besondere Gewähr. Daraus folgt, dass sich die Behörde auch auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen darf. Sie darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben danach, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht oder nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (st. Rspr. BVerwG, vgl. B.v. 22.4.1992 – 1 B 61/92 – juris Rn. 6; B.v. 21.7.2008 – B 12/08 – juris Rn. 5; vgl. auch st. Rspr. BayVGH, z.B. B.v. 5.7.2017 – 21 CS 17.856 – juris Rn. 10). Diese Grundsätze gelten auch im Fall eines Strafbefehlsverfahrens. Der Strafbefehl steht einem rechtskräftigen Urteil gleich, soweit gegen ihn nicht rechtzeitig Einspruch erhoben worden ist (§ 410 Abs. 3 Strafprozessordnung – StPO). Waffenrechtlich gelten insoweit keine Besonderheiten (st. Rspr. BVerwG, vgl. U.v. 13.12.1994 – 1 C 31/92 – juris Rn. 30; U.v. 16.10.1995 – 1 C 32/94 – juris Rn. 13; vgl. auch st. Rspr. BayVGH, z.B. B.v. 31.10.2012 – 21 ZB 12.1340 – juris Rn. 8).
Hier bestehen auch auf der Grundlage der beigezogenen Akte des Strafverfahrens keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung des Klägers auf einem Irrtum beruhen könnte oder dass die Waffenbehörde ausnahmsweise in der Lage wäre, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären. Solches wurde im Übrigen von Seiten des Klägers auch nicht geltend gemacht. Daher ist von der Richtigkeit der Verurteilung auszugehen und es war weiter zu prüfen, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Bei der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit i.S.d. § 5 WaffG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung und Anwendung der uneingeschränkten Prüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt.
Ein Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelvermutung rechtfertigen könnte, ist im Fall des Klägers nicht gegeben.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 5 m.w.N.; vgl. auch BayVGH in st. Rspr., z.B. B.v. 4.3.2016 – 21 CS 15.2718 – juris Rn. 13) kommt eine Abweichung von der Vermutung nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, dass bereits eine einzige Verurteilung wegen einer der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bis c WaffG genannten Straftaten die Regelvermutung begründet, wenn eine Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verhängt worden ist. Die Vermutung kann daher grundsätzlich nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten strafrechtlich nicht aufgefallen ist. Der in der früheren Gesetzesfassung zum Ausdruck kommende unmittelbare oder mittelbare Bezug der Straftaten zum Einsatz von Waffen wurde ausdrücklich aufgegeben. Wann die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit eingreift, wird nicht mehr vorrangig nach der Art der begangenen Straftat bestimmt, sondern es wird allgemein auf die Rechtsfolgenseite, nämlich auf die Höhe der verhängten Strafe, abgestellt. Daher kann ein Ausnahmefall nicht mehr damit begründet werden, dass die konkrete Straftat keinen Waffenbezug hatte (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 5). Auch die Tatsache, dass es sich – wie hier – nicht um Straftaten im Gewaltbereich handelt und auch nicht um solche, die die Gefahr einer missbräuchlichen Waffenverwendung implizieren, kann daher nicht zur Annahme eines Ausnahmefalls führen.
Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs lässt sich in Bezug auf die vom Kläger begangenen Straftaten, wie sie der Verurteilung zu Grunde gelegt wurden, auch kein Ausnahmefall feststellen.
Bereits die Höhe der verhängten Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen spricht gegen ein Bagatelldelikt. Auch besondere Tatumstände, die zu Gunsten des Klägers sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Es handelt sich bei den dem Strafbefehl zugrunde gelegten Straftaten um typische (teilweise versuchte) Steuerhinterziehungen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AO, durch die insgesamt ein erheblicher Betrag von Steuern verkürzt wurde (38.595,25 Euro, davon 5.235,70 Euro im Versuch geblieben). Hiervon entfiel auch ein beträchtlicher Betrag von 19.442,78 Euro auf vom Kläger (vollendet) hinterzogene Umsatzsteuer. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich der Tatzeitraum über eine lange Zeitspanne von vier Jahren bezüglich der Einkommensteuer (2009 bis 2012) und weiterhin bezüglich der Umsatzsteuer sogar von fünf Jahren (2009 bis 2013) erstreckte. Insgesamt liegen neun selbständige Fälle vor, in denen der Kläger die Finanzbehörden pflichtwidrig und vorsätzlich über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch in acht Fällen Steuern verkürzt und in einem Fall zu verkürzen versucht hat. Nach den Feststellungen im Strafbefehl hatte der Kläger seine Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Angabe der Besteuerungsgrundlagen in den eingereichten Erklärungen gekannt. Aufgrund der Abweichungen in fünf aufeinanderfolgenden Jahren war ihm auch bewusst, dass er dagegen verstieß. Sein Verhalten ließ darauf schließen, dass er die eingetretenen Steuerverkürzungen zumindest billigend in Kauf genommen hat. Auch hat der Kläger die Umsatzsteuererklärung 2013 verspätet erst nach Einleitung des Strafverfahrens – die Beschuldigtenvernehmung des Klägers war am 1. Juli 2014 erfolgt – am 15. September 2014 beim zuständigen Finanzamt eingereicht, die Umsatzsteuererklärungen 2011 bis 2012 sogar erst am 28. Februar 2019. Weiterhin wurde in dem Strafbefehl die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 19.501,58 Euro gemäß §§ 73, 73c StGB (Einziehung des Wertes von Taterträgen) angeordnet. Der Umstand, dass sich der Kläger nach seinen Angaben auf den Treuhänder verlassen habe, der ihn (im Rahmen der Privatinsolvenz) beaufsichtigt habe, wurde bereits im Strafverfahren gewürdigt. So hatte der Kläger dort bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 1. Juli 2014 angegeben, er habe gedacht, dass der Insolvenzverwalter die Steuererklärungen für ihn abgebe. Dem wurde von Seiten des Finanzamts München nachgegangen und mit Schreiben vom 18. Juli 2014 eine entsprechende Anfrage an den Insolvenzverwalter gestellt, welche von diesem im Folgenden mit Schreiben vom 8. August 2008 beantwortet wurde. Das Insolvenzverfahren sei am 1. September 2010 eröffnet worden. Die selbständige Tätigkeit des Schuldners sei am 15. September 2010 aus der Insolvenzmasse freigegeben worden. Es lägen ihm lediglich Einnahmen-Überschuss-Rechnungen vor, welche im Folgenden der Finanzbehörde vorgelegt wurden. Da der Betrieb freigegeben worden sei, sei der Schuldner selbst für die Abgabe der Steuererklärungen verantwortlich gewesen. Demzufolge vermag die entsprechende – im Übrigen auch nicht näher substantiierte – erneute Einlassung des Klägers, er habe sich auf den Treuhänder verlassen, die Straftaten nicht in einem derart milden Licht erscheinen zu lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch solche Straftaten begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt wären. Weiterhin deutet die Einlassung auch darauf hin, dass der Kläger seine Verantwortlichkeit nach wie vor zu relativieren versucht und das Unrecht seiner Taten nicht einzusehen vermag. Zudem ist es Sache eines jeden Angeklagten bzw. Beschuldigten, entlastende Umstände im Strafverfahren selbst vollständig vorzutragen bzw. auch auf der Vernehmung von Zeugen zu bestehen.
Auch der Zeitablauf ist im hier zu bewertenden Einzelfall des Klägers nicht geeignet, die Annahme der Unzuverlässigkeit zu entkräften.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erscheint es rechtlich nicht von vornherein als ausgeschlossen, die gesetzliche Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 2 WaffG als widerlegt anzusehen, wenn zwar die Fünfjahresfrist seit Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung noch nicht verstrichen ist, der Zeitpunkt der Begehung der Straftat aber sehr lange zurückliegt und der Betroffene sich seither straffrei geführt hat. Hierfür lassen sich jedoch keine festen Zeiträume angeben. Es wird immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ankommen. Immerhin könnte der vom Gesetzgeber vorgegebene, auf den Zeitpunkt von fünf Jahren in der Weise von Bedeutung sein, dass seit Begehung der Tat nicht mehr als nochmals fünf Jahre verstrichen sein dürfen. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass sich die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG dann nicht ohne weiteres anwenden ließe, wenn die Tat bei Erlass des Widerspruchsbescheids (hier des Ausgangsbescheids) bereits zehn oder mehr Jahre zurückliegt (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – juris Rn. 18). Dies war hier jedoch nicht der Fall. Als Datum der (letzten) Tat ist nach der Eintragung im Bundeszentralregister der 31. Mai 2014 angegeben. Bei einer Straftat nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich um ein Unterlassungsdelikt, welches an den Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht anknüpft. Seit diesem Zeitpunkt (Veranlagungsschluss für die Umsatzsteuererklärung 2013) sind zehn Jahre noch nicht verstrichen. Demzufolge kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein der Zeitablauf hier nicht dazu führen, dass sich die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG nicht ohne weiteres anwenden ließe, bzw. dass die Regelvermutung hier bereits (allein) aufgrund dieses Umstands entkräftet wäre. Auch lässt sich hier (wie auch bei der weiteren Würdigung des Zeitablaufs) keine Aufspaltung bzw. isolierte Betrachtung von Tatzeiträumen (und diesbezüglichen Einzelstrafen) vornehmen, wie der Bevollmächtigte des Klägers meint, da es dann schon an der weiteren Voraussetzung fehlen würde, dass sich der Betroffene seither straffrei geführt hätte, wie die späteren Tatbegehungen zeigen (vgl. im Übrigen auch VG Bayreuth, B.v. 22.7.2021 – B 1 S 21.709 – juris Rn. 45; VG Ansbach, U.v. 16.9.2021 – AN 10 K 20.00900 – juris Rn. 40 ff.).
Der Zeitablauf ist weiterhin auch im Übrigen nicht geeignet, im Rahmen der Prüfung, ob aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls die Regelannahme des Mangels der erforderlichen Zuverlässigkeit ausnahmsweise entkräftet ist, die Annahme eines solchen Ausnahmefalls zu begründen. So waren seit dem Zeitpunkt des 31. Mai 2014 bis zum Erlass des Bescheids am 10. Juli 2020 nur etwas mehr als sechs Jahre vergangen. Angesichts des langen Tatzeitraums über fünf Jahre hinweg erscheint dieser Zeitraum demgegenüber nicht übermäßig lang. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in dem zu entscheidenden Fall ausgeführt, dass der längere Zeitraum der Steuerhinterziehung von fünf Jahren (1975 bis 1979) mit einem Betrag der Steuerverkürzung in Höhe von 40.000 DM die Annahme eines Bagatelldelikts nicht zuließe (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – juris Rn. 18). Im dortigen Fall lag der Tatzeitraum sogar noch länger vor dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses (am 30. Oktober 1987) als hier im Fall des Klägers (vgl. im Übrigen auch VG Freiburg, B.v. 6.5.2005 – 2 K 344/05 – juris Rn. 5, wonach durch das Bundesverwaltungsgericht die Anwendung der gesetzlichen Regel bei längeren Zeiträumen – acht – U.v. 24.4.1990 – und mindestens sieben Jahre – B.v. 24.6.1992 – bestätigt worden sei). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass sich die „Wohlverhaltensphase“ des Klägers auch über einen längeren Zeitraum erstreckt hat, in dem er sich in einem laufenden Ermittlungsverfahren befand. Das Bundesverwaltungsgericht hat (aus wohl naheliegenden Gründen – wie oben ausgeführt) im Übrigen auch keine differenzierte Betrachtung der Hinterziehungszeiträume vorgenommen, wobei im dortigen Fall ebenso ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren seit der ersten Steuerhinterziehung verstrichen war. Schließlich ist auch die Dauer des Strafverfahrens nicht geeignet, die Straftaten des Klägers in einem – wie beschrieben – „milden Licht“ erscheinen zu lassen. Dieses wurde bereits im Juni 2014 eingeleitet, nachdem die Strafverfolgungsbehörde Kenntnis von den Taten bzw. des Verdachts erlangt hatte. Der Umstand des weit zurückliegenden Tatzeitpunkts wurde zudem bereits im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Klägers berücksichtigt, wie sich aus dem Schlussvermerk des Finanzamts München – Bußgeld- und Strafsachenstelle – vom *. Mai 2019 ergibt. Im Übrigen hat der Kläger auch ausstehende Umsatzsteuererklärungen erst am 28. Februar 2019 bei dem Finanzamt eingereicht. Weiterhin ergeben sich auch aus dem bevorstehenden Eintritt einer Verfolgungsverjährung – neben der bereits gewürdigten Verfahrensdauer – keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme eines Ausnahmefalls zu bejahen wäre, weil sie die Umstände der Taten in einem milderen Licht erscheinen ließen.
Auch bei einer nochmaligen abschließenden Gesamtwürdigung aller maßgeblicher Umstände einschließlich der länger zurückliegenden (letzten) Tatbegehung verbleibt es bei dem Kläger insbesondere angesichts des langen Tatzeitraums und der Höhe der hinterzogenen Steuer, darunter auch ein beträchtlicher Anteil an Umsatzsteuer, bei der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit auf der Grundlage von § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG.
Daher kann es vorliegend auch dahinstehen, ob – wie der Bevollmächtigte des Klägers geltend macht – die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach ein Abweichen von der Regelvermutung (allenfalls) erwogen werden kann, wenn der Zeitpunkt der Begehung der Straftat sehr lange, d.h. mindestens zehn Jahre, zurückliegt und der Betroffene sich bisher straffrei geführt hat, bzw. es rechtlich nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheint, die gesetzliche Vermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 2 WaffG als widerlegt anzusehen, wenn zwar die Fünfjahresfrist seit Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung noch nicht verstrichen ist, der Zeitpunkt der Begehung der Straftat aber sehr lange, d.h. mindestens zehn Jahre, zurückliegt und der Betroffene sich bisher straffrei geführt hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 6.6.2018 – 21 CS 18.658 – juris Rn. 13; B.v. 28.6.2017 – 21 CS 17.196 – juris Rn. 7; B.v. 13.4.2021 – 24 B 20.2220 – juris Rn. 18; B.v. 15.3.2018 – 21 CS 18.388 – juris Rn. 13) in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht, da es im Fall des Klägers nicht entscheidungserheblich darauf ankommt. Aus Sicht der Kammer trifft diese Auffassung im Übrigen auch nicht zu. Ergänzend ist hierzu anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht selbst – wie dargestellt – wohl einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren als erforderlich ansieht, um (bereits) die Anwendung der Regelvermutung als solche (wohl unabhängig von den weiteren Umständen des Einzelfalls) in Frage zu stellen bzw. allein den Zeitablauf genügen zu lassen, um die Regelvermutung zu entkräften (vgl. auch BVerwG, B.v. 24.6.1992 – 1 B 105/92 – juris Rn. 5; B.v. 9.7.1993 – 1 B 105/93 – juris Rn. 4).
Die Waffenbesitzkarte des Klägers war demzufolge zwingend zu widerrufen, § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Ebenso war der Jagdschein des Klägers zwingend für ungültig zu erklären, § 18 Satz 1 BJagdG.
In Bezug auf die weiteren Anordnungen in Nrn. 2 bis 5 sowie Nr. 7 (Rückgabe des Jagdscheins) im streitgegenständlichen Bescheid des Landratsamts auf der rechtlichen Grundlage von § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG (Nr. 2), § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG (Nr. 3), § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG (Nr. 4), § 46 Abs. 5 WaffG (Nr. 5) sowie bezüglich Nr. 7 des Bescheids § 18 BJagdG (vgl. auch Art. 52 BayVwVfG) sowie die Zwangsgeldandrohungen (Nr. 8) und Kostenentscheidung (Nrn. 10 und 11) sind durchgreifende rechtliche Bedenken weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Folgeentscheidungen dienen der Umsetzung des Widerrufs der waffen- und jagdrechtlichen Erlaubnisse und stellen die tatsächliche Umsetzung des Entzugs der formellen Erlaubnisberechtigungen durch sofortige Abgabe der Erlaubnisurkunden sicher. Soweit dem Landratsamt dabei Ermessen eingeräumt ist, sind Ermessensfehler nicht vorgetragen und im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen. Da die Kammer einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren nicht als Voraussetzung der Widerlegung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit ansieht (siehe obige Ausführungen hierzu), liegt schon nicht der Fall vor, für den der Klägerbevollmächtigte die Zulassung der Berufung beantragt hat. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass ein Berufungszulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO vorliegen würde (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).


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